Читать книгу Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann - Страница 6
Erste Begegnungen
ОглавлениеSo trat er zuerst denn auf wie ein kleiner Hahn, stolz und kampflustig. Allerdings bekam er anfangs nur Dienerschaft zu sehen, sie trennten ihn aber von seiner Mutter, nur seinen Erzieher behielt er bei sich im Zimmer, und dann wurde Fleisch aufgetragen, so viel Fleisch! Als es auch am nächsten Tage nichts anderes gab, verlangte er dringend nach den heimischen Melonen, dies war ihre Jahreszeit. Er weinte, aß nichts und wurde zu seinem Trost in den Garten geschickt. Der Regen hatte endlich aufgehört.
»Ich will zu meiner Mutter. Wo ist sie?«
Ihm wurde der Bescheid: »Bei Madame Catherine«, und er erschrak, weil, ihm bekannt war, das sei die Königin. Er fragte nicht weiter.
Er trug seine beste Kleidung, hinter ihm gingen zwei Herren, sein Erzieher Gaucherie und Larchant, ein Béarner Edelmann. Auf einer Wiese kamen ihm drei andere Knaben entgegen, auch sie mit Gefolge, aber es war zahlreicher. Henri bemerkte sogleich, daß sie sich nicht benahmen wie Jungen, die spielen wollten; der älteste besonders drehte sich in den Hüften und trug den Kopf hoch, als wäre er ein erwachsener Hofmann; auf seinem weißen Barett saßen Federn.
»Meine Herren«, fragte Henri nach rückwärts, »wer ist der Vogel?«
»Achtung!« flüsterten sie. »Es ist der König von Frankreich.«
Jetzt hielten die beiden Gesellschaften voreinander an, der junge König stand gegenüber dem kleinen Prinzen von Navarra. Er bewegte sich nicht mehr, sondern wartete auf Henri. Der ließ sich Zeit, ihn zu betrachten. Karl der Neunte hatte nicht nur das weiße Barett, er war ganz und gar in Weiß. Seinen Hals umschloß eine weiße Krause, das Gesicht ruhte darauf, er hielt es halb abgewendet, sein Blick kam von der Seite. Schlau und traurig schien er zu sagen: ›Dich kenne ich schon. Es ist schlimm genug, daß ich euch alle kennen muß.‹
Henri fühlte sich lustig werden, zum erstenmal, seit er hier war. Er hätte laut aufgelacht, aber hinter ihm raunten sie nochmals: »Achtung!« Da warf der Siebenjährige sich vor dem Zwölfjährigen zuerst in die Brust, dann neigte er den Rumpf bis auf die Füße und streifte mit der rechten Hand im Halbkreis über den Boden. Er wiederholte diese Übung zu beiden Seiten des Königs und endlich sogar in seinem Rücken, mehrere der Herren lächelten darüber. Anders Larchant, der Edelmann aus dem Gefolge Jeannes; er ließ sich vor Karl auf ein Knie nieder und erklärte: »Sire! Der Prinz von Navarra hat noch keinen großen König gesehen.«
»Er selbst wird nie einer werden«, sagte Karl, ließ die Worte vor sich hinfallen und schloß sogleich wieder fest den Mund unter seiner fleischigen Nase. Jetzt wurde Henri zornig; seine sanften und freundlichen Augen fingen zu blitzen an, er rief: »Das lassen Sie nicht meine Mutter hören, und auch Ihre nicht, die statt Ihrer regiert!«
Es waren etwas zu geringschätzige Worte, als daß ein König sie hätte hören dürfen; die Herren hinter Karl dem Neunten erschraken. Er selbst schloß nur die Augen; in diesem Augenblick merkte er sich etwas für immer.
Henri hatte sich sogleich beruhigt, unbefangen richtete er das Wort an die beiden anderen Knaben. »Na, und ihr?« fragte er ermunternd, denn sie erschienen ihm merkwürdig verlegen. Es kam daher, daß er noch keine vornehme Erziehung kannte.
