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4. Kapitel

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, nicht zuletzt vom Geschrei der Klospülungen im Schloss, kam Stefan gerade aus dem Bad. Er hielt seinen Rasierer in der einen und den Stecker dazu in der anderen Hand. „Ohne Strom kann ich mich nicht rasieren“, sagte er.

Ich grinste, wollte ich ihn doch schon immer mal mit Bart sehen. „Dreitagebart ist in“, beruhigte ich ihn.

„Ich dachte, wir bleiben drei Wochen.“

„Dreiwochenbart eben.“

Stefan kam ein paar Schritte näher und starrte mich an. Die Kinder waren auch aufgestanden, kamen an mein Bett und starrten mich ebenfalls an.

„Was ist?“ Da fiel mir mein Auge wieder ein. Ich sprang aus dem Bett und stürzte ins Bad. „Herrgott noch mal!“ Ich tastete mein Gesicht ab. Das da im Spiegel war nicht ich. Nein, das konnte ich unmöglich sein. Das Auge der Person im Spiegel war blau mit einem ungesunden gelb-grünlichen Schimmer ringsherum.

„Vielleicht solltest du noch ein bisschen kühlen“, rief Stefan. „Kaltes Wasser gibt es hier genug.“

Wir mussten uns mit kaltem Wasser waschen, unter ständigem Geschrei der doofen Klospülung. Kein Strom – kein warmes Wasser. Da hätten wir auch irgendwo im Busch zelten können.

Wir räumten unsere Sachen auf und machten die Betten, als ein blecherner Gong ertönte. Das erinnerte mich an einen Aufenthalt in einem Ferienlager, als ich ein Kind war. Da ertönte ein Gong zu jeder Mahlzeit. Also musste das unser Frühstück sein.

Der Mann, der wie Mr Bean aussah, kam aus der Tür neben uns. Er grüßte freundlich und stellte sich als Herr Kownazki vor. Von Beruf war er Schauspieler. Er hatte keine Bartstoppeln im Gesicht, dafür aber unzählige kleine Pflaster. Wahrscheinlich hatte er versucht, sich mit einem Kartoffelschäler für Linkshänder zu rasieren. Er ging ungelenk den Gang vor uns entlang und stürzte dann kopfüber die Treppe hinunter, begleitet von seltsamen Knackgeräuschen.

Ich wollte gerade hinterher rennen, um seine gebrochenen Knochen aufzulesen, da sah ich, wie er aufstand, als wäre nichts gewesen. Er streckte sich kurz und klopfte seinen Anzug sauber. Dann ging er einfach zum Speisesaal weiter.

„Nicht, dass das einer von euch nachmacht“, sagte ich mahnend zu den Kindern. „Der ist wahrscheinlich nicht nur Schauspieler, sondern auch Stuntman.“

„Wenn ich groß bin, will ich Stuntman werden“, sagte Josefine. „Das sah echt toll aus.“

*

Dieses Frühstück, nicht zu fassen! Ein riesiges Büfett war aufgebaut. Mit allem, was man sich denken konnte, von Rührei bis Müsli, über Obstsalat bis gebratenen Schinkenspeck, von Früchten gar nicht zu reden. Ein strenger hinweisender Blick auf die Kinder und sie suchten sich nur pädagogisch Wertvolles aus. Bei Stefan ging mein Blick ins Leere, er nahm Rührei, Speck und Weißbrot. Ich sah seinen Cholesterinspiegel förmlich steigen.

Wir hatten wieder unseren Tisch hinten rechts unter dem Elchkopf. Jetzt war es ja hell, die Fenster ließen einen Blick auf eine Wiese zu, auf der hin und wieder ein uralter Baum stand. Weiter hinten schien es felsig und hügelig zu werden und noch weiter hinten schien ein See zu sein. Ich sah natürlich alles ein paar Nuancen dunkler, dank der Sonnenbrille, die mein blitzblaues Auge verdecken sollte. Ich hielt nach anderen Kindern Ausschau, aber außer meinen beiden konnte ich nur den kleinen Jungen von gestern sehen.

