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III. „Eine coole Witwe“

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Zornig und übelgelaunt warf Hanna Eberlein ihre Daunenkissen gegen den nussbraunen, hölzernen Wandspiegel, bis der zu wackeln begann. Wiederum miserabel geschlafen hatte sie. Geplagt von aufreibenden Traumfrequenzen, welche die Frau aus ihrem Tiefschlaf rissen und verwirrt in den Wachzustand hochfahren liessen. Sie erinnerte sich, dass sie im Flur ihrer Münchener Studentenwohnung gestanden hatte. An das Gefühl des Allein- und Verlassenseins. Alle Türen in der Wohnung waren verriegelt oder zugemauert. Sie empfand sich als Tier, welches wider Willen gefangen gehalten wurde. Aber von wem? Die zerbrochene Freundschaft mit Paul lag weit zurück. Im Nachthemd kroch die zierliche Frau zu dem Spiegel und setzte sich im Schneidersitz davor. Eberlein entdeckte eine neue, tiefe Falte über der linken Augenbraue. War es eine Hassfurche? Ja, es stimme, denn sie sei eine böse und nachtragende Hexe. Verdammt zu einem einsamen Dasein. Ungekämmt und barfuss erhob sie sich, rannte zu ihrem Bücherregal. Sie nahm eine hübsche, in bunten Farben bekleckste Box. Kippte den Inhalt auf den nackten Boden. Auf den zerstreut, ungeordnet herumliegenden Fotos war ihr einstiger Studienfreund zu sehen. Mit Schippermütze, Regenschirm, lachenden und jungenhaft blitzenden Augen. Mit noch gesunden Zähnen. „Du Schuft!“, murmelte sie. Auf anderen, etwa fünfzehn Jahre alten Bildern bräunte er seinen hageren Oberkörper, seine langen und hageren Beine in heisser Mittelmeersonne. Umfasste blondgelockt, mit einer fast zum Gemach heruntergerutschten Matrosenhose entzückt die Taille einer nackten Frauenstaue aus Marmorstein. So, als würde er die Dame zu einem Liebestanz auffordern. Das Foto hatte Hanna in Florenz geknipst. „Du unverschämter Lügner!, zischte sie. Gleichzeitig wehrte sie sich innerlich gegen eine heftige Traurigkeit, die in ihr hochkam. Lange betrachtete sie die muskulösen Unterarme des Mannes. Es treffe zu, knurrte die Frau wie eine wütende Katze, dass ihr Studienfreund zupacken konnte. Warum nur sei ihm und nicht ihr im Leben so viel gelungen?

„Dieses ist die letzte Aufnahme, die ich von Paul gemacht habe“, berichtete Frieda Möglich ihrem norddeutschen Besuch. Die grosse, schlanke Wahlmünchenerin machte auf Weinberg einen erstaunlich gefassten Eindruck, als sie vom Tod ihres Mannes erfuhr. Auf merkwürdige Weise wirke sie sogar erleichtert, dachte Lena. In sich gekehrt stand die etwas verhärmt und bitter wirkende Zahnärztin vor einer edlen Glasvitrine im gestylten Wohnzimmer. Verkrampft musterte sie ein Souvenir aus besseren Tagen, welches sie in ihren Händen hielt. Der bereits ältlich anmutende Mann hatte auf dem Foto seinen Bauch durch ein locker fallendes Seidenhemd überdeckt. Den speckigen Hals zierte ein Leopardenschal im Altweiberlook. Zu der weissen Jeans trug er weisse Stoffgaloschen. Auf einem Schiffsdeck kniend hielt Möglich in seinen wurstigen Fingern eine gekorkte Flasche. Umgedreht, auf den Kopf gestellt. „Nein, nein“, versicherte die plötzliche Witwe den Polizisten, „Paul war nicht vom anderen Ufer. Irgendwie sehr nervös und etwas seltsam, jedoch nicht schwul. Aber er war ein elender Trinker!“ Die an sich schönen, geschwungenen Linien ihres Mundes hatten sich zu einem verkniffenen, hässlichen Strich verformt. Die Frau setzte sich wieder zu ihren Gästen auf die lederne Sitzgarnitur. „Wir hatten uns während eines Segelkurses auf den Mecklenburger Seenplatten kennengelernt“, erzählte sie, „ alles war so wunderbar. Ich studiert damals noch in Leipzig und war von dem Westjournalisten begeistert. Leider besass Paul zwei Gesichter: Das eine war liebenswert und aufgeweckt, das andere von egoistischer und distanzierter Natur. Einvernehmlich haben wir uns vor wenigen Wochen getrennt. Widerspruchslos hat er mir diese Doppelhaushälfte überlassen, ist selbst in eine kleine Dachwohnung im Münchener Stadtkern gezogen. „Hatte Ihr Mann persönliche Feinde?“, fragte Habermann. „Ich weiss es nicht. Als Journalist pflegte Paul manchmal seltsame und merkwürdige Kontakte.“ Werner Habermann genoss den heiss aufgegossenen Milchcafe, dem Frieda Möglich einen Schuss Sahne und Cognac hinzugefügt hatte. Der Polizist, der seine Ausbildung in einem armen, Berliner Stadtviertel absolviert hatte, blickte neidisch auf die grazile Wendeltreppe des Hauses, die in das obere Stockwerk führte. Er war beindruckt von der idyllisch gelegenen Wohnung der Möglichs in der Nähe des Schlosses Nymphenburg. „Was hat ihren Mann veranlasst, in einem weit entfernt liegenden, norddeutschen Städtchen zu recherchieren?“, hakte Weinberg nach. „Paul war prädestiniert für Umweltthemen, weil ein Mitglied der grünen Partei“, erklärte die Ärztin, „als Redakteur für Sonderthemen beizeiten auch der Mülleimer für Liegengelassenes.“ In dem schmalen, länglichen Gesicht der Befragten spiegelte sich wieder eine seltsame Mischung von Spott, Wehmut und Mitleid. „War Ihr Mann asthmakrank?“ „Ja, er war ein schwerer Allergiker. Anfällig für jede winzige, umherfliegende Blumenpolle. Und er war stressanfällig. Wenn er im heissen Sommer abends nach einem aufreibenden Arbeitstag nach Hause kam, konnte er sich die Hautfetzen von den schweissgetränkten, wunden Füssen ziehen.“ Habermann hüstelte verlegen. An seinem feinen, rotblonden Lippenbart hing Sahneschaum. „Eine Schuppenflechte?“, fragte er beinahe mitfühlend. „Eine Schwäche, welche Paul nicht von einem mitunter abenteuerlich anmutenden Lebensstil abhalten konnte. Keine Ahnung, wer und was ihn zu seinen irrwitzigen Höchstleistungen antrieb. Möglicherweise waren es die Erziehungsmethoden von Pauls Vater gewesen, der ein SS Mann war.“

