Читать книгу Carringo und der unsichtbare Tod: Harte Western Edition - Heinz Squarra - Страница 8
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ОглавлениеEr schien zu schweben und sah vor seinem geistigen Auge wirre Bilder in einem Wust aus Wolken oder Nebel. Langsam erhielten die Bilder Konturen. Kaltes Wasser traf Chacos Gesicht. Noch bevor er die Augen öffnete, erinnerte er sich an den Zusammenprall mit den beiden Kopfgeldjägern und den heimtückischen Schlag, der ihn von hinten getroffen hatte, vermutlich mit einem Gewehrlauf ausgeführt.
„Hallo!“, sagte eine höhnische, tiefe Stimme. „Lebst du noch, oder bist du tot?“
Chaco dachte an den verletzten US Marshal, der das Opfer der Darions geworden war und von dem sie sicher glaubten, ihn tot auf der alten Farm zurückgelassen zu haben. Er musste vorsichtig sein und durfte sich mit nichts verraten, wenn er eine Überlebenschance haben wollte.
Da traf ihn wieder Wasser, lief über sein Gesicht, in die Ohren, ins Haar und den Hals hinunter. Der Schmutz sammelte sich in den tiefen Falten auf den Wangen und am Kinn.
„Der hat aber einen gesegneten Schlaf!“ Hank trat dem wehrlosen Opfer in die Seite.
Der neue Schmerz ließ Chaco zusammenzucken und die Augen öffnen. Groß wie grinsende Riesen standen sie über ihm. Hank richtete das Gewehr auf ihn.
„Na also, lebst ja doch noch. Halbblut, was?“
Chaco gab keine Antwort, was Hank Darion animierte, ihm gleich noch einmal brutal in die Seite zu treten.
Chaco fluchte, um nicht laut schreien zu müssen. Er wollte aufspringen, aber Hank stieß ihm die Gewehrmündung gegen die Brust.
„Immer schön friedlich bleiben und kuschen, Indianer, sonst setzt es was, kapiert?“
Chacos eben noch gespannte Haltung lockerte sich.
„Halbblut?“, fragte Clay noch einmal.
„Der Teufel soll euch holen!“ Chaco warf sich nach rechts um seine Achse und sprang auf. Er hatte gehofft, schnell zu sein und vielleicht doch noch fliehen zu können. Aber seine Beine und die Hüfte schmerzten derart, dass er sich geradezu im Schneckentempo bewegte. Hank Darion schlug wieder mit dem Gewehr zu, bevor Chaco den Kopf richtig oben hatte.
Chaco taumelte zusammengekrümmt gegen Clay und empfing dessen Knie ins Gesicht. Das schleuderte ihn in den Sand zurück.
„Ziemlich dickfelliger Bursche“, murmelte Hank. „Aber wir kriegen dich kirre, Indianer. Mein Wort darauf!“
Clay griff unter seine verstaubte Jacke, zog ein dickes Bündel Steckbriefe mit Federskizzen, teilweise auch mit Fotos darauf, hervor und sah sie einzeln durch, indem er Chacos Gesicht immer wieder mit Bild oder Zeichnung verglich. Mehrmals schüttelte er den Kopf. Schließlich schob er das Bündel in die Innentasche zurück.
„Vielleicht ein Kumpan unserer Gäste“, sagte Hank grinsend, „der sich als selbstloser Helfer versuchen wollte.“
„Jedenfalls wohl keiner, für den wir was kassieren könnten!“ Clay Darion war anzusehen, wie sehr es ihm missfiel, keinen dicken Fisch gefangen zu haben, der sich beim nächsten Marshal in Bargeld verwandeln ließ. „Na, auf jeden Fall nehmen wir ihn mit, damit er uns nicht wieder nachschleicht.“
„Hast du verstanden, Indianer? Los, hoch, mein Junge!“
Chaco befolgte den Befehl, um weiteren Misshandlungen zu entgehen.
Clay trat zur Seite. Hank Darion schob sich hinter das neue Opfer und stieß ihm die Gewehrmündung in den Rücken.
Chaco schleppte sich durch das Gestrüpp und erreichte den Gefangenenwagen mit seinen sechs Insassen, die am Gitter standen.
Nur Red Hansom lag auf dem Boden und stöhnte leise vor sich hin.
„Zurück an die Wand!“ Clay richtete die Schrotflinte auf die Gefangenen.