»Ich werde Monsieur genannt«, sagte der erste der beiden Kleinen, er stand im gleichen Alter wie Henri. »Es ist mein Titel, weil ich der älteste unter den Brüdern des Königs bin.«
»Ich heiße einfach Henri.«
»Ach! Ich auch«, rief Monsieur lebhaft wie ein Kind, und beide musterten einander aufmerksam.
»Habt ihr keine Melonen?« fragte Henri, um gleich ans Ziel zu kommen. Der jüngste der königlichen Brüder lachte hierüber wie bei einem Witz. Man hätte erkennen müssen, daß die kleine Gestalt nur selten laut und glücklich war.
Hoch über den Kindern hing das Laub eines Baumes, darin schrie ein Vogel, alle drei wendeten die Gesichter hinauf. Dann stellten sie fest, daß der König seinen Weg fortsetzte, alle Herren hinter ihm. Die beiden Begleiter des Prinzen von Navarra befanden sich im Gespräch mit den Leuten vom Hofe Frankreichs, sie wurden abgelenkt. Henri flüsterte: »Man muß sich die Schuhe ausziehen.«
Er tat es schon und begann den Stamm zu erklettern. Unter der Krone angelangt, erklärte er den beiden anderen: »Ich werde gleich verschwunden sein. Ihr wagt das wohl nicht?«
Als dann der Wipfel ihn wirklich ganz verbarg, wollten sie doch nicht zurückstehen, auch sie stellten ihre Schuhe in das Gebüsch und folgten ihm auf den Baum. Henri erklärte ihnen:
»Hier können sie uns nicht finden. Sie werden uns überall suchen, inzwischen führt ihr mich, ich weiß schon wohin. Nein! Nehmt nicht das Nest aus. Seht ihr nicht, daß es Vögel mit gelben Schnäbeln sind? Solche nisten vor meinem Fenster, zu Hause in Pau.«
Mehrere Herren kehrten zurück, spähten umher, berieten sich und schlugen eine andere Richtung ein. Sofort stiegen die drei Knaben herab, und endlich gelangte Henri an den verabredeten Ort, es war der Gemüsegarten. Die ersehnten Früchte lagen auf der schwarzen Erde, er setzte sich hin, wühlte die Hände, die bloßen Füße hinein und jauchzte leise:
»Hier ist es schön!«
Denn Kräuter würzten die Luft, er schmeckte sie, genoß auf den Lippen alles, Zwiebel, Lattich, Lauch. »Na, und ihr?« fragte er.
Sie standen und sahen auf ihre halbvergrabenen Füße. »Erde ist Schmutz«, meinten sie. Aber Henri hatte einen Gärtner entdeckt. Der gemeine Mann wollte sich in Sicherheit bringen, sobald er die Prinzen erkannte. Henri rief: »Komm her, oder es geht dir schlecht!« Da schlich der Tölpel gebückt herbei.
»Zieh dein Messer! Schneide die reifste Melone auf!« Erst nachdem er schon die Hälfte verschlungen hatte, erklärte er sie für wässerig und sauer. »Das ist das Beste, was ihr habt?«
Der Bursche entschuldigte sich damit, daß es zuviel geregnet habe. Henri sagte: »Ich verzeihe dir.«
Hierauf stellte er die Fragen über den Garten und über die Lebensverhältnisse des Gärtners, wobei er weiteraß. »Du kannst nach Navarra kommen«, sagte er dann, »dort gebe ich dir Melonen zu essen! Sieh nicht so dumm aus! Kennst du Navarra nicht? Es ist ein Land, größer als Frankreich. Auch die Melonen sind größer.«
»Und dein Bauch!« bemerkte der zweite Henri, der Monsieur genannt wurde. Denn sein fremder Vetter hatte die Frucht ganz allein beendet. »Wenn ich aber noch eine anfange?« fragte er sogar.
»Vielfraß«, äußerte Henri von Valois, aber es bekam ihm nicht gut. Henri von Bourbon rief:
»Du kriegst meinen Fuß in den Hintern«, und er holte seinen Fuß auch schon aus der Erde. Bevor er aufrecht stand, lief der andere fort und sein kleiner Bruder weinend hinterher. Henri behauptete das Feld.
