Читать книгу Die Nacht der Diebe - Heinz Janisch - Страница 6

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Zweites Kapitel

in dem Zeitungen zerschnitten werden, eine berühmte Pfeife verschwindet und eine Geige für Misstöne sorgt

Die Aufregung im Kaffeehaus hatte sich wieder gelegt.

Chefinspektor Grünberg hatte mit der Besitzerin gesprochen und ihr alles erklärt. Sie hatte ungläubig zugehört und immer wieder den Kopf geschüttelt. Dann hatte sie sich eine Schürze umgebunden, um ihre Gäste selbst zu bedienen.

„Setzen wir uns doch dort in die Ecke“, sagte Chefinspektor Grünberg zu Lord Huber und Herrn Jaromir. „Da können wir in Ruhe reden. Ich will nur kurz etwas holen.“ Er ging zu dem Tisch, an dem er vorher gesessen war.

Jetzt erst sah Jaromir, dass auch der Chefinspektor einen Rucksack mit sich trug.

„Hier sind die gewünschten Zeitungen“, sagte Chefinspektor Grünberg zu Lord Huber und holte einen Stapel Zeitungen aus seinem Rucksack.

„Zeitungen? Welche Zeitungen? Hier gibt es doch genug davon!“, wunderte sich Jaromir.

„Wir brauchen sie aus vielen Ländern. Und wir wollen sie zerschneiden“, erklärte Lord Huber. „Damit hätten die Gäste hier im Kaffeehaus wohl keine Freude.“

Chefinspektor Grünberg legte den Stapel Zeitungen auf den Tisch – und holte noch eine große Schere aus seinem Rucksack.


Lord Huber rieb sich die Hände. „Ausgezeichnet! Dann können wir ja loslegen! Aber vorher möchte ich Herrn Jaromir noch die ganze Sache erklären.“

„Das wäre sehr freundlich“, knurrte Jaromir. „Ich möchte übrigens die englischen Zeitungen haben“, fügte er hinzu. „Mein Englisch braucht dringend eine Auffrischung.“

Lord Huber legte The Daily Telegraph, Jaromirs Lieblingszeitung, und ein paar andere Zeitungen auf den Boden.

„Einmal bellen genügt“, sagte er. „Dann bin ich schon mit der Schere zur Stelle.“

Lord Huber raschelte mit der Zeitung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Er schaute Herrn Jaromir an.

„Chefinspektor Grünberg und ich, wir glauben, dass in diesen Tagen in ganz Europa Diebe unterwegs sind, um große und kleine Kostbarkeiten zu stehlen. Sie alle bereiten sich auf etwas Besonderes vor – auf die Nacht der Diebe!“

Jaromir blickte beide erstaunt an. Die Nacht der Diebe?

Davon hatte er noch nie gehört.

„Die Nacht der Diebe!“, fuhr Lord Huber fort. „Ist sie eine Legende? Gibt es sie wirklich? Ich glaube, ja. Es gibt sie. In einer Nacht im Jahr treffen sich Meisterdiebe aus der ganzen Welt an einem geheimen Ort und zeigen – einem uns leider unbekannten Chef oder einer Chefin – ihre Beute. Das können alle möglichen Dinge sein. Jeder will den anderen übertreffen. Alles wird ausgestellt und gezeigt – und dann wird der König der Diebe gewählt, er bekommt sogar eine kleine Krone aus Gold.“

„Wir haben schon oft von dieser geheimnisvollen Nacht der Diebe gehört“, sagte Chefinspektor Grünberg. „Angeblich werden immer nur fünf Meisterdiebe eingeladen. Aber wir hatten bisher keine konkrete Spur. Wer gehört zu den Meisterdieben? Wo findet diese Nacht der Diebe statt? Wer ist der Kopf dahinter? Wir glauben, dass wir bald einen entscheidenden Hinweis bekommen werden, der uns weiterhilft. Dann wissen wir hoffentlich, wo das nächste Geheimtreffen der Meisterdiebe stattfinden wird.“

Jaromir hatte eine Idee.

„Wird es hier in Graz sein?“, fragte er schnell. „Sind wir deshalb nach Graz gekommen?“

Lord Huber schüttelte den Kopf.