Weiter vorn saß ein älteres Ehepaar. Ich hatte sofort eine Vision von zwei alten Leuten, die einträglich in ihrem Garten werkelten und eigenes Gemüse anbauten, um Geld zu sparen.

Sie hatten ihre Teller fast schon unverschämt vollgepackt. Und jetzt musste ich auch noch beobachten, wie der Mann Bananen und Äpfel in eine Tasche schmuggelte. Seltsam, ob hier manchmal eine Mahlzeit ausfiel? Oder hatten sie einen hungrigen Affen in ihrem Zimmer zu versorgen? Vorsichtshalber steckte ich mir auch ein paar Äpfel in meinen Rucksack. Den hatte ich als Notfallausrüstung immer bei mir.

„Hier fühle ich mich wohl!“, sagte Stefan und schmatzte.

„Ich auch“, bestätigte Annika. „Jede Menge gutes Futter und kein Gespenst weit und breit.“

„Ich weiß nicht“, sagte ich und schaute kurz nach oben zum Elchkopf, weil ich ein seltsames Brummen gehört hatte. „Die werden doch nicht gedacht haben, dass sie uns mit einem Elchkopf an der Wand, mit Funzellicht, kaltem Wasser und einer schreienden Klospülung vertreiben können?“

Stefan verstrich jede Menge Butter auf einer Scheibe Brot, ohne sich über meine Frage Gedanken zu machen.

„Lecker!“

„Och, und iss nicht so viel, sonst säuft das Boot ab, wenn wir hier wieder weg wollen!!“

„Echt?“ Josefine war gleich besorgt.

„Ich hau jetzt zwei Wochen rein und dann habe ich ja noch eine Woche, um mir das wieder runter zu hungern.“

Josefine war nicht überzeugt. „Machst du das wirklich?“

„Ja.“

„Dann mache ich das auch so“, beschloss sie und stopfte sich Sahnejoghurt mit einem großen Löffel in den Mund.

„Was macht denn dieser Schauspieler jetzt?“, fragte Stefan.

Herr Kownazki war aufgestanden, zappelte herum und versuchte irgendetwas unter seinem Pullover vorzuziehen. Er zog und zerrte, beugte sich nach vorn und nach hinten, und zog Grimassen der übelsten Sorte dabei. Schließlich hatte er es draußen: etwas Rundes, Schwarzes, flach wie ein Teller. Er setzte sich und schlug das Ding auf sein Knie. Es klappte auseinander.

„Aha, ein Zylinder“, stellte ich fest.

„Ein was?“ Josefine wusste damit nichts anzufangen.

„Na, so ein Hut für einen Zauberer“, erklärte ich.

Josefine überlegte angestrengt: „Ist Mr Bean etwa ein Zauberer?“

„Möglicherweise. Schauspieler, Stuntman oder Zauberer. Wie hieß er gleich richtig?“

„Kownazki.“ Annika wusste es noch.

Wir konnten beobachten, wie er den Hut aufsetzte. Dann schloss er seine Augen, hob beschwörend die Hände und murmelte etwas.

„Zaubert er jetzt?“, Josefine war ganz aufgeregt.

„Psst“, machten wir anderen.

Herr Kownazki stellte den Zylinder mit der Öffnung nach oben auf den Tisch und murmelte weiter mit geschlossenen Augen. Dann griff er in den Hut und zog einen Hasen an den Ohren heraus. Begeistert klatschten wir mit dem älteren Ehepaar und der Frau mit dem Kind Beifall.

Aber Herr Kownazki war noch nicht fertig. Er beendete unsern Applaus mit einer deutlichen Handbewegung. Erneut zog er einen Hasen heraus und noch einen. Jetzt schien er fertig und verneigte sich vor uns. Als ordentlich erzogenes Publikum klatschten wir wieder.