Ein Kaninchen sprang an ihm vorbei, er hinterher. Es verkroch sich, er störte es auf, aber fangen ließ es sich nicht. Er war schon atemlos von der Jagd. »Henri!« Da stand seine kleine Schwester und neben ihr ein anderes Mädchen. Es war größer als Catherine und ungefähr in seinem eigenen Alter. Er konnte sich denken, wer es war, sagte aber zuerst gar nichts vor Erstaunen. Seine kleine Schwester erklärte: »Wir sind gekommen. Margot war neugierig.«
»Sind Sie immer so schmutzig?« fragte Marguerite von Valois, die Schwester des Königs.
»Ich wollte Melonen essen«, erwiderte er und fühlte sich beschämt. »Warten Sie, ich gebe Ihnen auch eine.«
»Danke, das geht nicht.«
»Ich verstehe. Ihr schönes Kleid könnte Flecken bekommen.«
Sie lächelte, weil sie dachte: ›Und auch mein Gesicht. Ich bin geschminkt, das sieht dieser Bauer nicht.‹
Was für ein Mädchen! Er hatte ihresgleichen nie erblickt. Seine kleine Catherine, die er so sehr liebte, erschien daneben wie eine Gänsemagd, trotz ihrem Sonntagsstaat. Marguerite hatte Farben wie Rosen und Nelken, und die hätten noch froh sein dürfen. Ihr weißes Kleid lag bis zu den Hüften eng an, dann begann es sich weit und steif zu entfalten, schimmernd von Goldstickerei und bunten Steinen. Auch ihre Schuhe waren weiß, etwas Erde hing daran. Henri folgte einer Eingebung; er kniete hin, und mit seinen Lippen entfernte er die Erde. Dann stand er auf und sagte:
»Meine Hände waren nicht sauber genug.«
Sein Ton wurde hierbei unfreundlich, weil das Mädchen überheblich lächelte. Daher nahm er seine Schwester beiseite und flüsterte ihr zu, aber die andere konnte es sicherlich hören:
»Jetzt hebe ich ihr den Rock auf, ich muß doch herausbekommen, ob sie Beine hat wie alle Mädchen.« Das Lächeln der kleinen Prinzessin wurde starr. Er bemerkte noch: »Ihre Nase ist zu lang. Kathrin, du kannst sie wieder mitnehmen.«
Da verzog sie das Gesicht zum Weinen. Sogleich wurde Henri sehr höflich. »Fräulein, ich bin nur ein dummer Junge vom Lande, und Sie sind ein feines Fräulein«, sagte er bereitwilligst. Seine Schwester berichtete: »Sie kann Lateinisch.«
Er redete sie in der alten Sprache an und fragte, ob sie schon verlobt sei mit einem Prinzen. Sie antwortete: »Nein«; so erfuhr er, daß die Geschichte, die seine liebe Mutter ihm erzählt hatte, wohl nur ein Märchen war, und sie hatte es geträumt. Indessen dachte er: ›Was nicht ist, kann noch werden.‹ Vorläufig stellte er fest:
»Ihre beiden Brüder sind vor mir davongelaufen.«
»Meine Brüder werden sich vor Ihrem Geruch gefürchtet haben. So riecht kein Prinz«, sagte Marguerite von Valois und rümpfte die zu lange Nase. Henri von Bourbon fühlte sich gekränkt, er fragte heftig:
»Wissen Sie, was das heißt: Aut vincere aut mori?« Sie antwortete: »Nein. Aber ich werde meine Mutter fragen.«
Herausfordernd sahen die beiden Kinder einander an. Die kleine Catherine sagte ängstlich: »Achtung, da kommt jemand.«
Es war eine Dame, jedenfalls eine vom Hof, vielleicht sogar die Erzieherin der Prinzessin, denn sie äußerte ihre Mißbilligung.
»Was ist das für ein schmutziger Junge, mit dem Sie sprechen, Fräulein?«
»Es scheint, daß es der Prinz von Navarra ist«, erwiderte Marguerite.
Sofort machte die Dame einen tiefen Knicks. »Ihr Vater ist angekommen, mein Herr, und will Sie sehen. Aber zuerst müssen Sie sich waschen.«