Читать книгу Chefarzt Dr. Norden Staffel 9 – Arztroman - Helen Perkins - Страница 6

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Christinas Blick wechselte zwischen ihrer Uhr und dem Telefon hin und her. Ein paar Minuten blieben ihr noch, bis ihre Freundin und Kollegin Dr. Sarah Buchner vorbeikam, um sie abzuholen. Es sprach also nichts dagegen, schnell bei Erik anzurufen, um zu fragen, wie es ihm ging. Und schon im nächsten Moment fielen ihr ein Dutzend guter Gründe ein, warum sie es lieber nicht tun sollte.

Dr. Erik Berger, der Leiter der Notaufnahme, war seit vier Tagen im Urlaub. Zwangsweise, wie er immer wieder betont hatte. Der Chefarzt der Behnisch-Klinik, Dr. Daniel Norden, hatte Eriks Urlaub angeordnet. Freiwillig hätte Erik seine heißgeliebte Notaufnahme nie verlassen. Erst nach viel Gezeter und endlosen Diskussionen hatte sich Erik schließlich in sein Schicksal gefügt und die zweiwöchige Zwangspause angetreten.

Christina, die nicht nur eine begnadete Chirurgin, sondern auch eine versierte Notfallmedizinerin war, vertrat Erik in dieser Zeit. In der Vergangenheit hatte sie oft erfahren müssen, wie schwierig das sein konnte. Das lag nicht an der ungewohnten Arbeit. Nein, die sah sie als berufliche Herausforderung, an der sie viel Freude hatte. Es war Erik, der ihr den Einsatz in der Notaufnahme oft genug verleidet hatte. Selbst im Urlaub meinte er, ständig nach dem Rechten sehen zu müssen und dabei geizte er nicht mit ungebetenen Ratschlägen und harscher Kritik. Er mischte sich überall ein und stellte Christinas Diagnosen und Behandlungsmethoden infrage. Mitunter wurde es so schlimm, dass sie als letzten Ausweg den Chefarzt aufsuchte, damit er Erik in seine Schranken verwies.

Und diesmal? Nichts! Erik Berger hatte seinen Urlaub angetreten und seitdem nichts mehr von sich hören lassen. Das war nicht normal und musste irgendetwas bedeuten.

Christina kaute auf ihrem Bleistift herum. Er wird doch wohl nicht krank geworden sein? Vielleicht litt er an einer Depression. Seit dem Tod seiner Frau war die Arbeit sein einziger Lebenssinn. Durch diesen Zwangsurlaub war ihm nun auch das genommen worden.

Christina machte sich ernsthafte Sorgen um ihn. Und das wiederum bereitete ihr neue Sorgen. Seit wann interessierte sie sich für das Wohlergehen des unbeliebtesten, unfreundlichsten und rüdesten Arztes der Behnisch-Klinik? Mit einem lauten Seufzer legte Christina den Bleistift mit den deutlichen Knabberspuren auf dem Schreibtisch ab. Sie kannte die Antwort auf ihre Frage.

Vor einigen Wochen hatte sich das Verhältnis zwischen ihnen verändert. Auch wenn Erik es noch immer nicht wahrhaben wollte, waren sie Freunde geworden. Sicher würde Christina ihn nicht als ihren besten Freund bezeichnen, aber sie fühlte sich für ihn verantwortlich und machte sich seinetwegen Gedanken, wenn er nichts von sich hören ließ. Deshalb griff sie nun auch zum Telefon und wählte seine Nummer. Schon nach dem ersten Klingelton nahm er ab, fast so, als hätte er neben dem Telefon gesessen und nur auf diesen Anruf gewartet.

»Was gibt’s?«, dröhnte seine Stimme so laut und herrisch durch die Leitung, dass Christina schnell das Telefon einige Zentimeter von ihrem Ohr entfernte.

»Hallo Erik! Ich bin’s, Christina.«

»Das weiß ich! Ich kann deine Nummer im Display sehen«, blaffte er zurück. »Sag jetzt endlich, was passiert ist!«

»Nichts ist passiert. Ich wollte nur mal nachfragen, wie es dir in deinem Urlaub geht. Du hast nichts von dir hören lassen, was wirklich sehr untypisch für dich ist. Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.«

Am anderen Ende blieb es still.

»Hallo? Erik? Bist du noch dran?«, fragte Christina, als das Schweigen zu lange andauerte. »Erik! Hallo!«

»Habe ich dich eben richtig verstanden?«, fragte er und hörte sich dabei seltsam ruhig an. »In der Aufnahme herrscht kein Ausnahmezustand? Es gab keine Massenkarambolage auf der Autobahn? Es grassiert auch kein Virus, der sämtliche Ärzte lahmgelegt und einen Personalnotstand hervorgerufen hat?«

»Äh … nein. Hier läuft alles. Es ist alles in bester Ordnung.« Christina lachte unsicher auf. Was sollten diese merkwürdigen Fragen? Worauf wollte Erik hinaus?

»Und trotzdem rufst du mich in meinem Urlaub an?«, donnerte er so laut los, dass Christina einen leisen Schreckenslaut ausstieß.

»Na, hör mal!«, beschwerte sie sich nun ihrerseits. »Darf ich mich noch nicht mal nach deinem Befinden erkundigen? Du hast dich in den letzten vier Tagen nicht ein einziges Mal gemeldet! Ist doch wohl klar, dass ich mir deswegen Gedanken um dich …« Christina brach wutschnaubend ab, als aus dem Telefon nur noch das Freizeichen zu hören war. Erik Berger hatte einfach aufgelegt!

»So ein Idiot!«, schimpfte sie wie ein Rohrspatz. »Dieser unhöfliche Flegel! Wie kann er nur? Besitzt er denn überhaupt keinen Anstand? Ich mache mir Sorgen um ihn und wie dankt er es mir? Ich bin ja so eine dumme Nuss! Wie konnte ich nur annehmen, dass er sich über meinen Anruf freuen würde?«

So wetterte Christina weiter vor sich hin und starrte wütend das Telefon an, das sie noch immer in der Hand hielt. Dabei überhörte sie sogar das Klopfen an der Tür. Sie sah erst auf, als sie Sarahs Stimme hörte.

»Was ist denn mit dir los? Wer hat dich denn so auf die Palme gebracht?«

»Na, wer wohl?«, fragte sie aufgebracht zurück. »Berger!«

»Oje, du Ärmste!« Sarah konnte Christinas Verärgerung nur zu gut verstehen. Erik Berger konnte eine wahre Plage sein. Die meisten Mitarbeiter der Behnisch-Klinik machten deshalb einen großen Bogen um ihn. Sie selbst sprach nur mit ihm, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. Als Gynäkologin hatte sie zum Glück nicht allzu oft mit ihm zu tun. Ihre arme Freundin traf es dagegen ungleich schwerer. Als seine Vertretung konnte sie ihm kaum aus dem Weg gehen.

Sarah setzte sich und sah Christina mitfühlend an. »Kann er nicht einfach seinen Urlaub genießen und dich in Ruhe lassen? Lass dir sein Benehmen nicht gefallen! Geh zum Chef und bitte ihn um Hilfe. Er soll sich Berger vorknöpfen und ihm verbieten, dich anzurufen. Wenn du nichts unternimmst, wird er hier noch aufkreuzen, um dich zu schikanieren. Am besten lässt du …«

»Stopp!«, rief Christina, um den Redefluss ihrer Freundin zu unterbrechen. »Ich habe nie behauptet, dass Berger mich angerufen hat. Es gibt also keinen Grund, sich über ihn zu beschweren.«

»Aber … ich verstehe nicht.« Sarah war verwirrt. »Du sagtest doch vorhin, dass du dich über Berger geärgert hast. Ich habe gehört, wie du auf ihn geschimpft hast. Und du hattest ja auch noch das Telefon in der Hand und …« Plötzlich verstand Sarah. »Du warst es! Du hast ihn angerufen, nicht er dich!«, sagte sie kopfschüttelnd.

»Ja, aber ich wollte doch nur hören, wie es ihm geht.« Christina wand sich unter Sarahs fassungslosem Blick. »Es ist doch nicht normal, dass er sich hier gar nicht meldet.« Als Sarah sie weiterhin nur wortlos anschaute, rechtfertigte sich Christina erneut: »Ihm hätte schließlich auch etwas passiert sein können. Dann würde ich mir hinterher vorwerfen, mich nicht um einen Freund gekümmert zu haben.«

»Ihr seid nicht befreundet«, stellte Sarah nüchtern fest.

»Natürlich sind wir das!« Christina war empört. Als Sarah die Augenbrauen hochzog, lenkte sie ein. »Nun gut, es mag ja sein, dass unsere Freundschaft unter merkwürdigen Umständen zustande kam. Aber das ändert nichts daran, dass ich mich ihm freundschaftlich verbunden fühle.«

»Tina, bitte!« Sarahs Tonfall war weich geworden. »Bitte verrenn dich nicht in etwas, das es nicht gibt. Es ist unmöglich, mit Erik Berger befreundet zu sein. Er lässt niemanden an sich heran, und ich verstehe nicht, warum du es dir so sehr wünschst.«

Christina wusste, dass Sarah recht hatte. Die Freundschaft zu Erik war nicht echt. Vor einigen Wochen hatten ihn die Eltern seiner verstorbenen Frau besucht, die in großer Sorge um sein seelisches Befinden waren. Um sie zu beruhigen, hatte er ihnen versichert, dass es ihm gut ginge und dass er inzwischen sogar Freunde hätte. Was natürlich nicht stimmte. Dr. Erik Berger besaß keinen einzigen Freund. Trotzdem hatte er seinen Schwiegereltern voller Stolz Christina als befreundete Kollegin präsentiert – und sie hatte mitgespielt, weil sie ihm einen Gefallen schuldete.

Dieser Gefallen hatte sich im Nachhinein als gute Idee erwiesen. Schließlich hatte sie dadurch so wundervolle Menschen wie Karin und Uwe Hansen, Eriks Schwiegereltern, kennenlernen dürfen. Und sie hatte auch den wahren Erik Berger kennengelernt. Ihm war es nicht mehr gelungen, seine liebenswerte, charmante und warmherzige Seite vor ihr zu verbergen. Sie wusste jetzt, dass er sich seinen dicken, schützenden Eispanzer nur zugelegt hatte, um nicht am Tod seiner Frau zu zerbrechen. Wie konnte Christina nun noch so tun, als wäre er kein Freund für sie? Erik Berger, der jedem weismachte, kein Herz zu besitzen, hatte an Christinas Herz gerührt. Er hatte sich dort eingeschlichen und machte keine Anstalten, wieder zu verschwinden. Doch wie sollte sie das Sarah erklären, wenn sie es selbst nicht verstand?

»Lass uns nicht mehr über Erik sprechen«, sagte sie deshalb nur und stand auf. »Unsere Mittagspause wartet. Bis zum Beginn der Dienstberatung bleibt uns keine halbe Stunde mehr.«

Sarah nickte und folgte ihr hinaus. Auf dem Flur hielt sie sie am Ärmel ihres Kittels fest. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie leise. »Du siehst ein wenig traurig aus.«

»Mir geht’s bestens. Wirklich!« Christina schaffte ein unbekümmertes Lächeln und öffnete schnell die Tür zu dem Behandlungszimmer, in dem sie Dr. Martin Ganschow vermutete. »Herr Ganschow, ich melde mich ab«, sagte sie fröhlich und salutierte dabei zum Scherz. Niemand merkte ihr an, wie traurig sie in Wahrheit war oder wie sehr ihr Eriks Ablehnung wehtat. »In den nächsten beiden Stunden sind Sie der Chef der Notaufnahme. Sollten Sie meine Hilfe brauchen, finden Sie mich in der Cafeteria und ab eins beim Chef auf der Leitungssitzung.«

*

Bei einer köstlichen Lasagne vergaß Christina schnell die Abfuhr, die sie von Erik Berger bekommen hatte. Das Leben war zu schön, um sich über einen Mann aufzuregen, der auf ihre Freundschaft keinen Wert legte – obwohl er sie sicher gut gebrauchen könnte.

So oft es ihnen möglich war, verbrachten Sarah und Christina die Mittagspause gemeinsam in der Cafeteria der Behnisch-Klinik. Das lag nicht nur an der hervorragenden Speisekarte, auf der es immer etwas Neues zu entdecken gab. Sie liebten es zudem, Zeit miteinander zu verbringen und sich über ihre Arbeit oder die privaten Freuden und kleinen Kümmernisse auszutauschen.

