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Prolog von Helen Carter

Der hünenhafte Mann eilte mit langen Schritten über den nassen Asphalt. Seine dunklen Umrisse wurden lediglich von ein paar weit auseinanderstehenden Straßenlampen in mattes Licht getaucht. Die Schöße seines fast bodenlangen Mantels flatterten hinter ihm wie die Schwingen einer Fledermaus.

Ein zweiter Mann folgte ihm ein paar Schritte entfernt. Sein Gesicht war gerötet und er schwitzte trotz der nächtlichen Kälte. Sein gedrungener Körper mit den vergleichsweise kurzen Beinen hatte alle Mühe, mit dem Hünen mitzuhalten und so griffen seine Arme wieder und wieder ins Leere, als er ihn eingeholt zu haben glaubte und zum Verlangsamen seiner Schritte bewegen wollte. »Bones! Mach keinen Scheiß!«, mahnte er hilflos und erreichte zumindest, dass der Hüne stehen blieb und sich zu ihm umwandte.

»Was?«, knurrte er in tiefem Bariton. Sein Gesicht, umrahmt von einem Meer aus schwarzem Haar, war von klassischer Schönheit. Er ähnelte einem griechischen Gott, der von seinem Podest gestiegen war und menschliche Form angenommen hatte. Nur sein etwas zu energisches Kinn brach die feinen Linien.

»Das ist Wahnsinn, was du vorhast!« Der Kleinere stand jetzt nach vorn gebeugt, keuchte und presste seine Hand in die offensichtlich heftig stechende Seite.

»Wahnsinn? Meinst du, ich lasse mich von so einem kleinen Wichser übers Ohr hauen?«

»Er ist ein Dealer, Bones. Ein mieser Straßendealer. Ich hab dir gesagt, du sollst dich an Sparkles halten. Der ist korrekt. Aber du musstest ja wieder deinen Quadratschädel durchsetzen.«

Der Zorn des Hünen drohte, sich von jenem Straßendealer auf seinen Begleiter zu übertragen. Seine tiefgrünen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich mache, was ich will!«

»Ja. Und wir sehen gerade, wo das hinführt. Um wie viel hat er dich abgezockt?«

»Fünfhundert Pfund.« Er sagte es verhalten, so als schäme er sich insgeheim für die Summe. Doch sofort fasste er sich wieder, griff in sein schwarzes Haar, das fast bis zu seinen Hüften wallte, und warf es über seine Schulter. »Ich werde den Wichser finden und ihm die Fresse einschlagen!«

Der Kleinere schien keinen Moment an der Echtheit dieser Drohung zu zweifeln, zumal der Hüne nicht nur groß, sondern auch breit und muskulös war. »Du bist noch immer besoffen, Bones. Warte, bis du nüchtern bist und dann ...«

»Nix und dann ... Jetzt! Jetzt werde ich der Ratte eine Lektion erteilen!«

Der Gehweg, über den er jetzt seinen Lauf fortsetzte, war so schmuddelig wie die ganze Gegend. Leer stehende Läden reihten sich an solche, an deren schmutzigen Scheiben scheinbar eilig mit Klebstreifen angebrachte »SALE«-Zettel hingen. Leuchtreklamen, die nicht mehr funktionierten, oder ersterbend vor sich hin blinkten.

An einem Laternenpfosten stand eine junge Hure. Sie hatte ein Bein hinter sich gestemmt und sah ihn müde an, als er sich ihr näherte. »Mit Küssen zwanzig Pfund«, sagte sie und versuchte, ihrem Gesicht etwas wie ein Lächeln abzuringen.

»Ich such einen Freund ...«, stieß Bones hervor.

»Suchen wir nicht alle einen Freund?«, gab sie zurück. Sie musterte ihn. »Sei du mein Freund!« Ihre Blicke wanderten über seine breiten Schultern. »Ich mach dir’s auch umsonst ...«

»Er nennt sich Pauly. Pauly die Ratte.«

»Ich kenn keinen Pauly«, sagte sie gelangweilt.

