Читать книгу Deutscher Novellenschatz 11 - Heinrich Zschokke - Страница 5

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1.

Ich ritt von Sir Drunkner nach Hause. Sir Drunkner hatte Energie; ein gewöhnliches philosophisches Räuschchen widerstand ihm, wie dem Löwen der Sieg über eine Maus; der Wein musste mit seinem Verstande so gewaltig und nicht selten glücklicher als die Giganten mit den Göttern kämpfen, wenn er sich wohlbefinden sollte. Wir hatten uns auf dem Kaffeehause kennen gelernt; er hatte mich nach Altona eingeladen, und ich mit dem kräftigen Briten so heldenmäßig getrunken, dass mir gerade noch so viel Gleichgewicht blieb, auf meinem Falben zu hängen, und so viel Besinnung, den Weg nach Hamburg ohne Boten zu finden.

Es war ein schöner, kühler Maimorgen; ich sog begierig die stärkende Luft, die mir entgegen duftete, in meine erhitzte Lunge ein, während mein Falber in kurzem Galopp mich forttrug, und ahndete Schlaf bis an den hellen Mittag, und Träume so hold und erquickend, wie der dämmernde Tag um mich her. In meines Vaters Kontor war Licht. Es nahm mich Wunder, weil es erst um drei war, und ich ging hinein. Mein Vater saß vor seinem Schreibtisch; neben ihm stand Schiffer Classen, sein alter Freund und Diener. Sie sahen mich beide verwundert an und winkten sich, wie mir's schien; ich bot einen guten Morgen und wollte gehen.

Guten Morgen, Heinrich, sagte mein Vater, es ist mir lieb, dass du da bist; ich habe Geschäfte mit dir. Classen, es bleibt dabei, Punkt zwölf Uhr mittags — es soll alles besorgt werden.

Classen ging. Auf Wiedersehen, junger Herr, brummte er im Gehen und schüttelte mir die Hand mit einem Lächeln, welches auf meinen Körper die schauderhafte Wirkung hatte, als wenn jemand in einen Apfelstiel schneidet, oder an den Fenstern schnirpst.

Heinrich — sagte mein Vater, als er fort war, ohne die Feder wegzulegen — richte dich ein, zu Mittag nach Frankreich zu reisen.

Nach Frankreich, lieber Vater? — und in welchen Geschäften?

Du sollst heiraten.

Heiraten? — wiederholte ich kleinlaut, denn ich sah mich schon im Geiste im Bratenrock mit dem Myrtenkranz geschmückt, an meiner Seite eine reich vergoldete, sauber geschnitzte Jungfrau, die, an mein Herz assigniert, Zeit meines Lebens als Ladenhüter darin bleiben sollte, und die frohen Tage der Jugend flohen weg, wie spielende Kinder, wenn ein Soldat oder ein Prediger kommt — natürlich fror mich noch stärker, als vorher. —

Ja — eine Tochter des Kaufmanns Gerson aus Bordeaux.

Wie, mein Vater? eine Braut, die ich nicht kenne?

Es ist ein gutes Haus — und du hast die Wahl unter drei Schwestern.

Und wenn mir keine gefällt?

Keine Narrheiten, Heinrich! sagte mein Vater sehr ernst; alles Ding hat seine Zeit, und ich habe den deinigen Zeit genug gelassen.

Wenn ich ein Fürst wäre —

Und wenn du ein Kaiser wärest, fiel er mir hitzig ins Wort, so wärest du nur ein lockerer Zeisig, der eines Vormundes bedarf, und mein Sohn. Hier ist der Brief von Herrn Gerson, dass er deine Ankunft erwartet, und hier ist meine Antwort. Zu Mittag reisest du.

Einige Abschiedsbesuche —

Sind nicht nötig. Hier ist ein Packet Karten. Du darfst nur die Namen darauf schreiben.

Ich nahm die Karten und ging auf mein Zimmer. Heiraten? — murmelte ich bei mir selbst — und eine kleine, gelbe, magere Französin, mit plattem Busen und unverschämten brennenden Augen, die keine Minute still sein und keinen Tag leben kann, ohne einmal für deinen Kopfputz gesorgt zu haben? — und warum denn nicht in Hamburg, wenn es denn einmal sein soll? etwa die lange blonde Mamsell Sörgel? oder die kurze, runde, braune Mamsell Watermann? oder die reiche, einäugige Mamsell Funk? oder die schöne, einfältige Mamsell Adler? oder — die — witzige —

Meine Gedanken verloren sich, und der Schlaf neigte meinen Kopf, wie Blei; ich war im Begriff, aus einer senkrechten Linie ziemlich schnell eine waagerechte zu bilden, als ich erwachte und klug genug war, mich aufs Bett zu werfen, wo ich bald in den Armen des Schlafes die Schönen in Bordeaux, wie die in Hamburg vergaß.

2.

Heinrich! — schallte es in meine Ohren. Ich sprang auf, rieb mir die Augen und sah starr vor mich hin; mein Vater stand vor mir.

Willst du dich nicht anziehen? es ist elf Uhr, dein Koffer ist gepackt, und das Essen ist fertig. Der Wind steht gut, es ist um jede Minute Schade.

Ich sah mich damisch um — auf einem Stuhle lagen Reisekleider — mein Vater ging, und Georg, mein Bedienter, kam und half mich aus- und wieder anziehen.

Kommst du mit? fragte ich ihn.

Ja, Herr Waltmann.

Das ist gut! rief ich getröstet; denn es gab keinen größeren Schelm, aber auch keine treuere Seele, als meinen Georg. Mein Vater bezahlte ihn, dass er ihm meine Unbesonnenheiten erzählte — was er unbedenklich tun konnte, weil ich selbst kein Geheimnis daraus machte — ich, dass er mir sie ausführen half. Die Aussicht auf die Reise fing mich an zu ergötzen, und wenn ich einmal zur Strafe für meinen Leichtsinn, wie ein Wilddieb an den Hirsch, an eine Frau gefesselt werden sollte, so war es doch angenehmer, sie in Frankreich unter drei Schwestern zu suchen, als wenn sie mir hier aus dem Magazin der Kaufmannstöchter fix und fertig, und gut konditioniert, ohne weiteres Vorspiel zugestellt worden wäre.

Ich aß zu Mittag mit besserem Appetit, als meine Eltern und meine Schwester, und nahm ihre Glückwünsche, Tränen und gute Lehren beim Abschiede mit gleicher Gelassenheit auf. Schiffer Classen wartete mit Schmerzen. Er nahm sich nicht die Zeit mich zu bewillkommnen — kaum war ich ins Schiff getreten, so gab er das Signal; und unter dem durchdringenden Geschrei der Matrosen hoben sich die Masten, die Wimpel flatterten, die Segel dehnten sich, vom Winde gebläht, und allmählich verschwand Hamburg und die Küste des geliebten Vaterlandes aus unsern Augen.

3.

Es war meine erste Seereise nicht; ich hatte einige Mal in Handelsgeschäften England besucht. Folglich fühlte ich keine Beschwerden, als die der Langenweile, welche ein so plötzlicher Wechsel der unterhaltendsten Debauche mit der plattesten Einförmigkeit mir allerdings doppelt fühlbar machen musste.

Freund Classen tat das Seinige, diesen Dämon zu bannen, und machte den Wirt auf gut seemännisch, indem er mir tüchtig zutrank. In der Tat, Sir Drunkner und alle meine lockeren Gesellen schwelgerischer Nächte waren armselige Buben gegen den alten runzeligen, eisenfesten, mit Kupfer ausgeschlagenen Schiffspatron. Sein geräumiger Mund schien das Spundloch eines wandelnden Weinfasses, und ich sah mit schreckensvollem Erstaunen die Bouteillen französischer und spanischer Weine sich zu Dutzenden allmählich darin ausleeren, bis mir endlich die Kraft mitzutrinken, wie zu sehen, gebrach, und Classen und Georg mich auf meine Hängematte brachten, wo ich schlief, dass der Sturm des Jüngsten Gerichtes mich durch sein Schütteln nicht hätte erwecken können.

Ich liebte den Wein als ein Mittel, den Reiz einer interessanten Gesellschaft zu erhöhen, und hatte, selbst bei dem übermäßigen Gebrauche dieses Mittels, den Zweck nie aus den Augen verloren. Diese Schiffssauferei empörte mich, als ich erwachte, mit einer Empfindung, als hätte ich einen betäubenden Schlag empfangen, und keine neubelebenden Erinnerungen hatte, als die des Satyrgesichts mir gegenüber und der Anzahl von Flaschen, die in seine unergründliche Kehle geflossen waren. Ich war verdrießlich und weigerte mich standhaft, wieder von vorn anzufangen, wozu Classen mich dringend einlud.

Er bequemte sich zu einer andern Unterhaltung, weil mir diese nicht anstand, und erzählte viel von Bordeaux, von Mr. Gerson und seinen drei Töchtern. Auch dieses Gespräch verdross mich; ich zwang mich, nichts zu hören, und ging endlich in mein Kabinett, um meinen Grillen nachzuhängen.

Mein Koffer fiel mir in die Augen; ich hatte ihn noch nicht untersucht, und beschloss es jetzt zu tun, mehr zum Zeitvertreib, als aus Neugier. Meine besten Kleider, meine feinste Wäsche — Briefe an verschiedene Handlungshäuser — ein Kästchen mit einem kostbaren Ringe und dergleichen Armbändern — — ich erriet die Bestimmung, und schob es unwillig auf die Seite — sieh da! wie eine mutwillige Geliebte lauscht in die Ecke gedrückt ein Beutel — ich hob ihn auf, und mein Herz pocht' vor Freude, während meine Hand ihn prüfend wiegt — ich öffne, und finde eitel Gold, an der Zahl richtige dreihundert Louisdors.

