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Carl Ridder

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Hannes Jugend

Wiegenfest am Rande der alten Stadt. Krähend, ein Zehnpfünder, war Hannes in die Welt gepurzelt. In eine glückliche, friedliche Welt. Er trug das gleiche Haar wie seine Mutter, war aber aus dem Holz seines Vaters geschnitzt. Sein lautes Geschrei störte beileibe nicht seinen um zwei Jahre älteren Bruder Friedrich. Vergnügt hörte der zu. In ihm wohnte die Ruhe, und die Heiterkeit war sein ständiger Gast. Er war zu beneiden.

Wenn er mit übergeschlagenen Beinen in den kleinen Garten hineinträumte und unter dunkel bewimperten Augen mit sich und der Welt zufrieden auf Blumen und Vögel schaute, war es, als hätte Gott einen dicken, freundlichen Pusteengel vom Himmel fallen lassen. Das war Friedrich, in dieser Weise Hannes meilenweit überlegen.

Klein und hager, ernst und sinnend, dabei klug und von beharrlicher Zähigkeit, war aus altem Bauerngeschlecht Hannes´ Vater. In der geruhsamen Stille und Einsamkeit ländlicher Abgeschiedenheit war er in Einfachheit und Strenge aufgewachsen. Der ihn umrauschende Wald und Berg hatten Geist und Charakter geformt. Hannes fand sich in seiner Jugend nur schlecht mit ihm zurecht, und mehr als einmal schnurrte über ihm die schlanke Gerte aus der dicken Hecke von Bestens Garten.

Im Schatten und unter dem Geläut der Glocken der Pfarrkirche war Hannes´ Mutter geboren und groß geworden. Sie war ein echtes Kind ihrer Scholle und saß voll Sonne und Lebenslust. Ihre Ahnen waren schon viele Jahrhunderte angesehene und fleißige Bürger dieser alten Stadt, und so trug sie aufgehäuft in ihrem immer frohen Herzen die Bilder der Heimat wie einen nie versiegenden Quell. Wie konnte sie erzählen! Wenn Hannes ihrer reichen, schwärmerischen Seele lauschte, öffnete die alte Stadt weit ihre Tore, und alle bunten Gassen, Stiegen und Winkel wurden lebendig. Im Turm der Kirche war sie ebenso zu Hause wie an der Pumpe vor dem Alten Rathaus, und alle Seligkeit ihrer ungetrübten Jugend ließ sie tief in sich einströmen. O strahlendes Bild der Mutter im Zauber der alten Stadt!

Wie ein flügger Vogel zirpte sich Hannes in seinen jungen Morgen hinein. Fliegen brauchte er nicht, aber er musste laufen lernen. Haus und Garten waren seine Welt. Durch seine Feuerlocken blies lustig der Wind, und der kirschrote Mund fand die ersten Worte und Weisen. Die Sommersprossen kamen von selbst. Vom Regenwurm bis zum Apfel steckte er alles in sein kleines Maul. Wenn Gott die Erde tränkte, bekam er jedes Mal einen kräftigen Stritz mit, und da er jeden Tag in die Sonne lief, schoss er wie ein Pilz in die Höhe.

In der Schule am Kirchplatz hatte der erste Ernst des Lebens sich aufgetan. Auf seinem Pult saß der „Herr Lehrer“. Wie der Herrgott auf seinem Thron. Voller kindlicher Scheu blickte Hannes zu ihm auf. In seinen Augen war er der Inbegriff aller Weisheit und Macht. Die Lehrerinnen waren schwarz gekleidet. In jungfräulicher Scham trugen sie hohe Börtchen mit weißen Spitzen. Ihr Leben war nur Gott und der Jugend geweiht. Dabei wurden sie sehr alt und waren oft ungenießbare „Gaffeltangen“. Hannes war nicht dumm. Er hatte den Bogen bald spitz. Sein alter Lehrer hatte stets Freude an ihm. In der großen Pause rannte alles gleich lärmenden Spatzen auf den Kirchplatz. Wie junge Füllen sprangen sie durcheinander. Unter den blühenden Linden war der Sommer eine Lust.

Der Winter hatte seine besonderen Mucken. Es war oft grimmig kalt. Angebraten von dem immer glühenden Kanonenofen, fror man draußen umso mehr. Wenn der Wind über den Kirchplatz pfiff, kroch alles an die Kirchenmauer und suchte zwischen den vorstehenden Pfeilern Schutz.

In der Schule saß Ackermann in der Bank neben Hannes. Kernig und strotzend gesund, trug er egal einen braunen Manchesteranzug und hatte stets einen Geruch von frisch gepflügter Erde an sich. Er war wie die Sommervögel in allen Hecken und Gärten zu Hause. Es schien, als wenn aus seinen großen, tiefliegenden Augen nur der blaue Himmel sah und seine Gedanken beim Unterricht über den weiten Wiesen der Feldmark hingen. Er passte nie auf. Er war wie aus der Scholle gebrochen; beraubt der ungebundenen Freiheit, stemmte er seine trotzige Seele gegen den bitteren Zwang. Ein großes, mutiges Unterfangen von Ackermann. Aber das sollte ihm schlecht bekommen. Sein alter Lehrer hatte dafür kein Verständnis. Tagaus, tagein tanzte auf Ackermanns prallem Hintergewölbe lustig das Marterholz. Wie herrlich knallte das. Dabei staubte seine Hose ungemein.

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