„Da ist noch einer“, schrie Josefine. Herr Kownazki drehte sich erstaunt um. Tatsächlich, da schauten die Ohren aus dem Hut und zack – war der Hase aus dem Hut herausgesprungen. Und jetzt entwickelte das Ganze eine Eigendynamik. Ein Hase nach dem anderen sprang aus dem Hut auf den Tisch, vom Tisch auf den Stuhl, dann auf den Boden. Herr Kownazki wedelte unbeholfen mit den Händen herum. So war sein Zaubertrick offensichtlich nicht geplant gewesen. Er sprang hin und her und auf und nieder und versuchte dann, den Hut zuzuhalten. Aber immer mehr Hasen drängten hervor. Schnell waren sie überall. Sie rissen die überlange Tischdecke vom Büfett und das schöne Essen fiel auf den Boden. Schon knabberte ein Hase an meinem Schuh und ich fühlte mich veranlasst, auf einen Stuhl zu steigen, um Schlimmeres zu vermeiden. Schließlich kannte ich keinen Schuhmacher. Josefine machte sich solche Gedanken nicht. Sie kniete sich zwischen die Hasen auf den Boden, um sie zu streicheln. Annika machte es mir nach und stieg ebenfalls auf ihren Stuhl. Und Stefan? Der aß einfach weiter.

Der Kellner mit der Adlernase kam herbeigestürzt. Er warf ein Tuch über den Hut und beförderte ihn in die Küche. Keine Ahnung, was er dort mit dem Hut machte, vielleicht hat er ihn eingemauert. Als er zurückkam, war er jedenfalls total verschwitzt. Seine Adlernase sah aus, als wäre sie gebrochen. Oder zumindest verbogen, sie neigte sich nach rechts. Dennoch baute er einen Weg aus Stühlen bis zur Tür und wir mussten alle darüber balancieren. Ich musste Josefine zwingen mitzugehen. Sie fand die Hasen toll und wollte weiter spielen. Ich packte sie einfach am Arm und zog sie mit. Stefan schimpfte, er hatte seinen Kaffee noch nicht ausgetrunken und ein niedriger Koffeinspiegel im Blut bedeutet schlechte Laune.

*

Das Mittagessen fiel dann wegen technischer Schwierigkeiten aus, aber wir hatten alle einen Picknickkorb vor dem Zimmer vorgefunden. Das sollte zur Gewohnheit werden, der Koch entdeckte offenbar, dass er so viel weniger Arbeit hatte.

Am frühen Nachmittag beschlossen wir, die Gegend zu erkunden. Josefine, die sonst immer so bewegungssüchtig war, wollte nicht mit. Sie benahm sich seltsam seit dem Frühstück. Keine Ahnung, warum sie sich die ganze Zeit in ihrem Bett unter der Decke verkrochen hatte.

„Es kommt nicht infrage, dass du hier bleibst!“, sagte ich.

„Ich bin aber müde, ich will wieder in mein Bett!“

„Du gehst mit! Frische Luft schadet nicht!“

„Ich will hier bleiben, unbedingt!“

„Und wenn ein Gespenst kommt?“

„Gut, ich gehe mit.“

Na prima. Angst machen als Erziehungsmethode. Ich will nicht in meinem Psychoratgeber nachlesen, was das für die Zukunft meines Kindes bedeutet.

Das Schloss war von einem riesigen Park umgeben. Wir standen auf dem Hof und überlegten, welche Richtung wir einschlagen wollten, als ein junges Pärchen knutschend die Straße hochkam.

„Die haben auch kein Geld für normalen Urlaub“, meinte Annika.

Der junge Mann sah etwas merkwürdig aus, mit Grubenhelm auf dem Kopf und Seil um den Körper, als wollte er den Mount Everest besteigen. Sie war schlank und hübsch und wohl eben einem Modejournal entstiegen. Vielleicht hatte der Typ sie auch aus dem Internet runtergeladen, ausgedruckt und wiederbelebt, konnte man nicht wissen. Allerdings wunderte ich mich etwas über den kleinen Käfig, den sie bei sich trug, weil er leer war.