»Womöglich ist es ein Fehler, dass wir uns jetzt den Bauch vollschlagen«, überlegte Christina und schob sich den nächsten Bissen in den Mund. Kauend sprach sie weiter: »Wer weiß, vielleicht gibt es nachher auf der Sitzung noch jede Menge zu essen.«

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Sarah verwundert. »Bisher gab es auf einer Dienstberatung höchstens mal einen Kaffee und ein Glas Wasser. Warum sollte es heute anders sein?«

»Weil es heute keine normale Dienstberatung für die Ärzte ist, sondern die der Abteilungsleiter.«

»Du denkst also, dass der Chef die normalen Ärzte mit Kaffee und Wasser abspeist, während er für die Abteilungsleiter ein kaltes Buffet auffahren lässt?«, lachte Sarah.

»Na ja, wäre doch möglich.« Christina zuckte die Schultern. »Woher soll ich das denn wissen? Im Gegensatz zu dir bin ich heute zum ersten Mal dabei, und das auch nur, weil Erik im Urlaub ist und ich ihn vertrete.«

Für Christina, die sonst als Stationsärztin in der Chirurgie ihren Dienst verrichtete, war das Treffen der leitenden Oberärzte ein Novum. Sarah besaß auf diesem Gebiet mehr Erfahrung. Ihr Chef, der leitende Gynäkologe Dr. Josef Schwebke, war der dienstälteste Oberarzt der Klinik. Sein Ruhestand lag in greifbarer Nähe. Schon jetzt zog er sich nach und nach aus der Leitungsarbeit zurück und übergab immer mehr Aufgaben an seine künftige Nachfolgerin, Dr. Sarah Buchner. Die monatliche Leitungssitzung gehörte dazu.

»Auch für die Abteilungsleiter spendiert der Chef nur die Getränke«, erklärte Sarah jetzt. »Also genieße weiter deine Lasagne und sei froh, dass du nicht mit knurrendem Magen zur Sitzung musst.«

»Vor allem bin ich froh, dass du mir Gesellschaft leistest. Wenn es uns zu langweilig wird, können wir uns ja Zettelchen schreiben«, kicherte Christina.

Sarah schmunzelte. »Wie in der Grundschule? Dann sollten wir aber gut aufpassen, dass uns Dr. Norden nicht dabei erwischt …« Sarah reckte den Hals und sah an ihrer Freundin vorbei. »Apropos Dr. Norden …«

Christina drehte sich um. In der Lobby stand Dr. Daniel Norden, der Chefarzt der Behnisch-Klinik.

»Wow!«, entschlüpfte es ihr, als sie den Mann erblickte, den ihr Chef gerade mit einem herzlichen Lächeln und einem Handschlag begrüßte. »Weißt du, wer das ist?«, fragte sie so neugierig, dass Christina lachen musste.

»Kaum taucht hier ein heißer Typ auf, hast du den armen Erik vergessen«, spöttelte sie gutmütig.

»Was hat denn Erik damit zu tun? Er interessiert mich nicht als Mann, während dieser Fremde dort …« Grinsend sah Christina ihre Freundin an. »Findest du nicht auch, dass er einfach umwerfend aussieht?«

Sarah besah sich den Mann, der Christinas Interesse geweckt hatte, etwas genauer. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Die welligen, blonden Haare waren so lang, dass sie seinen Nacken bedeckten. Er war salopp gekleidet und trug zu seiner Jeans und dem Shirt eine Lederjacke und Sportschuhe. Das markante, gut geschnittene Gesicht war braun gebrannt, und um seine Augen erschienen zahlreiche kleine Fältchen, als er zu einer Bemerkung Daniel Nordens lachte.

»Nun, wenn man auf den Typ blonder Surfer-Boy steht, könnte man ihn durchaus als gut ausse­hend­ bezeichnen«, beantwortete sie Christinas Frage. »Für meinen Geschmack wirkt er ein wenig zu draufgängerisch und abenteuerlustig.«

»Was spricht denn gegen ein bisschen Abenteuerlust? Kleine Abenteuer sind die Würze in einem eintönigen Leben.«

»Bezeichnest du dein Leben etwa als eintönig?«

»Bei unserem Beruf? Nein, ganz bestimmt nicht. Obwohl …« Christina seufzte wehmütig auf. »Obwohl ich mir oft wünsche, mein Privatleben wäre wenigstens halb so aufregend wie mein Klinikjob. Manchmal fehlen mir romantische Verstrickungen und ein wenig Drama.« Ihr Seufzen verstärkte sich. »Oder ein paar Abenteuer.«

»Vielleicht brauchst du wirklich mal etwas Abwechslung«, überlegte Sarah grinsend. »Du denkst, dein Leben wäre eintönig und langweilig und fokussierst dich deshalb so auf Erik Berger. Wer weiß, wohin dich das noch führt. Im Moment hältst du nur an dieser verqueren Freundschaft fest. Aber nicht mehr lange und du glaubst, dein Herz an ihn verloren zu haben.« Obwohl klar war, dass Sarah das nur als Scherz meinte, ärgerte sich Christina darüber.

»So ein Blödsinn!«, schnaubte sie entrüstet auf. »Was hast du nur immer mit Erik? Ständig machst du diese Bemerkungen. Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass ich in ihm bestenfalls einen Freund sehe, aber ganz sicher keinen Mann, in den ich mich verlieben könnte.«

»Schon gut, Tina«, ruderte Sarah zurück. »So war es doch nicht gemeint. Ich habe dich nur ein bisschen aufgezogen, weil dein Blick immer etwas Verträumtes bekommt, wenn du von ihm sprichst.«

»Quatsch!«, widersprach Christina sofort energisch. »Ich bin nicht so dumm, mich in einen Mann zu verlieben, dessen Herz nicht mehr frei ist. Das besitzt seine verstorbene Frau auf immer und ewig. Neben ihr ist kein Platz für mich. Oder für irgendeine andere Frau«, fügte sie hastig hinzu, als sie sah, wie Sarah sie nachdenklich musterte. Ihr Lächeln fiel etwas unbeholfen aus, als sie zu dem Fremden neben Daniel Norden blickte. »Im Moment ist er der Einzige, der mich zum Träumen bringen könnte, auch wenn es nur rein platonisch und aus sicherer Entfernung ist.« Theatralisch verzog sie das Gesicht, als das Objekt ihres Interesses zusammen mit Daniel Norden die Lobby verließ und kurz darauf im Aufzug verschwand. »Und schon ist er weg. Na ja, wenigstens bleibt mir meine Lasagne.«

*

Als Daniel Norden mit einigen Minuten Verspätung zur Leitungssitzung erschien, sahen sich Sarah und Christina erstaunt an. Der Chefarzt der Behnisch-Klinik war nicht allein gekommen. Neben ihm stand der attraktive Fremde, den die beiden Ärztinnen bereits in der Lobby bewundert hatten.

»Ich freue mich, Ihnen heute Dr. Adam Jäschke vorstellen zu dürfen«, begann Daniel nach einer kurzen Begrüßung.

»Ein neuer Kollege?«, rief Dr. Schulz, der leitende Intensivmediziner dazwischen.

»Nein, leider nicht«, erwiderte Daniel. »Herr Jäschke ist zwar Arzt, aber mit seiner Arbeit in Sierra Leone so gut ausgelastet, dass wir wohl nicht mit ihm rechnen dürfen.«

»Sierra Leone? Westafrika?« Wieder war es Dr. Schulz, der seine Neugier nicht bremsen konnte.

Daniel nickte leicht amüsiert. »Ihre Geographiekenntnisse können sich noch immer sehen lassen, Herr Schulz. Sierra Leone befindet sich tatsächlich im Westen Afrikas. Dr. Jäschke hat dort ein Krankenhaus mitten im Busch aufgebaut, das den Ärmsten der Armen hilft und sich fast ausschließlich über Spendengelder finanziert. Aus diesem Grund ist Dr. Jäschke nach München gekommen. Er sammelt Hilfsmittel und Spenden, um das Fortbestehen der Buschklinik zu sichern. Natürlich wird auch die Behnisch-Klinik ihren Anteil leisten und seiner Bitte auf finanzielle Hilfe nachkommen. Aber vielleicht können wir noch mehr für ihn tun. Ich möchte Sie bitten, in Ihren Abteilungen zu prüfen, ob es medizinisches Material, Hilfsmittel oder Pflegemittel gibt, die wir hier nicht mehr nutzen können. Ich denke da zum Beispiel an Rollstühle, die nicht mehr der strengen deutschen Norm entsprechen, aber durchaus noch brauchbar sind. Auch ausrangierte Tropfständer, die in irgendeinem Lager herumstehen, können noch gute Dienste leisten.« Zufrieden registrierte Daniel, dass er mit seinen Worten das Interesse seiner Abteilungsleiter geweckt hatte. Es war eine gute Idee gewesen, Adam Jäschke zur Leitungssitzung einzuladen. »Ich bin davon überzeugt, dass es Ihnen wie mir geht und Sie gern mehr über die Buschklinik in Sierra Leone erfahren möchten«, fuhr Daniel fort. »Deshalb freue ich mich, dass sich Herr Jäschke bereiterklärt hat, uns von seiner Arbeit zu berichten.«

Er übergab an Adam Jäschke, der ein einnehmendes Lächeln in die Runde warf und dabei – so schien es Christina jedenfalls – etwas länger auf ihrem Gesicht verweilte. Wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein, trotzdem schlug ihr Herz ein wenig schneller als sonst.

»Zuerst möchte ich mich bei Dr. Norden für die Zusammenarbeit bedanken und dass er mir die Möglichkeit gibt, Ihnen mein kleines Krankenhaus vorzustellen.« Adam schaltete den Laptop ein, der vor ihm auf dem Tisch stand. »Und weil ein Bild mehr als tausend Worte sagt, habe ich Ihnen ein paar Fotos mitgebracht.«

In den nächsten Minuten wurden die Ärzte der Behnisch-Klinik in eine andere Welt entführt. Sie sahen eine Klinik, die mitten im Dschungel stand und eigentlich eine größere Bretterbude mit lehmverschmierten Wänden und einem Dach aus Stroh war. »Unter diesen primitiven Bedingungen begannen wir unsere Arbeit vor sieben Jahren«, erzählte der charismatische Arzt. »Inzwischen haben wir ein massives Steinhaus mit mehreren Behandlungsräumen, einer Krankenstation, einem kleinen Labor und zwei OP-Räumen.«

Die Fotos wechselten. Die neue Klinik wirkte hell und freundlich. Natürlich war noch immer der Mangel an vielen Stellen ersichtlich. Aber jedem war klar, dass das, was Adam Jäschke dort geschaffen hatte, ein Segen für alle war.

Schnell nahm Christina diese faszinierende, fremde Welt gefangen. Adam sprach von den Menschen, die tagtäglich in seine Klinik kamen, weil sie sich Hilfe erhofften. Er erzählte von dem, was er und seine Mitarbeiter unter einfachsten Bedingungen leisteten. Neben dem, was dieser Mann machte, kam Christina ihre eigene Arbeit beinahe klein und unbedeutend vor. Im Gegensatz zu den Stolpersteinen, mit denen Adam in Afrika zu kämpfen hatte, verlief ihr beruflicher Werdegang unkompliziert, vorhersehbar und äußerst bequem. Sie wusste, dass es unvernünftig war, aber sie beneidete Adam ein bisschen um die Aufregungen in seinem Leben und um die Abenteuer, die ihn begleiteten.

Christina schreckte auf, als sich ihr Pager meldete. Nach einem kurzen Blick aufs Display sprang sie auf. »Tut mir leid«, murmelte sie. »Ich muss los. Die Notaufnahme ruft.«

Den Weg in die Aufnahme legte sie in einem leichten Laufschritt zurück. Gedanklich war sie schon mit dem beschäftigt, was sie dort erwartete. An Adam Jäschke oder dem bedauernden Blick, den er ihr zugeworfen hatte, als sie so plötzlich gehen musste, dachte sie nicht mehr.

»Es tut mir leid, dass ich gestört habe …«, begann Martin Ganschow, als sie bei ihm eintraf.

