Читать книгу Liebe und Glück - nur ein Augenblick? - Heinrich F. Wallpach - Страница 4
1. Stock. Und tot.
Оглавление7.30 h. „Ich gehe jetzt. Bis Nachmittag.“ Siegfried Brenner.
Siegfried Brenner ist Oberrevident im Zollamt Hauptbahnhof.
7.30 h. „Hier noch die Jausenbrote und einen Apfel.“ Adele Brenner, Siegfrieds Ehefrau.
Adele Brenner ist Nur-Hausfrau, rund 15 Jahre jünger als ihr Ehemann und versorgt mustergültig Haushalt und Wohnung.
Die Brenners wohnen im 1. Stock des dreigeschossigen Miethauses Goethestraße 9. Das Haus hat rundherum einen Garten, der von den 7 Mietern kaum genutzt wird. Pavlo, der Hausmeister, pflegt ein Gemüsebeet, mäht den Rasen, stutzt die Sträucher, säubert Eingang und Stiegen. Er liebt die Hausmeisterei, repariert tropfende Wasserhähne oder schadhafte Elektroanschlüsse. Immer zur Stelle als guter Geist des Hauses. Er schafft Lebendigkeit in einer an sich spießigen, langweiligen Gegend am Stadtrand. Wo jeder Tag gleich wie alle 365 Tage des Jahres abläuft.
Siegfried mag Pavlo nicht, „zu aufdringlich“, „laut wie alle Migranten aus dem Kosovo“, „er läutet an der Klingel und spricht vom Garten hinauf mit den Mietern“, „du Kollege, gut Kumpel“ usw.
Adele findet Pavlo rührig, fleißig, also sympathisch.
16.00 h. Nach Dienstschluss sitzt Siegfried – wie jeden Tag – im Wohnzimmer, liest die „Allgemeine“ und freut sich auf die köstliche Kaffee- und Kuchenjause, die Adele in der Küche zubereitet.
Kgrin-kgrin, die Türglocke. Siegfried geht zur Türe. Niemand. Er öffnet das Fenster. Pavlo.
„Hätte ich mir denken können“, murmelt Siegfried. „Eine Frechheit, dieser Pavlo!“
„Was gibt’s denn schon wieder“, ärgert sich Siegfried.
„Chef, Herr Brenner, ein Fußball liegt im Garten, Kellerfenster hat Sprung. Muss ich Ihnen melden, Sie doch Vertrauensmann im Haus.“
„Bin ich ein Fußballer?“ Siegfried bricht das Gespräch ab.
***
„Hallo Adele Schätzchen!“ Adele gibt den Telefonhörer vom rechten Ohr zum linken. „Wenn du mich Schätzchen nennst, willst du was oder bist in der Klemme.“
„Mein guter alter Opel lässt sich nicht starten. Die Werkstätte Thun hat schon geschossen. Es läuft nur mehr ein Tonband. Die haben erst wieder am Dienstag nach den Feiertagen geöffnet. Der ADAC sendet endlose Musikschleifen. Ich werde den ADAC kündigen. – Was soll ich tun? Ich stehe im Parkverbot.“
„Lass dich von der Polizei abschleppen“
„Soll dies ein blöder Witz sein?“
„Ich glaube, dein Schätzchen kann dir helfen.“
„Siegfried, gib mir die genaue Adresse. Ich schicke dir Pavlo, er hat Werkzeug, Abschleppseil und so weiter.“
„Nein, Pavlo, dieser widerliche Kerl. Nein, nein. – Schick ihn mir.“
Pavlo repariert das Auto an Ort und Stelle. „Chef, was sagst du? Verzeihung, was sagen Sie. Nur ein lockeres Kabel, und der Opel springt wieder wie ein Rehbock im Frühling.“
***
Adele kommt mit zwei großen Taschen vom Einkauf zurück. Beim Gartentor trifft sie auf Pavlo. „Pavlo, kennen Sie den Spruch: ein Unglück kommt selten allein?“
„Frau Brenner, ist Situation wie am Roulette-Tisch im Casino. Setze ich auf 21, fällt die Kugel auf 21, dann habe ich gewonnen. Ich setze gleich noch ein Mal auf 21, weil Kugel wird vielleicht wieder auf Zahl 21 fallen oder sogar ein drittes Mal. – Haben Sie im Roulette gespielt, Frau Brenner?“
„Sie verstehen mich nicht. Was Sie meinen ist eine Glückssträhne. Ich aber rede vom Unglück, das sich wiederholt.“
„Egal, Glück oder Unglück. Kann ich Ihnen helfen, Frau Brenner?“
„Letzte Woche war das Auto meines Mannes kaputt. Heute funktioniert mein Geschirrspüler nicht mehr! – Das bedeutet ein Unglück kommt selten allein.“
„Ich bin in 5 Minuten mit prima Werkzeug bei Ihnen und löse das Problem!“
„Wo ist der Absperrhahn für Wasser, Frau Brenner?“
„Absperrhahn? Ich glaube…“
Pavlo hat ihn schon gefunden. In der Toilette. Nun macht er sich an den Geschirrspüler.