Da wir die beiden so anstarrten, kamen sie auf uns zu, um zu verkünden, dass sie Paul und Sabine seien und hofften, hier Fledermäuse fangen zu können.

„Fledermäuse, hm.“ Ich sah zweifelnd zu den Schlosstürmchen hoch. „Könnte sein.“

Stefan hatte ganz andere Sorgen. „Seid ihr drüben vom Festland?“, wollte er wissen. „Habt ihr mein Auto gesehen?“

Sie hatten. Ich machte in Gedanken drei Kreuze in meinen Kalender. Stefan hatte nämlich schon so viel rumgeheult, dass ich Sorge hatte, er würde in einem Anfall von Panik rüber schwimmen und nachsehen.

So schön beruhigt machten wir uns nun voller Elan auf den Weg, die Insel zu erkunden. Ein kleiner Pfad schlängelte sich vom Schloss weg und wir folgten ihm. Josefine knickte immer mal mit ihrem Oberkörper nach vorne ein. Das sah merkwürdig aus.

„Hast du was, Josefine?“, fragte ich.

„Nö.“

„Hast du Bauchschmerzen?“

„Mir geht’s gut.“

Ich drehte mich zu Stefan und flüsterte: „Sie wird doch nicht krank werden?“

„Ach was, die kaspert nur.“ Er verrenkte sich und zog ein Gesicht, um seine Ansicht zu untermauern.

Vor uns tauchte jetzt eine Hecke auf: mannshoch und kerzengerade geschnitten. Wir gingen durch die einzige offene Stelle.

„Das sieht aus, wie der Irrgarten in unserem Freizeitpark“, stellte Annika fest.

„Das ist toll“, sagte ich, „wollen wir durch?“

„Ist das weit?“, nörgelte Josefine und kasperte wieder.

„Wir haben ja wohl Zeit“, behauptete Stefan. „Bis zum Abendbrot dauert es noch.“

Los ging’s. Vielleicht hatten sie ja hinter jeder Biegung ein Gespenst versteckt. Ich war vorbereitet. Zwischen den Hecken waren breite kiesbestreute Wege. Zuerst gingen wir ziellos rüber und nüber, wieder zurück und hin und her. Wir lachten und redeten und neckten uns. Schließlich waren wir noch nie in einem Irrgarten gewesen, aus dem man nicht wieder herausgefunden hätte.

Als der Spaß langweilig wurde, fragte Stefan: „Wer weiß, wo es wieder rausgeht?“

„Ich“, Annika meldete sich.

„Na, dann geh mal voraus!“

Wir folgten Annika. Hin und her, zurück und vor, links herum, rechts herum und um die nächste Ecke.

„Waren wir hier schon?“, fragte sie plötzlich und schaute sich um. Aber hier gab es nichts zu sehen. Die Hecke war zu hoch und viel zu dicht. Da wäre keine Maus durchgekommen, ohne sich an den Dornen aufzuspießen.

„Ich kann nicht mehr“, meckerte Josefine.

„Dann kommt mal mit“, sagte Stefan großspurig. „Ich weiß, wo wir sind. Ich habe mir den Himmel genau angesehen.“

„Was soll das nützen“, zweifelte ich. „Es sind keine Sterne zu sehen.“

„Ich habe auf die Sonne und die Wolken geachtet.“

Wir sahen alle nach oben.

„Es ist keine Sonne mehr da“, stellte Annika fest.

„Geht mir nicht auf die Nerven“, sagte Stefan in einem Ton, als redete er mit drei Kamelen. Mit drei doofen Kamelen. „Aber was wundere ich mich überhaupt“, fuhr er fort. „Ihr würdet ja nicht mal unser Auto auf dem Supermarktparkplatz finden, wenn ihr mich nicht hättet. Weiber haben einfach keinen Orientierungssinn.“

„Wir sagen jetzt nichts mehr“, steckte ich zurück. „Wir folgen dir einfach, großer Meister.“ Innerlich kochte ich natürlich. Musste er immer alles besser wissen?

