Читать книгу Mein guter Feind Goethe. Die geheimen Memoiren des Grafen Alexandre de Cagliostro - Heinz-Joachim Simon - Страница 8

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1 – Wie Goethe zu meinem Feind wurde

Ich wohnte damals in einem hübschen kleinen Palais am Gendarmenmarkt zu Berlin. Die Glocken der nahen Nikolaikirche mahnten mich, der Uhrzeit zu gedenken. Ich war zur Soiree der Gräfin Voß eingeladen. Mein Diener kam herein und überreichte mir einen Brief. Lorenza, meine schöne Gemahlin, rief mir aus dem Schlafzimmer zu, dass sie noch nicht zum Aufbruch bereit sei, da sich ihr Haar immer noch nicht »à la Antoinette« auftürmen ließ.

»Lorenza, Lorenza, schaffen wir es einmal, einigermaßen pünktlich zu sein?«, konnte ich mir nicht verkneifen.

»Du willst doch, dass ich schön bin«, gab sie zurück.

Natürlich wollte ich das. Ich war stolz auf Lorenza. Es gibt genug Bilder von mir, sogar eine Marmorbüste, die zeigen, dass ich hässlich bin. Ich habe einen kompakten, unschönen Körper, breite Schultern, ein schweres Gesicht, das von Blatternarben verunstaltet ist, aber dafür habe ich Augen, die die Frauen schwach werden lassen. Kurz: Meine Schönheit ist nicht der Grund, warum mich Frauen umschwärmen. Ich vermag, in ihre Köpfe einzudringen und selbst die schönste und hochmütigste in mich verliebt zu machen. Aber ich hütete mich davor, dies oft zu tun, denn Lorenza konnte darauf sehr hysterisch reagieren.

Wir würden also wieder einmal zu spät kommen, und ich fügte mich meinem Schicksal. Weil ich mir das Warten angenehm gestalten wollte, öffnete ich den Brief. Er war von Johann Caspar Lavater, einem Pfarrer in Basel, Schriftsteller und Philosoph zugleich, mit einem Ruf wie Donnerhall. Ein berühmter Mann, auf dessen Wertschätzung und Bewunderung ich stolz war. Ich gab sehr viel auf seine Meinung, mehr als auf die von Königen und Prinzen, die oft strohdumm auf mich einschwatzten. Er war jemand, mit dem ich mich auf Augenhöhe unterhalten konnte. Er schrieb mir, dass das Elixier, das ich ihm empfohlen hatte, gut angeschlagen habe und er sich fast zehn Jahre jünger fühle. Die Mixtur des Althotas hatte also auch bei ihm ihre Wirkung nicht verfehlt. Von Althotas wird noch öfter zu berichten sein. Er war mein Freund und Lehrer. Er lehrte mich die Heilkunst und anderes, was man zu den magischen Künsten zählt. Was Lavater auch noch schrieb, bekümmerte mich sehr. Er sei betrübt darüber, dass sein Freund, der große Goethe, mich einen Scharlatan nenne. Auch noch andere herabsetzende Worte habe er ihm über mich geschrieben. Warum beleidigte er mich? Ich hielt zwar seinen Werther für ein Rührstück, aber sein Götz hatte mir gefallen. Was für eine Sprache! Manchmal ein bisschen derb, zugegeben, aber der Kerl in dem Stück lebte. Gut, Goethe war kein Shakespeare, aber ich schätzte ihn höher ein als Kotzebue und Iffland. Ich war Goethe bis dahin nie begegnet. Warum maßte er sich ein solch vernichtendes Urteil über mich an? Was erlaubte sich diese Hofschranze des Herzogs von Weimar?

An diesem regnerischen Tag in Berlin – der Wind aus dem Osten fegte durch die Straßen – begann das, was meine Feindfreundschaft mit Goethe begründete.

Endlich war Lorenza fertig. Sie hatte für den Besuch des Voß’schen Salons ein türkisfarbenes Kleid gewählt und sah allerliebst aus. Der kleine Schönheitsfleck neben dem rechten Mundwinkel forderte mich heraus, sie zu küssen. Oh ja, ich liebte meine Lorenza von ganzem Herzen. In Freimaurerkreisen stellte ich sie als Seraphina vor, was an Serail, wollüstige Tänze und die Wüsten des Orients denken ließ. Sie machte auf Männer einen unwiderstehlichen Eindruck. Sie reichte mir zwar nur bis zur Schulter, hatte aber einen Wespentaille, eine bezaubernde Büste, blaue Augen und eine Pfirsichhaut, ein zierliches Näschen und einen Kussmund. Ihre Zähne reihten sich wie an einer Perlenkette. Immer wieder hörte ich, dass Männer sie die schönste Frau nannten, die ihnen je begegnet sei.

»Was machst du für ein grimmiges Gesicht, Lieber?«, fragte sie.

Ich reichte ihr den Brief. Sie runzelte die Stirn. Es dauerte ein wenig, bis sie reagierte. Lesen war nicht ganz ihre Stärke. Ich zeigte ihr den Goethe-Passus.

»Was? Dieser Goethe nennt dich einen Scharlatan? Wer ist dieser Mensch überhaupt?«

Ich sagte es ihr.

»Manche halten ihn für den größten deutschen Dichter. Man erwartet noch viel Großes von ihm.«

Lorenza kannte jedes Duftwässerchen, jede Salbe oder Tinktur, die ihr die Schönheit erhalten konnte, aber in der Welt der Dichter war sie nicht gerade bewandert.

»So? Dieser Mann hat den Schmachtfetzen Werthers Leiden geschrieben? Gelesen habe ich den Roman ja nicht, aber was ich gehört habe, reicht mir schon. Die Geschichte endet mit einem Selbstmord, nicht wahr? Und wegen dem regst du dich auf? Gut, es ist betrüblich, dass Goethe schlecht von dir spricht. Aber wer ist schon Goethe? Aber jetzt sollten wir uns zur Voß’schen aufmachen, sonst verspäten wir uns über Gebühr, und der Kronprinz ist wieder ungehalten über dich und spricht verächtlich von der Unzuverlässigkeit der Welschen.«

