Читать книгу Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann - Страница 17
Familienszene
ОглавлениеJetzt folgte eine kurze Zeit, während deren Dauer es fast so aussah, als lebten Jeanne und Henri in einer friedlichen Welt ohne Arglist und ohne Haß. Sie verwaltete ihren kleinen Staat und er die große Provinz Guyenne. Sie brauchte nicht mehr zu strafen, denn ihre Untertanen waren wieder gute Protestanten. Er aber vertrat im besten Glauben den König von Frankreich. Er sah wahrhaftig nicht ein, warum er von Natur der Feind des Königshauses hätte sein sollen; so tief saßen die Lehren seiner Mutter bei ihm nicht. Ein junger Mann muß auch den Ehrgeiz vergessen können. Mit achtzehn Jahren, einige kurze Monate lang, sagt er: „Ich habe genug getan fürs Leben! Die Frauen sind so schön, und ihrer sich anzunehmen ist ergiebiger als der Krieg, der Glaube und der Weg zum Thron!“
Er meinte junge Frauen und den Zustand, in dem sie fast keine Menschenwesen, eher Göttinnen sind, so herrlich ist ihr Körper. Sooft er sie erkannte und sich überzeugte, daß sie Fleisch waren, sie blieben dennoch von einer anderen Welt, denn seine Einbildung und sein Verlangen verwandelten sie sofort wieder. Auch waren es immer andere, sie hatten damals gar nicht Zeit, ihn zu enttäuschen; er behielt sie nicht lange genug. Daher erfuhr er noch nicht, daß statt seiner eigenen Hochgefühle in ihren bewunderten Leibern zumeist Berechnung und Eifersucht wohnten. Während die eine ihn haßte, ritt er zehn Stunden lang, um sich bei einer anderen den Lohn seiner Mühen zu holen. Die erwartete ihn mit glänzenden Augen und dem Antlitz der ewigen Liebe. Er fiel ihr zu Füßen, irgendeiner, und küßte ihren Saum, angelangt am Ziel nach so langer und heftiger Bewegung. Die Augen gingen ihm über, und gesehen durch seine Tränen, wurde die Frau schöner.
Indes aber Henri für die jungen Frauen lebte, beschäftigten sich mehrere gereifte Damen mit ihm, ohne daß er es wußte. Die erste war Madame Catherine. Eines Morgens erhielt sie im Louvre, in ihrem Schlafzimmer, den königlichen Besuch ihres Sohnes, Karls des Neunten. Er war noch im Hemd, so eilig hatte der vierschrötige Mann sich herbemüht. Er rief, schon bevor er die Tür geschlossen hatte:
„Mama, es ist soweit!“
„Deine Schwester hat ihn eingelassen?“
„Margot schläft mit dem Guise“, bestätigte Karl zornig.
„Was sagte ich dir? Sie ist eine Sau“, äußerte Madame Catherine so deutlich, wie der Anlaß es verlangte.
„Das ist der Dank für ihre gute Erziehung“, polterte Karl. „Kann Latein, ist so gelehrt, daß sie sogar beim Essen liest. Tanzt die Pavana, läßt sich von Dichtern besingen.“ Ihm fiel immer mehr ein. „Die Pferde vor ihrer vergoldeten Kutsche tragen auf den Köpfen Federn, so dick wie mein Hinterer. Aber ich weiß, was sie macht, ich habe zugesehen. Schon mit elf Jahren fing das Weibsstück damit an.“
„Du hast den Leuchter gehalten“, warf Madame Catherine dazwischen. Aber noch ließ er sich nicht stören. Er kannte alle Liebhaber seiner Schwester und zählte sie fluchend her. Dann war er seiner eigenen Wut plötzlich müde, sie erregte ihn zu sehr für seine körperliche Verfassung. Die Stirn dunkelrot, mit keuchendem Atem ließ er sich auf das Bett seiner Mutter fallen, daß die Kissen aufflogen; er murrte nur noch:
„Und was geht das mich an? Sie wird bleiben, was sie ist, und es weitertreiben mit dem Guise oder einem anderen. Ich pfeif drauf.“
Seine Mutter betrachtete ihn und dachte: ,Noch vor wenigen Jahren sah er so edel aus wie ein Bild an der Wand. Jetzt fehlt nicht viel, und er könnte ein Fleischerknecht sein, anstatt ein König. Was hab ich da gemacht? Aber das bin nicht ich, das sind die Valois. Das Blut solcher barbarischen Ritter steigt immer wieder aus den Gräbern hervor und formt noch eine von den alten Gestalten!‘ So dachte die Tochter der Medici, weil ihre wenigen bekannten Vorfahren in bequemen Zimmern gelebt hatten, anstatt in Ställen und Feldlagern.