Wir trotteten eine halbe Stunde hinter Stefan her. Langsam, ganz langsam, kam mir der leise Verdacht, dass er den Mund zu voll genommen hatte. Wir waren hier eben nicht auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt. Ich aß unauffällig ein Bonbon und ließ noch unauffälliger das Papier fallen. Leuchten rotes Bonbonpapier. Stefan sah immer wieder nach oben, um seine Theorie zu untermauern, aber die Sonne würde wohl heute nicht mehr wiederkommen, es war nach fünf. Stefan stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute hin und her. Annika verwandelte eine Hand hinter dem Rücken ihres Vaters in eine Pistole und schoss sich in den Kopf: „Puff.“ Ich wollte sie gerade zurechtweisen, doch in dem Moment sah ich mein Bonbonpapier. Leuchtendes Rot. „Hier waren wir schon mal!! Du weißt auch nicht, wo wir sind!!“

„Och, du kontrollierst mich hier und betrügst!“, empörte sich Stefan.

Annika stellte eine andere Verbindung in ihrem Gehirn her: „Bonbons? Du hast etwas zu essen?“

„Ich habe auch Hunger!“, schrie Josefine, nicht ohne wieder ordentlich herumzuzappeln.

„Das ist Doping!!“, warf Stefan ein, um vom eigentlichen Problem abzulenken. Er riss mir das Papier aus der Hand, um es anzusehen. „Mit Traubenzucker! Ich bin entsetzt!!“

Die Kinder zogen mir den Rucksack von den Schultern. Stefan nahm ihn gleich an sich. „Wollen mal sehen, was da drin ist.“ Er schüttete den Inhalt auf den Boden und verteilte großzügig Traubenzucker und Knäckebrot-Schoko-Riegel an die Kinder, die drüber herfielen, als hätten sie wochenlang nichts gegessen.

Stefan wühlte weiter. „Was haben wir denn da? Mist! Mist und noch mal Mist. Lippenstift und ein K ...!“ Er zuckte zusammen. Unauffällig ließ er das Was-auch-immer in seiner Hosentasche verschwinden, bevor es die Kinder sahen. Er wühlte weiter. „Eine Nagelschere! Vielleicht können wir damit ein Loch in die Hecke schneiden. Und was ist das denn?“ Er hielt eine kleine schwarze Spraydose hoch.

Ich machte einen Hechtsprung auf ihn zu und entriss sie ihm. „Pass auf! Das ist mein Pfefferspray.“

„Pfefferspray? Wozu brauchst du Pfefferspray?“

„Für Gespenster? Oder Vampire? Oder so. Ich kann nun mal kein Judo.“

Stefan nickte mit hochgezogenen Augenbrauen und einem schelmischen Grinsen um den Mund. „Du brauchst kein Pfefferspray. Du könntest jedes Gespenst totquatschen.“ Trotzdem steckte er die Dose wieder in meinen Rucksack. „So, dann haben wir noch eine noch eine Rolle Zwirn mit Nadel, Geldbörse, Deodorant Marke ...“

„Kannst du mal aufhören, das ist privat!“, unterbrach ich ihn. Aber nicht, weil es mir zu privat war, sondern weil ich den Preis auf dem Deo entdeckt hatte und nicht wollte, dass er ihn sieht.

„Also gut, da ist sowieso nichts drin, was man wirklich brauchen könnte.“

Ich atmete auf. Mein Geheimnis blieb geheim. Aber ab sofort mache ich die Preisschilder ab.

Stefan sammelte das Papier von den Kindern ein und wir zogen wieder los. An jeder Wegbiegung ließ Stefan ein Papierstück fallen. Aber es war schwierig. Manchmal hatte man die Wahl zwischen drei Richtungen. Mir taten die Füße weh. Die Kinder trotteten einsilbig hinterher. Stefan blieb stehen. „Hier waren wir schon.“

„Ich glaube auch, wir gehen im Kreis“, antwortete ich mutlos. Überall lagen unsere Bonbonpapiere.