Ich hatte an manchem Abend so viel und mehr verloren und hätte noch am letzten Abend mit Sir Drunkner unbedenklich die doppelte Summe gewettet, dass ich heute keinen Fuß aus Hamburg setzen würde; aber in der letzten Zeit hatte das Geld dem Fehler seiner runden Gestalt etwas zu sehr bei mir nachgegeben, und es war am Morgen kein Louisdor in meiner Tasche, der nicht am Abend sich in einer andern befunden hätte. Natürlich war die Ebbe stärker, als die Flut, und trotz der freigebigen Unterstützung meines Vaters war ich sicher, auf jeder der zahlreichen Straßen Hamburgs einem Gläubiger zu begegnen. Wie viel meine Hüte dabei litten, versteht sich von selbst; doch waren sie zufrieden, wenn sie mich sahen, und auf ihr Befragen hörten, dass ich mich wohl befände. Es machte mir in diesem Augenblick unbeschreibliches Vergnügen zu denken, wie diese unglückliche Horde von Mittlern, Juden, Weinhändlern, Cafetiers, Rosskämmen u. s. w. ihre Schuhe jetzt um meinetwillen ebenso stark, aber vergeblicher anstrengen würde, als ich meine Hüte um ihretwillen; und ich hätte einem klugen Manne, der dieser geldgierigen Zunft im Zauberspiegel meine Gestalt, wie ich hier im Schiff in froher Sicherheit meine Goldstücke zählte, gezeigt hätte, den dritten Teil davon mit Vergnügen geben wollen.

Allmählich verlor ich den Geschmack an dieser Szene und sann ernstlich nach, was ich mit dem Gelde anfangen möchte. Ein böser Geist lockte mich, ein Spielchen mit Freund Classen zu versuchen, bei dem ich eine reiche Börse voraussetzen musste — aber der Henker traue den alten Sündern! Ich fürchtete, meinen Mann hier so gut, als bei der Flasche, und einen elenden Zeitvertreib mit schweren Kosten zu finden. Ein besserer Geist lenkte meine Gedanken auf Paris; ich hatte London gesehen, und sollte ihre Nebenbuhlerin vorübergehen? Georg wurde gerufen, und ich sagte ihm, was nötig war.

Legen wir nicht bald an? fragte ich Classen, als sich die Küste von Frankreich zeigte.

Wo? fragte er verwundert.

In Boulogne.

Warum?

Wissen Sie nichts, Freund? Hat Ihnen mein Vater nichts gesagt?

Kein Wort.

Dass ich hier ans Land steigen und über Paris nach Bordeaux reisen soll?

Ach Possen, Finten, faule Fische, lieber Sohn! rief er und lachte, dass er sich den Bauch hielt.

Ich hoffe, Herr Classen, sagte ich ernsthaft, dass Sie mich nicht als einen Gecken ansehen und behandeln werden. Georg, sage du, war das nicht der Befehl meines Vaters?

Georg zauderte etwas — ein finsterer Blick von mir, welchen Classen nicht bemerken konnte, weil er ihn forschend anstarrte, stärkte seinen Eifer, und er bekräftigte meine Aussage.

So, so! — hm! hm! — brummte Classen und fasste mich schief mit einem prüfenden Blick ins Auge, den ich aber mit unveränderlicher Fassung aushielt — das habe ich nicht gewusst — bitte um Vergebung!

Er steuerte nach Boulogne; in wenig Stunden waren ich und Georg samt dem Koffer am Lande und einige Stunden später auf dem Wege nach Paris.

4.

Ich jauchzte laut auf, als ich die Spitze von Notre Dame und bald darauf das Häusermeer rund herum erblickte. Jetzt, im Angesichte der ersten Stadt in der Welt, fiel mir ein zu bedenken, was ich da wollte.

Genießen? — was sonst? — aber wie am besten? nach einer kaufmännischen Einteilung? — und wäre das der Mühe wert? — ich wollte nicht vergebens dreihundert Louisdors und zum ersten Male in meinem Leben volle Freiheit haben. Nach meiner Ankunft mietete ich eine Chambre garnie, nahm den Titel eines Lord Johnsbury an und tummelte mich vierzehn Tage lang, zu sehen, zu hören und zu schmecken, was sich nur immer Ausgesuchtes sehen, hören und schmecken ließ. Mein britischer Name und noch mehr mein britisches Gold machte mir leichtes Spiel, und Alles neigte sich, mir zu dienen.

Ich trug den Solitär, der meiner Braut bestimmt war. Er war locker geworden, und ich trat in den Laden eines Juweliers, ihn seiner Kur zu übergeben. Zwei Damen kamen bald darauf. Die eine war bejahrt, die andere jung und schön, so schön, dass ich das erste Mal in meinem Leben mich von einer scheuen Bewunderung ergriffen fühlte und ehrerbietig Platz machte. Sie handelte um ein Paar Ohrgehänge; der Juwelier bot ihr zu viel, und sie gab sie zurück. Ich bezahlte den geforderten Preis und bat sie, sie zum Andenken anzunehmen.

Sie sind sehr großmütig, mein Herr, sagte sie errötend und heftete ihre strahlenden Augen so forschend auf mich, dass ich vor Furcht und Vergnügen zugleich erzitterte — und diese Juwelen sind recht artig; aber wenn sie noch schöner wären, dürfte ich sie nicht von einem Unbekannten annehmen.

Ich bat vergeblich. Unwillig über diesen Widerstand wandte ich mich endlich an die Ältere und bot ihr die Ohrgehänge an, indem ich sie ersuchte, mir wenigstens die Genugtuung zu verschaffen, dass ich die Unerbittliche in ihrer Freundin verbinden dürfte. Sie betrachtete meine Gabe mit vor Begierde funkelnden Augen und griff danach, nach einigem Zaudern. Die andere sah sie strafend an und schüttelte leicht den Kopf, als sie mein Geschenk nahm.

Sie gingen wieder, und ich unglücklicher Lord war einfältig genug, sie nicht weiter zu fragen. Erst zu Hause erwachte ich, wie aus tiefem Traum; das Bild des liebenswürdigen Mädchens schwebte mir vor, und ich hätte gern noch einmal dreißig Louisdors gegeben, um sie nur noch einmal zu sehen.

Das Glück begünstigte meine Wünsche. Im théatre français sah ich meine Damen in einer Loge. Ich eilte zu ihnen und hatte die Genugtuung, von meiner Alten recht zärtlich und von meiner Erkorenen nicht unfreundlich empfangen zu werden. Ich wollte nicht vergebens ein Lord, und in Paris sein. Mit so eitler Geschwätzigkeit, als ich zu erkünsteln vermochte, unterhielt ich die junge Dame, die mir von ihrer Hüterin augenscheinlich preisgegeben wurde. Ich war mit der Schilderung meiner Flammen so zudringlich, dass sich allmählich der Sonnenschein ihres bezaubernden Gesichtes verlor und ihre Mienen ihr Missfallen so unverkennbar aussprachen, dass ich mich gedrungen fand, sie mit Teilnahme zu fragen, was sie betrübte.

Nichts, mein Herr, erwiderte sie, und sah mich so ruhig ernst an, dass ich die Augen niederschlug — als dass wir uns Beide verkannt haben.

Diese Antwort nahm mir mit meiner Zuversicht die Sprache. Ich wandte mich endlich wieder an die Alte, sagte ihr meinen Namen, und wie sehr ich ihre nähere Bekanntschaft wünschte. Sie war zurückhaltender, als ich geglaubt hatte. Ich musste die ganze Litanei von der Unzuverlässigkeit junger Männer und von der Vorsicht junger Mädchen anhören, wie sie nur eine taktfeste Dueña ableiern kann, eh' ich zur Nachricht erhielt, dass sie bei gutem Wetter mit ihrer Nichte — wie freute sich mein böses Prinzip über diese Benennung — in den Tuilerien zuweilen spazieren ginge.

Ich hatte vergessen, nach der Stunde zu fragen, und das Gewicht des Wörtchens zuweilen nach meinen Wünschen geschätzt. Die vornehme Welt schlief noch, als ich schon in den Tuilerien revierte. Meiner Kasse, aber nicht meinem Magen zum Vorteil trieb ich mein Umherlaufen, bis der Abend einbrach und Niemand zurückblieb, als elende Nachtschwärmer und Schwärmerinnen. Das ging vier Tage so fort — es ließ sich keine Tante und Nichte blicken, und ich hätte vor Zorn und vor Sehnsucht vergehen mögen.

Schon neigte sich am fünften die Sonne, und ich verfluchte in toller Hitze mich und alle Damen in und außer Paris, als meine Ersehnte mit ihrer Sauvegarde erschien. Sie erschrak über meinen Anblick, ich weiß nicht, ob über mich selbst, oder über die Empfindungen, die sich unstreitig in meinem Gesicht ausdrückten. Ich vermochte ihnen nicht länger zu gebieten und bestürmte sie mit so ernstlichen Fragen, Bitten und Versicherungen, dass ihre vorsichtige Gelassenheit sich allmählich in Teilnahme zu verwandeln schien. Ich nahm dessen wahr, ihr den Solitär, den ich wieder am Finger hatte, anzubieten; und er saß an dem ihrigen fest, eh' sie noch die Gegengründe recht überlegen konnte.

Sie machen mich zum Kinde, sagte sie nach vergeblicher Gegenwehr; ich tue so großes Unrecht, Sie anzuhören, als diesen Diamant anzunehmen. Sie selbst aber verbinden sich eine Undankbare, die es nicht einmal ahnden lassen sollte, dass sie es wider ihren Willen ist.

Umsonst beklagte ich mich über diese Härte — ich erfuhr nicht mehr. Doch schnitt sie mir nicht alle Hoffnung ab, und in einer günstigen Minute bat ich die Tante heimlich um ihren Beistand und um den Namen ihrer Wohnung.

Ich habe meiner Nichte versprochen, sagte diese, Ihnen auf keine Weise zu helfen. Folglich kann ich Ihnen auch die verlangte Nachricht nicht geben. Doch, setzte sie lächelnd hinzu, wundert es mich, dass Sie erst der Frage bedürfen.

Ich erstaunte über meine Einfalt. Ohne Sorge ließ ich sie gehen und sandte meinen Lohnbedienten nach, ihnen von ferne bis in ihre Wohnung zu folgen. Er brachte mir bald die Nachricht, dass sie in der Nähe des Palais Royal wohnten.

5.

Ich fürchtete mich zu sehr vor meiner Geliebten, als dass ich gewagt hätte, noch heute diese Kenntnis zu benutzen. Innere Unruhe trieb mich von einem Orte zum andern. Ich konnte nirgends, selbst im Theater nicht, aushalten; Talmas Lebhaftigkeit schien mir heute frostig, und das gefühlvolle Spiel der Demoiselle Georges leere Affektation. Endlich ging ich ins Palais Royal, um wenigstens in ihrer Nähe zu sein.