»Ist ein Dealer!«

»Bones ... Lass gut sein. Sie hat keine Ahnung!«

Ein feuriger Blick traf den kleineren Mann. Dann wandte sich der Hüne wieder der Frau zu und brüllte so unvermittelt, dass die Hure zusammenschreckte. »Sag mir, wo die Sau ist!« Seine mächtige Faust schloss sich um ihre Kehle.

Sofort riss sie vor Schreck die Augen auf und röchelte.

»Ich frage dich jetzt ein letztes Mal: Wo – ist – Pauly?« Sein Gesicht war dem der Hure bedrohlich nahe. Beinahe berührten sich ihre Nasenspitzen.

»Er ...«, würgte die junge Frau, »...er ist im ... im ›Walnut Close‹ ...«

Er löste die Faust von ihrer Kehle und stieß sie dabei ein wenig zurück.

»Bones ...«, zischte sein Begleiter. »Das ist Mist, was du vorhast. Lass uns lieber in den Club zurückgehen. All die hübschen Mädels ... Die warten nur auf dich! Denk doch nur an Lily Munster mit den niedlichen kleinen Titten ... Die war doch so heiß auf dich, dass sie dir direkt an die Hose gegangen ist ...«

Bones ignorierte ihn.

Auf einem mit Graffiti beschmierten Schild stand kaum leserlich »Walnut Close«.

Für einen Moment verharrte der Hüne. Er schien zu lauschen, dann ging er los.

»Das ist ’ne Sackgasse, Bones. Ne verdammte Sackgasse ...«

Doch er wurde nicht gehört, denn Bones hatte bereits sein Ziel ausgemacht: Pauly, der Dealer. Er stand mit einem Kunden verborgen in der Dunkelheit eines Hauseingangs, halb verdeckt von einem überquellenden Müllkübel.

Bones war so schnell bei ihnen, dass die beiden Männer nur noch erschrocken auseinanderspringen konnten. Der Hüne aber packte die Tonne und schleuderte sie so heftig beiseite, dass sich ihr Inhalt überall verteilte.

»Du Drecksau!«, schrie er Pauly an.

Es war die einzige Gelegenheit für ihn, zu verschwinden – was er auch vorhatte. Mit einer blitzartigen Bewegung warf der Dealer sich herum und sprang über die umgeworfene Tonne, doch er stolperte und bewahrte sich gerade noch vor einem Sturz.

»Hey – wir können doch reden, Mann«, rief er und klammerte sich an einen Lattenzaun. Sofort versuchte er, darüber zu klettern, doch Bones erwischte ihn am Gürtel und zog ihn mit Macht herunter. Drohend beugte der Hüne sich über Pauly. »Ich bin nicht zum Reden gekommen, du mieses kleines Stück Dreck!«

»Was ist dein Problem, Mann?«, stammelte der Dealer.

»Du hast mich beschissen. Das ist mein Problem!«

»Ey – das muss echt ’n Missverständnis sein. Ich bescheiße keine Kunden! Ich hab dir drei Beutel verkauft ...«, wimmerte er.

»Ja, und in einem war reinstes, sauberstes ... Backpulver!«

Der Dealer sackte in sich zusammen. »Dann bin ich beschissen worden ...«

»Du? Willst du mich verarschen?«, bellte Bones. Er hielt den Dealer am Kragen gepackt und drückte ihm seine Knöchel gegen den Kiefer.

»Hey – Mann ... Ich geb dir deine Kohle wieder. Jeden einzelnen Penny.«

»Klar wirst du das, und zwar mit kalten Händen!« Er unterstrich seine Drohung, indem er den wesentlich kleineren Mann so anhob, dass dessen Füße ein Stück über dem Boden zu schweben begannen.

Als Bones Gefährte »Vorsicht! Messer!«, rief, war es schon zu spät. Pauly hatte ihm die Klinge bereits in die Seite gerammt. Es war kein tödlicher Stich, doch er genügte, damit Bones den Dealer losließ. Dieser stolperte und rannte dann davon.

Bones keuchte auf und schlug seinen Mantel zur Seite, um die Wunde zu begutachten. Perplex stieß er hervor: »Die kleine Ratte hat mich erwischt ...« Er atmete kurz und heftig durch und sackte dann zu Boden.

»Oh, verdammt ... Bones!«

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