»Haben Sie nicht«, unterbrach ihn Christina und dachte dabei nur ganz kurz an den gutaussehenden Arzt aus Sierra Leone zurück. »Also, Herr Ganschow, was liegt an?«

»Ein Verkehrsunfall mit zwei Schwerverletzten. Die Leitstelle hat sie angekündigt. In wenigen Minuten müssten die Rettungswagen eintreffen.«

Christina zog sich einen Schutzkittel und Handschuhe über. Dann eilte sie mit Martin Ganschow und einer Schwester nach draußen zur Rampe, an der der erste Rettungswagen gerade anhielt. In den nächsten Stunden war sie mit der Versorgung der Patienten, dem Gespräch mit den Angehörigen und dem Schreiben der Berichte beschäftigt. Als sie sich anschließend eine kleine Verschnaufpause gönnen wollte, kam Schwester Anna zu ihr.

»Frau Dr. Rohde, im Warteraum ist ein Herr, der Sie sprechen möchte.«

»Ein Herr? Haben Sie einen Namen für mich?«

»Leider nicht, ich habe glatt vergessen, danach zu fragen«, grinste Anna. »Wahrscheinlich hat mich sein tolles Aussehen etwas abgelenkt.«

»Aha«, amüsierte sich Christina. »Dann werde ich ihn mir am besten gleich mal anschauen.«

»Machen Sie das. Es lohnt sich. Sie werden bestimmt begeistert sein.« Anna zwinkerte ihr zu. »Und falls nicht, können Sie ihm gern meine Telefonnummer geben.«

Lachend ging Christina hinaus. Das musste ein ganz besonderer Mann sein, der die sonst so ruhige und ausgeglichene Anna zum Schwärmen brachte. Als sie die Tür zum Wartezimmer öffnete, blieb sie überrascht stehen. »Herr Jäschke?«, fragte sie ungläubig.

»Schön, dass Sie sich noch an meinen Namen erinnern.« Adam Jäschke kam ihr mit einem charmanten Lächeln entgegen. »Ich wollte nicht verschwinden, ohne mich von Ihnen zu verabschieden. Ich fand es sehr schade, dass Sie vorhin gehen mussten.«

»Äh … ja, also …«, stotterte Christina unbeholfen. Er kam extra in die Notaufnahme, um ihr das zu sagen? »Ein Verkehrsunfall … ich wurde gebraucht … leider. Äh … ich hätte Ihnen wirklich gern noch länger zugehört.« Christina ärgerte sich. Sie hielt sich eigentlich für schlagfertig und wortgewandt. Doch dieser Mann brachte sie irgendwie aus dem Konzept. Ob es an seinem unwiderstehlichen Lächeln lag? Oder an seinen blauen Augen, die vor Schalk und Witz sprühten und sie so intensiv ansahen, dass ihre Knie drohten nachzugeben? Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie Anfang dreißig war, ihr Single-Dasein gründlich satthatte und sich nach einer festen Beziehung sehnte.

»Für Sie wäre ich gern bereit, meinen Vortrag noch einmal zu wiederholen. Vielleicht heute Abend? Wir könnten irgendwo nett essen gehen, und ich erzähle Ihnen dann noch mehr von meiner Klinik – und von mir.« Als Christina ihn erstaunt ansah, sagte er: »Natürlich nur, wenn Ihr Mann – oder Freund – nichts dagegen hat.«

»Ich habe keinen … ich meine, ich bin nicht verheiratet … oder so …«

Sein Lächeln wurde breiter, und Christina ahnte, dass er jede Sekunde genoss, in der sie sich wie ein schüchternes kleines Schulmädchen benahm.

»Sehen wir uns dann heute Abend?«, fragte er. »Bitte geben Sie mir keinen Korb. Ich würde Sie sehr gern wiedersehen.«

»Warum?«, wollte Christina wissen. »Ich verstehe das nicht. Wir sind uns vorhin zum ersten Mal begegnet und haben kein einziges Wort miteinander gewechselt. Und nun tauchen Sie hier auf und wollen sich mit mir verabreden. Warum?«

Jetzt war es an ihm, nervös zu werden. Er verzog das Gesicht und fuhr sich mit einer Hand durch die dichten, blonden Haare. »Ich weiß es nicht; ich kann Ihnen keinen vernünftigen Grund dafür nennen.« Er hob die Schultern. »Wie sollte ich auch? Ich kenne Sie nicht; wir sind uns völlig fremd. Trotzdem habe ich es nicht übers Herz gebracht, die Klinik zu verlassen, ohne bei Ihnen vorbeizuschauen. Ich musste Sie noch einmal sehen und endlich mit Ihnen sprechen. Und jetzt ist es mein allergrößter Wunsch, Sie richtig kennenzulernen und Zeit mit Ihnen zu verbringen. Ich möchte Sie unbedingt wiedersehen.«

Christina hatte ihm atemlos zugehört. Seine Worte klangen weich und einladend, und der Teil in ihr, der sich nach Liebe und Zweisamkeit sehnte, jubelte begeistert auf. Doch es gab noch eine andere, vernünftige Stimme in ihrem Kopf, die sie davor warnte, sich auf ein Abenteuer mit diesem Mann einzulassen. Dr. Adam Jäschke, dessen Leben irgendwo im afrikanischen Busch stattfand und unter dessen Blick sie hilflos dahinschmolz, konnte nicht gut für sie sein. Er war ein Abenteurer und Charmeur, dem wahrscheinlich alle Frauenherzen zuflogen. Es war vermessen zu glauben, dass ausgerechnet er der Mann fürs Leben sein könnte. Nein, es war besser, das Ganze zu beenden, ehe es beginnen konnte.

»Ich würde Sie auch gern wiedersehen«, sagte sie aller Vorsicht und Vernunft zum Trotz. »Und heute Abend würde es mir sehr gut passen.«

*

Sie trafen sich auf ein Glas Wein in einem kleinen Lokal unweit vom Stachus. Seine Einladung zum Abendessen hatte Christina abgelehnt. Noch wusste sie zu wenig über ihn, um sicher zu sein, dass sie einen ganzen Abend mit ihm verbringen wollte. Die Vorstellung, dass ihnen der Gesprächsstoff schon bei der Vorspeise ausgehen könnte, machte ihr Angst. Da war es einfacher und unverfänglicher, sich nur auf ein Glas Wein zu verabreden. Dann könnte sie das Treffen jederzeit beenden, wenn es nichts mehr zu sagen gab.

Doch Christinas Bedenken erwiesen sich als haltlos.

Schnell waren sie in ein anregendes Gespräch vertieft und fühlten eine tiefe Verbundenheit, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie waren fast sofort zum Du übergegangen. Zwischen ihnen gab es nichts Fremdes, kein vorsichtiges Abwägen oder Herantasten. Es war, als hätten sich zwei Freunde nach einer langen Zeit der Trennung wiedergefunden.

»Es ist schön hier«, sagte Adam und sah sich um. »Ich bin froh, dass ich dir die Wahl des Lokals überlassen habe.«

»Warum auch nicht? Schließlich bin ich diejenige, die sich in München auskennt.«

»Oh, ich kenne mich hier auch gut aus. Sehr gut sogar, wenn man bedenkt, dass ich die ersten dreißig Jahre meines Lebens in dieser Stadt verbracht habe.«

»Du kommst aus München?«, fragte Christina erstaunt. »Das hätte ich jetzt nicht erwartet.«

»Warum nicht? Klinge ich nicht mehr wie ein waschechter Münchner?«

»Nein, überhaupt nicht. Dein Dialekt ist dir wohl in der Fremde verlorengegangen. Aber das meinte ich gar nicht. Ich wundere mich, dass wir heute Abend zusammen sind. Du hast doch sicher deine Familie oder Freunde in München. So selten wie du in der Heimat bist, solltest du deine Zeit mit ihnen verbringen und nicht mit mir.«

»Ich bin aber sehr gern mit dir zusammen.« Adam langte über den Tisch und drückte kurz ihre Hand. Das warme Gefühl, das von ihrer Hand bis zu ihrem Herzen strömte, überraschte sie so sehr, dass sie sich fast an ihrem Wein verschluckte. Sie war froh, dass Adam nicht bemerkte, was seine Berührung in ihr ausgelöst hatte. Seelenruhig sprach er weiter: »Das Verhältnis zu meinen Eltern ist denkbar schlecht. Sie haben mir bis heute nicht verziehen, dass ich nach Afrika gegangen bin. Mein Vater hätte es lieber gesehen, wenn ich in seine Praxis eingestiegen wäre.«

»Dein Vater ist auch Arzt?«

»Ja, Chirurg. Seine Pläne für mich sahen nicht vor, dass ich in Westafrika strande und meine eigene Klinik aufbaue. Ich sollte in München bleiben und irgendwann seine Arbeit fortführen. Er hat mir damals ein Ultimatum gestellt. Entweder Afrika oder die Familie. Das war ein Fehler. Er hätte wissen müssen, dass meine Klinik und die Menschen, die mich dort brauchen, für mich immer an erster Stelle stehen werden. Es gibt nichts, das wichtiger ist. Deshalb habe ich mich für die Klinik entschieden, und seitdem herrscht zwischen mir und meinen Eltern totale Funkstille.«

»Das tut mir sehr leid«, sagte Christina voller Mitgefühl.

»Das braucht dir nicht leidzutun. Mich stört es nicht. Ich lebe mein Leben, so wie es mir gefällt, und ich muss vor niemanden mehr Rechenschaft ablegen. Ich bin frei und ungebunden.« Er sagte das so unbekümmert und leichthin, dass Christina ihm jedes seiner Worte glaubte. Ihm machte es tatsächlich nichts aus, seine Familie verloren zu haben. Noch während Christina überlegte, ob sie ihn für diese lockere Einstellung beglückwünschen oder bedauern sollte, hatte Adam bereits das Thema gewechselt.

»Ich war heute Nachmittag in zwei weiteren Kliniken, um meine Arbeit vorzustellen und Spenden einzuwerben. Mit sehr großem Erfolg. Ich habe sehr viele Sachspenden erhalten, und finanziell ist auch einiges zusammengekommen. Morgen werde ich mich um einen Seecontainer kümmern, damit alles verschifft werden kann. Ich hätte nicht gedacht, dass sich das lohnen würde, aber inzwischen bin ich mir sicher, dass der Container randvoll wird. Ich werde in den kommenden Wochen zwar noch ordentlich Klinken putzen müssen, aber ich bin mir für nichts zu schade, wenn es um meine Klinik geht.«

Adam sprach weiter über seine Pläne für die nächsten Wochen, doch Christina hörte nicht mehr richtig zu. Sie dachte über Adams Worte nach. Seine Klinik stehe für ihn immer an erster Stelle, hatte er gesagt. Sie war ihm sogar wichtiger als seine Familie, die er ohne großes Bedauern für seine Mission aufgegeben hatte. Sie fragte sich, ob es in seinem Universum überhaupt einen Platz für sie gab. An welcher Stelle könnte sie in seinem Leben stehen? Würde er sie fallenlassen wie seine Eltern, wenn sie nicht die gleichen Ziele und Träume hatte wie er?

Sie hörte ihm zu, als er mit leuchtenden Augen von seiner Buschklinik sprach. Sie lachte über die kleinen Anekdoten, die er zum Besten gab. Sie freute sich über das, was er dort Gutes bewirkte und trauerte mit ihm, als er von denjenigen sprach, denen er nicht helfen konnte.

Und plötzlich verschwanden ihre Bedenken. Auf einmal fand sie weder die zerbrochene Beziehung zu seinen Eltern noch den hohen persönlichen Stellenwert seiner Klinik befremdlich oder sonderbar. Je länger sie ihm zuhörte und sich dabei von dem Zauber des fernen Landes einfangen ließ, umso mehr bewunderte sie ihn für das, was er dort tat. Völlig selbstlos leistete er Großartiges und nahm schlimmste Entbehrungen auf sich, um anderen zu helfen und ihnen in ihrer Not beizustehen. Er verfolgte wunderbare, hehre Ziele – und Christina war bereit, ihn dabei zu unterstützen.

Es war fast Mitternacht, als Adam sie nach Hause brachte. Sie hatten den Bus genommen und waren die letzten hundert Meter gelaufen. Wie selbstverständlich hatte Adam ihre Hand gehalten, und Christina hatte es nur zu gern zugelassen. Vor der kleinen Gartenpforte, die zu ihrem Haus führte, blieben sie stehen.

»Hier wohnst du also.« Adam sah zum Haus hinüber, das im Dunkeln lag, aber trotzdem einladend wirkte.

