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2. Unser neues Haus

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Ich glaube, so grünes Gras hatte ich noch nie gesehen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und ließ mich einfach hineinfallen. Wie das duftete! Und überall Butterblumen. Ich rollte mich auf den Rücken, streckte die Beine aus und blinzelte in den Himmel. Es war wie im Paradies. Nur Papa fehlte. Er hatte nicht mit aufs Land ziehen wollen und war in unserer Stadtwohnung geblieben. Ihr müsst wissen, zwischen meinen Eltern hat es in letzter Zeit viel Streit geben. So ist das Ganze hier auch eine Trennung auf Probe, wie Mama mir erklärt hat. Ich hoffte, Papa käme irgendwann nach, damit wir wieder eine richtige Familie wären.

Ich rollte mich herum, hob den Kopf und da sah ich ihn. Ein Junge hockte auf dem Zaun gegenüber, sah zu mir herüber und grinste über das ganze Gesicht.

„Was ist!“, rief ich. „Noch nie ein Mädchen gesehen?“

„Doch, doch, aber noch nie eins mit so tollen Rattenschwänzen.“

Ich fühlte sofort, wie ich rot wurde. So etwas hatte noch keiner zu mir gesagt.

Anton war dünn und wirkte sportlich. Honigblonde Haare hingen ungekämmt in sein Gesicht. Ich schätzte ihn etwa ein oder zwei Jahre älter als mich. Seine Kleidung bestand aus einer alten Jeans und einem ausgewaschenen karierten Holzfällerhemd, das er unordentlich in den Hosenbund gestopft hatte.

„Ich glaube, wir sind Nachbarn“, sagte ich freundlich und bemühte mich, meine Zahnspange nicht hervor blitzen zu lassen. „Ich heiße Emily.“ Ich stand auf und ging auf ihn zu.

„Ich bin Anton, ich wohne gleich da drüben.“ Er warf den Kopf zur Seite und deutete hinter sich. Dann musterte er mich eingehend. „Ich wette, die frische Luft wird dir gut tun. Du bist bestimmt in einer Woche so schön braun wie unsere Kuh Elfriede!“

„Witzbold!“, erwiderte ich.

„Emily! Komm! Schau dir das Haus an“, rief Mama mit Begeisterung in der Stimme und winkte mich zu sich. Ich nickte Anton kurz zu und wandte mich dann in Richtung Haus. Meine alten Schulfreunde hätten es wohl eher als Bruchbude bezeichnet. Der Gegensatz zu unserem Stadthaus mit den vielen Bewohnern war jedenfalls enorm. So ein richtiges Fachwerkhaus kannte ich nur von Bildern und aus dem Bauerhofmuseumsdorf, das wir letztes Jahr besucht hatten. Die Fenster waren klein und die Läden hingen aus den Angeln. Eine riesige Veranda aus Holz war angebaut. Das sah alles etwas morsch aus, aber das Dach schien neu. Es hatte hübsche rotbraun glänzende Schindeln und zwei neu eingebaute Dachgauben. Das Erdgeschoss war fast wie ein einziger Raum durch die großen offenen Durchgänge. Links befand sich die Küche und rechts war der Wohnbereich mit einem unheimlich großen Kamin. Man hätte ein ganzes Wildschwein darin braten können. Das Untergeschoss wurde von einer nach oben führenden Treppe optisch getrennt. An der Wand hinten waren zwei Türen.

„Bad links und Keller rechts“, erklärte Mama.

Das Wort Bad weckte ein dringendes Bedürfnis in mir, ein sehr dringendes. Ich rannte, so schnell, wie man das auf eilige Weise eben kann, auf eine der Türen zu. Leider achtete ich nicht auf Mamas Zuruf. Ich riss eine Tür auf und … Holterdiepolter … weg war ich. Ich fand mich wieder unterhalb der Kellertreppe auf einem Stapel Pappkartons.

„Links! Links hab ich gesagt. Ist dir was passiert?“ Mama kam die Treppe zu mir herunter und zog mich aus dem Stapel Pappe. Ich hatte mir nicht wehgetan. Aber wenn die Kartons nicht gewesen wären ...

Ich beschloss, mir von nun an ganz genau zu merken, wo rechts und links sind.

Als ich die Spülung betätigte, kam ein Schwall rostiges Wasser von oben herunter. Ich sah ungläubig an mir hinunter. Wer hat denn auch noch eine Klospülung, deren Wasserkasten unter der Decke hing?

Mama hatte das ganze Haus natürlich von Handwerkern durchsehen lassen, aber die mussten ziemlich schlampig gearbeitet haben. Ich stand in der Dusche, um mir die Spülkastenplörre abzuwaschen und starrte nach oben, aber kein Tropfen Wasser kam. Mama brachte einen Stapel Geschirrtücher zum Abtrocknen herein, weil richtige Handtücher noch im Umzugsauto waren, das allerdings auf sich warten ließ. Sie konnte mir nicht helfen. Auch dem Wasserhahn am Waschbecken entlockte sie nur ein paar Tropfen.