Er schraubt, er klopft, er hämmert.
Das Abflussventil! Verkalkt und verstopft.
„Wie lange haben Sie schon kein Service durchgeführt, Frau Brenner?“
„Service, Service? Noch nie gemacht.“
„Das Ventil habe ich mit 10%-iger Phosphorsäure gereinigt. Alles perfekt. Den Geschirrspüler können Sie einschalten und ausprobieren.“
„Da bin ich aber froh, Pavlo, Sie sind ein Mann ...“
„… der alles kann“, unterbricht Pavlo.
„Pavlo, der Mann, der alles kann“, himmelt ihn Adele an.
„Haben Sie noch ein bisschen Zeit? Ich möchte Ihnen einen Kaffee und Gebäck anbieten?“
„Ich bin nicht so sehr für Süßes.“
„Ich hätte einen Graubündner Schinken, acht Wochen luftgetrocknet. Ein Stück Emmentaler, dazu ein Glas Bier oder Wein?“
Pavlo setzt sich genießerisch zu Tisch, verschränkt die Hände, so dass sie Knochen knacken. „Und Sie, Frau Brenner, essen nichts?“
„Ich hätte auch richtigen Appetit.“ Adele holt sich ein Gedeck und setzt sich neben Pavlo, so eng es geht. Diese Szene hatte sie öfters in ihren Wachträumen gesehen.
Die beiden essen, trinken, plaudern über alles, was sie aus den Zeitungen wissen oder im Fernsehen gesehen haben, scherzen, lachen und merken gar nicht, wie die Zeit davonläuft. Adele lebt auf und erlebt, was sie lange nicht genießen konnte.
„Pavlo, ich schenke mir ein Gläschen Likör ein, für dich gibt es einen Cognac. Prost! Ich bin die Adele, du bist der Pavlo. Prost!“
Pavlo, ein Mann in den Jahren um 35 wie Adele, darf eine Chance wie diese nicht ausschlagen. Sie taten es auf der Küchenbank. Auf dem Sofa. In den Ehebetten.
Am Abend schiebt Adele einen Zettel unter Pavols Tür durch. „Ich schäme mich. Mein Mann! - Pavlo, warst du auch glücklich? Bleibt unser Geheimnis. A.“
***
16.00 h. „Adele“, ruft Siegfried, als er vom Dienst heimkommt. Wo kann sie sein? Einkaufen? Tratsch mit einer Freundin? Beim Arzt?
Siegfried vergleicht seine Armbanduhr mit der Küchenuhr. 16,15 h. Mit einem Knall öffnet sich die Wohnungstür. Adele platzt ins Vorzimmer mit Tüten und Paketen vom Baumarkt. Hinter ihr folgt Pavlo mit Stangen und Stoffrollen.