»Ja, oben unterm Dach. Ich habe dort eine kleine Wohnung gemietet. Meine Vermieterin, Frau Kleinfeldt bewohnt die untere Etage.«

»Warum flüsterst du?« Adam grinste, passte sich aber ihrer Lautstärke an.

»Ich flüstere nicht, ich spreche nur etwas leiser, damit Hugo uns nicht hört und ein Riesentheater macht. Es dauert dann immer ewig, bis er sich wieder beruhigt hat.«

»Hugo?« Adam zog eine Braue hoch und tat leicht empört. »Sagtest du nicht, du hast keinen Freund?«

Christina kicherte. »Hugo ist der Hund meiner Vermieterin. Er hält sich für einen Wachhund und meint, bei jedem kleinen Geräusch lautstark Bescheid geben zu müssen. Dass er damit oft die ganze Nachbarschaft weckt, ist ihm völlig egal.«

»Dann sollten wir vielleicht doch beim Flüstern bleiben«, sagte Adam. »Mir gefällt das irgendwie. Es ist fast so, als würden wir Geheimnisse austauschen oder uns Dinge sagen, die nur für uns bestimmt sind.« Er strich ihr eine Locke aus der Stirn, die der leichte Wind dort hingetrieben hatte. Dabei streichelte sein Daumen sanft ihre Haut. »Danke für diesen wunderschönen Abend. Ich wünschte, er wäre noch nicht zu Ende und wir müssten uns noch nicht verabschieden.«

Bei seinen Worten dachte Christina nach. Hoffte er etwa, dass sie ihn jetzt in ihre Wohnung bat? Erwartete er wirklich, dass sie die heutige Nacht zusammen verbrachten, obwohl sie sich kaum kannten? Christina hielt sich für lebenslustig, offen und alles andere als prüde, aber sie hatte ihre Prinzipien, von denen sie nicht abwich. Die Nacht mit jemanden zu verbringen, den sie erst Stunden vorher kennengelernt hatte, kam für sie nicht infrage.

»Ich muss morgen früh raus«, sagte sie ausweichend. »Und überhaupt halte ich das für keine gute Idee. Zumindest nicht jetzt schon. Es ist zu früh für diesen Schritt … also, ich meine, wir wissen doch so wenig voneinander und überhaupt …« Hilflos brach sie ab. Sie hatte das Gefühl, dass sie es nur noch schlimmer machte – egal, was sie sagte.

Um seinen Mund zuckte es belustigt auf. »Frau Doktor, Frau Doktor! Wohin gehen Ihre Gedanken bloß? Ich hatte überhaupt nicht vor, mich in deine Wohnung oder in dein Bett zu schleichen.« Er lachte leise. Ganz offensichtlich machte es ihm einen Riesenspaß, Christina in Verlegenheit zu bringen.

»Ich … also … du solltest dich vielleicht nicht so zweideutig ausdrücken. Dann komme ich auch nicht auf dumme Gedanken«, schnaubte sie beleidigt auf.

»Ach, so dumm finde ich diese Gedanken gar nicht. Ganz im Gegenteil. Sie gefallen mir ausgesprochen gut.« Liebevoll sah er sie an. »Aber du hast recht. Es ist noch zu früh. Doch irgendwann wird der richtige Zeitpunkt gekommen sein, und bis dahin kann ich warten. Ich wollte dir vorhin nur sagen, wie sehr ich unser Zusammensein genossen habe. Und dass ich dich unbedingt wiedersehen möchte. Am liebsten würde ich jede Minute mit dir verbringen. Ich weiß, das wird nicht möglich sein. Du musst arbeiten und ich habe mit meiner Spendensammlung zu tun. Aber bitte, sag mir, dass du genauso fühlst. Sag mir, dass wir uns sehen werden, wann immer wir die Zeit dafür finden.«

Unter seinem liebevollen Blick schlug ihr Herz rasend schnell. »Ja, das werden wir. Es ist nämlich genau das, was ich auch möchte.«

Mit einem glücklichen Lächeln umfasste Adam ihr Gesicht. Dann senkten sich seine Lippen auf ihren Mund. Es war ein zarter, fast flüchtiger Kuss. Weder zu forsch, noch zu unverbindlich, sondern genau so, wie er nach dieser ersten Verabredung sein sollte. Er forderte nichts, zu dem Christina noch nicht bereit war. Er war süß, fast unschuldig. Doch er war auch ein Versprechen auf das, was unweigerlich kommen würde.

*

»Du warst mit ihm aus?«, fragte Sarah fassungslos, als Christina ihr am nächsten Morgen von Adam berichtete.

Sarah Buchner, die in wenigen Minuten an den OP-Tisch musste, stand im Waschraum, desinfizierte sich die Hände und konnte kaum glauben, was ihr ihre Freundin erzählte. »Warum erfahre ich das erst jetzt?«, beschwerte sie sich. »Du hättest mich sofort anrufen sollen, als er bei dir in der Notaufnahme aufgetaucht ist! Dafür sind Freundinnen doch da!«

Christina lachte. »Ich wollte es dir ja erzählen, kaum dass er gegangen war. Leider warst du gerade in deiner Sprechstunde, und so musste ich diese aufregende Neuigkeit für mich behalten.«

»Und später? Die Sprechstunde ging nur bis siebzehn Uhr. Du hättest also genug Zeit gehabt, bevor ihr euch abends getroffen habt.«

»Ja, aber …« Christina wand sich ein bisschen. »Ich wollte erst mal sehen, wo mich das hinführt. Außerdem hatte ich ein wenig Angst, dass du mir die Sache ausredest.«

»Warum sollte ich das tun?«, wunderte sich Sarah.

»Ich weiß nicht. Vielleicht halte ich es ja selbst für keine gute Idee, sich auf jemanden einzulassen, der in ein paar Wochen das Land verlassen wird.«

Die Tür des Waschraums öffnete sich, und eine OP-Schwester schaute herein. »Sind Sie soweit, Frau Doktor Buchner? Die Patientin schläft bereits.«

»Ja, sagen Sie bitte Bescheid, dass ich in einer Minute da bin.« Sarah wartete, bis die Schwester wieder fort war, dann sagte sie zu Christina: »Ich hätte es dir ganz bestimmt nicht ausgeredet. Ich freu mich doch, wenn du mal ausgehst und ein bisschen Abwechslung hast. Was sich daraus entwickelt, kann niemand vorhersagen.« Sarah warf ihr einen aufmerksamen Blick zu. »Manchmal reicht übrigens schon eine einzige Verabredung aus, um festzustellen, dass der Mann ein Reinfall ist und du ihn nie wiedersehen willst.« Sie sah Christina fragend an, die das als Aufforderung verstand, mehr vom letzten Abend preiszugeben.

»Ich werde dir alles erzählen, aber erst später, wenn du mit der OP fertig bist und wir Zeit für einen Kaffee haben. Du erfährst alles! Versprochen! Mit wem soll ich denn sonst darüber reden, wenn nicht mit meiner allerbesten Freundin? Sobald wir eine freie Minute finden, setzen wir uns zusammen, um den gestrigen Abend auszuwerten.« Mit glänzenden Augen fügte sie hinzu: »Aber so viel darf ich dir schon mal verraten: Dieser Mann war kein Reinfall. Ganz im Gegenteil.«

Zu gern hätte Sarah noch mehr Details gehört, doch die Pflicht rief, und sie musste ihre Patientin operieren. Auch danach kam sie nicht sofort dazu, bei Christina vorbeizuschauen, um sie zu einem Kaffee zu entführen und ihr weitere Einzelheiten zu entlocken. Sie musste sich um einen Notfall im Kreißsaal kümmern, eine blutende Operationswunde versorgen, Befunde besprechen und einer Patientin eine niederschmetternde Diagnose beibringen. Dafür nahm sie sich besonders viel Zeit. Sie blieb am Bett der Frau sitzen, sprach ihr Mut zu und spendete ihr Trost. Erst als der Ehemann in der Klinik eintraf, um seiner Frau beizustehen, zog sich Sarah zurück. Sie wusste ihre Patientin nun in guten Händen.

Als sie schließlich in der Notaufnahme ankam, war Christina schon fort.

»Sie hat gerade Feierabend gemacht«, berichtete Schwester Inga. »Wenn Sie sich beeilen, erwischen Sie sie vielleicht noch. Sie ist eben erst zur Tür raus.«

Sarah folgte dem Rat der Schwester und lief durch die Lobby zum Haupteingang der Behnisch-Klinik. An der Tür blieb sie stehen und überblickte hastig den Parkplatz. Sie brauchte nicht lange, um festzustellen, dass Christinas Auto fort war. Sie hatte ihre Freundin verpasst.

Sarah ging zurück und spürte, wie sich Enttäuschung in ihr breitmachte. Was war aus Christinas Versprechen, mit ihr über den gestrigen Abend zu reden, geworden? Sarah hielt sich nicht für übermäßig neugierig. Für Klatsch und Tratsch konnte sie sich nicht erwärmen. Doch in diesem Fall war es anders. Hier ging es um das, was sie mit Christina verband – um ihre Freundschaft. Doch während sie sich den ganzen Tag darauf gefreut hatte, mit Christina zu plaudern, zu lachen und alles über den attraktiven Dr. Jäschke zu erfahren, hatte ihre beste Freundin sicher keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Sie war einfach gegangen und hatte ihre Verabredung zum Kaffee vergessen.

Als sie auf den Fahrstuhl wartete, kam Schwester Inga vorbei. »Sie war wohl schon weg?«, fragte Inga, die den Gesichtsausdruck der Ärztin richtig deutete.

»Ja … wir waren eigentlich verabredet. Aber … ach, egal …« Sarah brach ab. Es war falsch, mit Inga über ihre Freundin zu sprechen. Das, was sie bedrückte und worüber sie verstimmt war, ging nur sie und Christina etwas an.

Inga wusste von alldem nichts. Ahnungslos berichtete sie: »Kein Wunder, dass es Frau Doktor so eilig hatte. Auf sie wartete nämlich ein toller Mann. Ein wirklich heißer Typ.«

»Dr. Jäschke?«

»Ich weiß nicht. Er hat sich leider nicht bei mir vorgestellt. Er hatte nur Augen für Frau Rohde.« Inga schmunzelte. »Und ihr erging es nicht anders. Ich glaube, die beide hat es heftig erwischt.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Sarah stirnrunzelnd, obwohl sie die Antwort schon kannte.

»Na, Frau Rohde ist verliebt. Was denn sonst?«

Sarah wollte protestieren. Sie wollte der Schwester sagen, dass das unmöglich war. Christina kannte den Mann doch kaum. Niemand verliebte sich so schnell! Doch schon im nächsten Augenblick wusste sie, dass sie sich irrte. Manchmal reichte der Bruchteil einer Sekunde, um sein Herz zu verlieren. Dann spielte es keine Rolle, wie lange oder wie gut man sich kannte. Wenn die Liebe zuschlug, blieb die Welt einfach stehen – und man vergaß sogar die Verabredung mit der besten Freundin.

Als Sarah in ihrem Dienstzimmer ankam, konnte sie schon wieder lächeln. Sie hielt sich für eine gute und verständnisvolle Freundin, und als solche gönnte sie Christina ihr Glück von ganzem Herzen. Trotzdem nahm sie ihr Handy heraus und schrieb ihr eine Nachricht: »VERRÄTERIN!« Doch bevor sie sie abschickte, fügte sie noch ein Zwinker-Smiley hinzu. Morgen, das nahm sie sich vor, würde sie nicht lockerlassen, bis Christina ihr alles erzählt hatte. Das war sie ihr nun wirklich schuldig. Schließlich waren sie Freundinnen …

*

Von alldem ahnte Christina nichts. Für sie gab es nur noch Adam, seit er sie heute von der Klinik abgeholt hatte. Sie waren an die Isar gefahren, um den herrlichen Nachmittag am Wasser zu verbringen und sich von den Sonnenstrahlen des Spätsommers verwöhnen zu lassen. Nach einem langen Spaziergang waren sie in einem Biergarten eingekehrt, hatten zu Abend gegessen und sich fast pausenlos unterhalten. Es gab so viel, was sie erfahren oder dem anderen mitteilen wollten. Dabei gingen sie nicht langsam und bedächtig vor. Sie hatten nicht die Muße, einander in Ruhe, Schritt für Schritt kennenzulernen. Sie wussten, ihre gemeinsame Zeit war begrenzt. Schon bald würden sie voneinander Abschied nehmen müssen, und niemand konnte wissen, ob sie sich je wiedersahen.