Der Zufall führte mich in ein Zimmer, wo gespielt wurde. Es war mir eben recht. Ich pointierte, gewann — verlor — gewann wieder — verlor wieder — und nach zwei Stunden hatte ich keinen Sou mehr in der Tasche.

Die vierzig Louisdors, welche emigriert waren, kümmerten mich wenig; doch musste ich nach Hause gehen. Georg, sagte ich, als er mich auszog, und reichte ihm die leere Börse, fülle sie morgen wieder.

Haben Sie noch Vorrat? fragte er.

Wie? was ich dir gegeben habe —

Ist hin, bis auf zwanzig Louis, wovon der Wirt noch drei zu fordern hat.

Kerl, du hast mich betrogen!

Belieben Sie meine Rechnung zu sehen?

So schaffe Rat!

Zum Reisegelde?

Ich gehe nicht aus Paris, und wenn ich auf der Straße schlafen sollte, rief ich mit Hitze.

Die Jahreszeit ist recht angenehm, sagte er spöttisch lächelnd, ein Verliebter kann es allenfalls ohne Holz aushalten, und für den Magen wird der Himmel sorgen, der ihn gemacht hat.

Was fällt dir ein?

Nichts — ich ging heute in den Tuilerien, und Ihr Solitär blitzte durch die Hecke, die mich von Ihnen trennte, so gewaltig — aber, Gott steh' uns bei, Sie haben ihn ja verloren.

Geh! — du bist ein lauernder Schelm! — das Mädchen ist ein Engel.

Vom Palais Royal.

Der Mensch sagte das mit einer so tückischen Miene, dass ich ihn betroffen anstarrte. Ich will nicht hoffen, sagte ich ernsthaft —

Dass ich scherze? sagte er wie vorhin. B'hüt mich Gott! Sie ist die ehrbare Nichte einer frommen Tante, und sie verstehen sich beide recht gut auf Juwelen — apropos, es sind ja noch ein Paar Armbänder da, die zum Solitär gehören —

Schweig! rief ich finster. — Die Aussicht, in einer Stadt, wo ich Niemand kannte, in die bitterste Armut versetzt zu werden, und mich vielleicht einer verächtlichen Dirne aufzuopfern, war nicht die angenehmste — ihr Bild, das sich in den edelsten Zügen mit in feine Seele geprägt hatte, strafte den Argwohn Lügen — und doch, wenn ich alles, besonders das Benehmen der Tante erwog, schien Georg nicht ganz Unrecht zu haben. — Unschlüssig maß ich mit großen Schritten die Stube, als Mr. Brelon, mein Hauswirt, eintrat.

6.

Monseigneur verzeihen, sagte Mr. Brelon, ein echter Pariser, dass ich so spät Ihre Ruhe störe, aber ich schätze Monseigneur so hoch, dass ich nicht umhin kann, Ihnen eine Nachricht von großer Wichtigkeit mitzuteilen.

Ich bin Ihrer Gefälligkeit höchst verbunden, Mr. Brelon; haben Sie die Güte, zu sprechen.

Meine jüngste Tochter steht in der genauesten Verbindung mit Mr. Grosbaton, dem Kammerdiener des General Joubert; Mr. Grosbaton hat eine Schwester, welche die Gunst eines Polizeibedienten besitzt der eine Tochter hat, welche mit dem Portier des Lord Whitworth einigen Umgang hat; der Portier ist der genaue Freund einer Soubrette von Mylady, und die, Soubrette die Geliebte des Tafeldeckers Sr. Exzellenz des Gesandten —

Sie führen mich in eine unsichtbare Loge der Freundschaft, Mr. Brelon, welche für das gute Herz der Pariser einen neuen Beweis gibt; aber wollten Sie nicht die Gefälligkeit haben, mir die wichtige Nachricht mitzuteilen —

Den Augenblick; Monseigneur sollten nur erst die Quelle kennen lernen, um aus eigener Einsicht zu beurteilen, in welchem Grade sie authentisch ist.

Sehr klug, vortrefflich, Mr. Brelon, Sie verbinden mich unendlich.

Ich tue meine Schuldigkeit, Monseigneur, eine Schuldigkeit, welche mir die ehrerbietigste Ergebenheit gebietet.

Ohne Komplimente, Mr. Brelon.

Ich gehorche Ihren Befehlen, Monseigneur; der Tafeldecker Sr. Exzellenz hat der Soubrette erzählt und diese dem Portier, und dieser weiter, wie Monseigneur die Güte haben werden, sich noch zu erinnern —

Vollkommen, Mr. Brelon — fahren Sie nur fort.

Dass Se. Exzellenz bei Tafel die anwesenden Herren englischer Nation gefragt hätten, ob Sie das Glück hätten, den Lord Johnsbury zu kennen; nämlich Sie selbst, Monseigneur.

Ganz wohl, Mr. Brelon, sagte ich so herzhaft als ich konnte, und zwang mich auf eine nichtssagende Weise zu lächeln, um ihm glaublich zu machen, dass ich nichts dächte.

Die Herren hätten erwidert, sie hätten diese Ehre nicht; darauf hätten Se. Exzellenz erzählt, dass sie heute bei dem Lever des ersten Konsuls gewesen wären — der erste Konsul hätte sie selbst gefragt, ob sie Monseigneur kennten, und warum Sie ihm noch nicht vorgestellt worden wären — Se. Exzellenz hätten erwidert, dass sie keinen Lord Johnsbury kennten, doch an seiner Existenz nicht zweifeln wollten, und Monseigneur könnten vielleicht wichtige Gründe haben, sich nicht öffentlich zu zeigen. — Darauf hätte der erste Konsul gesagt: ein Mensch, der sich so nennt — Monseigneur verzeihen, dass ich so unhöflich bin, seine Worte zu wiederholen — macht seit einigen Tagen die Runde in den Tuilerien, und ich wünschte genau zu wissen, ob er auf Ihren Schutz Ansprüche hat.

Ich warf einen Blick auf Georg und las in seinen Mienen gleiches Schrecken, als durch meine Adern erstarrend lief.

Das wird ein Wildbret für die Polizei sein, sind die letzten Worte Sr. Exzellenz gewesen.

Ich beteure, Monseigneur, fuhr er fort, als ich stumm blieb, bei meiner Ehre und der Achtung, welche ich gegen Sie trage, dass ich nicht so niedrig bin, den mindesten Verdacht gegen einen Mann zu fassen, dessen edelmütiges Betragen jeder Nation Ehre machen würde; sollten Sie aber auf die Vermittlung Sr. Exzellenz nicht rechnen können — Monseigneur verzeihen meine Dreistigkeit — aber Ihre Sicherheit — die meinige —

Haben Sie keine Furcht, Mr. Brelon, sagte ich so ruhig als möglich und drückte ihm dankbar die Hand; ich hoffe, es ist so schlimm nicht, und im ärgsten Fall wird es mir nicht an Mitteln fehlen, meine Unschuld zu beweisen. Ich habe vielleicht etwas unvorsichtig darauf gerechnet —

Er zuckte die Achseln.

In England ist es so Sitte, und es fällt schwer, bequeme Sitten zu ändern. Ich danke Ihnen herzlich, und bitte Sie um Ihr gütiges Andenken. Georg soll meine Schuld berichtigen und noch in dieser Stunde Postpferde bestellen.

Er verbeugte sich tief, unter wiederholten Entschuldigungen, und nahm seinen Abschied.

7.

Die Aussicht, meinen Sommeraufenthalt im Temple oder Bisêtre angewiesen zu erhalten, oder eine Spazierfahrt nach Cayenne zu machen, hatte so wenig Reizendes, dass ich Georg auf der Stelle nach Postpferden fortjagte und selbst eiligst einpackte. Während dieses Geschäftes überlegte ich, wohin. Mit fünfzehn Louisdors — denn Herr Brelon hatte seine Rechnung, die nach Georgs Meinung drei Louis betrug , auf fünf gestellt, pour prendre congé — ließ sich keine Reise um die Welt machen; auf meine Geige durfte ich auch nicht reisen, so sehr mein Spiel immer im Liebhaberkonzert gerühmt worden war; und ich hatte mich daheim zu wenig um die Handlung bekümmert, um mich eines Handlungsfreundes von meinem Vater zu erinnern, deren es in Paris unstreitig mehrere gab, die mich unterstützen konnten. Nach Bordeaux, sagte ich endlich halblaut; wir wollen sehen, was der Schwiegerpapa und die bräutliche Dreifaltigkeit macht; ohne Geld kann doch der Alte den Schwiegersohn nicht lassen, und ich will so lange zwischen den Reizen seiner drei Töchter schwanken, bis sich eine Gelegenheit, ihnen glücklich zu entwischen, findet.

Die Pferde kamen, und es ging ohne Aufenthalt nach Orleans. Mein Reisegeld war sehr geschmolzen, und ich wollte bei Mr. Gerson nicht als ein Bettler einziehen. Die Armbänder meiner unbekannten Braut kamen mir wie gerufen; ich schickte Georg in Orleans zu einem Juwelier, sie zu verkaufen. Sie waren zweihundert Louisdors wert — Georg brachte mir achtzig dafür, die er unter der Bedingung genommen hatte, dass er erst um meine Einwilligung fragen wollte. Ich schüttete sie in meine Börse und reiste ab.

Die Fahrt nach Bordeaux ging schnell und angenehm. Zuweilen flog mein Herz wieder nach Paris zurück zu der schönen Unbekannten; aber mein ganzes Leben zu Paris glich einer Erscheinung im Traume, wie viel mehr diese Liebe von wenig Tagen? Allmählich verloren sich die Eindrücke, welche sie auf mich gemacht hatte, und als ich vor dem Hause des Mr. Gerson abstieg, fühlte ich die beste Laune von der Welt, mich in jede seiner Töchter der Reihe nach zu verlieben und dann nach Hamburg so schnell und frei und fröhlich zurückzureisen, als von Paris nach Bordeaux.

8.

Das Haus meines prädestinierten Schwiegervaters machte keine üble Miene. Mein Name schien dem Bedienten, der an den Wagen kam, so melodisch zu klingen, als ein Dutzend Goldstücke; er überhäufte mich mit Höflichkeit und führte mich zu Mr. Gerson.