„Nein“, sagte er. „Wir sind nach Graz gekommen, weil ich Chefinspektor Grünberg sehen wollte. Er arbeitet schon lange an diesem Fall. Und wir sind in Graz, weil ich diese schöne Stadt endlich einmal besuchen wollte. Dass wir dann auch noch einen Dieb überführen konnten, das war reiner Zufall. Nein, die Nacht der Diebe wird nicht in Graz stattfinden. Obwohl ich gerne noch länger hierbleiben würde …“

Chefinspektor Grünberg deutete auf die Zeitungen, die er mitgebracht hatte. „In diesen Zeitungen müssten wir Meldungen über Diebstähle finden, die kürzlich passiert sind. Wir glauben, dass die Nacht der Diebe in wenigen Tagen stattfinden wird. Wir hoffen, dass wir bald den genauen Zeitpunkt und den Ort erfahren. Wir warten noch auf eine Nachricht.“

„Und von wem wird diese Nachricht kommen?“, wollte Jaromir wissen.

„Von einem alten Freund“, sagte Lord Huber. „Aber machen wir uns lieber an die Arbeit. Damit wir bereit sind, wenn die Reise losgeht.“

Herr Jaromir war verwirrt.

Diebstähle in vielen Ländern? Fünf Meisterdiebe? Eine Nacht der Diebe an einem geheimen Ort? Eine Nachricht von einem alten Freund?

Das klang reichlich seltsam. Aber Seltsamkeiten war er schon gewohnt, bei seinen Detektivabenteuern mit Lord Huber.

Alle drei machten sich ans Lesen.

Minutenlang hörte man nur das Blättern und Rascheln von Zeitungsseiten, ab und zu seufzte Lord Huber oder Chefinspektor Grünberg kratzte sich nachdenklich am Kinn.


Einmal bellte Herr Jaromir laut, und sofort zückte Lord Huber die große Schere.

Nach einer Stunde lagen vier Artikel auf dem Tisch, die der Chefinspektor und Lord Huber aus verschiedenen Zeitungen ausgeschnitten hatten.

„Das ist unsere Beute!“, sagte Lord Huber zufrieden. „Immerhin. Ein Anfang. Also, was haben wir da alles?“

Er hielt seinen Stock über einen der kleinen Zeitungsausschnitte und klappte eine Lupe auf, die im Stock verborgen war.

„Ein Vorfall in England. Danke, mein lieber Jaromir! Das haben Sie genau richtig erkannt. Das hat mit unserem Fall zu tun.“

„Um welchen Diebstahl handelt es sich?“, fragte Chefinspektor Grünberg neugierig.

„Nun“, sagte Lord Huber feierlich. „Ein berühmter Kollege von uns wurde bestohlen. Leider kann er sich nicht selbst um die Aufklärung des Falls kümmern. Das müssen wir für ihn tun.“

„Wie meinen Sie das?“, fragte Chefinspektor Grünberg.

„In London ist eine Pfeife verschwunden“, sagte Lord Huber. „Aber es ist nicht irgendeine Pfeife. Es handelt sich um die Pfeife des einzigartigen, weltberühmten Detektivs Sherlock Holmes, der schon lange nicht mehr unter uns weilt. Aus dem Sherlock-Holmes-Museum in London, das an ihn und seine meisterhaften Fälle erinnert, wurde seine Pfeife gestohlen.“

„Die Pfeife von Sherlock Holmes – ein erstaunlicher Diebstahl“, überlegte der Chefinspektor.

„In der Tat“, sagte Lord Huber. „Es muss während der Besuchszeiten geschehen sein. Nichts sonst wurde entwendet. Es fehlt nur die Pfeife.“

„Für Sherlock-Holmes-Fans ist das sicher ein kostbares Stück, aber für Meisterdiebe?“ Chefinspektor Grünberg schien skeptisch zu sein. „Ob das wirklich mit der Nacht der Diebe zu tun hat?“

„Da bin ich mir ganz sicher“, sagte Lord Huber. „So wie dieser Diebstahl hier.“ Er hob einen kleinen Artikel hoch, der auf rosarotem Papier gedruckt war. „In einer italienischen Sportzeitung ist zu lesen, dass die Fußballschuhe von Francesco Totti gestohlen wurden.“

„Totti? Ist das der Spieler in Rom, der immer nur bei einem Verein gespielt hat? Und der inzwischen aufgehört hat?“

„Francesco Totti ist eine Legende“, sagte Lord Huber. „Er spielte in seiner ganzen Karriere als Fußballer nur für den AS Roma. Er wird in Rom und in ganz Italien von allen verehrt. Und jetzt wurden seine Schuhe gestohlen. Sie waren in einer Vitrine in seiner Lieblingspizzeria im römischen Viertel Trastevere ausgestellt. Er hatte sie der Pizzeria geschenkt. In einer Nacht wurde die Vitrine eingeschlagen – die Schuhe sind weg.“

„Nun ja. Es sind alte Fußballschuhe. Ist das wichtig?“, fragte Chefinspektor Grünberg.