Je weiter dieser Abend voranschritt, umso schwerer fiel es Christina, ihn einfach nur zu genießen und alle Gedanken an später, aus ihrem Kopf zu verdrängen. Eine seltsame Schwermut hatte sich in ihr breitgemacht, die sie sich nicht erklären konnte. Bis eben war sie nur froh gewesen, Zeit mit Adam verbringen zu dürfen. Doch nun war ihre Unbekümmertheit verschwunden. Es gelang ihr nicht mehr, sich an ihr Zusammensein zu erfreuen, ohne an die ungewisse Zukunft zu denken.

»Weißt du schon, wann du wieder abreist?«, wollte sie von ihm wissen, und sofort verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht.

»Wahrscheinlich in sechs Wochen. Einen festen Termin gibt es noch nicht. Ich bin gerade in den Verhandlungen mit einem Logistiker, der die Überführung meines Containers managt.« Adam griff nach ihrer Hand. »Bitte lass uns nicht schon heute über unseren Abschied sprechen. Im Moment bin ich nur froh, mit dir zusammen zu sein.«

Christina nickte. »Ich bin auch gern mit dir zusammen, Adam. Es gibt keinen Ort, an dem ich jetzt lieber wäre, als hier mit dir. Aber ich weiß inzwischen nicht mehr, ob es wirklich klug ist, was wir hier machen. Je besser ich dich kennenlerne, je näher wir uns kommen, umso komplizierter wird es. Nicht mehr lange und du gehst wieder fort. Ich kann es selbst kaum glauben, aber das macht mir schon jetzt eine Riesenangst.« Christina sah ihn traurig an. »Vielleicht sollten wir das mit uns beenden, bevor wir uns gefühlsmäßig zu sehr darauf einlassen.«

»Das ist doch schon längst passiert«, sagte Adam weich. »Du spürst es doch auch. Das ist auch der Grund, warum du jetzt am liebsten einen Gang zurückschalten würdest oder warum du dir diese Sorgen machst.« Er beugte sich vor und gab ihr einen zärtlichen Kuss. »Es hat uns beide erwischt, ob es uns nun gefällt oder nicht. Die Liebe fragt nicht, ob wir sie in unser Leben lassen wollen. Sie klopft nicht an und wartet höflich auf ein ›Herein‹ von uns. Sie öffnet einfach die Tür und erobert unsere Herzen.« Adam fiel nicht auf, wie Christina der Atem stockte, als er plötzlich von Liebe sprach. »Lass uns jetzt bitte nicht daran denken, was morgen oder in sechs Wochen sein wird«, bat er sie. »Wir sollten jeden Augenblick, den wir für uns haben, nutzen und uns nicht um die Konsequenzen scheren. Sonst laufen wir nämlich Gefahr, etwas ganz Wundervolles zu verpassen.«

Christina wollte protestieren. Sie wollte ihm sagen, dass dies keine Lösung für sie war. Das Risiko, am Ende mit einem gebrochenen Herzen zurückzubleiben und eine verlorene Liebe zu beweinen, war viel zu groß. Doch als sie nun in seine Augen sah, wusste sie, dass er Recht hatte. Um sie war es längst geschehen. Sie hatte sich in ihn verliebt, ganz egal, was ihr die Vernunft diktierte.

»Also bleiben uns nur sechs Wochen«, sagte sie und hatte Mühe, die Traurigkeit aus ihrer Stimme rauszuhalten.

»Uns bleiben sechs lange, wundervolle Wochen, um herauszufinden, wie es mit uns weitergehen soll«, stellte Adam richtig. »Wenn wir es wirklich wollen, werden wir eine Lösung finden. Nur weil ich nach Afrika zurückkehre, muss das nicht das Ende für uns bedeuten. Es gibt Fernbeziehungen, die wunderbar funktionieren. Oder du …« Er lächelte und führte ihre Hand, die er noch immer festhielt, an seinen Mund. Andächtig küsste er sie. Dabei sah er Christina tief in die Augen. »Oder du kommst dann mit mir. Wenn wir nach sechs Wochen feststellen, dass wir nicht mehr ohne den anderen leben können, packst du deine Sachen und begleitest mich.« Adam lachte, als Christina vor Schreck die Augen aufriss. »Das war nur eine Idee! Wir müssen hier und jetzt nichts entscheiden. Lass uns erst mal sehen, was das Schicksal mit uns vorhat.«

»Du bist also jemand, der an das Schicksal glaubt?«, zog ihn Christina auf, in dem Versuch, die Stimmung zu lockern.

»Natürlich! Oder glaubst du wirklich, dass es Zufall war, dass wir uns begegnet sind? Überleg doch mal! Du hast mir erzählt, dass du nur auf dieser Leitungssitzung warst, weil du die Vertretung für diesen Dr. Berger machst. Und ausgerechnet dann komme ich in die Behnisch-Klinik, um meine Arbeit vorzustellen. Das ist kein Zufall, das ist ein Wink des Schicksals!«

Christina lachte, und Adam stimmte mit ein. »Na gut«, sagte Christina immer noch lachend. »Dann legen wir also alles in die Hand des Schicksals. Wenn es uns schon zusammengeführt hat, dann soll es sich nach den sechs Wochen auch gefälligst eine gute Lösung für uns einfallen lassen.«

»Das wird es. Da bin ich mir ganz sicher.« Adam goss Wein nach und sagte dabei fast beiläufig: »Übrigens könnte meine Klinik eine Chirurgin und Notfallärztin gut gebrauchen. Hast du dir schon mal überlegt, Entwicklungshilfe zu machen?«

»Ja, früher habe ich tatsächlich mal daran gedacht. Als Studentin habe ich mich sehr für ›Ärzte ohne Grenzen‹ interessiert. Es gab sogar den Plan, dort für mindestens drei Monate mitzumachen.«

»Und warum hast du diesen Plan nie umgesetzt?«

»Ich weiß nicht so recht. Nach dem Studium musste ich mir erst ein wenig Praxis aneignen. Parallel hatte ich mit meiner Promotion zu tun, dann folgten die Facharztausbildung und anschließend die Zusatzqualifikation in der Notfallmedizin. Und irgendwann habe ich meinen Plan ad acta gelegt und nicht mehr daran gedacht.«

»Bis heute.« Adam lächelte. »Glaubst du nun, dass unsere Begegnung eine schicksalhafte Fügung war? Nicht nur, dass wir uns gefunden haben. Du könntest jetzt auch deinen alten Traum, nach Afrika zu gehen, wahrmachen. Komm mit mir! Lass dein Leben hier zurück und bau dir mit mir ein neues auf!«

»Puh, das ist ganz schön viel im Moment.« Christina schüttelte den Kopf, um ihn freizubekommen. Von dem Tempo, das Adam auf einmal vorlegte, schwirrten ihr die Sinne. »Wir wollten doch noch keine Pläne schmieden, sondern nur für den Augenblick leben und abwarten, was in sechs Wochen sein wird.« Sie lächelte ihn zaghaft an. »Zu mehr bin ich noch nicht bereit, Adam. Ich habe doch gerade erst beschlossen, dich in mein Leben hineinzulassen. Alles andere muss warten.«

Adam sah aus, als ließe er nur ungern von dem Thema ab. Dass es Christina früher mal nach Afrika gezogen hatte, schien ihm keine Ruhe zu lassen. Doch er sagte nichts mehr dazu, und Christina war deswegen erleichtert. Zu viele Sachen stürmten im Augenblick auf sie ein, über die sie in Ruhe nachdenken musste. Deshalb war sie froh, als Adam vorschlug, für heute Schluss zu machen.

Er brachte sie wieder nach Hause. Und wieder verabschiedete er sich an der Gartenpforte von ihr, ohne sie zu bedrängen. Doch sein Kuss fiel heute nicht so brav und zurückhaltend wie am Vortag aus. Heute konnte sie die Leidenschaft, die in seinem Inneren tobte, erahnen – so, wie sie auch ihre eigene spürte. Kurz war sie versucht, alle Prinzipien über Bord zu werfen und ihn hereinzubitten. Sie wusste, er würde nicht nein sagen. Doch sie tat es nicht. Sie brauchte jetzt Zeit für sich.

In ihrer Wohnung ließ sie das Licht aus. Sie ging zum Fenster und sah hinaus auf die Straße, die von einer einzelnen Laterne spärlich beleuchtet wurde. Adam war nicht mehr zu sehen. Er musste gegangen sein, kaum dass sie das Haus betreten hatte.

Morgen würden sie sich wiedersehen. Diesmal hatte sie ihn in ihre Wohnung eingeladen. Sie wollte für ihn kochen und vielleicht … vielleicht würden sie in ihrer neuen, frischen Beziehung den nächsten Schritt wagen.

Lange stand sie an ihrem Fenster. Sie sah hinaus in die Nacht und dachte dabei über Adam nach. Für sie stand außer Frage, dass ein großes Problem auf sie zukam. Sollte sie ihr Herz endgültig an Adam verlieren, gab es hier in Deutschland keinen Platz mehr für sie. Sie würde ihm nach Sierra Leone folgen. Sie würde ihm überallhin folgen, ganz egal, wohin ihn sein Weg führen würde.

Sie presste eine Hand auf ihre Brust und ließ sich schwer atmend auf das Sofa sinken. Plötzlich sah sie den Weg, den sie beschreiten musste, ganz deutlich vor sich. Es war ein Weg, der nicht leicht war und der mit Abschied und Schmerz verbunden sein würde.

Aus dem großen Bedürfnis heraus, mit jemanden über ihre Gefühle zu sprechen, nahm sie ihr Handy aus der Tasche, nur um enttäuscht festzustellen, dass es jetzt für einen Anruf viel zu spät war. Es war nach Mitternacht, und ihre Freundin schlief längst. Doch dann sah sie Sarahs Nachricht. Sie musste lächeln, als sie sie las, und gleichzeitig quälten sie bittere Schuldgefühle. Was war sie bloß für eine schlechte Freundin? Sie hatte Sarah im Stich gelassen und nur noch an die Erfüllung der eigenen Herzenswünsche gedacht. So wollte sie nicht sein. Sie nahm sich fest vor, es gleich morgen wiedergutzumachen.

Christina wusste, dass vor Sarah ein langes Dienstwochenende lag. Sie selbst wollte ihren freien Samstag nutzen, um für zwei oder drei Stunden in die Behnisch-Klinik zu fahren. Seit sie die Vertretung in der Aufnahme machte, war einiges auf ihrer chirurgischen Station liegengeblieben, das sie morgen abarbeiten wollte. Nun kam noch eine weitere Aufgabe auf sie zu: Sie musste sich um ihre Freundschaft zu Sarah kümmern. Eine Freundschaft, die sie in den letzten beiden Tagen sträflich vernachlässigt hatte.

*

Das Wochenende begann aus­gesprochen ruhig. Im Kreißsaal herrschte Stille, und Sarah zog sich nach ihrem Rundgang über die Station in ihr Dienstzimmer zurück, um zwei Entlassungsbriefe zu schreiben. Der erste war gerade fertig, als es an ihrer Tür klopfte. Kurz darauf schaute Christina ins Zimmer hinein.

»Darf ich noch reinkommen, oder willst du mich jetzt gar nicht mehr sehen?«, fragte sie reumütig.