Mr. Gerson war noch einen Kopf unter Pariser Maß, breitschulterig, mager und etwas schief gewachsen. Eine starke Platte verlängerte seine an sich hohe Stirn, und seine eingefallenen, lederfarbigen Wangen seine an sich riesenförmige spitze Nase. Umso kleiner hatte die Natur seine Augen und seinen Mund gebildet; aus jenen blitzte die Lebhaftigkeit eines Franzosen, wie die Strahlen der Sonne durch eine Glinze, und dieser spitzte sich wie eine Rosenknospe, auf gelben Grund gestickt. Er umarmte mich feurig, was ihm bei meiner ansehnlichen Figur nur durch einen Sprung gelang, welchen nur ein Franzose mit Anstand machen kann; und zu meiner Verwunderung strömten aus der Öffnung, die ihm statt des Mundes diente, so viel verbindliche Worte, dass ich meine Teilnahme durch nichts, als ein abwechselndes Monsieur! — ah — pardonnez — an den Tag legen konnte.

Es war ungefähr die Zeit des Abendessens, und nach einer Viertelstunde servierte ein Bedienter zu zwei Couverts. Gewiss, dachte ich bei mir selbst, hat dieser wackere Mann seine drei Töchter unter Schloss und Riegel, um dir für gute, aufrichtige Ware stehen zu können. Aber, wenn sie ihm ähnlich sind, werden ihre Bildnisse nie in der Galerie des Louvre hängen, und sie könnten vor Liebhabern nie sicherer sein, als wenn sie gesehen werden.

Zu meiner Zufriedenheit hatte Mr. Gerson so ausgesuchten Wein, dass ich bei der zweiten Flasche vergaß, ich sei nach Bordeaux gekommen, der Venus und den Grazien, nicht dem Bacchus zu opfern. Er selbst trank trotz einem neuen Franzosen und einem alten Deutschen. Allmählich glühten seine Wangen stellenweise wie Nordschein, und seine Augen zogen sich in demselben Maße zu einem fast unerkennbaren Punkt zusammen, als sein Herz sich zu unbegrenzter Liebe und Vertraulichkeit auszudehnen schien.

Ihr Herr Vater, sagte er, ist gewissermaßen der Urheber meines Glückes. Sie wissen wohl, dass ich bei ihm in Kondition gewesen bin.

Mein Vater hat mir davon gesagt.

Er empfahl mich an Mr. Pigeonneau, den ehemaligen Besitzer dieses Hauses und dieser Handlung. Ich hatte das Glück, ihm und seiner einzigen Tochter zu gefallen —

Ich finde das sehr natürlich, Mr. Gerson.

Sie sind sehr verbindlich, Mr. Waltmann — und so wurde ich der Erbe seines Vermögens. Meine Frau schenkte mir drei Töchter und starb, als sie mit der dritten im Kindbett lag.

Ich fühle die Schmerzen, die Sie ausgestanden haben.

Die Hölle kennt nichts Ähnliches; glücklicherweise fand ich eine weitläufige Verwandte, eine gute, leidliche Person, die sich nach meinem Charakter bequemte —

Welches Glück für einen so unglücklichen Witwer!

Und mir die Last der Erziehung und der Haushaltung abnahm, die sich mit meinen ausgebreiteten Geschäften nicht vertrug. Sie erwies mir diesen Dienst, bis meine Töchter herangewachsen waren; dann versorgte ich sie an einen meiner Kommis, dem ich statt der Ausstattung eine kleine Handlung etablierte.

Sie war dieser Belohnung würdig. Doch konnten Ihre Demoiselles Töchter Ihnen diesen Verlust ersetzen?

Ach, Mr. Waltmann, sie hatte sie aufs Beste erzogen, und zu Hausfrauen so gut, als zu Damen von gutem Ton gebildet. Ich vermisste nichts, was meine Zufriedenheit befördern konnte, wären sie nur weniger schön, oder wenigstens nicht alle drei gleich liebenswürdig gewesen.

Ein ganz außerordentliches Unglück, Mr. Gerson.

Ich gestehe Ihnen meine väterliche Schwachheit, ich hielt es anfangs für mein größtes Glück und war stolz darauf, dass ganz Bordeaux, ja die ganze Provinz nichts Ähnliches ausweisen konnte. Es fehlte nicht an Liebhabern —

Das versteht sich von selbst, und ich wundere mich nur, die Mauern Ihres Hauses noch in so gutem Stande zu sehen.

Die bald die eine, bald die andere sich geneigt zu machen suchten. Aber meine Töchter waren zu klug, zu gesetzt und der Lehren ihrer Pflegemutter zu eingedenk, um sich in ein Spiel von Empfindungen einzulassen, das wohl zu Abenteuern, aber nicht zu einer ehrenvollen Versorgung führt.

Wie alle Spiele, Mr. Gerson.

Sie äußern für Ihr Alter sehr lobenswürdige Gesinnungen, Mr. Waltmann. — Sie wollten ihre künftigen Männer erst kennen, und dann lieben; und Jeder, der sich um sie bewarb, erhielt Zutritt in meinem Hause, um meine Töchter gleichfalls näher kennen zu lernen, während er selbst sich der Prüfung bloßstellte.

Welche Weisheit! Gewiss, Ihre Töchter, Mr. Gerson, sind nicht bloß die Grazien, auch die Minerven von Frankreich!

In Wahrheit sehr gute Mädchen, Mr. Waltmann — aber diese lobenswürdige Vorsicht hatte sehr unangenehme Folgen. Kein junger Mann von Geschmack und Empfindung kam in mein Haus, der nicht bei näherer Bekanntschaft immer unschlüssiger in seiner Wahl geworden wäre. Sie wurde umso schwieriger, weil meine Töchter sich gegenseitig verbunden hatten, keinem eher die mindeste Aufmunterung zu geben, und jedes Gefühl von Liebe in sich selbst zu ersticken, bis eine von ihnen unter den angeführten Bedingungen die Wahl getroffen hätte.

Unglaublich, Mr. Gerson.

Ich würde selbst daran zweifeln, hätte ich nicht die Erfahrung selbst gemacht; aber, auf das Wort eines ehrlichen Mannes, wenigstens dreißig anständige Partien sind auf diese Weise für meine Töchter verloren gegangen.

Das macht zehn für jede; aber Sie betrüben mich tief, Mr. Gerson, durch eine Erzählung, die mich erwarten lässt, ich sei von Hamburg nach Bordeaux nur darum gereist, einen neuen Beitrag zur Ausfüllung des vollen Schocks zu gewähren.

Erlauben Sie — in einem freundschaftlichen Briefe an Ihren Herrn Vater beklagte ich mich darüber und schilderte ihm meine ganze Lage. Er antwortete mir, er hätte einen einzigen Sohn, einen talentvollen, gutgearteten —

Ich verneigte mich.

Aber etwas unordentlichen und seinem feurigen Temperamente sich zu sehr überlassenden jungen Mann —

Pardieu! rief ich, und kratzte meinen Tituskopf, mein Vater schmeichelt seinen Kindern nicht!

Und es würde ihn sehr freuen, ihn mit einer meiner Töchter verbunden zu sehen, wenn er ihr Herz und meinen Beifall gewinnen könnte. Ich antwortete ihm, dass mir nichts angenehmer sein könnte, als eine so genaue Verbindung mit dem Hause meines alten Freundes und Wohltäters — dass ich einem Manne von solchen Eigenschaften, als er seinem Sohne beilegte, meinen Beifall nicht versagen würde, weil ich die Unbesonnenheiten der Jugend gehörig zu würdigen wüsste.

Sehr verbunden, Mr. Gerson! da sieht man was Weisheit aus eigener Erfahrung vor gelernter voraus hat.

Ach! Mr. Waltmann! ein Franzose berührt und verbindet stets die Extreme.

Ich dachte im Stillen an den Vater und seine drei Töchter.

Und geht durch die Unordnung zur Regelmäßigkeit, und durch die Ausgelassenheit (libertinage) zu den Tugenden eines Familienvaters über.

Die Deutschen tun ein Gleiches, Mr. Gerson; nur wird ihnen der Übergang nicht so leicht.

Was aber das Herz meiner Töchter anbeträfe, so dürfte ich auf ihre kindliche Ergebenheit zu sehr rechnen, um zu fürchten, dass ich zu viel verspräche, wenn ich seinen Sohn meinen künftigen Schwiegersohn nennte.

Sie entzücken mich durch Ihre Güte, Mr. Gerson.

Schiffer Classen brachte mir die Antwort, die sich auf Sie selbst bezog. Der Frachtzettel war richtig, aber die Ware fehlte.

Ich holte zu einer Entschuldigung aus.

Still, still! — Sie haben einen Abstecher gemacht, der noch auf die alte Rechnung kommt. Im vollen Sprunge steht sich's nicht gut auf einmal. Mein alter Freund hatte Recht, und ich sehe so ehrliche Schelmengesichter, wie das Ihrige, gern.

Mr. Gerson war feiner, als ich geglaubt hatte. Sein Lob gewann ihm mein Herz, und ich wurde ernsthaft.

Es würde mich unendlich kränken, wenn dieser Plan, welchen mir die freundschaftlichste Gesinnung eingegeben hat, missglücken sollte. Ich habe mir ein Mittel dagegen ausgedacht, und ich teile es Ihnen mit; denn ich bin offenherzig, und es ist gut, wenn Sie meine Maßregeln kennen. Sie sollen meine Töchter nicht auf einmal kennen lernen. Ich habe meine beiden jüngeren weggeschickt und die älteste allein für Ihre Bekanntschaft zurückbehalten. Ihrem Alter gebührte dieses Vorrecht. Sie ist die Ihrige, sobald sie Ihnen ansteht. Ich werde die beiden andern nicht eher zurückrufen, als bis Sie sich erklärt haben und ich glauben darf, dass Ihre Liebe stark genug ist, um keine Gefahr zu laufen. Sie sind deswegen an diese nicht gebunden — denn Jeder hat seinen Geschmack; und wollte Gott, meine Töchter hätten dieses Sprichwort bestätigt und nicht umgestürzt. Morgen sollen Sie sie sehen; denn nach einer so ermüdenden Reise ist man nicht sehr geschickt zur Einleitung in die Liebe — trinken Sie, Mr. Waltmann, auf die Gesundheit Derjenigen, welche Sie wählen werden; meine väterliche Zuneigung ist die Mitgift einer jeden.