Dies bedarf einer Erläuterung. Julia Amalie, Elisabeth von Ingelheim, Gräfin Voß, war die zu »linker Hand« angetraute Frau des Kronprinzen Friedrich Wilhelm II. Er hatte zwar auch eine richtig angetraute Ehefrau, aber die war langweilig und zeigte sich selten in der Öffentlichkeit, und das war auch gut so. Sie war dumm, fett und eingebildet und manchmal vulgär laut. Kein Wunder, dass der Kronprinz was zum Herzen brauchte. Und dafür war die Voß genau die Richtige. Mit Friedrich Wilhelm war kein Staat zu machen, wie man so sagt. Er hatte nichts von seinem Onkel, Friedrich dem Großen. Dieser verachtete seinen Neffen. Dass ihm Krieg und Ruhm höchst gleichgültig waren, gehörte noch zu seinen angenehmen Charaktereigenschaften. Er war faul und gefräßig und liebte das Kosen ein bisschen zu sehr. Ihn korpulent zu nennen, wäre eine Untertreibung. Um aufs Pferd zu kommen, mussten ihm drei Diener helfen. Ich mochte ihn nicht, weil er dumm war. Eine höchst fatale Eigenschaft für einen König. Ich fand für ihn einfach kein Gesprächsthema, das ihn interessierte. Und Religion, über die er leidlich Bescheid wusste, interessierte mich nicht. Außerdem sah er mir nie direkt in die Augen. Selbst wenn ich ihm sagte, dass ich Marc Anton gewarnt hatte, sich mit Kleopatra einzulassen, sagte er nur: »Ja, richtig. Ich habe auch gehört, dass die in schlüpfrige Geschichten verwickelt war. Könnt Ihr sie nicht mal nach Berlin einladen?«

Als ich ihm von Helena und dem Trojanischen Krieg erzählte, entblödete er sich nicht zu behaupten, dass sie ihm in Dresden vorgestellt worden sei, aber auf ihn keinen großen Eindruck gemacht hätte.

Das Haus der Voß lag gleich neben der Oper und war in dem in Mode gekommenen neuklassizistischen Stil gebaut. Als der Haushofmeister uns ankündigte, wurde es still. Ich hatte meinen silbernen Rock mit entsprechendem Beinkleid angezogen. Mein Haar war weiß gepudert, jedoch trug ich keine Perücke. Da ich stets auf Reinlichkeit achtete, hatte ich auch keine Läuse. Die Frauen starrten mich an, die Männer verschlangen Lorenza mit ihren Augen.

Ich eilte zur Voß, schließlich war sie die Gastgeberin, und küsste ihr die Hand und schmeichelte ihrer Eitelkeit, indem ich ihr zuflüsterte, dass ich mich schon den ganzen Tag auf ihren Anblick gefreut hätte.

»Hätte Botticelli doch Ihre Hoheit als Modell für seine Venus gehabt!«

»Wer ist dieser Botticelli? Muss man ihn kennen?«

So viel über die Bildung am preußischen Hof.

»Nicht unbedingt. Ein Pinselquäler, unglücklich, weil er nicht das Vergnügen hatte, Euch zu begegnen.«

»Ihr seid ein genau so großer Schmeichler wie Casanova.«

Ich hörte den Namen dieses Venezianers höchst ungern. Ich hatte nichts mit diesem Triebmenschen gemein. Obgleich er auch Italiener war und höchst galant sein konnte, so lagen zwischen uns doch Welten.

Lorenza kümmerte sich derweil um den Kronprinzen, war vor ihm gekonnt zu einem Hofknicks zusammengesunken, sodass er ihre Büste bewundern konnte. Ein Anblick, dem er mit verträumten Augen huldigte. Er ließ sich Zeit, ehe er ihre Hand ergriff und sie langsam aufrichtete. Die Voß lachte dazu anzüglich.

Es war eine kleine Soiree, und ich war dazu eingeladen worden, weil ich das Tagesgespräch von Berlin war. Die Zeitungen hatten über meine magischen Fähigkeiten und Wunderheilungen berichtet. In diesem armseligen Nest in Brandenburg gab es ja wenig Aufregung und Ablenkung, und mein Erscheinen war natürlich eine hervorragende Gelegenheit, sich schaurigen Geschichten hinzugeben und sich über die Frage zu erregen, wer nun dieser geheimnisvolle Graf de Cagliostro wirklich war.

Die Freimaurerloge hatte mich nach Berlin eingeladen und um einen Rat gebeten, ob man die Ränge innerhalb der Loge erweitern dürfe. Ich habe ihnen natürlich zugeraten, bedeutete es doch höhere Einnahmen für die Kasse. Bei dieser Gelegenheit, bei der Beratung, wie viele Meister und Gesellen die Loge haben dürfe, hatte ich auch den Kronprinzen kennengelernt. Er bat mich darum, ihm etwas über seine Zukunft weiszusagen. Ich sagte ihm viel Angenehmes und prophezeite seine baldige Thronbesteigung und warnte ihn, je an einem Feldzug gegen Frankreich teilzunehmen. Er wunderte sich gewaltig darüber.

»Warum sollte ich gegen Frankreich marschieren? So etwas würde ich ohnehin den Österreichern überlassen.«

»Das zeigt die Klugheit Eurer Majestät.«

Die Kanonade von Valmy hat 1792 bewiesen, dass meine Prophezeiung nicht so utopisch war, wie sie sich damals anhörte.

Die Voß schlug, nach einem Menuettspieler und einer Sängerin, die meine Ohren malträtiert hatten, ein Kartenspiel vor. Mit den Gesangskünsten der italienischen Oper hatte diese Dame nichts gemein. Ich war gern zum Kartenspiel bereit, denn um meinem Ruhm, sehr reich zu sein, gerecht zu werden, besserte ich unsere Einkünfte mit Kartenspiel auf.

Sie lud mich ein, am Tisch des Kronprinzen Platz zu nehmen, und es gelang mir, diesen Amateuren Geld im Wert eines Palais abzunehmen. Ich brauchte nicht einmal falsch zu spielen.

»Gegen einen Magier Karten zu spielen, ist auch eine Dummheit«, brummte Friedrich Wilhelm säuerlich und warf seine Karten ärgerlich auf den Tisch.

»Mir ist so langweilig«, klagte die Voß ihrem morganatisch angetrauten Ehegemahl.

»Tja, was soll man machen. Es ist ja keine Ballsaison.«

»In Versailles und in der Hofburg zu Wien feiern sie auch außerhalb der Saison rauschende Feste. Jeden Tag gibt es Opern oder Theatervorführungen.«

Das war zwar nicht wahr, aber ich beschloss, diese Bemerkung zu nutzen. Lavater hatte mir einmal geschrieben, dass Goethe Berlin nicht leiden könne. Er habe die Bewohner als vorlaut und frech und den Hof als dumm und langweilig empfunden. Ich würde dafür sorgen, dass er sich hier klein und verloren vorkommen würde. Der typische Berliner Ostwind würde ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen. Ich stellte mir vor, wie er zusammengekrümmt unter den Linden gegen den Sturm ankämpfte und die Berliner ihm mit ihrer »Kodderschnauze« zuriefen: »Na, Alterchen, wer kämpft hier so ungern gegen Regen und Wind?«

»Es ist jammerschade, dass Ihr hier in Berlin nicht einen Goethe habt, der Eurer Hoheit Theater leitet.«

»Goethe!«, rief die Voß erfreut aus. »Der könnte uns tatsächlich die Tage verschönern. Er könnte Werthers Leiden für die Bühne inszenieren. Eine tolle Idee! Goethe! Ich liebe ihn.«

Friedrich Wilhelms Miene verdüsterte sich. »Goethe? Mmh!«, brachte er nur heraus.