Dabei waren meine Haare voller Rostsprengel. Das in der Küchenspüle abzuwaschen, deren Wasserhahn immerhin funktionierte, kam irgendwie nicht infrage. Es war zu wenig Platz. Ich brauchte eine Dusche oder ein Bad!

Neben der Scheune, das sah ich aus dem Küchenfenster, lag eine kleine alte umgestülpte Zinkwanne, für die uns jedes Museum dankbar gewesen wäre. Ich zog mich notdürftig wieder an und wir schleppten sie unter Einsatz unseres Lebens auf die Veranda, machten sie sauber und füllten sie mithilfe der Eimer, die wir unter der Spüle im Schrank fanden, und die wir uns durchs Küchenfenster zureichten. Nach einer Viertelstunde saß ich im herrlichsten Schaumbad. Na gut, es war Geschirrspülmittel, weil das Umzugsauto noch fehlte. Aber ich sage euch was, der Schaum war perfekt.

Wie auf Befehl erschien zu dieser unpassenden Zeit besagtes Umzugsauto. Was sollte ich jetzt tun? Ich saß schließlich nackt in der Badewanne. Und wenn die Männer ins Haus wollten, mussten sie über die Veranda laufen. Bei jeder Kiste, die sie vorbeischleppten, tauchte ich mit angezogenen Knien unter. Das ging so lange, bis Mama endlich merkte, was los war. Sie rettete mich, indem sie eine Wäscheleine spannte und ein Betttuch als Sichtschutz daran festklammerte.

Am späten Nachmittag konnte ich endlich mein Zimmer ansehen. Es lag oben unterm Dach, genau neben Mamas Schlafzimmer. Jeder hatte also eine Hälfte vom Dachgeschoss für sich. Es gab hier ein Fenster an der geraden Wand und ein weiteres in der kleinen Dachgaube.

Der Möbelwagen war längst weg, aber das Haus sah immer noch ziemlich leer aus. Mama hatte nicht viele Möbel mitgenommen. Sie wollte nicht, dass Papa auf dem Fußboden sitzen und seine Kleider aus einem Pappkarton nehmen musste. Für zwei Personen war dieses Bauernhaus beinahe zu groß, aber vielleicht käme Papa doch bald nach, dann würde sich das ändern. Er fehlt mir jetzt schon.

„Wo ist eigentlich der Ziegenbock, Mama?“ Ich hatte ihn noch nicht gesehen.

„Oh, den hab ich ja ganz vergessen, der ist bestimmt in der Scheune eingesperrt.“

Mühevoll zogen wir das große Flügeltor auf. „Uiii!“ Ich hielt die Arme vors Gesicht. In weniger als einer Sekunde waren wir in eine graue Staubwolke gehüllt. Irgendetwas riss mich zu Boden. Ein wahnsinniger Lärm war um uns herum. So schnell, wie es gekommen war, war es dann aber auch vorbei. Ein Haufen aufgebrachte Hühner hatte uns angeflattert. Die waren wahrscheinlich schon länger in dem dunklen Raum eingesperrt gewesen und hatten es dementsprechend eilig gehabt, herauszukommen. Die Hühner hatten bestimmt ebenfalls keine Lust auf Umzug gehabt, trotzdem darf man Tiere doch nicht so einsperren! Was wäre denn passiert, wenn wir erst ein paar Tage später gekommen wären?

Mama versuchte, ihre staubige Hose auszuklopfen. Meine Hose war auch ruiniert. „Was meinst du, wie oft am Tag muss man hier baden?“, wollte ich von ihr wissen. Da lachten wir beide und ein bisschen klang es wie Hühnergackern. Das muss ich schon sagen!

„Ich hoffe, wir kriegen raus, wohin sie ihre Eier legen. Lass uns da drinnen nachsehen“, forderte Mama mich auf. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.

Meine Güte, war das eine dunkle Höhle. Nur ein wenig Licht fiel durch die dicken Bretter, aus der die Scheune gemacht war. Mama stieß einen Fensterladen auf, um besser sehen zu können. „Ich hab eins!“, rief sie begeistert und bückte sich danach. Aber das hätte sie lieber nicht tun sollen. Ziegenbock Harri kam mit gesenkten Hörnern, als hätte er nur auf die passende Gelegenheit gewartet, aus einer Ecke geschossen. Er gab Mama einen gehörigen Schubs ins Hinterteil. Sie landete mit Schwung im Heuhaufen. Ich konnte mich vor Schreck nicht rühren. Mama tauchte aus dem Stroh hervor wie ein Monster. Staubig, das Gesicht verzogen, das Haar total zerwühlt. Rasend vor Wut schnappte sie sich eine Mistgabel und setzte mit wehendem Haar, kleine Staubwölkchen aufwirbelnd, dem Ziegenbock nach. Ich hatte meine Mama noch nie so gesehen. Der Bock gewann das Rennen schließlich. Wutentbrannt gab Mama auf und stapfte ins Haus.

