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Drittes Kapitel

in dem eine rätselhafte Nachricht entschlüsselt wird, Lord Huber einen Stock kauft und ein Haus leuchtet und summt

„Kommt zum steinernen Buch!“

Lord Huber sah Chefinspektor Grünberg und Herrn Jaromir triumphierend an. „Das ist die Nachricht, die ich eben bekommen habe. Damit haben wir die Lösung! Das ist unser Ort!“

„Das soll eine Lösung sein?“, fragte Chefinspektor Grünberg. „Ich höre nur das Rätsel, aber wo ist die Lösung?“

Lord Huber tippte sich mit einem Zeigefinger an die rechte Schläfe. „Die Lösung ist hier drinnen, in meinem Kopf.“

„Dann wissen Sie, wo dieses mysteriöse steinerne Buch steht? Ist es in einer Bibliothek?“

„Es steht nicht. Es liegt“, sagte Lord Huber. „Und es befindet sich auch nicht in einer Bibliothek, sondern an einem der schönsten Plätze der Welt.“

Er zwinkerte Herrn Jaromir zu. „Es ist ein Ort, den mein Freund, Herr Jaromir, über alles liebt.“

„Dann muss es sich um einen Ort am Meer handeln“, sagte Herr Jaromir. „Ich liebe das Meer über alles. Das große Blau! Es gibt nichts Schöneres.“

„Dann findet die Nacht der Diebe am Meer statt?“, fragte Chefinspektor Grünberg. Seine Stimme war heiser geworden. „Aber – dort habe ich keine Befugnisse“, sagte er traurig. „Ich werde nicht mitkommen können. Ans Meer darf ich höchstens als Tourist fahren.“

„Auch wir werden als Touristen ans Meer fahren“, sagte Lord Huber. „Aber ich würde Sie bitten, dass wir telefonisch in Kontakt bleiben. Es könnte sein, dass ich Ihre Hilfe brauche.“

„Selbstverständlich“, sagte Chefinspektor Grünberg. „Aber – nun sagen Sie schon! Wo ist dieses steinerne Buch? Und – was steht in diesem Buch?“

Lord Huber räusperte sich.

„Nun, das steinerne Buch befindet sich in der schönen Stadt Caorle in Italien, unweit von Venedig. Ich habe Caorle schon einmal besucht. Ich habe mit Ferdinand, meinem Freund von Scotland Yard, einen Mann beobachtet, der dort Urlaub gemacht hat. Er war ein berühmter Kunstfälscher. Wir konnten ihn schließlich überführen. Er wollte gerade ein gefälschtes Bild verkaufen.“

„Dann kommt der Hinweis von Ferdinand“, sagte Herr Jaromir. „Ich habe es mir fast schon gedacht.“

„Ja, Ferdinand ist immer zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Das war auch schon bei unseren anderen Fällen so. Ferdinand beobachtet seit Monaten ein italienisches Brüderpaar. Beide Brüder stehen im Verdacht, zwei Meisterdiebe zu sein. Nun sind sie auf Urlaub in Caorle. Und Ferdinand hat auch noch zwei andere Diebe in der Stadt gesehen, die international gesucht werden. Das dürfte kein Zufall sein.“

„Vier Diebe machen gleichzeitig Urlaub an einem Ort – das klingt durchaus verdächtig“, sagte Chefinspektor Grünberg. „Und was hat es mit diesem steinernen Buch auf sich?“

„Mein Freund Ferdinand liebt Rätsel. In Caorle gibt es seit vielen Jahren eine Kunstaktion. Große Felsbrocken, die entlang der Meerespromenade aufgeschichtet wurden, dürfen von Künstlerinnen und Künstlern bearbeitet und gestaltet werden. In den vergangenen Jahren sind viele Kunstwerke aus Stein entstanden, die man sich beim Spazierengehen in Ruhe anschauen kann. Eine Ausstellung am Meer, die immer geöffnet ist! Auf einem dieser Steine liegt ein steinernes Buch, gestaltet von einem Bildhauer. Die Seiten sind aufgeschlagen, aber man kann keinen Text lesen. Ferdinand liebt dieses verwitterte Buch aus Stein. Es war unser Treffpunkt, damals, in Caorle. Das ist einige Jahre her.“

„Jetzt dürfte Ihr Freund wieder vor Ort sein“, sagte Chefinspektor Grünberg. „Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen ein altes Dienstfahrzeug der Polizei zur Verfügung stellen. Wir verwenden es als Reserveauto. Es sieht ganz und gar unverdächtig aus. Genau das Richtige für zwei Touristen, die ans Meer fahren.“

„Das Angebot nehmen wir gerne an“, sagte Lord Huber. „Aber vorher muss ich mir noch einen zweiten Stock kaufen. Er könnte mir noch nützlich sein. Man kann nie wissen.“

Minuten später spazierten Lord Huber und Herr Jaromir zurück zum Hotel. Sie mussten quer durch die Stadt und genossen den Trubel in der Innenstadt.