»Er bringt die Stücke von Kotzebue immer sehr interessant auf die Bühne«, lobte ich den Lieblingsdichter der deutschen Jugend.

»Ich könnte zweimal in der Woche ins Theater gehen. Oh ja, Friedrich Wilhelm, schenk mir Goethe. Er würde Kultur nach Berlin bringen. Das würde auch den Ruf deines Königreichs mehren.«

»Er ist zwar nicht ganz billig zu haben«, räumte ich ein. »Der Herzog von Weimar verwöhnt ihn sehr. Aber dafür spricht man in ganz Deutschland über Weimar.«

»Hast du gehört, Friedrich Wilhelm? So einer wie Goethe fehlt uns hier.«

Der Kronprinz wiegte den Kopf. Er war nicht dafür bekannt, oft ein Theater besucht zu haben. Allenfalls Opern interessierten ihn, wenn auch mehr wegen der Sängerinnen.

»Er ist nun mal nicht verfügbar. Er wird von Herzog Karl August sehr geschätzt. Der Herzog hat ihn sogar zum Geheimen Rat ernannt, und Goethe berät den Fürsten in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten. Auch privat sollen sie sich nahestehen. Man spricht davon, dass sie so manchen Streich und manches Bubenstück mit den Bauern getrieben haben. Nein, da wird nichts zu machen sein.«

Mittlerweile hatte man auch an den anderen Tischen zu spielen aufgehört. Neugierig sah man herüber, ob sich die Voß auch diesmal durchsetzen würde. Die Gräfin seufzte.

»Friedrich, du bist Kronprinz und Karl August nur ein Herzog. Du brauchst ihn doch nur zu bitten, dass er den Goethe nach Berlin schicken soll.«

Friedrich Wilhelm warf mir einen erbitterten Blick zu. Beinahe hätte er auf die Tischplatte gehauen. Im letzten Moment, nach einem scheuen Blick auf die Voß, ließ er die fleischige Hand nur sachte auf die Platte gleiten.

»Der Goethe wird sich dagegen wehren. Er liebt Berlin nicht«, tat ich mitfühlend und Unverständnis heuchelnd.

»Was? Er mag Berlin nicht? Was hat er gegen Berlin?«, fuhr der Kronprinz auf und sah entrüstet um sich.

Lorenza hatte begriffen, dass ich es dem Goethe heimzahlen wollte.

»Er soll sich sehr respektlos über Berlin geäußert haben«, vergrößerte sie den Unmut des künftigen Königs.

»Umso wichtiger ist es, ihn herzuholen, damit er sich überzeugt, wie schön unser Berlin ist«, trumpfte die Voß auf.

»Er ist eine Mode, mit der Herzog Karl August sein langweiliges Nest aufpoliert«, warf ich ein. »Er zahlt ihm dafür ein Ministergehalt.«

»Wir könnten ihm zwei Ministergehälter zahlen, nicht wahr, Friedrich Wilhelm?«

Der Kronprinz wand sich, als säße er in einem Schraubstock fest.

»Nun ja, du weißt doch, wie es um die Staatskasse steht. Wir in Preußen werfen unser Geld nicht für einen Verseschmied aus dem Fenster!«

»Ach, ich sehne mich nach mehr Kurzweil. Tu es für mich!«, bettelte die Voß. »Goethe in Berlin! Dann könnte niemand mehr sagen, dass man bei uns nur die Korporalssprache kennt.«

»Karl August ist nicht nur Fürst, sondern auch preußischer General. Ich kann ihm den Tort nicht antun, ihm sein liebstes Spielzeug wegzunehmen. Das geht wirklich nicht, Teuerste!«

»Fällt dem Magier nichts ein?«, wandte sich die Voß an mich.

Friedrich Wilhelms Blick warnte mich, es nicht zu weit zu treiben. Wehe, wenn dir etwas einfällt, sagten seine Augen. Mein Zuckerpüppchen kam mir zu Hilfe.

»Leiht Euch den Goethe doch für eine Saison aus. Wenn er dann gemerkt hat, wie interessant es ist, Berlin mit gutem Theater zu beglücken, wird er selbst dem Herzog zureden, ihn hier zu belassen.«

»Wie? Was? Ausleihen?«, fragte der dicke Friedrich Wilhelm verwirrt.

»Aber ja. Das ist die Lösung!«, freute sich die Voß. »Schreib dem Herzog, dass du den guten Berlinern etwas bieten möchtest, und er die Gnade hat, dir dabei behilflich zu sein, indem er dir den Goethe eine Saison lang als Intendant leiht. Es wird ihm eine Ehre sein.«

»Ich weiß nicht«, gab sich Friedrich Wilhelm noch immer unentschlossen, obwohl er und auch alle anderen wussten, dass er nun nachgeben würde.

»Es geht doch nicht an, dass ein kleiner Herzog mehr zu bieten hat als der preußische Hof«, trumpfte die Voß auf und sah Beifall heischend um sich. Und alle stimmten ihr zu.

»Ja doch. Vielleicht wird es so gehen. Ich werde morgen einen Brief an Karl August diktieren.«

»Du bist herrlich, Friedrich Wilhelm. Einfach göttlich!«, jubelte die Voß, und nun war auch der Kronprinz wieder guter Laune.

»Wir wollen die Stunde nutzen, dass wir einen Magier in unserem schönen Berlin haben. Er soll uns die Zukunft voraussagen.«

Ich hob mahnend die Hand. »Dazu brauche ich ein unschuldiges Kind, das noch nie gesündigt, nie gelogen hat«, versuchte ich, den Wunsch elegant abzubiegen. Aber ein Blick des Kronprinzen sagte mir, dass es ein Befehl war.

»Cagliostro, ziere Er sich nicht! Er hat die Gräfin gehört.«

Lorenza warf mir einen fragenden Blick zu. Wie kam ich aus dieser Klemme heraus? Ich musste mich auf mein Improvisationstalent verlassen.

»Zur Séance brauche ich einen abgedunkelten Raum. Es können nicht mehr als acht Personen daran teilnehmen.«

Ich sah mich bei den Frauen um. Eine etwas ätherisch aussehende Baronin mit einem scheuen Blick und einem spitzen Gesicht konnte ich mir als Medium vorstellen. Ihre an den Schläfen blau hervortretenden Adern sagten mir genug über die Sensibilität der Baronin Lindow. Nun war es wichtig, eine gute Show zu bieten, wie die Engländer so sagten. Wir gingen in ein Nebenzimmer. Die Diener verhängten die Fenster. Der Kronprinz, die Voß und ein paar erlebnishungrige Damen nahmen an dem runden Tisch Platz. Allen Teilnehmern befahl ich, sich an den Händen zu halten. Ich schloss die Augen, presste beide Fäuste gegen meine Schläfen und konzentrierte mich auf die Baronin Lindow, riss die Augen wieder auf und bat die Lindow, in der Mitte Platz zu nehmen.