Ich trank, und nach dieser Erzählung und nach so manchem Zuge aus vollem Becher mit wahrer Teilnahme, und als wir uns trennten, um zu Bett zu gehen, schlief ich mit recht erfreulichen Gedanken ein.

9.

Als ich in der Morgenstunde im Bette nüchternen Mutes weiter dachte, kamen mir allerdings wieder einige Zweifel. Es schmeichelte mir, dass ich der Held sein sollte, welcher den Zauber dieser Unzertrennlichen zu lösen und so viel getäuschte Männerherzen zu söhnen bestimmt wäre. Aber ich traute dem alten Satyrgesichte des Vaters nicht recht, es verdross mich, dass sie nicht alle drei vor mir erschienen, wie die Göttinnen auf dem Berge Ida vor dem Hirten; und ich tat das Gelübde, nicht eher aus meiner Gleichgültigkeit zu treten, bis die beiden andern aus der Fremde herbeigelockt wären.

Georg kam, und sein Angesicht leuchtete wie von einem erfreulichen Geheimnis. Ich fragte ihn, ob er vielleicht in Bordeaux schon jetzt in der Liebe glücklicher gegen die Franzosen wäre, als die Deutschen daheim im Feld?

Ich denke nicht an mich, erwiderte er. Sie haben die glückliche Bestimmung, die Ehre der Deutschen zu retten. Ich habe Mamsell Constance gesehen —

Wer ist diese Constance?

Die älteste Tochter von Mr. Gerson.

Du hast sie gesehen? nun, ist sie der Reise wert?

Wert, und wenn Sie auf den Knieen hätten her rutschen sollen, wie ein Pilger auf der heiligen Treppe — aber, was nützen meine Worte? Stehen Sie auf — Sie verlieren jede Minute, wo Sie sie nicht sehen —

Potz Velten! rief ich, sprang auf und ließ mich ankleiden. Wenn ein Kenner vom Hamburger Fischmarkt, wie du, in Ekstase gerät, wo sollen meine fünf Sinne bleiben?

Mr. Gerson machte mir den Morgenbesuch. Sie werden vergeben, Mr. Waltmann, sagte er, wenn ich mich den Tag über nicht um Sie bekümmere, als bei Tische. Meine Tochter wird Ihnen Gesellschaft leisten, so oft Sie sie wünschen und suchen.

Ich bat ihn, sich nicht zu genieren. Er ging, und ich ließ mich bei Constance melden, sobald meine Toilette fertig war.

Ach, mein armes Herz! — Es pochte gewaltig, als ich in diesen Lichtkreis trat, um mir, gleich so vielen Andern, die Flügel zu verbrennen. Mich armen Sünder überfiel vor dieser hohen, blendenden Gestalt eine Ehrfurcht, die ich noch nie, außer in Paris beim Anblick meiner Unbekannten, gefühlt hatte. Sie stand da, wie ein überirdisches Wesen, und auf ihrem strahlenden Gesichte dünkte mir ein mitleidiges Lächeln über den Verwegenen, der sich bange erzitternd ihr darzustellen wagte, zu schweben.

Das Erstaunen, ohne welches niemand Ihre Reize sehen kann, ist Ihnen, Mademoiselle, nicht neu; aber neu ist mir ein Anblick, der jedes Malers Ideal befriedigen würde.

So viel künstelte ich stotternd heraus; sie antwortete mir mit einem leichten Kompliment und sprach mit vieler Lebhaftigkeit und Fertigkeit von gleichgültigen Dingen. Ihre Ruhe gab mir allmählich die meinige wieder, und ich konnte sie mit prüfender Aufmerksamkeit betrachten.

Ich habe die Feder nicht ergriffen, um eine Anweisung für Zeichner zu schreiben, was zu einer vollendeten Gestalt gehört. Mag Constance sich zu dem Behuf in Kupfer stechen lassen, wenn ihr die Kunst so am Herzen liegt. Aber ich fand keinen, durchaus keinen Tadel — diese Formen, diese Taille, diese Farbe, gehörten keinem Lande als dem der Schönheit an, und nur das braune Haar, das in üppigen Locken um den weißen Nacken floss, und die braunen flammenden Augen konnten für ein Zeichen der Verwandtschaft mit Frankreich gelten.

Wie bereute ich die Schmähungen, die ich in Hamburg ausgestoßen hatte, als ich erfuhr, dass mir eine Französin bestimmt sei! Wie schmähte ich jetzt auf die Demoiselles Sörgel, Wattermann, Funk und Adler, welche so unglücklich waren, mir damals zur Vergleichung einzufallen! Meine Bewunderung vermehrte sich, als sie, ohne Prahlerei und Affektation, mir allmählich ihre Geschicklichkeiten enthüllte. Sie sang, sie spielte, sie zeichnete meisterhaft.

Es währte einige Tage, eh' ich in ihrer Gesellschaft ohne Beklommenheit sein konnte. Allmählich half sie mir selbst ins Geleise. Sie blieb sich gleich — sie war in jeder Minute entzückend, aber in keiner mehr als in der andern, und ich gewöhnte mich an ihren Anblick, wie an den eines vortrefflichen Gemäldes.

Mit meiner Ruhe kam mein lustiger Jünglingsmut wieder, und ich scherzte mit ihr über die Ansprüche, welche ihres Vaters Einwilligung mir auf sie vergönnte. Meine Augen haben geprüft, sagte ich, und Gott, der mein Herz kennt, weiß am besten, wie versengt es dabei weggekommen ist. Aber ich bin der Sohn eines Kaufmanns, und selbst dazu bestimmt. Wir Kaufleute prüfen jede Ware mit allen Sinnen so genau, als wir dürfen, ohne sie zu verderben. Sie dürfen sich nicht weigern, schöne Constance, mir den Versuch zu erlauben, ob diese Lippen sich so gut küssen, als sie sich ansehen.

Sie war zu sehr Französin, um einen solchen Scherz abzulehnen. Ich küsste sie — aber diese trügerischen Lippen fingen die meinigen, wie die Leimrute den sorglos hüpfenden Zeisig — ich konnte mich nicht davon losreißen — und als es geschah durch ihr Zurückdrängen, war meine frohe Laune weg, und mir fehlte, ich wusste selbst nicht was.

Ich hatte bisher kein Mädchen geliebt, ja keines berührt, die Unbekannte ausgenommen. In den unschuldigen Knabenjahren hatte leidenschaftliche Liebe zur Musik, und in der wilden Jünglingszeit bis jetzt Pferde, Spiel, Flasche, Jagd und witzige Gesellschaften meine Neigungen erfüllt. Ich sah in Hamburg alle Demoisellen und Jungfern so gleichgültig an, als die bereits erwähnten, und konnte in dieser Hinsicht höchstens in Worten für einen Lustigk gelten.

Der erste Kuss von diesen Lippen goss Feuer in mein Blut. Ich sah, ich dachte nichts, als Constance; ich hungerte und dürstete nach nichts, als nach dem Nektar ihres Mundes. Und da es nur von mir abzuhängen schien, sie für meine Braut zu erklären und mich jedes Genusses zu versichern, den sie gewähren konnte, war es so wunderbar, dass ich die Stufenleiter der Wollust in Gedanken erstieg und von jener Minute an an jedem ihrer Reize nicht mit entzücktem Erstaunen, sondern mit reger ungestümer Begierde hing?

Das Übel wuchs, je öfter ich sie sah — sie selbst wurde unruhiger, als zuvor — ich brauchte alle Künste der Welt, um wieder zu genießen, was mein Verlangen nur reizte, ohne es zu befriedigen — und vierzehn Tage nach meiner Ankunft ging ich zu Mr. Gerson und erbat mir die Hand seiner Tochter.

Der alte Mann hüpfte auf einem Beine vor Freuden. Er führte mich selbst zu seiner Tochter und drückte sie in meine Arme. Ich schloss die Unvergleichliche mit dem feurigsten Entzücken an meine Brust. — Es ist richtig! rief er, indem er uns zusah, schnippte mit den Fingern und tanzte in der Stube herum, es ist vortrefflich, so ist es recht! — ich erinnere mich dessen noch — und morgen, Constance, schreibe ich an deine Schwestern; denn bei der Hochzeit müssen sie sein, um Lust zu bekommen! — —

10.

Und mein Gelübde, zu warten, bis ich wie ein Sultan unter drei Huris der Schönsten das Schnupftuch zuwerfen könnte? Ach, lieben Brüder und Schwestern, wisst ihr noch nicht, wie wenig dergleichen Ballast einem Herzen hilft, dessen Segel die Leidenschaft gefasst hat? Die Geliebte hebt mit Einem Blick alle Gelübde!

Angelique, die zweite Tochter von Mr. Gerson, kam in wenig Tagen an. Sie war in Rochelle bei Verwandten gewesen. So schön sie war, so schien sie es weniger neben ihrer Schwester, und ich wünschte mir Glück, ohne es zu wissen, wenigstens unter Zweien die beste Wahl getroffen zu haben.

Victoire, die dritte, blieb aus. Statt ihrer kam nach acht bis zehn Tagen ein Brief an ihre Schwester Angelique, dass sie mit der Tante, bei welcher sie sich aushielt, verreist wäre und bald zurückkommen würde.

Das verzögerte die Hochzeit, und ich hatte hinlängliche Muße, die beiden Schwestern in ihrer Verschiedenheit kennen zu lernen. Angelique war um einen Zoll kleiner, ihre Taille um einen Zoll stärker, ihre Haut um einen Grad gefärbter, ihre Zähne waren nicht ganz so klein und weiß, mit Einem Worte, jeder weibliche Reiz war ihr um ein kleines geringer als Constance zugeteilt worden. Sie sang, sie spielte, sie stickte und malte auch, aber gegen Constance immer nur wie eine talentvolle Schülerin gegen den Meister. Alle diese Bemerkungen machten mir in den ersten Tagen viel Vergnügen. Sie hatte überdies etwas Niedergeschlagenes in ihrem Wesen, was ihr nicht vorteilhaft war.

