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ERICH KÄSTNER »Hamlets Geist«
ОглавлениеGustav Renner war bestimmt die beste
Kraft im Toggenburger Stadttheater.
Alle kannten seine weiße Weste.
Alle kannten ihn als Heldenvater.
Alle lobten ihn, sogar die Kenner.
Und die Damen fanden ihn sogar noch schlank.
Schade war nur, daß sich Gustav Renner,
wenn er Geld besaß, enorm betrank.
Eines Abends, als man »Hamlet« gab,
spielte er den Geist von Hamlets Vater.
Ach, er kam betrunken aus dem Grab!
Und was man nur Dummes tun kann, tat er.
Hamlet war aufs äußerste bestürzt.
Denn der Geist fiel gänzlich aus der Rolle.
Und die Szene wurde abgekürzt.
Renner fragte, was man von ihm wolle.
Man versuchte hinter den Kulissen
ihn von seinem Rausche zu befrein,
legte ihn langhin und gab ihm Kissen.
Und dabei schlief Gustav Renner ein.
Die Kollegen spielten nun exakt,
weil er schlief und sie nicht länger störte.
Doch er kam! Und zwar im nächsten Akt,
wo er absolut nicht hingehörte!
Seiner Gattin trat er auf den Fuß.
Seinem Sohn zerbrach er das Florett.
Und er tanzte mit Ophelia Blues.
Und den König schmiß er ins Parkett.
Alle zitterten und rissen aus.
Doch dem Publikum war das egal.
So etwas von donnerndem Applaus
gab’s in Toggenburg zum ersten Mal.
Und die meisten Toggenburger fanden:
Endlich hätten sie das Stück verstanden.
Es gibt keinen Dichter, der mich so lange und so konstant durch mein Leseleben begleitet, wie Erich Kästner. Mit zehn Jahren bekam ich »Emil und die Detektive«, dann »Pünktchen und Anton«, »Das doppelte Lottchen«, bald gefolgt vom »Fliegenden Klassenzimmer« und »Drei Männer im Schnee«. Als ich ein paar Jahrzehnte später die Bühnenfassung von Letzterem inszenierte und ein paar hundert Mal spielte, fiel mir bei den Vorbereitungen seine Lyrik in die Hände – und ich habe mich in sie genauso verliebt wie seinerzeit in »Emil und die Detektive«.