»Wer ist diese außergewöhnliche Frau?«, fragte ich schwer atmend.

»Meine Cousine Elisabeth. Sie ist erst seit Kurzem in Berlin«, flüsterte die Voß. »Sie wird uns die Zukunft voraussagen.«

Die Cousine erschauerte und hob abwehrend die Hände. Aber mein Blick machte sie gefügig.

»Kein Wort! Lasst Euch gehen. Überlasst mir Eure Gedanken. Ganz ruhig durchatmen.« Ich legte der Lindow die Hand auf die Stirn und schlug ein Kreuz. »Der Heilige Geist sei mit uns.«

Ihr Zittern legte sich, ihre Brust hob und senkte sich nun ruhig.

»Ich bin der Gefährte des Althotas. Seit dem Anfang der Zeit wandere ich durch die Jahrtausende. Ich bin die Wahrheit und das Licht. Sprecht mir nach: Ich bin dein Gefäß, Cagliostro, und gehorche dir.«

Sie tat, was ich ihr befohlen hatte.

»Elisabeth von Lindow, wo bist du jetzt?«

Der Atem der Anwesenden ging schneller.

»Ich bin in einer Höhle aus Kristall und blicke auf eine Ebene hinunter.«

»Du bist auf dem Berg, über den einst Alexander zog.« Ich schnipste mit den Fingern. »Wo bist du jetzt?«

»Ich schwebe über einem mächtigen Gebirge.«

»Unter dir liegt Kaschmir, das Reich des Yuz Asaf, der das größte Geheimnis der Menschheit verkörpert. Du wirst in seiner Gnade wandeln, wenn du mir antwortest.«

»Du bist mein Herr und Meister!«, hauchte sie. Eine Stimme, so flüchtig wie eine Eisblume am Fenster.

»Dann sage mir: Wird Friedrich Wilhelm von Preußen ein großer König sein?«

»Er wird sein Reich mehren!«

»Wird er viele Schlachten schlagen?«

»Er soll dabei bleiben, die Schlachten auf anderem Feld zu schlagen!«

»Wird die Gräfin Voß demnächst ein Kind gebären?«

»Wenn die Linden wieder die Blätter verlieren.«

»Wird Minister von Babelstein lange Minister bleiben?«

»Bis zu seinem Tod.«

»Wann wird das sein?«

»Bevor das Volk der Franzosen Berlin besucht.«

»Was sagt Althotas über den Grafen Cagliostro?«

»Er wird ein Reich vernichten. Er kennt den Anfang und das Ende. Er weiß, was Heraklit dem Fluss anvertraute. Wehe den Mächtigen, wehe! Die Zeit wendet sich durch seinen Willen.«

Ich sah Schweiß auf ihrer Stirn. Ein Gefäß zerspringt, wenn man es übermäßig beansprucht.

»Kehre zurück, Elisabeth von Lindow! Deine Arbeit ist getan!«

Sie öffnete die Augen, taumelte, und das letzte Wort des Althotas entfloh ihrem Mund: »Kyrie Eleison.«

Ich ging zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Die Hände am runden Tisch lösten sich. Alle starrten eine Weile stumm und starr vor sich hin.

»Was hast du gesehen?«, fragte die Voß ihre Cousine.

»Ich weiß … nicht.« Sie drückte die Hände an ihre Schläfen und sah mich furchtsam an. Ich nickte ihr beruhigend zu.

»Es ist alles in Ordnung. Ich habe Euch nur in mein Reich geführt. Durch Euren Mund hat Althotas zu uns gesprochen.«

»Dann werde ich ein großer König sein«, freute sich Friedrich Wilhelm.

Ich widersprach ihm nicht. Aber davon hatte Baronin Lindow nichts gesagt.

»Es war außerordentlich, ganz außerordentlich«, lobte die Voß. »Es war doch eine gute Idee, den Grafen einzuladen«, lobte sie sich selbst.

Auch der Kronprinz war mir wieder gewogen. Er rieb sich vergnügt die Hände.

»Ich werde mein Reich mehren, eh? Schade, dass er keine Gebiete genannt hat. Wirklich schade.« Er war so dumm wie die Grenadiere des Alten Fritz.

Wir gingen in den Salon zurück. Ich war froh, dass die Sache so gut gelaufen war.

»Du warst wie immer göttlich«, flüsterte mir Lorenza zu.

Die Teilnehmer der Séance berichteten den anderen aufgeregt, was die Baronin vorausgesagt hatte. Mit furchtsamen oder ehrfurchtsvollen Augen sah man zu mir herüber. Die skeptischen Berliner waren nun überzeugt, dass hinter mir Kräfte standen, die sie mit ihrem Verstand nicht erfassen konnten. Ich hatte mein Ziel erreicht. Die Voß drückte meinen Arm.

»Ich werde dem Kronprinzen einen Sohn schenken?«

»Ein Kind. So sagte es Althotas.«

»Ich werde Euch ewig dankbar sein.« Die Stimme der Voß versagte, und sie drückte erneut meinen Arm. »Ewig!«, wiederholte sie.

Als wir uns verabschieden wollten, schob sich Minister von Babelstein an mich heran. »Auf ein Wort, Graf Cagliostro.« Er führte mich etwas abseits. Lorenza machte ein besorgtes Gesicht.

»Wie war das gemeint, dass Franzosen uns besuchen?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Daraus müsst Ihr Euch selbst einen Reim machen. Althotas sprach aus dem Medium.«

Babelstein lehnte sich an einen Tisch, tauchte einen Finger in ein Weinglas und zeichnete auf der Platte ein Dreieck mit einem Auge.

»Ich bin Meister der Amalia-Loge in Berlin«, stellte er sich vor. »Hütet Euch vor den Berliner Illuminaten.«

Die Berliner Illuminaten waren mir anfangs sehr gewogen gewesen, hatten mich als einen Meister begrüßt. In letzter Zeit hatten sie mich jedoch als Konkurrenz begriffen, da immer mehr ihrer Anhänger in meine »Loge nach ägyptischem Ritus« eingetreten waren.

»Die Illuminaten bekamen Nachrichten aus London. Stimmt es, dass Ihr auch Frauen in Eure Loge aufnehmt?«

»Der Großkophta spricht: Alle Menschen gehören zu meinen Schafen.«

»Schön, schön! Aber das trifft doch nicht auf Frauen zu. Sie sind Blutende. Das macht sie unrein.«

Was für ein Dummkopf! Die geheimen Symbole der Freimaurerei zu kennen, machte nun mal aus einem dummen Menschen keinen Aristoteles.