„Und wie!“, rief Lord Huber. „Das erklärt vieles. Unsere Nacht der Diebe wird von jemandem organisiert, der Sherlock Holmes verehrt – und der Fußball liebt. Man wollte ihm – oder ihr – eine Freude machen.“

„Und er – oder sie – scheint den italienischen Fußball zu lieben“, dachte der Chefinspektor laut nach.

„Wer tut das nicht?“, fragte Lord Huber. „Aber es könnte eine erste Spur sein …“

„Bleiben noch zwei Diebstähle, die mir aufgefallen sind “, sagte Chefinspektor Grünberg. „In Dublin, in Irland, wurde aus dem Writer’s Museum, dem Museum der Schriftsteller, eine wertvolle Originalausgabe gestohlen, die erste Ausgabe des Buches Dracula des Schriftstellers Bram Stoker. Sie wissen schon, die Geschichte von diesem Grafen Dracula, der ein Vampir ist. Es gibt viele Filme über ihn. Auch in Dublin wurde in der Nacht eingebrochen. Die Alarmanlage im Museum wurde professionell ausgeschaltet. Das Buch ist weg, sonst wurde nichts angerührt.“

„Dann mag jemand auch Vampirgeschichten“, dachte Lord Huber laut nach. „Erstausgaben sind für Sammler etwas sehr Kostbares.“

Jaromir kam aus dem Staunen nicht heraus. Eine Pfeife, Fußballschuhe, ein altes Buch – er hatte bei der Nacht der Diebe eher an wertvolle Gemälde oder an königlichen Schmuck gedacht.

Chefinspektor Grünberg hob den vierten Zeitungsartikel hoch.

„Ein Diebstahl, der in den letzten Tagen gemeldet wurde, ist anders als die anderen“, sagte er. „Da ist etwas wirklich Wertvolles verschwunden, das viel Geld einbringt.“

„Sie meinen die Geschichte in Salzburg, habe ich recht?“, fragte Lord Huber.

Der Chefinspektor nickte. „Die Geige des weltberühmten Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart wurde gestohlen, und zwar aus dem Haus in Salzburg, in dem er gelebt hat und das jetzt ein Museum ist. Wieder ein Diebstahl in der Nacht, trotz Alarmanlage. Wir haben es also anscheinend auch mit einem Fan von Mozart zu tun. Jemand liebt seine Musik. Wobei diese besondere Geige überall in der Welt hohe Preise erzielt.“

„Wurde aus dem Mozart-Haus nicht noch etwas gestohlen?“, fragte Lord Huber. Seine Stimme klang aufgeregt.

„Ja, aber das steht hier nur am Rande. Es wurde auch ein Nachttopf mitgenommen. Es gab zwei Nachttöpfe im Hause Mozarts. Einer wurde gestohlen.“

„Ja, das waren noch andere Zeiten damals“, sinnierte Lord Huber. „Kerzen statt elektrischem Licht, Kutschen statt Autos – und Nachttöpfe statt einer Toilette mit Wasserspülung …“

Er klopfte mit seinem Stock auf den Tisch.

„Die Geige war ein großer Fehler“, sagte er. „Ich sage ja: Alle Diebe machen Fehler.“

Chefinspektor Grünberg und Herr Jaromir schauten einander ratlos an.

„Aber die Geige ist doch das einzig Kostbare, das bei allen Diebstählen verschwunden ist“, sagte der Chefinspektor.

„Eben.“ Lord Huber klopfte noch einmal auf den Tisch. „Die Geige war nicht geplant, nur der Nachttopf. Der Auftrag war, kleine Besonderheiten zu bringen, die nicht auffallen. Da bin ich mir sicher. Mozarts Geige fällt auf. Es steht groß in allen Zeitungen.“

Lord Huber lehnte sich zufrieden zurück.

„Sie hätten beim Nachttopf bleiben sollen. Jetzt haben wir eine Spur. Und diese Spur heißt Mozart!“

Der Stock in seiner Hand vibrierte.

„Ein Anruf“, sagte er entschuldigend und hielt den Stock ans Ohr.

Er hörte kurz zu, dann ließ er den Stock sinken.

„Wir wissen jetzt, wo die Nacht der Diebe stattfinden wird“, sagte er leise. „Morgen fahren wir los.“


Die Nacht der Diebe

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