»Komm schon rein, du treulose Tomate«, lachte Sarah. »Allerdings wirst du damit leben müssen, dass ich noch eine ganze Weile schmollen werde. Immerhin hast du mich gestern versetzt!«

»Ich weiß, und es tut mir auch schrecklich leid. Ich bin hier, um Abbitte zu leisten und meinen Tribut zu zollen.« Christina holte das Kuchenpaket, das sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte, hervor. »Zimtschnecken von unserem Lieblingsbäcker.«

»Aha«, sagte Sarah mit strengem Tonfall. »Du denkst also wirklich, dass du so schnell aus der Sache rauskommst und ich dir vergebe, nur weil du hier mit Zimtschnecken auftauchst. Da musst du dir schon etwas Besseres einfallen lassen. Wenn du wenigstens an den Kaffee gedacht hättest …«

»Ich bin gleich zurück!«, rief Christina, drückte ihrer Freundin den Kuchen in die Hand und flitzte wieder hinaus. Nur eine Minute später kehrte sie mit zwei dampfenden Kaffeetassen zurück. »Ich hatte die Kaffeemaschine in eurem Pausenraum schon eingeschaltet, bevor ich zu dir reinkam.« Sie stellte eine Tasse vor Sarah ab und fragte dann bittend: »Und nun? Ist jetzt wieder alles gut zwischen uns?«

Sarah griff nach ihrer Tasse und genehmigte sich einen langen, genussvollen Schluck. Es machte ihr sichtlich Spaß, Christina ein wenig schmoren zu lassen. »Na gut, diesmal verzeihe ich dir noch. Aber nur, wenn du mir alles haarklein erzählst. Und wehe, du lässt etwas aus.«

In Sarahs Dienstzimmer gab es eine kleine Sitzecke mit einem runden Clubtisch, in dessen Mitte eine Duftkerze und ein hübsches Blumenarrangement standen. Dazu gehörten drei gemütliche Sessel. Hierhin zog sich Sarah oft mit Patientinnen oder Angehörigen zurück, die Fürsprache und Trost nötig hatten. Heute war es der passende Platz für die beiden Freundinnen. Während sie sich den Kaffee und die Zimtschnecken schmecken ließen, berichtete Christina von den Verabredungen mit Adam. Sarah blieb nicht verborgen, dass Christinas Augen leuchteten und ihr ganzes Gesicht vor Glückseligkeit strahlte, wenn sie von Adam sprach.

»Vielleicht klingt es in deinen Ohren ein wenig albern, aber ich glaube, ich habe in ihm meinen Seelenverwandten gefunden«, schloss Christina mit einem hingebungsvollen Seufzer ihren Bericht.

»Ich finde das überhaupt nicht albern. Wahrscheinlich gibt es für jeden von uns den einen Menschen, der perfekt zu uns passt und dessen Herz mit dem eigenen im Einklang schlägt. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du diesem Menschen begegnet bist. Andere warten ihr ganzes Leben darauf, ohne dieses Glück zu erfahren.«

»Irgendwann wirst du dieses Glück auch haben und deiner großen Liebe begegnen«, sagte Christina schnell, weil sie meinte, einen traurigen Unterton aus Sarahs letzten Satz herausgehört zu haben. »Du siehst ihn und weißt sofort, dass er der Richtige ist.«

»War es denn bei dir und Adam so?«

Christina nickte eifrig. »Ja. Wir fühlten uns sofort zueinander hingezogen. Adam meint, wir sind vom Schicksal füreinander bestimmt, und ich kann ihm da nur zustimmen.« Sie grinste. »Lange genug habe ich ja auf meinen Traummann warten müssen. Es wurde Zeit, dass er sich endlich blicken ließ.«

»Woher weiß man eigentlich, dass er der Richtige ist? Was macht dich bei Adam so sicher?«, wagte Sarah zu fragen. »Du hattest doch auch schon früher Beziehungen gehabt. Hast du da nicht auch gedacht, es wäre für immer und ewig?«

»Ja … vielleicht …«, wand sich Christina. »Denkt man das nicht immer, wenn man verliebt ist? Zumindest für eine gewisse Zeit, bis die Ernüchterung kommt und sich der vermeintliche Märchenprinz mal wieder als Frosch entpuppt. Doch das wird mit Adam nicht passieren.«

»Warum nicht?« Sarah ließ nicht locker. »Was ist denn diesmal anders?«

»Nichts – und alles. Ich kann es selbst nicht erklären. Natürlich hatte ich auch meine Zweifel. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich die immer noch, zumindest hin und wieder. Schließlich ging alles so schnell mit uns. Wir kennen uns ja noch nicht mal richtig und wissen nicht viel voneinander. Aber unsere Gefühle sind trotzdem da. Sie sind echt und lassen sich nicht leugnen.«

»Du bist tatsächlich verliebt …«

Christina lächelte versonnen. »Ja, das bin ich. Und Adam geht es nicht anders. Wir lieben uns, Sarah.«

Sarah sah ihre Freundin lange und nachdenklich an, während Christina plötzlich nervös wurde. Sarahs Meinung war ihr wichtig. Sie wollte, dass Sarah ihre Beziehung zu Adam guthieß. Und falls sie das nicht konnte, sollte sie sie wenigstens akzeptieren.

»Ich bin Adam nur das eine Mal begegnet, als er uns von seiner Klinik in Sierra Leone erzählt hat«, begann Sarah behutsam. »Ich weiß kaum etwas über ihn, aber bei einer Sache bin ich mir ziemlich sicher: Das, was er in Afrika tut, macht er aus voller Überzeugung und mit seinem ganzen Herzen. Deshalb fällt es mir im Moment schwer zu glauben, dass er sein Lebenswerk aufgeben wird, um hier mit dir zu leben.«

»Das erwarte ich doch gar nicht von ihm«, antwortete Christina genauso vorsichtig. Über dieses Thema zu sprechen, war nicht leicht für sie. Sarah wollte Antworten auf Fragen, die sie ihr nicht geben konnte – oder nicht geben wollte. »Im Augenblick erwarten wir gar nichts. Wir wollen einfach nur sehen, was passiert und wie sich die Sache mit uns entwickelt. Wir wollen nichts kaputtreden oder verplanen, was gerade im Entstehen ist. Irgendwann werde ich vielleicht eine Entscheidung treffen müssen, aber jetzt ist es noch viel zu früh dafür.« Wie diese Entscheidung aussehen würde, behielt Christina für sich. Sie konnte ihrer Freundin nicht erzählen, dass sie darüber nachdachte, mit ihm zu gehen. Sie kannte Sarah gut genug, um zu wissen, dass sie alles tun würde, um ihr das auszureden.

*

Mit der Erlaubnis von Frau Kleinfeldt, ihrer Vermieterin, hatte Christina die Blumenbeete hinterm Haus geplündert und die bunte Blütenpracht des zu Ende gehenden Sommers in ihre Wohnung geholt. Überall standen kleine und große Vasen aus Glas oder Porzellan mit Rosen, Astern und lieblichen Anemonen. Für den Esstisch hatte Christina ein wunderschönes Bouquet aus tiefroten Duftrosen und weißen Margeriten arrangiert, zu dem ihre Augen immer wieder glitten, während sie in ihrer offenen Wohnküche das Abendessen vorbereitete.

Fünf Minuten vor der Zeit eilte sie ins Bad, um einen letzten kritischen Blick in den Spiegel zu werfen. Für Adam wollte sie heute besonders hübsch aussehen. Sie zupfte ihre Haare zurecht, die sie locker hochgesteckt hatte, zog den Lippenstift nach und gönnte sich ein paar Tropfen des teuren Parfüms. Dann hörte sie Hugo aufgeregt bellen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass jemand das Grundstück betreten hatte.

Christina lief zum offenen Fenster und sah hinaus. Adam stand vorm Haus und sprach auf Hugo ein, der sich erstaunlich schnell beruhigte und sich sogar von Adam streicheln ließ. Adam hatte sich vor ihm hingehockt und kraulte ausgiebig Hugos Fell, bis dieser sich vor Wonne auf den Rücken warf und leise vor sich hin grunzte.

»Ach herrje, das macht er sonst nur bei mir!«, rief Frau Kleinfeldt erstaunt aus. »Hugo ist Fremden gegenüber eigentlich sehr misstrauisch«, erklärte sie. »Aber Sie hat er gleich in sein Herz geschlossen.«

Christina konnte Adams Antwort nicht verstehen, aber Sigrid Kleinfeldt kicherte plötzlich wie ein junges Mädchen und wurde tatsächlich rot. Es gab keinen Zweifel – Adam flirtete mit der betagten Dame und ihr schien das ausgesprochen gut zu gefallen.

Amüsiert wandte sich Christina vom Fenster ab. Es wurde Zeit, das Nudelwasser aufzusetzen. Vorher sah sie sich noch einmal in ihrer Wohnung um. Alles war aufgeräumt und blitzte vor Sauberkeit. Adam konnte also kommen. Aufgeregt und mit einer freudigen Anspannung wartete sie darauf, dass er unten an der Tür klingelte.

Zu ihrer Wohnung im Dachgeschoss führte ein separater Eingang an der Giebelseite des Hauses. Christina öffnete ihre Wohnungstür und sah die steile Treppe, die zur Haustür führte, hinunter. Wo blieb Adam? Konnte er sich nicht von ihrer Vermieterin loseisen? Brauchte er etwa ihre Hilfe, um Frau Kleinfeldts Neugierde zu entkommen? Sie lief ins Wohnzimmer zurück und sah nach draußen. Es war niemand mehr zu sehen oder zu hören. Weder Frau Kleinfeldt, noch Adam oder Hugo. Unschlüssig blieb sie am Fenster stehen und wartete. Nach einigen Minuten gab sie auf. Sie schaltete den Herd aus und ging nach draußen, um nach ihrer verschollenen Verabredung Ausschau zu halten.

Sie fand Adam und ihre Vermieterin in der leerstehenden Garage. Adams Augen leuchteten auf, als er Christina entdeckte. Er zog sie in seine Arme und küsste sie, ohne auf Sigrid Kleinfeldt zu achten. Etwas verlegen beendete Christina den Kuss, der für ihren Geschmack zu lange andauerte – in Anbetracht ihres Publikums.

»Ich wollte nur nachsehen, wo du bleibst und dich daran erinnern, dass wir verabredet sind«, witzelte Christina. Sie sah zu Hugo hinunter, der zu Adams Füßen lag und ihn anbetete. »Aber gegen Hugo komme ich wohl nicht an.«

Adam lachte, breitete die Arme aus und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Was sagst du dazu?«, fragte er dann.

»Wozu?« Christina runzelte die Stirn. Sie sah sich in der leeren Garage um. Hier gab es absolut nichts Interessantes zu sehen. »Wovon sprichst du?«

»Von der Garage natürlich! Frau Kleinfeldt ist ein Engel und überlässt sie mir, damit ich die Spendengüter hier zwischenlagern kann, bevor sie verschifft werden.«

»Du willst die Garage mieten?«

»Nicht mieten!«, mischte sich nun Frau Kleinfeldt mit einem stolzen Lächeln ein. »Ich überlasse sie Dr. Jäschke kostenlos. Es ist ja nur für ein paar Wochen, und außerdem dient es einem guten Zweck.«

»Toll. Das ist sehr großzügig von Ihnen«, sagte Christina ohne große Begeisterung.

Als sie mit Adam in ihre Wohnung ging, sagte sie: »Auf die Garage bin ich seit Jahren scharf, doch Frau Kleinfeldt will sie mir partout nicht vermieten. Bei ihr steht sie die ganze Zeit leer, und ich könnte da gut meinen Wagen und mein Fahrrad reinstellen. Doch wenn ich sie wegen der Garage anspreche, höre ich immer nur ein Nein. Vielleicht solltest du sie für mich fragen. Dir scheint sie ja aus der Hand zu fressen.«

Adam grinste sie frech an. »Meinem Charme kann eben niemand widerstehen. Du bist mir doch auch schon verfallen.«

»Ha, ha.« Christina schloss die Wohnungstür auf und ließ Adam eintreten. Anerkennend sah er sich um.

»Es ist sehr schön hier und kein Vergleich zu meiner spartanisch eingerichteten Hütte im Busch.«

»Gibt es etwas, das du dort vermisst?«

»Nein. Zumindest habe ich bisher nichts vermisst. Diesmal wird es anders sein, wenn ich heimkomme.« Er drehte sich zu ihr um und zog sie in seine Arme. »Ich werde dich vermissen. Sehr sogar.« Seine Lippen streiften ihre Wange, berührten ihre Lippen und wanderten dann weiter zu ihrem Hals.