»Wer den Wandel nicht erkennt, wird der Wandlung unterworfen.«

»Das meint Ihr?«, fragte er ratlos. Ich zuckte mit den Achseln.

»Lasst Euch sagen, dass ein Todesbefehl gegen Euch ergangen ist«, flüsterte er.

Dass die Illuminaten so weit gehen würden, hatte ich nicht erwartet. Diese Warnung war ernst zu nehmen.

»Das werden sie nicht wagen«, sagte ich wider besseres Wissen.

»Sie nennen Euch einen Scharlatan, Cagliostro!«, stieß er hervor. »Auch wir bekamen Briefe aus Mitau, die Euch einen Betrüger nennen. Wir wollen keinen Ärger in Preußen. Es wäre uns sehr genehm, wenn Ihr Preußen bald verlassen würdet.«

Es war ein höflicher, aber doch unmissverständlicher Rausschmiss.

»Weiß der Kronprinz von Eurem Wunsch?«

»Mir untersteht die Polizei. Begreift doch! Es ist zu Eurem Besten. Ich kann Eure Sicherheit nicht mehr garantieren.«

»Mich wollte schon Kambyses den Göttern opfern. Caligula befahl meine Ermordung, Tamerlan wollte aus meinem Totenkopf trinken. Suleiman schickte mir eine seidene Schnur, um mich mit ihr aufzuhängen. Und doch gibt es immer noch den Grafen de Cagliostro, den lebenden Großkophta.«

Babelstein trat einen Schritt zurück. Nicht nur meine Worte, sondern auch mein Tonfall machten ihn betroffen.

»Ich habe Euch gewarnt. Der Mann mit der Sense schaut Euch bereits über die Schulter.« Er verbeugte sich kurz und zog sich zurück. Wenn er jetzt zum Kronprinzen gegangen wäre, hätte ich gewusst, dass dieser vom Wunsch seines Polizeiministers wusste, aber er ging zur Baronin Lindow.

»Was wollte er?«, fragte Lorenza besorgt.

»Er warnte mich vor den Illuminaten.«

»Dabei haben die dich vor Kurzem noch mit allen Ehren empfangen.«

»Ja, da wussten sie nicht, dass meine Wahrheit unwiderstehlich ist.«

»Werden sie dir etwas tun?«

»Nein. Dazu haben sie zu viel Angst vor mir«, versuchte ich, sie zu beruhigen.

Auf dem Rückweg zum Gendarmenmarkt, wo mir der Großmeister der Berliner Freimaurerloge ein Palais zur Verfügung gestellt hatte, wurde die Kutsche plötzlich angehalten. Ich sah aus dem Fenster. Fünf Männer mit Degen in den Händen versperrten uns den Weg. Der Mietkutscher sprang vom Bock und suchte das Weite. Ich stieg aus der Kutsche und sah mir die vermummten Männer etwas genauer an. Angst hatte ich nie in solchen Situationen. Ihre Kleidung war viel zu elegant, um sie für Strauchdiebe zu halten. Sie hatten keine Rapiere, sondern Degen mit verzierten Degenkörben. Ich griff in die Kutsche und holte mein Rapier heraus. Es war kein Spielzeug, sondern sowohl Stoß- als auch Hiebwaffe. Die Klinge war zwei Finger breit und zweimal so lang wie mein Arm.

»Meine Herren, was kann ich für Sie tun?«, fragte ich und stellte mich in Fechtposition.

»Wir wollen dir beibringen, dass man uns Berliner nicht verscheißern kann! Deine Zauberkunststücke verfangen bei uns nicht. Du solltest uns schnellstens von deinem Gestank befreien.«

Lorenza stieg nun auch aus der Kutsche. Sie hatte eine Pistole in der Hand. Ich wusste, dass sie diese gut zu handhaben verstand. Sie zögerte nicht und schoss dem Anführer in die Schulter. Dieser fiel daraufhin ächzend zu Boden. Lorenza reichte mir die zweite Pistole. Mich befielen auch keine Skrupel. Meine Frau und ich waren ein gut eingespieltes Team. Ein zweiter Mann legte sich hin. Er würde nie mehr aufstehen. Ihre Kleidung verriet, dass sie Männer von Stand waren. In Preußen hieß das, sie waren Offiziere. Ich wusste nicht, ob sie bei der Soiree der Voß dabei gewesen waren. Sie trugen Masken aus Porzellan, die gut für den venezianischen Karneval geeignet gewesen wären. In dem feierunlustigen Berlin wirkten sie doch sehr unangebracht. Da sie immer noch in der Mehrzahl waren, glaubten sie, mit mir fertig werden zu können. Sie teilten zwar tüchtige Luftschläge aus, aber führten eine uninspirierte Klinge. Sie kannten weder die italienische noch die französische Fechttechnik, geschweige denn die spanische. Nachdem ich einem der Maskenträger meinen Degen in den Bauch gerammt hatte, kamen den beiden anderen doch Bedenken über den Sinn ihrer Aktivitäten. Sie verschwanden fluchend im Dunkel zur Französischen Kirche hin. Ich ging zu einem der Verletzten und zog ihm die Porzellanmaske ab. Ich kannte ihn nicht. Stöhnend und in panischer Furcht starrte er mich an.

»Werde ich sterben?«

»Bestimmt.«

Ich ging zu dem Zweiten. Er hatte eine hässliche Bauchwunde.

»Töte mich nicht! Wir wollten Euch nur ein wenig erschrecken, damit Ihr Berlin verlasst«, stammelte er. Sein Gesicht kam mir bekannt vor. Er war unter den Geladenen gewesen, aber ich wusste weder seinen Namen, noch kannte ich seine Bedeutung.

»Wer schickt Euch?«

Er wollte noch den Verstockten spielen, und ich verstärkte den Druck der Rapierklinge auf seinen malträtierten Bauch.

»Der Großmeister der Illuminaten schickt uns.«

»Hat der auch einen Namen?«

»Wir kennen seinen Namen nicht.« Das konnte stimmen oder auch nicht.

»Dann bestellt ihm Grüße. Gegen den Großkophta vermögen Degen und Kugeln nichts! Aber wer sich gegen ihn wendet, wird für sein Vergehen schon bald vor dem höchsten Richter stehen. Sagt ihm das!« Er versprach es sofort.

Ich nickte Lorenza zu, wieder in die Kutsche zu steigen. Ich kletterte auf den Kutschbock. Auf Pferde verstand ich mich, mochten es edle Araber sein oder brandenburgische Kutschpferde. Ich brachte die Kutsche vor unserem Palais zum Stehen und band die Zügel am Treppengeländer fest. Der geflohene Kutscher würde sich schon um sein Fuhrwerk kümmern.

Als wir die Halle betraten, sagte mir der Diener, dass ich Besuch hätte. Im Salon fand ich den Großmeister der Berliner Freimaurer vor. Er erhob sich und entschuldigte sich für seinen späten Besuch. Er schien über unseren Anblick zu erschrecken und wurde weiß wie Meißner Porzellan.