Sie gehorchten sofort, da sie genau wussten, dass von den Darions nie leere Worte ausgestoßen wurden. Diese nerven- und skrupellosen Kerle würden einen Gefangenen auch totschlagen, wenn ihnen der Sinn danach stand – wie sie den US Marshal kaltblütig niedergeschossen hatten, weil der sich geweigert hatte, seinen Gefangenen an die Kopfgeldjäger auszuliefern, damit diese das Kopfgeld kassieren konnten.
Hank schloss die schwere Tür auf und zog den Flügel nach außen.
Clay grinste dreckig. „Darf ich bitten, Indianer? Bei uns hast du Logis und Kost frei!“
Der Hohn trieb Chaco das Blut in den Kopf. Dennoch stieg er widerstandslos ein. Hinter ihm schloss sich die Tür, der Schlüssel klirrte über das ungeschmierte Eisen im Kastenschloss und wurde abgezogen.
Chaco lehnte sich gegen die Tür. Rechts und links von ihm reihten sich die finsteren Gestalten mit den Ketten zwischen den Beinen auf. Entweder hatten die beiden Jäger vergessen, ihn gleichermaßen an ihre Nähe zu bannen, oder sie wagten es nicht, weil sie keinen Steckbrief mit seiner Beschreibung hatten.
Clay entfernte sich, um die Pferde zu holen. Sein Bruder stieg auf den Bock, legte sich die Zügel zurecht und nahm die Peitsche zur Hand.
Hansoms Gesicht glühte. Schweiß perlte von der Stirn bis zum Hals, auch das schmutzige, zerrissene Hemd klebte nass am Körper.
„Was hat er denn?“, fragte Chaco.
„Schüttelfrost und Fieber.“ Al Culbert, ein junger Wegelagerer, der schon eine erhebliche Zeit seines kurzen Lebens hinter Gefängnismauern zugebracht hatte, kratzte sich auf der Wange. „Entweder kriegte er das ganz plötzlich, oder wir haben es nicht gemerkt.“
Chaco dachte an den verletzten US Marshal. Als Carringo und er mit dem Marshal nach Saquarra unterwegs waren, erkrankte Rider zusätzlich und sah genauso aus wie jetzt dieser Doppelmörder. Und etwas früher waren sie auf einen Trupp Apachen gestoßen, die eine ähnlich kranke Frau dabeigehabt hatten.
„Merkwürdige Sache“, murmelte Harry Douglas, ein mehrmals vorbestrafter Falschspieler. Der große, hagere Kerl mit dem dünnen Oberlippenbart schien früher einmal eine elegante Erscheinung gewesen zu sein, aber diese deckten inzwischen Dreck, Bartstoppeln und hohle Wangen zu, seit er nach dem Mord an einem Mitspieler durch die Wildnis geflohen und von den Kopfgeldjägern geschnappt worden war.
Lass Buster, ein Eisenbahnräuber, Larry Buck, der sich mit seinen Brüdern und Kumpanen auf das Ausnehmen von Banken und Postkutschen spezialisiert hatte und zu dem auch Sonny gehörte, vervollständigten die seltsame Fracht im Gitterwagen. Von der Buck-Bande befanden sich allerdings noch drei Mitglieder in Freiheit. Die waren den Darions durch die Lappen gegangen.
„Na endlich!“, rief Hank seinem Bruder entgegen, als der die Pferde aus dem Dickicht führte. „Ich dachte schon, du wolltest dich da drüben verewigen!“
Chaco starrte noch auf den liegenden Doppelmörder, der ihn anschaute, jedoch offensichtlich nicht wiedererkannte. Für Chaco bedeutete dies, dass er schwerer erkrankt sein musste, als das äußerlich zu erkennen war.
Hank Darion knallte mit der Peitsche. Das schwere Gefährt setzte sich in Bewegung und rollte durch das Dickicht weiter nach Nordwesten. Die eingesperrten Männer setzten sich auf den rüttelnden Boden.
Neben dem Gefangenenwagen tauchte Clay Darion im Sattel sitzend auf.
„Hansom ist krank!“, rief Culbert, der mittelgroße, dürre Straßenräuber mit den aschblonden Haaren.
„Halt‘s Maul!“, herrschte Darion ihn an und ritt schneller.
Chaco setzte sich wie die anderen. Da hatte er sich was eingebrockt, als er heimlich dem Wagen gefolgt war und sich obendrein eingebildet hatte, diesen verschlagenen Prämienjägern wäre das nicht aufgefallen. Jetzt saß er in der Tinte. Und wenn sie irgendwie herausfanden, dass er mehr von ihnen wusste, als sie annahmen, würden sie ihn unter Umständen kaltblütig über den Haufen schießen – wie den Marshal, von dem sie zu glauben schienen, dass er tot war.