In vielen Straßencafés saßen junge Leute, ein Musiker stand in einer Hauseinfahrt und spielte auf einem Saxofon.

„Ich würde gerne mehr Zeit in Graz verbringen“, sagte Lord Huber. „Sobald der Fall gelöst ist, sollten wir hier Urlaub machen. Was halten Sie davon, mein Freund?“

Herr Jaromir bellte dreimal laut und kurz.

Und das hieß dreimal Ja!

Es war langsam Abend geworden.

„Da vorne ist ein altes Geschäft, genau das Richtige für Herren wie mich. Vielleicht bekomme ich hier einen zweiten Stock“, sagte Lord Huber. „Wollen Sie hier auf mich warten?“

Er betrat das Geschäft; beim Öffnen der Tür hörte man eine Glocke bimmeln.

Herr Jaromir staunte über die Auslage. Alte Hüte lagen auf vergilbten Seidentüchern, ein paar Regenschirme waren aufgespannt, einige Gehstöcke lehnten in einer Ecke – das Geschäft hatte wohl schon bessere Zeiten gesehen.


Herr Jaromir kam ins Grübeln.

Wozu brauchte Lord Huber einen zweiten Stock?

Was hatte er vor? Hatte er schon einen Plan für die Nacht der Diebe?

„Ich werde meine Augen und Ohren gut offen halten“, sagte Herr Jaromir zu sich. „Auch ein Meisterdetektiv wie Lord Huber kann Unterstützung brauchen. Sherlock Holmes hatte schließlich auch immer seinen Freund, Dr. Watson, an seiner Seite …“

Lord Huber kam mit einem kleinen Päckchen aus dem Geschäft. Wo war der neue Stock?

„Haben Sie etwas Passendes gefunden?“, fragte Herr Jaromir neugierig.

„Ich bin zufrieden“, sagte Lord Huber. „Ich hoffe, dass alles funktioniert.“

Mehr war ihm nicht zu entlocken.

Herr Jaromir wollte gerade nachfragen, da wurde er von einem Haus abgelenkt, das wie ein leuchtendes Raumschiff aussah. Buchstaben flimmerten über die Wände, die immerzu ihre Farben änderten.

„Das ist das Kunsthaus“, sagte Lord Huber, der Herrn Jaromirs erstaunten Blick bemerkt hatte. „Hier gibt es oft Ausstellungen. Der Architekt nennt das Haus friendly alien, einen freundlichen Außerirdischen, der hier in Graz gelandet ist. Der Bau ist faszinierend. Das Haus kann nicht nur leuchten – es summt und brummt auch, wenn man daran vorbeigeht.“

Herr Jaromir lief los. Das wollte er hören! So schnell er konnte, rannte er zum leuchtenden Haus.

Und tatsächlich – kaum stand er vor dem ungewöhnlichen Bau, hörte er auch schon ein freundliches Summen und Brummen.

„Das gefällt mir“, sagte Herr Jaromir. „That’s great! Schade, dass alle anderen Häuser so stumm sind. Die hätten sicher auch viel zu erzählen. Und sie könnten uns manchmal etwas vorsingen.“

„Eine schöne Vorstellung“, sage Lord Huber. „Dann könnte uns heute unser Hotel in den Schlaf singen. Da vorne sind wir schon. Es wird Zeit fürs Bett. Wir müssen morgen früh los.“

„Morgen wird uns jedenfalls bestimmt jemand in den Schlaf singen“, sagte Herr Jaromir. „Darauf freue ich mich schon.“

„Wen meinen Sie?“, fragte Lord Huber.

„Das Meer“, sagte Herr Jaromir und bellte vor Vorfreude so laut, dass sich die Leute auf der Straße erstaunt nach ihm umdrehten.

Die Nacht der Diebe

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