»Ich habe erfahren, dass man es auf Euer Gnaden abgesehen hat«, stotterte er ohne die üblichen Präliminarien. Das »So schnell schon« verkniff ich mir.

»Ja. Sie haben sich mir schon vorgestellt.«

»Oh, mein Gott!«

»Einer ist tot. Zwei andere werden die Nacht nicht überleben.«

»Oh, mein Gott!«, stöhnte er noch einmal. Sein Nervenkostüm war nicht sehr belastbar. Bei den Schlachten des Alten Fritz war er sicher nicht dabei gewesen.

»Nein. Mit Gott hatte das nichts zu tun.«

»Und wie hat Euch der Kronprinz empfangen?«

»Warum fragt Ihr? Anfangs etwas reserviert, danach durchaus wohlwollend.«

»Und die Gräfin Voß?«

»Ich habe sie auf eine interessante Idee gebracht.«

»Was für eine Idee?«

»Den Geheimrat und großen Dichter Johann Wolfgang von Goethe nach Berlin zu holen.«

»Ein interessanter Vorschlag«, stimmte der Großmeister der Freimaurer zu. Sein Gesicht verriet mir allerdings, dass meine Idee bei ihm nicht gerade Begeisterung auslöste. Er war nicht nur Großmeister, sondern auch Kontrolleur der Finanzen. Er konnte sich vorstellen, dass Goethe nicht für einen Händedruck und einen Orden nach Berlin kommen würde.

»Der Kronprinz war anfangs nicht sehr begeistert von der Idee«, sagte Lorenza, die sich am Kaminfeuer die Hände wärmte. »Doch die Gräfin konnte ihn mit der Idee anfreunden. Übrigens, ist der Kronprinz Mitglied bei den Illuminaten?«

Meine Lorenza war nicht nur schön, sondern auch klug. Friedrich Wilhelm war dumm genug, sich mit dieser obskuren Sekte zu verbinden.

»Nein! Ausgeschlossen«, antwortete der Großmeister schnell. Zu schnell. Er war ein treuer Untertan. Ob Lorenzas Vermutung nun zutraf oder nicht. Er hatte es eilig aufzubrechen.

»Werdet Ihr noch lange in Berlin bleiben?«, fragte er zum Abschied.

»Wir werden die Stadt morgen verlassen.«

»Ach ja? Aber mein Palais steht Euch so lange, wie Ihr wollt, zur Verfügung. Auch die königliche Familie hat schon bei mir angefragt, ob ich Euch dazu animieren kann, bei der Königin eine Séance abzuhalten.«

»Eine große Ehre, aber …«

»Ich verstehe. Berlin ist Euch verleidet. Ein Jammer! Aber vielleicht … ist dies doch das Beste.« Er wedelte zum Abschied gravitätisch mit seinem Hut. »Für Euch«, schob er eifrig nach und verschwand.

»Ihm ist es sehr recht«, kommentierte Lorenza seinen Abgang. »Er sollte vorfühlen, was wir tun werden.«

»Mit seinem Besuch wollte er sich ein Alibi verschaffen.«

»Du meinst, er steckt hinter dem Attentatsversuch?«

»Möglich. Aber nicht wahrscheinlich. Aber er wusste, dass etwas gegen uns im Gange war. Die Freimaurer und die Illuminaten haben trotz gegenseitiger Anfeindungen viele Berührungspunkte.«

»Ja. Doch wer hat ihn geschickt? Die Illuminaten? Der Hofstaat? Der Kronprinz? Gar der König? Wie dem auch sei, wir sind wenig erwünscht. Die Diener sollen packen.«

Als wir später im Bett lagen und nachdem wir einander bewiesen hatten, wie sehr wir uns liebten, fing sie wieder an, Fragen zu stellen, auf die ich nur ungern einging. Der Mann sollte für die Frau ein Mysterium bleiben.

»Warum kennst du keine Furcht, Giuseppe? Warum sind wir plötzlich so reich? Noch vor wenigen Jahren waren wir so entsetzlich arm, dass wir betteln mussten.«

»Das habe ich dir doch schon so oft erzählt! Nun gut, ich will dir noch einmal offenbaren, wie mir bewusst wurde, dass Giuseppe Balsamo der Großkophta ist.«

»Du warst ein kleiner Dieb in Palermo«, half sie mir in die Geschichte meines Lebens hinein.

»Ja. Die Polizei war hinter mir her, weil ich einem Idioten vorgegaukelt hatte, die Stelle eines vergrabenen Schatzes zu kennen. Der Gimpel entblödete sich nicht, zur Gendarmerie zu gehen. Mir blieb nur die Flucht, andernfalls wäre ich im Gefängnis gelandet. Ich musste Palermo, musste meine geliebte Mutter und Schwester verlassen. Zwei Jahre bin ich durch die Welt gewandert. In Ägypten traf ich den Magier, Arzt und Zauberer Althotas. Er erkannte mich, sah in mir einen Wanderer und schloss mir die Seele auf. Ich wusste schon immer, dass ich etwas Besonderes war, aber nicht, was ich war, geschweige denn, dass ich Ansprüche erhoben hätte. Der Großkophta kann in einer Hütte oder einem Palast geboren sein. Entscheidend ist, dass er sich erinnert. Mir gelang dies mit Althotas’ Hilfe. Wir trafen uns in Alexandria. Ich lungerte an den Kais herum, wo man immer etwas Arbeit findet. Er kam auf mich zu und sah mir in die Augen und verbeugte sich vor mir. Er war gut gekleidet, trug weiße Kleider und einen weißen Turban mit einem großen Diamanten. Ich war natürlich verwundert, dass ein so reich gekleideter Mann sich vor mir verbeugte. Ich glaubte erst an einen Scherz und sagte unwillig: ›Was willst du von mir? Verhöhnen kann ich mich selbst.‹ Jedenfalls etwas in der Art.

›Die Begegnung mit dir macht mich glücklich. Ich habe einen Bruder gefunden. Du wirst der zukünftige Großkophta sein.‹

›Was ist ein Großkophta?‹, fragte ich ahnungslos.

›Ein Wanderer durch Zeit und Raum. Es gibt dich seit den Tagen, als die Menschen Steine zu Pyramiden anhäuften. Du bist Zeitzeuge von Djoser, Echnaton, Moses, aber auch von Alexander und Cäsar und kennst die Geheimnisse der Welt. Ich werde dich lehren, deine Fähigkeiten zu entdecken.‹«

»Und dann führte er dich in seinen Palast aus weißen Steinen«, fuhr sie andachtsvoll fort. Ich hatte ihr dies so oft erzählt, dass sie jedes Wort kannte.