„Ist dir aufgefallen, dass sich Frieda Möglich in keiner Weise für die Todesumstände ihres Mannes interessiert hat, Werner?“ Belustigt sah Weinberg auf ihren Kollegen, der sich neben ihr im Flugzeugsessel sitzend über einen servierten, knackigen Hähnchenschenkel hermachte. „Möglich war trotz seines Ehrgeizes ein bedauernswerter Mann“, antwortete er schmatzend. „Wir müssen die Priorität auf die Ursache des Asthmaanfalles legen, auf das verschwundene Reisegepäck des Toten. Paul Möglich muss Feinde gehabt haben“, erwiderte die Vorgesetze, die ihre Augenlider schloss, um den Rückflug zu geniessen. Sie dachte an Krumlik, der sich partout nicht überreden liess, seine überteuerte Dachgeschosswohnung in Blumenau aufzugeben und zu ihr zu ziehen. Immer wieder zog er sich am Abend in seine persönliche Räumlichkeiten zurück. Einmal hatte sie ihren Freund überrascht. Da hockte er vor seinem PC, den er überhastet abstellte. Zu seinen Füssen lagen unzählige Magazine. Mit abgelichteten, nackten Jugendlichen. Auf ihre Frage, aus welchem Grund er Pornofotos brauche, wehrte er ab. „Aus Langeweile“, lautete seine nichtssagende Antwort. Über ein Foto, welches Krumlik inmitten einer Schar fussballbegeisterter, Blumenauer Knaben zeigte, waren sie beide in einen bösen Streit geraten. Er nutze die Bewunderung der Jungen für seinen politischen Erfolg aus, hatte sie Michael vorgeworfen. „Das ist mein politisches Alltagsgeschäft“, hatte er mit rotzfrecher Miene widersprochen. Weinberg mochte sein Parfume nicht, mit dem sich Krumlik seit kurzem am Morgen einnebelte. Es trug eine sehr süsse, weibliche Note. Erschöpft öffnete Lena ihre Augen. Ihr Kollege hatte derweil den abgeknabberten Tierknochen auf einem Pappteller abgelegt. „Du hast recht, Lena“, sagte er, „auch Möglichs überlebenswichtiges, krampflösendes Spray ist verschwunden.“ Als Habermann die Kommissarin schliesslich nach dem Flug und einer einstündigen Fahrt mit seinem PKW vor ihrem Haus absetzte, gab sie ihm verschämt einen flüchtigen Kuss auf die Wange. An ihrer Tür klebte ein Zettel: „Windschutzscheibe eingeschlagen. Leuchtschutzweste aus dem Kofferraum geklaut. Auto ist in Reparatur. Versicherung übernimmt Schaden. Vermisse deine Katzenaugen. Kuss, Michael.“

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