„Annika komm her, ich heb dich mal hoch“, schlug Stefan vor. Annika kletterte ihm auf die Schultern. Die Angelegenheit war ziemlich wackelig. Annika wollte sich an der Hecke festhalten, aber sie kratzte sich nur an den Dornen.

„Siehst du was?“, fragte ich nach oben.

„Rundherum Hecken. Aber da vorn sind die Schlosstürme.“

Ich versorgte ihre zerkratzte Hand mit Desinfektionsspray. Fehlte noch, dass sie sich hier was holte. Was auch immer.

Trotzdem kamen wir einfach nicht in die Richtung, wo wir nun das Schloss vermuteten. Ich wurde langsam richtig stinkig und fühlte mich restlos veralbert.

Wir standen wieder herum und überlegten, als Josefine plötzlich zu Boden ging. Sie krümmte sich und strampelte. „Josefine, was ist denn?“ Ich war so erschrocken.

„Die lacht doch“, stellte Stefan erstaunt fest. „Das ist Lachen. Hat sie einen Lachkrampf?“

„Meine Güte“! Ich versuchte sie festzuhalten. „Sie wird doch nicht durchdrehen?“ Da sie so strampelte und immer wieder die Beine hochzog, versuchte ich ihren Bauch abzutasten. Ungläubig fühlte ich noch mal. Der Bauch bewegte sich und war so dick, da war doch was drunter! Ich öffnete ihre Jacke und sah – einen Hasen!

Wir waren verblüfft. Der Hase hüpfte von Josefine runter und sie hörte auf zu lachen und stand auf.

Ich war fertig mit den Nerven und machte meinem Unmut Luft: „Ist das zu fassen? Sie hat einen Hasen mitgehen lassen und ihn die ganze Zeit unter der Jacke versteckt. Der hat immer gezappelt und Josefine musste sich verrenken, um ihn festhalten zu können.“

Annika musterte den Hasen eingehend. „Ob der weiß, wo es lang geht? Tiere haben doch da einen siebenten Sinn.“

Wir starrten gemeinsam den Hasen an. Der fühlte sich sofort verunsichert und setzte zur Flucht an.

Los ging’s! Würde im Radio Bericht erstattet, klänge das so:

Der Vater liegt in Führung, was uns nicht verwundert, da er die längsten Beine und größten Füße hat. Wer folgt ihm dicht? Seine Frau. Knapp dahinter Annika. Das Schlusslicht bildet Josefine. Aber was ist das? Annika mobilisiert alle Kräfte und setzt zum Überholen an. Ihre Mutter merkt es, will das nicht zulassen und macht einen Hechtsprung nach vorn – hält sich an ihrem Mann fest. Das ist Behinderung, da gibt’s die rote Karte. Nein – die Eltern gehen beide zu Boden. Annika zieht vorbei. Josefine erkennt ihre Chance und versucht ebenfalls vorbeizu ... Nein, sie schafft es nicht, die Eltern rappeln sich auf. Der Vater zieht die Mutter mit hoch. Sie rennen weiter. Aber Annika hat sich die Führungsposition gesichert. Josefine hat jetzt sichtlich Mühe, was ist da los? Sie versucht sich an die Fersen ihrer Mutter zu hängen, will den Windschatten ausnutzen. Nein – sie strauchelt ... fängt sich wieder. Die Ziellinie – die Ziellinie kommt in Sicht. Annika legt noch einen Zahn zu. Die Eltern setzen zum Endspurt an. Holen sie auf? Schaffen sie es? Da ist das Ziel! Es wird knapp!! Jetzt!!! Annika gewinnt und verweist ihre eigenen Eltern auf die Plätze. Josefine gibt enttäuscht einen Meter vorm Ziel auf.

„Hich-kann-nich-mehr“, hechelte ich.

„Sind wir draußen“, schnaufte Josefine. Sie hielt sich die Seite.

„Der Hase ist jedenfalls weg!“, sagte Annika. Wieso war sie eigentlich nicht außer Puste.

„Ist jetzt alles egal“, murmelte Stefan. „Wir sind draußen.“

Folter inklusive!

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