Mit einem leisen Lachen wand sich Christina aus seinen Armen. »Tut mir leid, aber ich muss mich jetzt ums Essen kümmern.«

Adam folgte ihr in die Küche und betrachtete belustigt die vielen Blumen, die auch hier überall herumstanden. »Ich bin froh, dass ich dir keine Blumen mitgebracht habe. In deiner Wohnung sieht es eh schon aus wie in einem Blumenladen.«

»Und genau so soll es auch sein. Ich finde, man kann nie genug Blumen haben. In meinem nächsten Leben werde ich bestimmt Floristin.«

»Wozu sollte das denn gut sein?«, spöttelte Adam. »Das, was du als Ärztin leistest, ist doch wohl bedeutungsvoller, als in einem Laden ein paar Blümchen zusammenzubinden.«

Christina sah ihn stirnrunzelnd an. »Ist nicht jeder Beruf bedeutungsvoll?«, fragte sie. »Es stimmt zwar, dass eine Floristin kein gebrochenes Bein flicken kann, aber dafür kann sie mit einem wunderschönen Strauß ein Lächeln in die Gesichter der Menschen zaubern.«

»Ja, vielleicht. Aber in einer Klinik kommt man mit ein paar Blümchen nicht weiter. Da helfen nur Medikamente oder ein chirurgischer Eingriff.«

Christina hatte es oft erlebt, dass ein bunter Blumenstrauß, den ein Besucher ihrem Patienten mitbrachte, mehr bewirkte als eine teure Tablette. Doch das behielt sie für sich. Sie wollte jetzt nicht mit Adam diskutieren oder gar streiten. Sie wollte diesen Abend mit ihm genießen und sich endlich um das Essen kümmern.

Als sie einen Topfdeckel hochnahm, schnupperte Adam. »Hm, das riecht ausgezeichnet.«

»Das ist die Pasta-Soße.« Sie drehte sich mit dem Ausdruck des Bedauerns zu ihm um. »Ich muss dich warnen. Ich bin keine besonders gute Köchin.«

»Dann war es sehr mutig von dir, mich zum Essen einzuladen.« Adam schmunzelte. »Allein dafür verdienst du meine ganze Bewunderung. Und im Übrigen ist es mir völlig egal, wie du kochst. Ich habe mich nämlich in dich verliebt und nicht in deine Kochkünste.«

»Gut zu wissen«, erwiderte Christina lächelnd. »Wenn es anders wäre, hätte das mit uns wohl keine Zukunft.«

Christina hatte sich umsonst Sorgen gemacht. Das Essen schmeckte, und das Lob, das Adam ihr und dem Essen aussprach, war ehrlich gemeint.

Und als er sie später in seine Arme nahm und sie voller Hingabe küsste, gab es nur noch sie und ihn. Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten ohne Zögern und gab jede Zurückhaltung auf. Schnell wurden die Küsse fordernder, die Berührungen leidenschaftlicher. Sie wollten beide das Gleiche, sie wollten beide mehr. Viel mehr, als ihnen ein Kuss geben konnte. In Christina brannte eine Sehnsucht, die nur Adam stillen konnte. Und als er sie endlich hochhob und ins Schlafzimmer trug, fühlte es sich richtig an.

*

Von nun an sahen sie sich täglich. Wenn Christinas Dienst vorbei war und Adam alle Termine erledigt hatte, holte er sie aus der Behnisch-Klinik ab. Sie unternahmen etwas zusammen, gingen essen oder in Christinas Wohnung, wo sie den Abend und die Nacht gemeinsam verbrachten. Für Christina war es die schönste Zeit ihres Lebens. Es war das, wonach sie sich seit Jahren gesehnt hatte: Ein Mann, den sie liebte und der ihre Liebe erwiderte.

Sie hatte es immer gehasst, abends in eine leere Wohnung zu kommen, wo niemand auf sie wartete. Es gab Menschen, denen es nichts ausmachte, allein zu leben, und die es sogar liebten. Christina gehörte nicht zu ihnen. Für sie hatte es immer festgestanden, eine Familie zu gründen und Mutter zu werden. Mit Adam war sie der Erfüllung ihres großen Traums nun einen riesigen Schritt nähergekommen.

Für Christina hieß es heute, Abschied aus der Notaufnahme zu nehmen. Dr. Erik Berger hatte seinen Urlaub beendet und war zurückgekehrt.

»Schön, dass du wieder da bist«, begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Wie war der Urlaub? Hast du dich gut erholt?«

»Ich hatte keine Erholung nötig«, gab Erik mürrisch zurück. »Genauso wenig wie diesen blöden Urlaub. Ich kann nur hoffen, dass mich der Chef jetzt endlich damit in Ruhe lässt.«

»Bestimmt«, erwiderte Christina locker. »Zumindest in den nächsten Monaten. Wenn du nicht willst, dass dir der Chef den Urlaub verordnet, solltest du ihn vielleicht mal freiwillig nehmen.«

»Heb dir deine klugen Ratschläge für jemanden auf, den sie interessieren. Sag mir lieber, was anliegt. Ist in den letzten beiden Wochen irgendetwas passiert, von dem ich wissen müsste?«

Christina, die auf Eriks Gemaule mit einer Engelsgeduld und einem belustigten Grinsen reagierte, reichte ihm eine grüne Mappe. »Ich habe dir einen Bericht geschrieben, weil ich weiß, wie sehr du darauf stehst. Außerdem findest du in der Mappe die Post der letzten beiden Wochen. Es gab ein paar Sachen, die nicht bis zu deiner Rückkehr warten konnten. Die habe ich schon erledigt. Um die anderen darfst du dich gern persönlich kümmern. Es ist nichts Dringendes, du kannst dir damit ruhig ein paar Tage Zeit lassen.«

»Ach ja? Wieso denkst du eigentlich, mir sagen zu müssen, wann ich was zu machen habe?«, blaffte er sie an.

Christina lachte nur darüber. »Gut zu wissen, dass du immer noch der Alte bist und der Urlaub keinen netten Menschen aus dir gemacht hat.« Sie stand auf. »Ich muss jetzt leider in den OP. Wir können uns ja später noch mal unterhalten und ein paar Gemeinheiten austauschen.« Sie seufzte übertrieben laut auf: »Ach, wie mir das gefehlt hat.« Dann winkte sie Schwester Inga, die das Gespräch mit unbewegter Miene verfolgt hatte, fröhlich zu und verließ die Notaufnahme.

Erik sah ihr mit zusammen­gekniffenen Augen nach. »Was stimmt nicht mit ihr?«, fragte er nachdenklich.

Inga wusste nicht, ob ihr Chef eine Antwort von ihr erwartete. Unsicher fragte sie zurück: »Was meinen Sie, Dr. Berger?«

Erik Berger deutete mit dem Kopf zur Tür, hinter der Christina vor ein paar Sekunden verschwunden war. »Frau Rohde. Was stimmt nicht mit ihr? Sie war heute so … anders, so ausgesprochen gut gelaunt.«

»Ist sie das nicht immer? Ich habe Frau Dr. Rohde noch nie in schlechter Stimmung erlebt.«

»Ja, das weiß ich selbst«, knurrte Erik ungeduldig. »Sie ist wirklich eine echte bayrische Frohnatur. Aber heute war sie … anders. Haben Sie dieses Strahlen nicht gesehen?«

»Strahlen?«, fragte Inga verwirrt.

»Ja, sie strahlte irgendwie …«

»Ach so!«, lachte Inga, die nun endlich verstand, was ihr Chef meinte. »Dass Frau Rohde so strahlt, ist kein Wunder. Sie ist frisch verliebt und schwebt halt auf Wolke Sie.«

Erik fuhr herum und sah Inga scharf an. »Verliebt? Seit wann? In wen? Warum erfahre ich das erst jetzt? Und was soll dieser Blödsinn überhaupt bedeuten? Nun reden Sie doch endlich! Muss ich Ihnen eigentlich jedes Wort aus der Nase ziehen?«

»Dr. Berger, das reicht jetzt.« Inga sah ihren Chef verärgert an. »Es gibt keinen Grund, mich deswegen so anzufahren. Wenn Sie etwas über das Liebesleben von Frau Rohde erfahren wollen, sollten Sie nicht mich, sondern sie danach fragen. Schließlich sind Sie mit ihr befreundet.«

Erik öffnete den Mund zu einer scharfen Erwiderung. Doch dann schloss er ihn wieder, ohne dass ein Laut seine Lippen passierte. Er schnappte sich die Postmappe, die ihm Christina dagelassen hatte, und zog sich damit in sein Büro zurück. Dort setzte er sich an den Schreibtisch. Er wollte die Mappe durcharbeiten und sich um die Dinge kümmern, die wichtig waren. Wichtiger als der Grund für Christinas Strahlen.

Ihre gute Stimmung hatte ihn überrascht. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie sauer auf ihn war. Sie hätte allen Grund dazu gehabt. Schließlich war das letzte Telefonat zwischen ihnen nicht gut gelaufen. Sie hatte ihn angerufen, weil sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte. Sie wollte wissen, wie es ihm geht. Und was hatte er getan? Er hatte einfach aufgelegt und sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Einige Male war er kurz davor gewesen, sie anzurufen. Er hatte sogar schon das Telefon in der Hand gehabt. Doch dann hatte er sich besonnen. Er würde sich auf gar keinen Fall bei ihr melden. Reichte es denn nicht, dass er ständig an sie denken musste?

Sie waren nur Kollegen, mehr nicht. Das war das, was er sich immer wieder sagte. Erik legte keinen Wert auf Freunde. Freunde, die sich überall einmischten und meinten, sich um sein Seelenheil zu sorgen, waren ihm ein Graus. Er brauchte seine Ruhe und keine Freunde!

Christina wusste das, und trotzdem hielt sie an dieser vermaledeiten Freundschaft fest. Warum das so war, wusste nur sie. Erik verstand es jedenfalls nicht. Er hatte keine Ahnung, was in dieser Frau vorging. Er wies sie von sich, er benahm sich rüpelhaft und provozierte sie mit seinem flegelhaften Benehmen. Trotzdem wendete sie sich nicht von ihm ab. Sie war nicht wie die anderen Kollegen. Es gelang ihm nicht, sie einzuschüchtern oder zu vertreiben. Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die ihm ebenbürtig waren. Sie zahlte es ihm mit gleicher Münze heim, wenn er sich ungebührlich benahm. Sie hielt ihm lange, empörte Vorträge, und sie drohte auch mal damit, sich beim Chefarzt über ihn zu beschweren. Und manchmal tat sie das sogar.

Doch heute war sie völlig anders gewesen. Nicht nur, dass sie das Telefonat mit keiner Silbe erwähnt hatte. Sie hatte auch auf seine Grobheiten anders reagiert als gedacht. Er hatte erwartet, dass sie ihm die Leviten las, mit ihm schimpfte und loswetterte. Doch nichts davon war passiert. Und das war mehr als ungewöhnlich – genau wie ihr Strahlen.

»Dr. Berger?« Schwester Inga sah hinein. »Sie werden im Schockraum gebraucht. Ein stumpfes Bauchtrauma nach einem Treppensturz.«

Erik sprang auf und eilte zur Tür. »Ein stumpfes Bauchtrauma? Wie kommen Sie darauf? Stellen Sie hier neuerdings die Diagnosen?«, ätzte er und tobte an ihr vorbei auf den Flur hinaus.

»Nein, nicht ich, sondern der Notarzt«, gab Inga pikiert zurück. »Er hat die Diagnose vor Ort gestellt.« Sie hasste es, wenn der Chef seine Laune an ihr ausließ und sie noch nicht mal den Grund dafür kannte. Ihr Blick fiel auf die grüne Mappe, die ungeöffnet auf seinem Schreibtisch lag. Daran konnte es nicht liegen. So wie’s aussah, hatte er da noch nicht mal hineingeschaut.

Eriks erster Arbeitstag nach dem Zwangsurlaub verging schnell. Ein Patient folgte dem anderen, so dass er kaum zum Luftholen kam. Kurz vorm Feierabend schaffte er es endlich, sich für einige Minuten loszueisen. »Ich bin kurz auf der Chirurgie. Sie erreichen mich dort, falls Sie mich brauchen«, sagte er zu Schwester Inga. Demonstrativ hielt er dabei die grüne Mappe hoch. »Ich habe noch ein paar Fragen zum Posteingang und muss das mit Frau Rohde klären.«

Inga erwiderte nichts. Erstaunt sah sie ihm nach, als er die Aufnahme verließ. Ihr Chef war heute wirklich äußerst sonderbar. Dass er ihr sagte, wo er im Notfall zu erreichen sei, war nicht ungewöhnlich, sondern üblich und erleichterte allen das Arbeiten. Aber dass er ihr mitteilte, was er auf der Chirurgie wollte und sich quasi dafür rechtfertigte, war neu. Dr. Erik Berger, der größte Griesgram und Eigenbrötler der Behnisch-Klinik, rechtfertigte sich nie für sein Tun oder Handeln. Er tat, was er für richtig hielt und scherte sich nicht darum, was andere darüber dachten.