Sie sagte mit ihrer gleichmäßigen Stimme: „Wie deine Schwester sich aufführt, wird mir bald nichts anderes übrigbleiben, als Henri Guise zum Schwiegersohn zu nehmen. Wer wird dann stärker sein, mein armer Junge, du oder er?“ „Ich!“ brüllte Karl.
„Ich bin der König!“
„Von Gottes Gnaden?“ fragte sie. „Das eine hättest du wohl schon lernen können, daß jeder König der Gnade Gottes selbst nachhelfen muß, oder er bleibt es nicht. Heute bist du König, mein Sohn, weil auch ich, deine Mutter, noch da bin.“
Dies sprach sie in einem gewissen Ton, den er von jeher kannte, und bei dem er aufzustehen pflegte. Er verließ seinen Sitz auf dem Bett, er stand im Hemd, das seine dicke Brust und sein Bauch wölbten, vor der kleinen alten Frau, bereit, ihren Willen anzuhören.
„Ich will“, entschied sie, „daß Margot nicht den Guise heiratet, denn sein Haus ist mir zu mächtig. Nach meinem Willen bekommt sie einen einfachen jungen Mann, der uns dient.“
„Wer ist das?“
„Seine Familie muß gut, aber einflußlos und in Paris unbekannt sein. Vor allem will ich ihn unter der Hand haben. Wer erreichbar ist, wird unschädlich. Seine Feinde muß man sich im eigenen Hause halten.“
„Du meinst doch nicht —“
„Ich verhandele mit seiner Mutter, damit sie ihn mir schickt und ich ihn erst einmal in meine Gewalt bekomme.“
„Der ist ein Ketzer! Meine Schwester und ein Ketzer, diese Verbindung war doch niemals ernst gemeint!“
„Und wenn dein Bruder d’Anjou die Königin von England heiraten würde? Auch Elisabeth ist eine Ketzerin, und dabei eine große Königin, von eigenen Gnaden.“
„Sie bringt ihre Katholiken um“, sagte Karl, mehr scheu als empört. Seine Mutter war ihm zu klug. Nicht einmal durch die Religion ließ ihr erfinderischer Geist sich aufhalten. Aber bei ihren ungeheuersten Worten blieb sie die Gelassenheit selbst.
„Die englischen Katholiken mögen sich allein helfen — und übrigens auch die französischen“, setzte sie hinzu.
Karl sah zu Boden und knurrte, mehr wagte er nicht. „Der König von Spanien ist auch noch da“, knurrte er.
„Meine Tochter, die Königin von Spanien, ist tot“, erklärte Katharina ohne alle Trauer. „Seitdem habe ich von Don Philipp nur noch zu fürchten, daß er meine Verlegenheiten ausnützt. Ich brauche daher meine Protestanten.“ In ihrem Kopf sagte sie noch: ,Wenn ich sie aber nicht mehr nötig habe, werde ich genau so mit ihnen verfahren, wie die Königin von England mit ihren Katholiken.‘
Wozu hätte sie das ihrem unbegabten Sohn verraten sollen? Jetzt kam sie zu dem, was sie von ihm erwartete.
„Deine Schwester muß endlich zur Vernunft gebracht werden.“
„Das ist wahr! Das mit dem Guise —“
„Der dir die Krone wegnehmen wird“, ergänzte sie schnell. Da brüllte er:
„Her mit meiner Schwester! Ich will sie lehren, mich zu entthronen!“
Schon stürzte er davon, seine Mutter fing ihn grade noch beim Hemd.
„Daß du hierbleibst! Ihr Guise kann bei ihr sein, und er ist bewaffnet.“
Das hielt ihn sofort auf.
„Und wenn sie dich sieht, kommt sie bestimmt nicht her. Ich aber will, daß die Sache nirgend sonst vor sich geht, als nur bei mir.“
Sie klatschte in die Hände, und zu einer ihrer Frauen, die eintrat, sagte sie:
„Bitte die Prinzessin, meine Tochter, mich aufzusuchen, damit ich ihr eine sehr wichtige Nachricht mitteilen kann. Versichere ihr, daß es etwas Gutes ist.“
Hiernach warteten die beiden — Katharina ohne Regung, mit gefalteten Händen, aber ihr vierschrötiger Sohn rannte vor Ungeduld im Zimmer umher, sein Nachtgewand flatterte, und er keuchte schon im voraus, während er knurrte.
