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Vorwort

Am Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts zählte es zu den unumstößlichen Weisheiten, dass die Marktwirtschaft, die in Deutschland praktizierte soziale Marktwirtschaft zumal, ein System sei, das für alle Zeiten Wohlstand und Vollbeschäftigung garantieren könne. Eine Entwicklung mit hohen Wachstumsraten, großer monetärer Stabilität und voll ausgelasteten Arbeitskräften wurde einfach als Normalfall des Wirtschaftens mit Hilfe von Märkten empfunden. Märkte erschienen den meisten trotz vieler Mängel als der einzig effiziente Weg, Knappheiten richtig zu signalisieren und Anreize für Wohlstandsmehrung zu geben, wenn der Staat nur den richtigen Rahmen setzte.

Doch man hatte offenbar nicht wirklich verstanden, welche Grundelemente nötig sind, um das Wirken der Marktkräfte zu einem so vorteilhaften Ergebnis zu führen, denn schon Anfang der 1970er Jahre, wenige Jahre nach dem Ende des globalen Währungssystems, nach einem kleinen Ort in New Hampshire »Bretton Woods« genannt, zeigte sich die Marktwirtschaft von der Seite, die ihr eigentlich innewohnt, wenn der staatliche Rahmen nicht vollständig stimmt. Nicht ruhige und stabile Vorwärtsentwicklung ist die Normalität, sondern sind Schocks und Krisen, die nur von kurzen und eher zufälligen Phasen stabiler Prosperität unterbrochen werden.

Nichts könnte besser als die vergangenen beiden Jahre demonstrieren, wie anfällig das marktwirtschaftliche System ist, wenn den Marktkräften jeder Raum zur »Entfaltung« gelassen wird. Wir müssen beginnen zu verstehen, dass es eine einmalige Leistung der Nationen der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg war, unter der geistigen Führung eines großen Ökonomen eine Ordnung zu schaffen, die immerhin zwei Jahrzehnte Bestand hatte und bereits als »goldenes Zeitalter« in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Als diese Ordnung zerbrach, entstand nichts, das sie hätte ersetzen können. Ohne eine internationale Geldordnung, wie sie John Maynard Keynes erdacht hatte, ist alles Übrige Makulatur. Weder funktioniert der internationale Handel, noch haben die Nationen der Welt die Möglichkeit, sich konstruktiv in die internationale Arbeitsteilung einzubringen, noch können sie intern die Weichen richtig stellen für anhaltende Prosperität.

Die politischen Beobachter in Deutschland haben sich früh die Chance genommen, diese Zusammenhänge zu verstehen, weil sie Keynes schon bald als Gegner der Marktwirtschaft dämonisierten und weil sie, wie allzu oft in ihrer Geschichte, alle Erfolge allein auf deutsche Anstrengungen zurückführten. Ihren Ausdruck fand diese Vorstellung im Begriff des »deutschen Wirtschaftswunders«, das eng mit dem Namen von Ludwig Erhard verknüpft wurde. Der internationale Kontext des wirtschaftlichen Erfolges wurde konsequent in den Hintergrund geschoben, obwohl das »Wunder« der ersten beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg ein internationales Wunder war und sich sofort in Luft auflöste, als die Zentralbank in Frankfurt das monetäre Ruder übernahm.

Nach Bretton Woods zerbricht jetzt gerade die Europäische Währungsunion. Es scheint, dass die Steuerung komplexer ökonomischer Systeme die Politik überfordert. Offenbar war es nur der historische Zufall, dass das Endes des großen Krieges mit den neuartigen ökonomischen Ideen von John Maynard Keynes, die von der großen Depression geprägt waren, zusammentraf, der der Welt zwei Jahrzehnte Verschnaufpause gab.

Als eine neu gewählte sozialdemokratisch geführte Regierung 1998 begann, Ideen für eine neue Finanzarchitektur der Welt in die Tat umzusetzen, wurden diese Protagonisten in der ganzen Welt als Ketzer und gnadenlos Gestrige verschrien. Nur ein Dutzend Jahre später fordert eine konservative Kanzlerin Angela Merkel eine Finanztransaktionssteuer, und der demokratische amerikanische Präsident Barack Obama besinnt sich der Regulierungen, die nach der großen Depression vor 80 Jahren notwendig gewesen und dennoch nur wenige Jahre vorher von einem anderen demokratischen Präsidenten namens Bill Clinton über Bord geworfen worden waren.

Trotz dieser Ansätze ist Optimismus fehl am Platz. Die Angst der Regierungen vor den »Finanzmärkten« und ihre mangelnde Bereitschaft, die komplexe Lage unvoreingenommen zu analysieren, bieten wenig Hoffnung. Europas Währungsordnung steht vor dem endgültigen Scheitern, und eine internationale Währungsordnung ist noch nicht einmal am Horizont erkennbar. Derweil drohen Deflation und ein Rückfall in die Rezession. Eine neue Runde im Kampf der Nationen ist zu erwarten, und die Umweltprobleme unserer Erde sind vollkommen unbewältigt. Die Zeit wird knapp. Zu sagen, es sei fünf vor zwölf, wäre eine unverantwortliche Verharmlosung des Zeitdrucks.

Die diversen Krisen, durch die unsere globalisierte Wirtschaft geht, haben eine gemeinsame Wurzel. Es ist die Unfähigkeit der Ökonomen, die Welt angemessen zu deuten. Weil sich die herrschende Meinung in der Lehre von der Wirtschaft weit von der Realität entfernt hat, ist es sozusagen notwendig, das Rad neu zu erfinden, um eine geeignete Richtschnur in die Zukunft zu spannen. Daher ist in diesem Buch zwischen der Analyse der Krisen und den Vorschlägen zu ihrer Bewältigung zu lesen, warum man die Welt nicht verstehen kann, wenn man nur ökonomische Standardwerke kennt.

Auch dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die vielen Menschen, die mich fast täglich ermutigen, mit meiner Aufklärungsarbeit fortzufahren. Wann immer ich versuche, Zusammenhänge aufzudecken und möglichst gradlinige Schlussfolgerungen zu ziehen, finde ich extrem viel Interesse, ja geradezu einen Hunger nach dieser Art von Analyse. Deswegen will ich noch einmal den Versuch machen, eine realistische und dennoch optimistische Perspektive für das neue Jahrhundert zu entwickeln.

Wo es um die großen Fragen der Menschheit geht, ist kleinkariertes Gezänk der Ökonomen oder der Politiker sicher unangemessen. Aber weil es um so große Fragen geht, sollte man auch nicht so tun, als könnte man das Herz dem Verstand vollkommen und jederzeit unterordnen. Folglich wird meine Sprache nicht immer der eigentlich gebotenen Sachlichkeit Rechnung tragen, sondern auch Zuspitzung, Ironie und gar Polemik enthalten. Es liegt mir jedoch fern, irgendjemanden zu beleidigen oder zu verletzen. Manchmal muss man die Dinge aber mit Verve benennen, um einer von Medien überfütterten Öffentlichkeit klarzumachen, was man für fundamental falsch hält.

Auch dieses Buch hat Friederike Spiecker und Stephanie viel zu verdanken. Die verbliebenen Fehler gehen allein zu meinen Lasten.

Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts

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