„Entschuldige Siegfried die Verspätung, es war so viel Gedränge im Baumarkt. Aber jetzt haben wir die lang ersehnte Markise gefunden. Pavlo hat mir geholfen. Ohne ihn hätte ich das nicht geschafft!“
„Wir brauchen keine Markise. Pavlo, Kehrtwendung, der Kram kommt wieder zurück.“
Siegfried und Adele sitzen sich im Wohnzimmer gegenüber, ohne ein Wort zu reden. Sie blicken sich an, wenden sich aber sofort wieder ab. Es vergeht rund eine halbe Stunde.
Adele holt tief Luft: „Siegfried, wir wollten doch … „
Siegfried: „Wir wollten eine Markise. Aber ohne Pavlo. Ich will einfach nicht, dass dieser Kerl mit dir einkaufen geht. Ich möchte dich eindringlich ersuchen, keinen persönlichen Kontakt mit ihm mehr zu haben. Er ist Hausmeister, nicht dein Diener, Begleiter oder sonst was. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
***
Ist es Liebe oder der Wunsch nach Freiheit? Adele und Pavlo treffen sich häufiger als bisher.
Ausgedehnte Spaziergänge entlang der Isarauen, Bootfahren am Wurmsee, Besuche in einer Weinschenke. Das Leben ist schön, es könnte nicht schöner sein.
***
Frühjahrsputz. Zwischen Ostern und Pfingsten ist es üblich, die Wohnungen auf Hochglanz zu bringen. Böden, Kästen, Gestelle werden geschrubbt, gewaschen, gereinigt.
„Pavlo, morgen habe ich den Jahresputz in unserer Wohnung. Wir können uns leider nicht verabreden.“
„Wer hilft dir die schweren Kästen zu verschieben, die Schubladen auszusortieren, den Fußboden zu schrubben?“
„Vielleicht Pavlo?“ Adele lächelt ihn einladend an. „Aber ganz vorsichtig, niemand soll uns beide zusammen sehen.“
Im Nu wird Adeles Wohnung zum Schmuckkästchen. Pavlo ist der Spezialist. Besonders der Boden soll wie neu aussehen. Zuerst lässt er ihn mit einer Lauge ein. Mit Essigwasser wischt er den hartnäckigsten Schmutz weg. Eine Paste wird über das Parkettholz geträufelt und verrieben.
„Pavlo“, meint Adele begeistert, „der Fußboden gibt der Wohnung eine ganz neue Note! Wunderbar.“
„Warte, der Höhepunkt ist das Bienenwachs aus Kosovo für Glanz und Duft.“
Pavlo verwandelt den Fußboden in eine glitzernde Eisarena. Es fehlen bloß die Stars.
***
Siegfried kommt wie immer etwas nach 16 Uhr nach Hause. Er liest die Allgemeine zu Kaffee und Kuchen. Adele sitzt ebenfalls im Wohnzimmer.
„Was sagst du zu meinem Frühjahrsputz?“
„Hab ich schon bemerkt. Riecht man. Zu viel Chemikalien schaden Böden und Möbel.“
„Habe alle Fenster offen!“
Schrill tönt die Türglocke zwei Mal. Und ein drittes Mal.
Siegfried springt auf und stößt einen Urlaut aus. „So eine Frechheit, Sturmläuten, wer ist denn da verrückt?“
In einem Satz schießt Siegfried aus dem Wohnzimmer. Beschleunigt das Tempo durch den Wohnungsflur, rast ins Zimmer, das zur Straße liegt, verliert das Gleichgewicht, will bremsen und gleitet wie ein Spitzeneisläufer vor dem Ziel über die Brüstung des geöffneten Fensters mit einem Salto hinab auf den Beton.
***
Nach der bescheidenen Beerdigung fahren Adele und Pavlo gemeinsam im Auto nach Hause.
„Pavlo, du bist jetzt nicht mehr Hausmeister für mich, auch nicht Diener oder Begleiter. Jetzt bist du mein Mann!“
Pavlo wirft Adele einen Blick zu und achtet nicht auf den Verkehr.
„Pavlo, gib acht! Eine Stopptafel!“
„Adele, jetzt gibt es keine Stopptafeln mehr für dich und mich!“