Endlich öffnete die Tür sich weit für eine Erscheinung, die jeder bewundert hätte, außer diesen beiden. Marguerite von Valois trug trotz der frühen Stunde schon ein weißes Seidenkleid mit viel glitzerndem Behang. Sie hatte rote Schuhe, und auch ihre Perücke war rötlich, dem Gesicht aber verlieh ihre große Erfahrung im Schminken genau den Ton, der für eine solche Blonde paßte.
Ihr Auftritt geschah ganz im Sinn ihrer gewählten Schönheit — hochmütig, obwohl leicht. So hätte sie auch einen Festsaal betreten können. Ein Blick aber auf ihre Mutter und einen auf ihren Bruder genügten ihr, um zu ahnen, was ihr zugedacht war. Ihre erlesene Miene wurde starr, das stolze Lächeln ging in Schrecken über, und sie machte einen überstürzten Schritt rückwärts. Zu spät, schon hatte Katharina gewinkt, und die Tür war von außen zugeschlagen worden.
„Was wollt ihr von mir?“ fragte die Arme, ganz hoch oben, indes ihr der Atem stockte. Karl der Neunte sah seine Mutter an, und da sie es nicht bemerken wollte, war er sicher, daß ihm alles erlaubt war. Aufbrüllend fiel er über seine Schwester her. Mit dem ersten Griff riß er ihr die blonden Haare vom Kopf, die schwarzen fielen ihr ungeordnet in die Stirn; von jetzt ab hätte sie sich keine große Haltung mehr geben können, auch wenn sie noch Zeit gehabt hätte. Aber schon schlug ihr königlicher Bruder ihr ins Gesicht, links und rechts, hartnäckig, so sehr sie versuchte, ihm auszuweichen.
„Mit dem Guise schlafen!“ brüllte er. „Mich entthronen!“ keuchte er.
Ihre Schminke blieb an seinen Händen kleben, statt dessen trug sie auf den Wangen rote Streifen. Da sie sich krümmte und fortbog, trafen seine Fäuste ihre vollen Schultern.
„Dicke Margot!“
Hierbei lachte er wild und riß ihr das Kleid herunter. Bei der Berührung mit ihrem Körper kam ihm der heftige Wunsch, sie überall zu bearbeiten. Das Mädchen schrie endlich auf, das Entsetzen hatte sie stumm gemacht, und sie versuchte zu fliehen, sie lief in die Arme ihrer Mutter.
„Da bist du ja“, sagte Madame Catherine, und sie hielt die Prinzessin fest, bis Karl der Neunte sie wieder gefaßt hatte.
„Leg sie doch übers Knie!“ riet Madame Catherine, und er tat es, trotz allem Sträuben des Opfers. Sein Arm blieb eisern um sie befestigt, während seine andere Hand auf ihren entblößten, üppigen Körperteil einschlug. Madame Catherine hielt das nicht für genug, sie half selbst nach Kräften mit, nur leider, ihre fleischigen Händchen vermochten nicht viel. Daher beugte sie sich über den schönen Hintern und biß hinein.
Marguerite heulte auf wie ein Tier. Ihr Bruder, der erschöpft war, ließ sie los, ließ sie einfach hinfallen, während er dabeistand mit stierem Blick wie ein Betrunkener. Auch Madame Catherine war außer Atem, und in ihren stumpfen, schwarzen Augen glitzerte es. Indessen faltete sie schon wieder die Finger vor dem Magen und sagte ruhig wie immer:
„Steh auf, mein Kind, wie siehst du denn aus!“
Sie gab Karl einen Wink, damit er seiner Schwester die Hand reichte und ihr half. Dann ging sie selbst daran, die Kleidung ihrer Tochter zu ordnen. Als die Prinzessin Margot sah, daß die Gefahr vorbei war, bekam sie sofort ihr herrisches Gesicht zurück.
„Alles ist zerrissen. Du Dummkopf!“ schrie sie ihren Bruder an. „Hol doch meine Kammerfrau!“
„Nein“, entschied ihre Mutter. „Die Sache bleibt besser unter uns.“
Sie selbst nähte in dem weißen Seidenkleid die Löcher zu, glättete es und ließ sich auch nicht nehmen, die von Tränen und Backenstreichen entfernte Schminke neu aufzutragen. Karl holte auf Befehl Katharinas die Perücke, die er seiner Schwester vom Kopf gerissen hatte, zog sie unter dem Bett hervor, staubte sie ab und setzte sie ihr auf. Da war sie wieder die stolze und anmutige junge Dame, die vorhin das Zimmer betreten hatte!
„Geh nur und lies deine lateinischen Bücher“, knurrte Karl der Neunte. Katharina von Medici setzte hinzu:
„Aber vergiß nicht, was ich dir soeben zu deiner Belehrung mitgeteilt habe!“