Chacos Hand tastete über den Poncho und fand das leere Holster darunter. Natürlich hatten sie ihm die Waffe abgenommen. Das Messer fand er ebenfalls nicht mehr.
„Was hast du ausgefressen?“ Grinsend schob sich Culbert näher an Chaco heran.
„Ich? Wieso?“
„Du musst eine Kopfprämie wert sein, sonst hätten dich die Darions nicht geschnappt. Wie viel? Welcher Distrikt?“
„Du bist ja verrückt.“
Hansom stöhnte, streckte mit gespreizten Fingern die Hände über sich aus und schien etwas abwehren zu wollen, was ihm seine Phantasie als gefährlich vorgaukelte. In der nächsten Minute schüttelte ihn die Krankheit wie welk gewordenes Laub im Herbstwind und ließ seine Zähne zusammenschlagen.
„Das sieht verdammt nach einer schweren Krankheit aus“, murmelte Culbert. „Hoffentlich ist sie nicht ansteckend und haut uns alle nach und nach um!“
Jähes Erschrecken packte die Kerle und ließ sie so weit wie möglich von dem Kranken abrücken.
Clay Darion ließ sein Pferd zurückfallen und erschien wieder neben dem Wagen. Inzwischen saß auch sein Bruder Hank nicht mehr auf dem Bock, sondern im Sattel seines Pferdes und zeigte sich auf der anderen Seite.
„He, Hansom ist krank“, sagte Sonny. Der hellblonde, hinterhältige Halunke richtete sich auf. „Vielleicht eine ansteckende Krankheit. Holt ihn hier raus, sonst sieht es schlecht aus mit der Prämie für uns. Oder glaubt ihr, es sei möglich, eine halb verweste Leiche tagelang durch die Wüste zu karren?“
Clay Darion warf einen Blick auf den Kranken, zeigte aber keine Neigung, etwas zu unternehmen.
„Der muss heraus!“, stimmte auch Culbert zu. „Steckt uns sonst alle an, zur Hölle!“
„Wenn ihr jetzt nicht das Maul haltet, kriegt ihr es gestopft!“ Hank Darion schlug mit der Peitsche gegen die Gitterstäbe.
Die eingesperrten Banditen zogen die Köpfe ein.
Chaco bemerkte Clay Darions lauernden Blick. Der Kopfgeldjäger wollte herausfinden, ob er, Chaco, mit einem der Gefangenen besonderen Kontakt hatte und damit den Verdacht bestätigte, dass er versucht hatte, einen der Gefangenen zu befreien.
„Nein! Nein!“, brüllte Hansom heiser und streckte abwehrend die Hände nach oben. „Lasst mich! Ich will noch leben!“
Hank Darion grinste boshaft. „Du wirst auch noch leben. Hansom. Aber nur zwei oder drei Tage über die Stunde hinaus, in der wir für dich abkassieren. Dann hängen sie dich auf!“
Die Darions ritten schneller.
„Diese Schweine“, murmelte Sonny mit hassverzerrtem Gesicht. „Diese verdammten Schweine!“
Ohnmächtige Wut beherrschte die Banditen, wie Chaco jeder einzelnen Gaunervisage deutlich ansah. Sie fühlten sich ausgeliefert und machtlos. Die an ihre Beine geschmiedeten Ketten würden sie erst wieder loswerden, wenn sich schwere Eisentore hinter ihnen geschlossen hatten.
„Warum trägt er keine Kette?“, fragte Sonny an Larry Buck gewandt.
Mit seinen zwanzig Jahren war Larry der jüngste der Buck-Brüder, aber auch der jüngste in diesem Eisenkasten. Dennoch war er einer der verschlagensten. Denn nicht nur mit Bank- und Postkutschenüberfällen versuchten sie, zu Reichtum zu gelangen, nein, sie betätigten sich auch im illegalen Indianerhandel und mit Schmuggel. Buck war ein sechs Fuß großer, magerer Bursche mit einem Milchgesicht, aus dem eisige Augen auf Chaco blickten.
„Sie haben keinen Steckbrief, der auf mich passt“, erwiderte Chaco.
Hansoms Stöhnen lenkte die Kerle ab. Ihr Interesse an dem neuen Mitgefangenen steigerte sich nicht, vielleicht, weil jeder mit den eigenen Ängsten zu sehr beschäftigt war.