Allmählich verlor sich dieser anscheinende Trübsinn, und es lebte ein Geist in dem reizenden Körper auf, den die Natur mit unwiderstehlichem Interesse ausgestattet hatte, und der gegen Constances Gelassenheit wie ein helles Bild auf dunklem Grunde abstach. Eine Fülle von witzigen Einfällen strömte über ihre Lippen — in dem Augenblick, wo man die Pointe des ersten bewunderte, riss eine zweite die Aufmerksamkeit schon an sich. Sie unterdrückte oft ihren Witz, aber nie konnte sie die allerliebste satirisch-fröhliche Physiognomie des Witzes unterdrücken, womit ihre Gedanken ihr blühendes Gesicht verschönerten. Ihre Handlungen, ihre Vergnügungen hatten dasselbe Gepräge. Ihr Gesang sprach die verschiedensten Gefühle mit gleicher Lebhaftigkeit aus — ihre Gemälde hatten eine höchst pikante Originalität, und ihre Stickerei übertraf, nicht in der Ausführung, aber in der Anlage, weit die ihrer Schwester.

Meine natürliche Lustigkeit fand an der ihrigen Behagen; wir wurden allmählich vertrauter, und ich teilte Constance meine Küsse und Seufzer, Angelique meine Unterhaltung zu. Aber jene Stoffe, so sehr sie mich entzückten, jene zärtlichen Seufzer, so sanft sie meine Brust beklemmten, blieben bei der Wiederholung immer dieselben; Angeliques Unterhaltungen im Gegenteil nahmen stets eine neue und angenehmere Wendung. So oft ich Jene ansah, hob sich meine Brust von zärtlichem Verlangen; so oft ich Dieser zuhörte, flog meine ganze Seele der reizenden Schwätzerin zu. Einige Zeit blieb das Gleichgewicht — allmählich fing die Schale an, wechselweise zu sinken und zu steigen — und abermals nach vierzehn Tagen seit meiner Verlobung liebte ich die schone Constance nur, wenn ich sie sah; aber das Bild der einnehmenden Angelique beschäftigte mein zärtliches Andenken in der Einsamkeit so gut, als in ihrer Nähe. Was mich dabei am meisten Wunder nahm, war, dass Constance das Abnehmen meiner Neigung nicht mit Missfallen, und Angelique das Zunehmen nicht mit merklichem Wohlgefallen aufzunehmen schien.

11.

Mr. Gerson sagte zu alledem nichts. Er arbeitet den Tag aus seinem Kontor und war nur abends in unserer Gesellschaft. In diesen Stunden häuslicher Freude überließ er sich der seinigen ganz, indem er an unsern Scherzen und Spielen Anteil nahm; und ich fand, dass der kleine Äsop, wie er sich selbst oft nannte, dem alten Fabelhelden an Geist nicht viel nachgab.

Er empfahl mich mehreren seiner Bekannten in und um Bordeaux und zog mir dadurch eine Menge Einladungen zu, die mich zu meinem Verdruss häufig vom Hause entfernten und mir zuweilen wenig Ersatz gewährten. Die Liebe hatte mich umgeschaffen, und die feine Schwelgerei und Jovialität der Einwohner von Guienne hatte keine Reize mehr für ein Herz, das ihre Freuden gekostet hatte.

Eines Abends kehrte ich vom Lande zeitig zurück und stieg am Garten meines Schwiegervaters ab, weil ich wusste, dass die Familie heute dort sein würde. Ich ging aus einen Pavillon zu, wo ich die Gesellschaft voraussetzte. Als ich mich näherte, hörte ich Stimmen und ging leiser, mehr aus Instinct, als aus Vorsatz. Noch näher unterschied ich deutlich die gesangvolle Stimme meiner Braut, in wetteifernder Rede mit einer männlichen.

Es tut mir leid, ich leide selbst dabei, sagte Constance; aber es ist nicht zu ändern.

Wenn Sie nur wollten, Constance! sagte die männliche Person, deren Ton mir bekannt schien.

Aber ich darf nicht wollen, Mr. D'Argenet.

Mr. D'Argenet war ein Kommis des Hauses, den ich nie anders als bei Tische gesehen und als einen stillen, höflichen, wohlgebildeten Menschen kennen gelernt hatte.

Es ist hart, es ist unerträglich, sagte er, von der liebenswürdigsten Person auf Erden so starke Versicherungen ihrer Liebe erhalten zu haben und sich doch getäuscht zu sehen.

Sie wissen, ich kann nichts dafür.

Ich glaube es kaum.

Pfui, schämen Sie sich! Sie kränken mich mit Absicht; Sie wissen so gut als ich, wie nachdrücklich mein Vater uns allen jede Verbindung untersagt hat, weil er sich dem Vater des Herrn Waltmann verbindlich gemacht hatte.

Eine törichte Verbindlichkeit!

Das ist seine Sache. Sie verfolgten mich mit Ihrer Liebe — der Wahlherr blieb aus, und da glaubte ich selbst wählen zu dürfen, und wählte Sie, weil Sie mir gefielen. Endlich kam er doch.

Oh, dass er ewig weggeblieben wäre!

Ich würde ihn nicht vermisst haben. Dieser große blauäugige Deutsche ist so keck, aber nicht so höflich, wie ein Franzose; seine Liebe ist gebieterisch, und wenn er mit meinem Vater getrunken hat, muss man sich vor ihm fürchten. Aber soll ich meinen Vater deswegen erzürnen? Sie wissen, wie fest er auf seinem Sinn besteht, und ich muss zufrieden sein, wenn nicht einem liebenswürdigen, doch einem erträglichen Manne zuerkannt zu sein.

Ach, welche Qualen lassen Sie mich ausstehen! Diese Reize, die ich anbete, sollen das Eigentum eines Andern sein, wie eine Ware sollen sie ihm verhandelt werden? Constance! ich ertrage das nicht — am Tage Ihrer Hochzeit fliehe ich aus Frankreich, oder ich töte mich oder ihn!

Sie sind ein Narr, Mr. D'Argenet, und würden es am wenigsten sein, wenn Sie davon liefen.

Der Liebhaber ergoss sich nach dieser Antwort, welche die schöne Constance so melodisch, aber auch so ruhig, wie Alles was sie sprach, von sich gab, in so feurige Klagen und sprach so schnell, dass ich nur einzelne Stichwörter seiner tragischen Explosionen weghaschen konnte. Ich hatte genug und schlich mich ebenso heimlich fort, als ich gekommen war.

12.

Sie hätten mich schön angeführt, schöne Constance, sagte ich halblaut, als ich mich nach einer halbstündigen Promenade auf dem Walle niederlegte. Aber Sie haben sich selbst betrogen; ich bin Ihre reizende Unveränderlichkeit satt, und die einnehmende Angelique wird mir mehr ersetzen, als ich verloren habe.

Früh ging ich zu Mr. Gerson. Ich spielte den Großmütigen und versicherte ihm, dass ich mir nie den entferntesten Anspruch auf die Hand eines Mädchens, dessen Herz schon verschenkt wäre, erlauben würde. Er wurde so wild, dass ich Mühe hatte, ihn zurückzuhalten. D'Argenet war arm. Ich stellte ihm vor, dass ein Frauenzimmer von achtmalhunderttausend Livres, wie seine Tochter, sehr füglich einen Mann ohne Vermögen, zumal einen Kaufmann, heiraten könnte, dessen Industrie diese Summe in kurzer Zeit zu verdoppeln vermöchte. Es war ihm nur um meinetwillen. Um mir nicht gänzlich zu widersprechen, beklagte ich allerdings den Verlust der schönen Constance, versicherte indessen, dass die reizende Angelique selbst den unglücklichsten Liebhaber zu trösten vermöchte, und dass ich gar nicht zweifelte, sie in kurzer Zeit leidenschaftlich zu lieben, sobald ich dazu berechtigt wäre. So wurde endlich der Handel geschlossen, und wir gingen zu den beiden Mädchen, um ihnen, die von nichts wussten, ihr Schicksal anzukündigen.

Mir wurde bange, als ich ihnen gegenüber stand — nicht vor der schönen Constance, deren geheime Wünsche befriedigt werden sollten, aber wohl vor dem kecken Gesichte meiner neuen Geliebten, welches die meinigen etwas stark zu salzen verhieß. Vorher hatte ich ihr immer Gleiches mit Gleichem vergolten — heute gab ich mich der Unbarmherzigen mit dem Gefühle der Wehrlosigkeit hin.

Schöne Constance, nahm ich nach unserer Verabredung das Wort, als Mr. D'Argenet eintrat, den wir hatten rufen lassen, dieser junge Mann hat früheres Recht auf Ihre Hand, als ich, und verdient Sie unstreitig mehr, da Sie ihm selbst diese Rechte gegeben haben. Ich breche mein Herz, indem ich die Bande breche, die bisher zwischen uns stattfanden; aber ich will das höchste Glück meines Lebens nicht mit der Ruhe Derjenigen erkaufen, die es mir verschaffen sollte, und habe Ihren Herrn Vater gebeten, zu Ihrer Verbindung mit Mr. D'Argenet seine Einwilligung zu geben.

Mr. Gerson bestätigte, was ich sagte, und die beiden Liebenden vergaßen bald die Ausbrüche des Dankes über der Freude, welcher sie sich überließen. Es war das erste Mal, dass ich die schöne Constance durch den Ausdruck des Gefühls verschönert sah, und ich bemerkte im Stillen, dass ich sie um keinen Preis hingegeben hätte, wäre sie jemals so schön für mich gewesen.

13.

Das Schwerste war übrig; mit verstellter Heiterkeit, aber innerlich scheu, wie ein Missetäter, stellte ich mich vor Angelique hin, die nicht ein Wort geäußert, aber uns alle mit scharfen Blicken gemustert hatte.

Sie sind sehr edelmütig, sagte sie mit verbissenem Lächeln und einer so schlauen Miene und so durchdringendem Blicke, dass mir zu Mut war, als läse sie jeden Gedanken in meiner Brust.

Wenn es so ist, meine englische Angelique, so rechne ich darauf, dass Sie mich dafür belohnen werden.

Nach Verdienst; verlassen Sie sich darauf.

Sie schrecken mich zurück, indem Sie mir schmeicheln.

Das ist meine Absicht.