»Richtig. Niemals habe ich eine glänzendere Wohnstatt gesehen. Ich blieb also drei Jahre bei ihm. Er kleidete und nährte mich, und ich lernte Alchemie, Theologie und Medizin. Althotas entschlüsselte mir die Kabbala und die Hieroglyphen der Ägypter. Durch ihn erfuhr ich, dass ich am Anfang dabei war und auch am Ende dabei sein würde.«

»Dem Anfang und dem Ende von was?«, fragte sie atemlos.

»Dem Beginn und dem Ende des Mysteriums, das wir Welt nennen.«

»Du bist der ewige Jude?«

»Oh nein. Die Legende vom ewigen Juden entstand durch das Wissen um den lebendigen Großkophta.«

»Du bist kein Jude, und doch nennst du einen Juden deinen Bruder«, sagte sie und streichelte meine Brust.

»Es stimmt. Ich kenne das Geheimnis von Golgatha. Althotas lehrte mich, lautlos zu töten und Tote wieder zurückzurufen. Er lehrte mich, die Seelen zu lesen und auch … mir die Menschen untertan zu machen. Als ich ihn fragte, warum er sich solche Mühe mit mir gab, antwortete er, dass er den Stab weitergebe.«

»… den Stab weitergebe«, echote Lorenza andächtig.

»Und dann gingen wir auf eine endlose Reise, durchstreiften viele Länder. Wir standen in Palästina auf dem Berg Golgatha, beteten in den Tempeln zu Babylon, Ninive und Ur, wandelten in den Ruinen von Persepolis und haderten mit Alexander.«

»Und dann kamt ihr nach Kaschmir, und ihr entdecktet das größte Geheimnis der Menschheit und …«

»… wir verschlossen es in unserem Herzen«, vollendete ich den Satz.

»Aber warum verrätst du mir nicht, was das Geheimnis ist?«, fragte sie in dem ihr eigenen Schmollton. Er machte mich so manches Mal gefügig. Doch diesmal blieb ich hart.

»Nein, Lorenza. Es würde dich in tiefste Verzweiflung stürzen. Es ist zu gefährlich, davon zu wissen. Dagegen ist die Auseinandersetzung mit den Illuminaten ein harmloses Kinderspiel.«

»Ich bin deine Frau.«

»Das bist du«, bekräftigte ich und streichelte ihren Bauch, und sie seufzte wohlig.

»Wie viele Großkophta gibt es?«

»Sieben. Für jeden Kontinent einen. Weniger an Zahl als die Jünger. Aber ich bin nur Althotas begegnet.«

»Und das ist alles wirklich wahr, mein Giuseppe?«

Manchmal flogen sie Zweifel an, aber dies hielt nicht sehr lange vor.

»Es ist so wahr wie die Kunde vom Paradies. In Salamanca trennten wir uns, weil ich erfüllt war von seinem Wissen. Er hatte mir gegeben, was er hatte. Zum Schluss zeigte er mir noch, wie man Blei zu Gold macht.«

»Und dies gab uns unendlichen Reichtum«, resümierte Lorenza.

»Nein. Die Umwandlung ist ein langwieriger Prozess, den ich nur selten in Gang setze. Unseren Reichtum verdanken wir meiner ärztlichen Kunst, indem ich der Frau des größten Schweizer Bankiers die Gesundheit wiedergab. Dafür beschenkte er mich mit ›unbegrenztem Kredit‹! Dies ermöglicht mir, die Armen kostenlos zu behandeln. Nur die Reichen pflege ich – wie du weißt – kräftig zu rupfen!«

»Du bist ein seltsamer Mensch, Giuseppe!«

Wenn wir intim waren oder sie unzufrieden mit mir war, nannte sie mich Giuseppe, doch der Name Alexandre gefiel ihr und mir besser. Er passte auch besser zu dem von mir erfundenen Titel Graf de Cagliostro.

»Wenn man mich denn einen Menschen nennen kann.«

»Moment mal!«, fuhr sie auf und rollte sich auf mich. »Du wirst als Großkophta ewig leben. Und was ist mit mir?«

Das kommt dabei heraus, wenn man Frauen zu viel von sich erzählt. Ich hatte nicht bedacht, dass sie dem Gesetz der Zeit unterworfen war und mit jedem Vorrücken des Uhrzeigers eine Spanne Lebenszeit verlor.

»Du gehörst zu mir. Ich werde dich zum ›Großmeister in der Loge des ägyptischen Ritus‹ machen und dich über alle Frauen erheben und von nun an Seraphina nennen. Dieser Name wird durch die Zeit klingen. Als Großmeisterin nach ägyptischen Riten bist du dem Altern nicht verfallen.«

Endlich schlief sie ein. Ich bedachte, was ich ihr wieder einmal vorgegaukelt hatte. Gut, einiges davon entsprach den Tatsachen, aber vieles sollte nur ihrer Eitelkeit schmeicheln.

Am nächsten Morgen standen zwölf Gendarmen mit aufgepflanztem Bajonett vor dem Palais. Noch betraten sie nicht das Haus, sondern standen wie Bleisoldaten bewegungslos vor dem Portikus. Ich ließ mich bei der Morgentoilette nicht stören, wusch mich, puderte mir das Haar und zog mein silbernes Beinkleid und die goldbestickte Weste an. Ich trank im Stehen meinen Morgenmokka, setzte mich danach an meinen Schreibtisch und schrieb der Voß einen Brief und forderte die Hilfe ein, die sie mir am Vorabend versprochen hatte. Ich befahl dem Domestiken, den Brief schnellstens zur Gräfin Voß zu bringen.

Lorenza war natürlich außer sich vor Angst. Aber ich versicherte ihr, dass uns schon bald der Kronprinz helfen würde. Von draußen waren Kommandos zu hören. Eine Kutsche traf ein. Ein Offizier kam auf unseren Eingang zu. Der Hauptmann lüftete nicht seinen Hut und fragte nach meinem Namen. Ich hatte ihn kaum genannt, da befahl er: »Abführen!«

Schluchzend sah Lorenza zu, als mich zehn große Lümmel in die Mitte nahmen und unter Scherzen zur Kutsche führten. Viel Volk hatte sich mittlerweile eingefunden, das laut seinen Unmut verkündete: »Haben wir doch endlich einen Wunderheiler in der Stadt und schon gönnt man uns den nicht.«

»Wir führen nur Befehle aus, und Befehl ist Befehl!«, bellte der Hauptmann. Besonders intelligent war dies nicht, und er erntete dafür, dass man mich hochleben ließ.

Wir fuhren nach Spandau zu einer mittelalterlichen Festung aus roten Klinkersteinen. Man brachte mich in die Kommandantur. Ein Hauptmann Priegnitz glaubte, mit mir leichtes Spiel zu haben.

»Na, da haben wir ja den Mordbuben!«

»Wessen bezichtigt man mich?«

»Ihr seid der sogenannte Graf de Cagliostro?«

»Das ist nur die halbe Wahrheit.«

Er sagte: »Hä?«, und sah dabei nicht sehr intelligent aus. Als Kommandant einer Gefängnisfestung brauchte man das wohl auch nicht zu sein.