„Na, deine Mama kann Tiere wohl nicht leiden?“ Anton saß wieder auf dem Zaun und winkte herüber. Ich beschloss, seine dumme Frage nicht zu beantworten. Aber er hatte sofort eine neue parat. „Gefällt es dir wenigstens hier?“

Als ich wieder nicht antwortete, merkte er wohl, dass ich schlechte Laune hatte. Er hüpfte vom Zaun und pflückte einen Strauß Butterblumen. „Für dich! Aber pass auf, dass der Ziegenbock sie nicht frisst.“

Da konnte ich nicht länger böse sein.

„Ihr hättet sowieso nicht hierher ziehen sollen“, meinte er nachdenklich.

„Wieso?“ Was hatte das nun wieder zu bedeuten?

„Hier gibt es Hexen!“

Ich hielt das für einen Scherz und antwortete deshalb: „Das kann ja nicht so schlimm sein, du wohnst ja schließlich auch hier!“

Anton verzog den Mund. „Ich bin ja schließlich ein Mann. Und mein Großvater hat ein Gewehr, er ist Jäger.“

Das mit dem Mann konnte stimmen. Anton roch nämlich nach Rasierwasser. Aber was, um Himmels willen, hatte er sich abrasiert?

Ich wollte ihn von dem Hexenquatsch ablenken und fragte deshalb nach seinen Eltern. Sofort veränderte sich sein Gesichtsausdruck und er senkte den Kopf. „Autounfall, beide.“

„Oh, das tut mir so leid.“ Ich war echt betroffen. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Daher kam Antons Hexengerede also. Er hatte sich ein Hobby zugelegt, um sich abzulenken. Ich holte eine Handvoll Gummibärchen aus meiner Hosentasche und schenkte sie ihm. Sie waren etwas staubig und eine Hühnerfeder klebte daran, aber er freute sich trotzdem.

Müde setzte ich mich, nachdem Anton wieder auf seine Seite des Zauns gewechselt hatte, auf die Verandastufen, um ein wenig auszuruhen. Schließlich suchte ich die Hühnereier im Schuppen. Ich ging ordentlich in die Hocke und streckte niemals mein Hinterteil heraus.

Das Rührei schmeckte prima. Es war doch nicht so schlecht, dass die Hühner dageblieben waren.

Es war schon nach zehn Uhr, als wir beschlossen, ins Bett zu gehen. Ich stiefelte im Nachthemd in meinem Zimmer umher und freute mich über die Bilder, die ich bereits angebracht hatte. Die nächsten Wochen würde ich genießen könne, denn es waren Ferien. Ich ließ ich mich auf dem Bett nieder und schüttelte ausgiebig mein Kopfkissen. „Ah!!“ Was war das? Ich sah eine Gestalt an meinem Fenster und musste sofort an die Hexen denken. In Panik warf ich mein Kissen an die Scheibe. Es folgten ein Schrei und dann ein komisches Krachen. Mama stand sofort in meiner Tür. „Was ist!“, rief sie.

„Ich weiß nicht! Eine Hexe war an meinem Fenster.“

„Es könnte alles Mögliche gewesen sein. Aber eins ist sicher, eine Hexe war es nicht, also lass uns nachsehen!“

Meine Mama glaubt nicht an Hexen, Gespenster, Ungeheuer und Kobolde und was es sonst noch alles geben soll. Ich eigentlich auch nicht, aber in dem Moment war ich mir nicht ganz sicher gewesen. Ich klammerte mich an Mamas Rockzipfel und folgte ihr. Gelassen nahm sie ihre Taschenlampe aus der Schublade, dann gingen wir hinaus.

Die Leiter lag unterhalb meines Fensters in den Stachelbeeren und untendrunter lag eine Hexe. Quatsch! Anton war es. Er konnte sich nicht rühren, weil die Dornen vom Busch ihn so sehr stachen. Wir zerrten die Leiter beiseite und halfen ihm hoch.

„Was machst du hier!“, wollte meine Mama wissen. Ihre Stimme klang so bedrohlich, dass ich gleich mit zusammenzuckte.

„Och“, sagte Anton, „ich habe die Leiter gesehen und gedacht, wo geht es denn da hin?“

Mama rollte mit den Augen.

„Also, gut, es tut mir leid, ich wollte euch erschrecken und beweisen, dass es hier Hexen gibt. War ein dummer Streich, kommt nicht wieder vor.“

Mama griff sich an die Stirn. Anton senkte beschämt den Kopf. „Bitte erzählen Sie meinem Großvater nichts!“

Das war nicht nötig. Anton bekam seine Strafe auch so. Mama zog ihm unendlich viele Dornen aus dem Hinterteil. Schade, dass ich nicht zusehen durfte!

Donnerschlag und Rattenschiss!

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