Aber der Zug Ihrer Reize ist mächtiger.

Ich wünschte deren weniger zu haben.

Ich würde dann weniger leiden.

Das ist nicht die Absicht, warum ich es wünsche.

Ich bin jetzt verlassen.

Ich beklage jeden Verlassenen (abandonné).

Umso eher hoffe ich, sagte ich, und bog ein Knie vor ihr, dass Sie meinen Jammer ansehen und mich heiraten werden.

O, ich bitte, mein Herr, verrichten Sie das stehend. Das ist der Mühe nicht wert; heiraten? das ist sehr wenig; von Herzen gern. Ich fürchtete in Wahrheit, Sie wollten mir zumuten, Sie zu lieben.

Ich setze das voraus.

Sie tun mir einen großen Gefallen, wenn Sie das immer voraussetzen. Sie ersparen mir eine sehr beschwerliche Mühe.

Sie zwingen mich zu zweifeln, um ein so kostbares Bestreben nicht zu verlieren.

Sie werden aus jeden Fall nichts verlieren.

Ich fühle, wie wenig ich ein solches Kleinod verdiene, und werde mich bemühen, Sie wenigstens an Zärtlichkeit zu übertreffen.

So werden Sie sehr große Vorzüge vor mir haben.

Mr. Gerson, sagte ich zu dem Vater, ich muss Sie um Ihre Vermittlung bitten. Angelique sagt mir zu, mich zu heiraten, aber sie beißt, kratzt und schlägt um sich, wie eine tatarische Braut, und ich brauche Hilfstruppen.

Lassen Sie sie gehen — sie ist ein närrisches Mädchen, ich kenne sie wohl, aber eine gute Tochter. Hier — indem er ihre Hand nahm und in die meinige legte — sie ist die Ihrige.

Sie gab ihre Hand ohne Widerrede und betrachtete mich, während ich sie hielt, so zuversichtlich, als wollte sie sagen, ich habe dich und will schon fertig mit dir werden. Mir schien es selbst so, und statt mich dem neuen Entzücken zu überlassen, sprach ich mit D'Argenet, der es gern getan hätte, über den amerikanischen Handel eine halbe Stunde und verließ dann ziemlich missvergnügt die Gesellschaft.

14.

Angelique blieb in diesem Ton, und ich bereute tausendmal, sie aus einer liebenswürdigen Schwägerin in eine qualbegierige Braut verwandelt zu haben. Sie marterte mich recht ausgesucht; denn wenn sie mich durch unzählige Beleidigungen so empört hatte, dass mein Zorn dem Ausbruche nahe war, schmeichelte sie mir wieder und war so zärtlich, dass ich Alles vergaß und töricht genug war, zu hoffen, sie werde sich anders benehmen. Nicht genug, dass ich unmittelbar dadurch litt, ich hatte den Verdruss, zu sehen, dass die ganze Familie sich an unsern Kriegen ergötzte, und musste ihr Gelächter auf meine Rechnung nehmen, weil ich zu deutlich fühlte, dass ich der verlierende Teil war.

Noch hatte ich nicht den letzten Grad der Folter erfahren. Der Onkel aus Rochelle, in dessen Hause Angelique gewesen war, kam mit einem jungen Menschen, der auch ein Cousin sein sollte, zum Besuche. Angelique umarmte Beide, und mein scharfes Bräutigamsauge glaubte in den Blicken des Cousins einen Grad zärtlicher Bewegung zu lesen, der für einen Cousin zu stark schien.

Es freut mich recht, dass Sie da sind, Cousin, sagte sie zu ihm; hier ist mein Bräutigam, Mr. Waltmann aus Hamburg. Ich habe ihn noch wenig anders, als mit Worten, kränken können; jetzt will ich mich durch Sie für alles Unheil rächen, das er mir nach der Trauung antun wird.

Der junge Mann errötete und erwiderte einige nichtssagende Komplimente.

Ich erkläre Sie hiermit feierlich für meinen Cicisbeo; denn die italienische Sitte gefällt mir, seit wir in Frankreich deutsche Bräutigams haben. Sie sollen über unsere Streitigkeiten entscheiden, weil ich voraussetze, dass Sie mir allemal Recht geben werden. Sie sollen den Schlüssel zu meinem Zimmer haben, Sie sollen neben mir stehen und sitzen, um mich gegen ihn zu verteidigen. Er heiratet mich nur aus Rache, weil ihn meine Schwester nicht mag; und ich handle großmütig, indem ich sie ihm erschwere; denn die Rache ist umso süßer, je schwerer sie geworden ist.

Du bist ein Herold des Teufels, Mädchen! rief Mr. Gerson, und drohte ihr mit der Hand.

Lassen Sie mich, Väterchen; die Deutschen haben gegen unsere Nation immer viel Geduld bewiesen, und ich glaube selbst, dass ich kein Lamm von Franzosen fände, der es mit mir aushielte.

Ich kochte innerlich, doch machte ich gute Miene zu schlechtem Spiel. Meine Geduld ging zu Ende, als sie aus Scherz Ernst machte und dem Cousin gütig, ja zärtlich begegnete, während sie mich mit der größten Strenge zurückwies. Bloß um Sie aus die Probe zu stellen, mein Herr, sagte sie, als ich mich beklagte.

Das heißt, Sie schneiden mir den Leib auf, um zu sehen, ob mein Herz noch schlägt, rief ich entrüstet; aber ich werde Mittel finden, diesen Misshandlungen zu entgehen.

Ich verließ hastig das Zimmer, und sie schickte mir ein schallendes Gelächter nach. Höchst aufgebracht ging ich zu Herrn Gerson und klagte ihm meine Not.

Sie sagen mir etwas ganz Neues, erwiderte er, ich habe unter Ihnen beiden das beste Einverständnis vorausgesetzt. Ja, ja, es ist wahr, sie ist ein kleiner Satan, aber mit dem besten Herzen. Ich versichere Sie, sie würde am jüngsten Gericht dem lieben Gott ins Gesicht lachen, wenn er ihr Sündenregister vorlesen ließe, und der Teufel wäre selbst doppelt verdammt, dem sie zur Verdammnis übergeben würde. Aber das schadet nicht; sie hat keine falsche Ader, und wenn Sie ihre Laune nicht durch Empfindlichkeit erbittern, werden Sie die lustigste Frau auf der Welt haben. Doch will ich mit ihr sprechen.

Er tat es, meines Widerspruches ungeachtet; aber ich weiß nicht, ob aus Mangel an Nachdenken, oder aus Bosheit, in Gegenwart Aller. Das Lächeln der Anwesenden, als Mr. Gerson mit vieler Paternität seine Worte vorbrachte, verkündigte mir mein Schicksal.

Wie? sagte Angelique, sind die Nerven eines Nordländers so empfindlich? Sie können es nicht vertragen, dass ich hüpfend und tanzend durchs Leben gehe? Sie fassen meine Laune nicht; kein Wunder, dass Sie auch meine Liebe nicht fassen.

Schöne Angelique —

Sagen Sie das meiner Schwester; ich bin die Böse, die Unausstehliche, und liebe Sie doch so zärtlich, wie irgendeine Dame ihren Mops oder ihren Papagei.

Wollten Sie nicht die Rolle des Mopses übernehmen? Denn diese Tiere, bei der innigsten Liebe gegen ihre Gebieterin, knurren und beißen gern.

Sie lachte und gab mir die Hand, die ich dankbar küsste. Aber es dauerte keine Viertelstunde, so marterte sie mich wieder so, dass ich hätte Blut schwitzen mögen.

15.

Zufälliger Weise fand ich in meinem Koffer einen Brief meines Vaters, überschrieben: „An die geliebte Braut meines Sohnes“. Die herzliche Sprache eines frohen Vaters wird sie rühren, dachte ich und brachte ihr den Brief.

Nicht an mich, sagte sie, denn Sie lieben mich nicht. Keine Beteuerungen — — aber ich will den Brief erbrechen, weil ich doch die Stelle einer Geliebteren ersetze.

Schön, vortrefflich! rief sie aus, als sie ihn gelesen hatte. Sie haben einen sehr wackeren Vater — und seine Güte überrascht mich; er muss wissen, dass sich Mädchen gern und Bräute am liebsten putzen. Wollen Sie mir die Juwelen nicht zeigen?

Ich blickte sie betroffen an; das Gefühl meiner Unbesonnenheit fiel mir so schwer aufs Herz, dass ich kein Wort sagen konnte.

Nun, Sie haben sie doch nicht verloren?

Mein Vater muss sie vergessen haben; wollen Sie mir den Brief erlauben?

So unheiligen, räuberischen Händen sollte ich dies Dokument vertrauen? Cousin, lesen Sie ihm den Brief vor.

Der Cousin las: „den Solitär und die Armbänder, welche mein Sohn Ihnen mit diesem Briefe übergeben wird, bitte ich —“ u. s. w.

Ich stand wie vernichtet und verwünschte im Herzen tausend Mal die Stunde, wo ich Mr. Gersons Haus betreten und diese Schwestern kennen gelernt hatte, die ihre Vollkommenheiten nur mir zur Plage besaßen.

Ich bitte Sie, Cousin Cicisbeo, sagte Angelique und deutete mit dem Finger auf mich, betrachten Sie diesen armen Sünder. Sein Vater schickt ihn aus Hamburg, weil ihn die Weiber dort so genau kennen, dass ihn keine mag. Drei Schwestern, die Kleinode von ganz Frankreich, harren auf den Hamburger Mess- und Märzbräutigam, wie Sklavinnen in Smyrna auf den Käufer. O, denkt er, die danken Gott, wenn ich komme, früh oder spät — und macht einen Abstecher von drei Wochen, um sich erst noch einmal recht auszutoben, eh' er ein Hausvater wird. Das Reisegeld ist weg, und er ist klug genug, statt des Hungertodes in Paris die fette Küche und den reichen Keller des unbekannten Schwiegervaters zu erkiesen. Aber wie hinkommen? Der Brautschmuck muss aushelfen, so viel die Pariser Freundinnen davon übrig gelassen haben.

Guter Gott! rief ich —

Schweigen Sie. Dieser Herr soll Sie kennen lernen. Er kommt, und sieht die Erste. Sie gefällt seinen Augen wohl, und die Schönste in ganz Bordeaux wird seine Braut. Ich komme, er hört mich. Durch seine Ohren fasse ich ihn.