»Ich bin der Großkophta, Großmeister der ›Loge nach ägyptischem Ritus‹.«

»Ihr habt ehrenwerte Bürger der Stadt ums Leben gebracht.«

»Es war ein Überfall. Ich habe mich nur gewehrt.«

»Das wird letztendlich das Gericht feststellen.«

»Ein Gericht kann nicht über einen Großkophta urteilen.«

»Was erlaubt Er sich!«, brüllte Priegnitz und sprang auf. Er hatte ohnehin einen roten Kopf, der nun die Farbe einer überreifen Tomate annahm. »Damit nicht genug, habe ich noch eine Anklage, die Euch der Hexerei und des Betrugs bezichtigt!«

»Da war jemand aber eifrig!«, konnte ich mir nicht verkneifen. »Wollt Ihr von mir nicht den Tathergang hören?«

Er stutzte, setzte sich wieder und kniff die Augen zusammen. »Na, dann heraus mit den Ausreden!«

Ich erzählte ihm im Detail, was uns in der Nacht widerfahren war. Ein Unteroffizier schrieb fleißig mit. Priegnitz’ Miene zeigte, was er von meinen Ausführungen hielt. Als ich geendet hatte, grinste er nur höhnisch.

»So, nun hattet Ihr Euren Willen. Nun ab mit Euch in die Zelle des Palais Spandau.«

Man führte mich eine Treppe hinunter und durch endlose Gänge zu einem Raum, der durch Eisengitter von anderen Zellen abgetrennt war. Man schloss auf und stieß mich hinein. Die Möblierung erinnerte mich an meine Kindheit in Palermo. Ein Hocker, ein Strohlager und ein Eimer für die Notdurft. Als Mitbewohner zwei Mäuse.

Als die Soldaten gegangen waren, erhob sich in der Nachbarzelle ein bulliger Mann von seinem Lager. Er trat an das Gitter und musterte mich.

»Oha, jetzt sperren sie schon Prinzlein ein. Wessen wirst du beschuldigt?«

Seine kräftigen Fäuste umklammerten die Gitterstäbe. Sein grobschlächtiges Gesicht zeigte Spuren eines bewegten Lebens. Die blitzenden Augen ließen durchaus auf Intelligenz schließen, wenn auch von der Art, die man »Bauernschläue« nennt.

»Fünf Briganten überfielen uns. Einer starb sofort. Zwei sind schwer verletzt. Der vierte und fünfte verzichteten auf weitere Gefechtseinlagen und flohen.«

»Oha! In Berlin hat man schon für weniger geköpft.«

»Ich dachte immer, in Preußen herrschen Zucht, Ordnung und Redlichkeit.«

»Früher, als man den Alten Fritz noch Friedrich den Großen nannte. Aber er ist ein verbitterter, kleinlicher Mann geworden. Für seine Umgebung die reinste Pest. Er ist nur noch ein stinkender Griesgram. Unser Kronprinz ist zwar ein fideler Bursche, der Wein, Weib und Gesang liebt, aber von Arbeit hält er nicht allzu viel, umso mehr von der Weiblichkeit. Er ist ein geiler Bock. So sieht es aus. Er ist dabei, Potsdam zu einem Hurenhaus zu machen.«

»Und weshalb bist du hier?«

»Ich konnte meine Miete nicht bezahlen. Als der Vermieter mich zu sehr bedrängte, habe ich ihm den Hosenboden stramm gezogen. Klar, dass er dann zur Polizei gelaufen ist.«

»Wie heißt du?«

»Hänschen Barsini.«

»Ein Italiener?«, rief ich erfreut.

»Zur Hälfte. Mein Vater stammte aus Rom, meine Mutter aus Bozen. Ein Rittmeister hatte mich als Sprachlehrer angeworben, da ich sowohl Deutsch als auch Italienisch und sogar Latein spreche. Ich bin mit ihm nach Berlin gegangen, wo er eine gute Anstellung beim preußischen Grenadierregiment fand. Da der Lohn nicht ausreichte, eine Familie zu ernähren, eröffnete ich eine Sprachschule. Anfangs lief diese auch gut. Dann wurde meine Frau krank, und das verschlang große Summen. So machte ich Schulden, und die Frau starb mir trotzdem.«

»Gut, gut. Hänschen, willst du in meine Dienste treten?«

Dieser lachte schallend. »Du bist doch selbst am Arsch.«

»Spätestens heute Abend bin ich wieder frei.«

Barsinis Augen flackerten. Er rieb sich das Kinn. »Und was habe ich zu tun?«, fragte er vorsichtig.

»Was so anfällt. Als Leibdiener, Schreiber, Leibwächter und Postillion.«

»Wie ist der Lohn?«

»In guten Zeiten reichlich, in schlechten gibt es vielleicht keinen Lohn.«

Als ich ihm seine Entlohnung bezifferte, war er sehr angetan.

»Wunderbar. Doch wie bekommt Ihr mich hier heraus?«

»Ich denke damit!« Lächelnd rieb ich Daumen und Zeigefinger gegeneinander.

»Das funktioniert in Preußen immer«, pflichtete er mir bei.

Gegen Abend kam Priegnitz, seine Arme zum Himmel schwenkend, zu meiner Zelle.

»Welch ein Missverständnis, lieber guter Graf de Cagliostro! Natürlich seid Ihr frei. Nehmt meine Entschuldigung an. Man hat Euch übel verleumdet.«

Obwohl er zwei Soldaten hinter sich hatte, schloss er selbst die Zelle auf. Ich nickte ihm hochmütig zu.

»Wurde aber auch Zeit, dass Ihr begreift, mit wem Ihr es zu tun habt. Und nun schließt auch die Zelle meines Nachbarn auf. Ich kann ihn als Diener gut gebrauchen. Ich werde dafür über die Ungelegenheiten, die Ihr mir bereitet habt, großzügig hinwegsehen.«

Er hielt das für ein gutes Geschäft und schloss auch die Nachbarzelle auf. Ich brauchte nicht einmal mit einigen Goldtalern nachhelfen.

»Ich darf Euch noch einen Brief überreichen«, sagte er mit tiefer Verbeugung. Für ihn war ich nun Mitglied der Königsfamilie. Der Brief von der Voß enthielt nur einen Satz: Verlassen Sie sofort Berlin und kommen Sie nie wieder. Ich befolgte den Rat.

Noch am gleichen Abend verließ ich Berlin. Ich habe es nie wieder gesehen. Ich habe dies nie als Verlust empfunden. Aber es war etwas in Gang gesetzt worden, das bald die Welt auf den Kopf stellen würde.

Mein guter Feind Goethe. Die geheimen Memoiren des Grafen Alexandre de Cagliostro

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