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Kapitel 32 von Helen Carter

Ivy hatte nicht mit solchen Menschenmengen gerechnet, die sich jetzt vor der viktorianischen Villa, auf deren Treppen und in den Räumen drängten. Es mussten hunderte sein. Von Bürohengsten, die sich via Polohemd in ihre Freizeituniform gestürzt hatten, bis hin zu wirklich abgefahrenen Leuten mit Hautimplantaten und wirr geschorenen Köpfen.

»Mir tun nur die Bedienungen leid«, sagte Ivy.

Jeff nickte. Das für diesen Abend eingestellte Personal musste mit seinen beladenen Tabletts sicher durch die Gäste gelangen, was nur mit sehr viel professioneller Erfahrung möglich war. Über der Wolke aus Stimmen und Gläserklirren schwebte noch zusätzlich Musik, die man allerdings kaum hörte.

»Ah ... Du bist also Ivy!«, war der am meisten gehörte Satz an diesem Abend. Sie mussten alle paar Schritte stehen bleiben, jemanden begrüßen, mit jemandem reden ...

Der Einzige, den Ivy kannte, war Woodrow. Seit er Jeff entdeckt hatte, wich er ihm nicht mehr von der Seite. Wie ein Schatten. Von Zeit zu Zeit wisperte er ihm Namen zu, Funktionen. Sie bemerkte mit Wohlwollen, dass Jeff sich noch immer an seinem ersten Glas festhielt, das man ihm gleich nach Betreten des Hauses gegeben hatte. Gleichwohl schienen sie zu den wenigen Nüchternen zu gehören. Ivy verstand, warum es so leicht für ihn gewesen war, an der Flasche zu hängen, wenn sie sah, wie grenzenlos die Alkoholströme flossen.

Wohin sie auch gingen, Jeff hielt seinen Arm um ihre Schultern, drückte sie immer wieder an sich und gab ihr von Zeit zu Zeit einen Kuss. Er demonstrierte jedem, dass sie zusammengehörten. Insofern war sie glücklich, dass sie mitgekommen war. Es machte sie stolz, dass er sie nicht versteckte.

Da tauchte plötzlich eine junge Frau in einem Catsuit aus schwarzem Lackleder auf. Ihr kräftig geschminktes Gesicht wurde dadurch betont, dass sie ihr Haar zu einem straffen Zopf gebunden hatte.

»Bones!«, rief sie mit sehr lang gezogenem »O«.

Ivy atmete tief durch.

»Mein heißer Hengst ...«

Als Jeff sich zu der sehr großen Frau leicht hinabbeugte und ihr einen Kuss gab, war das Maß fast voll. Wie erstarrt stand Ivy da und wollte sich am liebsten in Luft auflösen, um zu sehen, was er mit dieser Stute anfangen würde.

»Oh Gott, du siehst fantastisch aus!«, rief die Stute. »Und ich?« Damit machte sie eine elegante Drehung um die eigene Achse auf sehr hohen Schuhen, wobei sie all ihre körperlichen Vorzüge zur Geltung brachte.

»Großartig, Süße!«, lachte er.

Ivy war nicht zum Lachen.

Die Stute tat so, als bemerke sie die Frau in seinem Arm gar nicht. »Baby ... lass uns eine ruhige Ecke suchen ... Ja?« Ihre Hand glitt über seine Brust.

Ivy biss sich auf die Zunge.

»Ein andermal«, grinste Jeff.

Es hallte in Ivys Kopf wie Kanonendonner. Sie spürte, wie etwas in ihrem Schädel zu explodieren schien. »Entschuldige«, sagte sie im süßesten Ton zu ihm, schob sich aus seiner Umarmung und ging an der Stute vorbei.

»Hast du ’nen Moment?«, flüsterte Ivy ihr zu.

Die Stute zuckte in Jeffs Richtung mit den Schultern und folgte Ivy bis zur Wand. Dort blieben sie stehen.

»Nix für ungut, ja?«, erklärte sie Ivy beiläufig.

»Hör mir gut zu, Schlampe! Das da ist mein Kerl. Und wenn dir deine Augen lieb sind, siehst du ihn besser nicht mal mehr an«, zischte Ivy, verblüfft über ihre eigene Aggressivität.

»Hey, du solltest lernen, dass man Bones nie ganz für sich allein ...«, hob die Stute an.

»Ich warne dich!«, zischte Ivy, drehte sich um und ließ sie stehen.

»Was war denn?«, fragte Jeff, als sie wieder bei ihm war.

»Nichts. Ich habe nur etwas klargestellt.«

Sofort ging ein Strahlen über seine Züge. »Du hast sie bedroht, ja?«, fragte er wie ein kleiner Junge, der unbedingt wissen will, was in seinem Paket ist. »Oh verdammt, ich bete dich an ...« Damit riss er Ivy in seine Arme und küsste sie so leidenschaftlich, als wären sie allein in ihrem Schlafzimmer.

Doch Ivy kamen Zweifel. So etwas hatte sie noch nie getan. Es passte nicht zu ihr. Normalerweise hätte sie von sich selbst behauptet, dass sie über solch einer Situation stand und sich nicht auf das Niveau einer Bitch herabließ. Was brachte sie dazu, sich so aufzuführen?

Sie fühlte sich hilflos. Hilflos gegenüber all den Blicken um sie herum. Noch nicht einmal des Gefühls konnte sie sich erwehren, dass alle über sie wisperten, sich fragten, was einen Mann wie Bones ausgerechnet in ihre Arme getrieben hatte.

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