Wie ungerecht!

O mein Gott, schweigen Sie doch! er gibt der Ersten einen charmanten, recht wohlgesetzten, respektablen Abschied — und wer ihn nicht besser kennte, hätte denken sollen, er säße vor lauter Großmut mit dem Herzen, das vor Liebe platzen wollte, auf dem Stuhl mit eisernen glühenden Zacken, und er wendete sich an mich als die zweite bloß aus Mitleid, dass ich nicht vor Gram über seine Verachtung, oder als alte Jungfer stürbe. — Ich nehme in Demut das Geschenk seiner durch so vieles Schenken so sehr abgenutzten Liebe an, lasse mich geduldig von ihm anfahren, von meinem Vater ausschelten, und jetzt bringt er mir statt der verkauften oder verschleuderten Juwelen den Brief mit der leeren Anweisung, als wollte er mir sagen, meine Hand sei so nackt und bloß nicht gut genug, ich solle sie erst selbst mit Brillanten ausstaffieren, ehe er es für nötig fände —

Teure Angelique —

Ich bitte, nennen Sie mich nicht! Mein Name klingt mir ganz abscheulich, ganz diabolisch aus Ihrem Munde; wahrhaftig, Sie verdienen es, dass ich Sie heirate — zur Strafe. Ich wette, meine Schwester Victoire drückt Ihnen vollends das Herz ab; denn sie ist so schön, wie Constance, so klug, wie ich, und gefühlvoll, wie wir alle Beide nicht sind, und trägt den Namen mit der Tat. Aber hoffen Sie ja nicht, dass Sie etwas von ihr schmecken werden. Sie haben um mich angehalten, und dieser Brief Ihres Herrn Vaters, auch ohne Juwelen, ist mein Privilegium auf Ihre Person, das ich nie weggeben werde.

Gewiss die angenehmste Versicherung.

Sparen Sie die Schmeicheleien bis zu der Zeit, wo ich wünschen werde, sie zu hören.

Ihre zürnende Miene war so unverkennbar verstellt, dass ich sie doppelt reizend fand und ihre Hand ergriff, sie zu küssen.

Nicht doch, sagte sie und zog sie zurück, die Stunde hat noch nicht geschlagen, wo ich Ihnen meine Zärtlichkeit nach Pflicht und Gewissen in Portionen und Rationen zuteilen werde.

16.

Endlich kam Nachricht von Victoire, dass sie den Tag darauf eintreffen würde. Der ungeduldige Vater bestimmte die Hochzeit für beide Töchter auf den Tag nach ihrer Ankunft. Angelique hatte nichts dagegen. Die nahe Aussicht, ganz die Meinige zu werden, schien ihr mildere Gefühle einzuhauchen, und ich freute mich darüber.

Victoire kam abends spät. Ich wollte ihr noch meine Freude über ihre Ankunft bezeugen. Angelique haschte mich auf. — Dachte ich's doch, sagte sie; aber Sie sehen sie nicht. Erst wenn ich mit Ihnen vor dem Geistlichen stehe, sollen Sie den Schatz betrachten, den Sie ohne Prüfung verworfen haben, um sich eine Plage, wie ich bin, an den Hals zu ziehen.

Ich gestehe, der Morgen, wo ich den Übergang von genialischer Unordnung zu weiser Regelmäßigkeit machen sollte, war mir sehr peinlich. So schön, reich und geistvoll Angelique war, so bedachte ich, dass der erste Vorzug bald vergehen würde, der zweite mir wenig nützte, und der dritte mehr Dornen als Rosen gewähren könnte. Und wo blieben jene lustigen Stunden, wo ich mich so oft mit Vorsatz der Ausgelassenheit und Torheit überlassen hatte?

D'Argenet kam, umarmte mich als seinen Schwager und führte mich in das Zimmer, wo die Trauung geschehen sollte. Der Vater, die beiden Schwestern, der Onkel und Cousin, nebst dem Geistlichen, waren da. Victoire fehlte.

Sie putzt sich noch, sagte Angelique. Sie gönnt keiner ehelichen Braut, selbst am Hochzeittage nicht, die Freude, schöner zu sein. Ein großer Fehler, nicht wahr, mon cher?

Ich bejahte ihre Frage lächelnd; sie war ungemein reizend in dieser Lebhaftigkeit.

Nun, danken Sie Gott, dass ich solider bin.

Jetzt traten zwei Damen durch eine Nebentür ein — und ich erstaunte gewiss lebhafter, als der Leser, der es längst erraten hat, als ich in Beiden die Tante von Paris mit ihrer schönen Nichte erblickte.

17.

Endlich! rief Angelique und zog mich bei der Hand zum Tisch, wo der Geistliche stand, mit Gewalt; aber mein Gesicht war zu Victoire hingewandt, die hocherrötend und unendlich schöner, als sie mir je erschienen war, ihre Augen ernsthaft auf mich heftete.

Ihre Liebe scheint der Peitsche zu bedürfen, sagte Angelique. Fangen Sie nur immer an, Mr. La Tournelle.

Ich erwachte aus meiner Betäubung; ohne zu wissen, was ich tat, entriss ich Angelique meine Hand und blickte erschrocken den Geistlichen an, der lächelnd schwieg.

Victoire stand unbeweglich. An ihrem Finger blitzte mein Solitär, und die Armbänder, die ich in Orleans verkauft hatte, an ihrer Hand. Aller Augen waren auf mich gerichtet, und ich glaubte unter die Erde sinken zu müssen.

Ich bitte Sie, Cousin, rief Angelique, lassen Sie sich mit Victoire trauen. So lange mein Bräutigam noch eine Schwester ledig sieht, denkt er, es sei Schuldigkeit, an ihr auch seine Liebe zu versuchen.

Der Cousin ging zu ihr hin. Länger hielt ich mich nicht — ich flog vom Tische weg, zu Victoire, und ergriff ihre Hand, die sie mir, errötend, mit einem zärtlichen Blicke überließ. Ist es möglich? sagte ich, ich habe keine Ansprüche auf Ihre Verzeihung, aber mit den mächtigen Gefühlen, die Sie mich zuerst kennen lehrten, leben alle Hoffnungen wieder auf, die jetzt nicht mehr chimärisch sind, sobald Sie wollen.

Ich bin nicht mehr mein, erwiderte Sie lächelnd und zeigte auf die Juwelen; ich trage den Kaufpreis an meiner Hand.

Es ist zu toll, sagte Angelique, so ungezogen ist noch kein Bräutigam gewesen. Gott schütze mich vor einem solchen Ehemanne. Kommen Sie, Cousin, Sie haben eine sanfte treue Seele, ich will es mit Ihnen versuchen. Mag er machen, was er will.

Meine Verlegenheit war vorüber. Ich blickte den Vater fragend an, er konnte vor Rührung nicht sprechen, legte unsere Hände zusammen und führte uns zu den beiden andern Paaren. Mr. La Tournelle fing ungeheißen an, und nach zehn Minuten waren die drei Schwestern in drei Frauen verwandelt.

18.

Georg hatte in Orleans meine Armbänder in den nächsten ansehnlichen Kaufladen, statt zum Juwelier, der am andern Ende der Stadt wohnen sollte, getragen. Der Handelsherr, dem er sie anbot, fragte bedächtig, wem sie gehörten. Georg fand kein Bedenken, meinen Namen und die Absicht meiner Reise anzugeben. Zu Mr. Gerson nach Bordeaux? um sein Schwiegersohn zu werden? Ich kenne Mr. Gerson genau und mache mir ein Vergnügen daraus, Herrn Waltmann eine Summe auf diese Armbänder zu leihen, die gewiss eine andere Bestimmung haben, als in Orleans verkauft zu werden.

Dieses Anerbieten kam Georgen erwünscht. Ein Wort gab das andere, und mein Schelm von Diener, der an meinen Pariser Streichen großen Anstoß genommen hatte, erzählte Alles, was er von meiner dortigen Lebensart wusste, und pries sich glücklich, dass die Not mich endlich triebe, eine so angenehme Zuflucht zu wählen. Mir aber verschwieg er aus guten Gründen Alles.

Victoire, die mit der Frau desselben Kaufmanns in Paris war, erfuhr bei ihrer Zurückkunft, welche Nachrichten von dem deutschen Bräutigam eingegangen waren, und wusste sich nun das schnelle Verschwinden Lord Johnsburys, den sie, wider ihr dem Vater gegebenes Versprechen, lieb gewonnen hatte, zu erklären. Sie schrieb so eilig als verlegen an ihre Schwester Angelique, weil ihr die Neuigkeit von meiner Verlobung mit Constance gemeldet worden war.

Angelique durchschaute Alles, riet ihr, noch einige Zeit zurückzubleiben, und entwarf den Plan zu meiner Züchtigung, den sie zur Unterhaltung der ganzen Familie — denn seit ich sie selbst zur Braut erkoren hatte, hatte sie den Vater und die übrigen in das Verständnis gezogen und zugleich ihre eigene Neigung gegen den Cousin erklärt — so nachdrücklich durchführte.

Konnte ich über eine Rache zürnen, die ich so wohl verdient hatte, und deren Ziel mein eigenes Glück war? Ich hatte wieder den Mut, mit meiner geistreichen Schwägerin zu streiten, ich konnte wieder die schöne Constance mit Unbefangenheit küssen. Vier Wochen flogen mir in dem liebenswürdigsten Familienkreise wie vier Stunden hin.

Da kam Classen und gebot Trennung. Ich bat meinen Schwiegervater um seinen Segen.

Ich habe keinen Segen für Sie, als den Sie selbst genommen haben, sagte er. Sie führen mir das liebste Kind hinweg; und doch danke ich Ihnen, denn ich bin erst durch Sie ein vollkommen glücklicher Vater geworden.

Classen führte uns schnell und unverletzt nach Hamburg zurück. Die herzliche Umarmung meines Vaters sagte mir, dass der Engel, der mir zur Seite stand, auch sein Vaterglück vollendet hätte. Und sie, die mir auch in diesem Augenblick lächelnd zur Seite steht, zweifelt nicht mehr, dass sie eben so glücklich meine Besserung vollendet habe.

Deutscher Novellenschatz 11

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