*

Erik fand Christina in ihrem Büro auf der chirurgischen Station. Verwundert sah sie von ihrem Computer auf, als er zu ihr kam. Dann fiel ihr Blick auf die Mappe in seinen Händen. »Ist noch etwas unklar?«

»Ja, eine ganze Menge sogar«, entgegnete er, als er sich in den Stuhl vor ihrem Schreibtisch fallen ließ.

»Können wir das nicht auf morgen verschieben? Ich habe noch allerhand zu erledigen bis zum Feierabend. Und ich muss dann auch pünktlich los …«

»Warum? Wartet dein Freund auf dich?«, unterbrach er sie.

»Äh … woher … ich meine, wie kommst du darauf?«

»Der Flurfunk«, erwiderte Erik knapp.

»Der Flurfunk?« Christina lachte ungläubig auf. »Seit wann hörst du denn auf den Kliniktratsch?«

»Seit du es nicht für nötig hältst, mir von diesem Typen in deinem Leben zu erzählen. Ich musste von anderen erfahren, dass du dich verliebt hast.« Erik klang beleidigt. »Du behauptest doch immer, dass wir Freunde sind. Wäre es da nicht deine Pflicht gewesen, es mir zu sagen?«

»Meine Pflicht?« Damit hatte er einen empfindlichen Nerv bei ihr getroffen. »Was ist denn mit deinen Pflichten? Freundschaft ist keine Einbahnstraße, Erik. Du bemühst dich sonst auch nicht gerade um unsere Freundschaft. Wenn ich dich in deinem Urlaub anrufe, um zu hören, wie es dir geht, reagierst du wütend und legst einfach auf.«

»Dein Anruf kam eben zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Du hättest es ja später noch mal versuchen können.«

»Warum sollte ich das machen? Ich hatte nicht den Eindruck, dass du dich über einen erneuten Anruf freuen würdest. Du warst schlecht gelaunt und hast das an mir ausgelassen.«

»Na und? Das hält dich sonst auch nicht davon ab, mir auf die Nerven zu gehen.«

»Sag mal, hörst du dir überhaupt zu, wenn du redest?«, polterte Christina los. Sie hatte von dieser sinnlosen Diskussion, die zu nichts führte, die Nase voll. »Was willst du eigentlich von mir? Du machst keinen Hehl daraus, dass dir nichts an meiner Freundschaft liegt, und wirst nicht müde, mir das ständig zu sagen. Und auf einmal tauchst du hier auf und beschwerst dich darüber, dass ich dir nicht von meinem neuen Freund erzählt habe. Was soll das alles?«

Christina blitzte ihn aufgebracht an. Sie war bereit zurückzuschießen, ganz egal, welche alberne Argumente er ihr jetzt wieder vortragen würde. Doch Erik schwieg. Er starrte missmutig vor sich hin und sagte keinen Ton mehr. Christina wartete ein paar Sekunden, als dann immer noch nichts kam, beschloss sie, ihn einfach zu ignorieren. Sie sah wieder zu ihrem Computer und schrieb weiter an dem OP-Bericht, den sie unbedingt noch heute fertigstellen wollte. Leider gelang ihr das nicht. Der still vor sich hinbrütende Erik machte sie nervös, und sie schaffte es nicht, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Gerade als sie ihn auffordern wollte zu gehen, brach er sein Schweigen. »Wie ist er denn so? Woher kennst du ihn?«

»Wie bitte?«, fragte Christina konsterniert zurück. Dann begriff sie. »Ach so … du sprichst von Adam.« Sie sah zu ihrer angefangenen Arbeit auf dem Monitor. Jetzt war nicht der passende Zeitpunkt, um mit Erik über Adam zu sprechen. Sie wollte diesen Bericht endlich schreiben, damit sie fertig war, wenn Adam kam, um sie abzuholen. Sie wusste, sie sollte Erik jetzt fortschicken. Er hatte weder ihre Aufmerksamkeit noch ihre Rücksichtnahme verdient. Und schon gar nicht ihre Freundschaft. Doch andererseits war sie immer diejenige gewesen, die auf diese Freundschaft bestanden hatte. Sollte sie sich dann nicht auch wie eine gute Freundin benehmen und ihn an ihrem Leben teilhaben lassen?

Sie rang kurz mit sich, dann sagte sie versöhnlicher: »Erik, mir passt es jetzt leider gar nicht. Du siehst ja, ich habe zu tun. Vielleicht finden wir morgen die Zeit, uns auf einen Kaffee zu treffen. Dann erzähle ich dir alles. Oder ich stelle ihn dir mal vor, wenn er …«

»Also, wer ist dieser Typ, in den du dich so plötzlich verliebt hast?«, schnitt ihr Erik in seiner gewohnt ruppigen Art das Wort ab. »Existiert er überhaupt? Bisher redest du nämlich nur um den heißen Brei herum und legst dich nicht fest.«

»Natürlich existiert er!« Und schon wieder hatte er sie auf die Palme gebracht. »Ich habe ihn in deiner ersten Urlaubswoche kennengelernt. Er heißt Adam Jäschke und ist Chirurg wie ich. Dr. Norden hatte ihn gebeten, auf der Leitungssitzung von seiner Arbeit in Sierra Leone zu berichten. Er hat dort ein kleines Krankenhaus mitten im Busch aufgebaut. Zurzeit ist er in München, um Spenden und Hilfsgüter dafür zu sammeln.«

»Du kennst ihn also keine zwei Wochen und sprichst jetzt schon von der großen Liebe?«, höhnte Erik.

»Du hast davon geredet, nicht ich! Und falls doch, würde es dich überhaupt nichts angehen! Es spricht ja wohl nichts dagegen, sich seiner Gefühle innerhalb kürzester Zeit sicher zu sein. Manchmal weiß man eben sofort, dass es der Richtige ist.«

»Aha. Du glaubst also wirklich, dass dieser Adam der Richtige ist? Ein Mann, den du so gut wie gar nicht kennst, von dem du im Grunde überhaupt nichts weißt? Ausgerechnet in so einen Typen verknallst du dich?«

»Ja, ausgerechnet in ihn habe ich mich verknallt«, giftete Christina zurück. »Und nun geh endlich und lass mich in Ruhe. Ich muss arbeiten und habe keine Lust mehr, mir deinen Blödsinn anzuhören. Du legst es ja doch nur darauf an, alles schlecht zu reden. Warum kannst du dich nicht wie ein richtiger Freund benehmen und dich zu meinem Glück freuen?«

Erik sah sie sekundenlang an, und Christina gelang es nicht, seinem Blick auszuweichen. Sie sah so viel in seinen Augen, was sie nicht verstand: Wärme, Traurigkeit und Sorge. Das war nicht mehr der gefühllose, arrogante Mann, für den er sich so gern ausgab. Sie sah jetzt seine verletzliche, mitfühlende Seite. Die Seite, die sie an ihm mochte und die ihr Herz berührte und oft genug zum Stolpern brachte. Sie wusste, sie sollte nicht so für ihn empfinden.

Erik Berger war ein komplizierter Mann, der keine Nähe zuließ und alle von sich stieß. Von ihm würde sie nie das bekommen, was sie sich von einem Mann erhoffte: bedingungslose Liebe und eine gemeinsame Zukunft. Erik würde ihr das nie bieten können; er würde es noch nicht mal wollen. Im Gegensatz zu Adam …

»Tut mir leid«, sagte er mit brüchiger Stimme und stand auf. »Du hast recht. Ich sollte mich einfach zu deinem Glück freuen. Wenn dieser Adam dich glücklich macht, dann bin ich es auch.«

»Danke«, erwiderte Christina nur. Sie hätte ihm gern mehr gesagt, aber sie wusste, dass jetzt jedes weitere Wort fehl am Platz war.

»Ich geh dann mal«, sagte Erik. »Ich will dich nicht weiter von der Arbeit abhalten. Vielleicht lerne ich diesen Adam ja bald kennen.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich muss mir den Mann doch erst ansehen, bevor ich euch meinen Segen geben kann«, versuchte er sich an einem Scherz, der etwas aufgesetzt wirkte, aber Christina trotzdem zum Lächeln brachte. Als Erik gehen wollte, hielt sie ihn auf.

»Lass die Mappe hier. Wenn ich Zeit habe, schaue ich nachher noch mal rein. Dann können wir uns morgen darüber unterhalten.« Sie hielt ihm ihre Hand hin, doch Erik schüttelte den Kopf.

»Die Mappe ist leer«, sagte er und verzog mit einem schiefen Lächeln den Mund. »Ich habe sie nur als Alibi mitgenommen.«

Christina lachte leise. »Du brauchst kein Alibi, um herzukommen. Bei mir bist du immer willkommen.«

Erik sah aus, als wollte er etwas darauf erwidern. Doch dann nickte er ihr nur kurz zum Abschied zu und ging hinaus. Er fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter ins Erdgeschoss. Als er ausstieg, prallte er fast mit einem Mann zusammen, der davor wartete und dabei in sein Handy starrte.

»Entschuldigung«, murmelten beide zeitgleich. Der Mann wollte gerade in den Fahrstuhl steigen, als sein Blick an Eriks Namensschild hängenblieb. »Dr. Berger? Der Leiter der Notaufnahme?«

»Genau, das bin ich. Und Sie sind­ …?«

Der Fremde lächelte ihn nonchalant an, und Erik fand ihn auf Anhieb unsympathisch. »Jäschke. Dr. Adam Jäschke. Sie haben sicher schon von mir gehört.«

»Nein«, log Erik, ohne mit der Wimper zu zucken. »Sollte ich?«, fragte er dann so frostig, dass das Lächeln aus Adams Gesicht verschwand.

»Nun, Sie waren zwar im Urlaub, aber ich dachte, es hätte sich herumgesprochen, dass ich hier war, um mein Projekt in Sierra Leone vorzustellen.«

»Ich weiß von keinem Projekt«, gab Erik unwirsch zurück.

»Ich habe in Sierra Leone ein kleines Krankenhaus aufgebaut und bin in München, um Spenden einzuwerben. Hat Ihnen denn niemand davon erzählt?«

»Nein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir hier alle wahnsinnig beschäftigt sind. Und ich habe auch jetzt keine Zeit, mich damit zu befassen. Es gibt nämlich Leute, die arbeiten müssen.« Erik wandte sich ab und ließ den Mann stehen. Doch er kam nicht weit.

»Ein bärbeißiger Zyniker, der jeden vor den Kopf stößt und dem seine Mitmenschen egal sind«, hörte er hinter sich eine Stimme, in der eine Menge Verärgerung mitschwang.

Erik blieb stehen. Langsam drehte er sich wieder um. »Wie bitte?«, fragte er gefährlich leise.

Adam zuckte nur die Schultern. »Das ist das, was man sich hier über Sie erzählt. Ich muss sagen, Sie werden Ihrem schlechten Ruf wirklich gerecht.«

»Was geht Sie mein Ruf an?«, blaffte Erik.

»Nichts. Ich muss ja nicht mit Ihnen zusammenarbeiten. Ich wundere mich allerdings, dass Christina mit jemanden wie Ihnen befreundet sein will.« Als Erik ihn nur wütend anfunkelte, stieg Adam grinsend in den Fahrstuhl. »Ich werde sie von Ihnen grüßen«, sagte er noch, dann schlossen sich die Türen.

»So ein Vollidiot!«, schimpfte Erik leise vor sich hin.

»Von wem reden Sie?«

Erik zuckte zusammen und drehte sich zu dem Mann um, der hinter ihm stand. »Dr. Norden! Schleichen Sie sich immer so an?«

»Ich habe mich nicht angeschlichen. Vielmehr waren Sie derart in Gedanken versunken, dass Sie mein Kommen nicht bemerkt haben. Haben Sie gerade mit Dr. Jäschke gesprochen?«

»Ja, mit dem Vollidioten.«

»Herr Berger!«, mahnte Daniel. »Warum sagen Sie das? Kennen Sie ihn überhaupt näher?«

»Nein, aber ich muss ihn auch nicht kennen, um zu wissen, dass er ein Idiot ist.«

Daniel sah sich um. Sie standen immer noch am Rand der Lobby vor dem Fahrstuhl. Es machte keinen guten Eindruck auf Patienten oder Besucher, wenn sich ein Arzt der Klinik so abfällig über einen anderen Menschen äußerte. »Ich möchte Sie bitten, diese Kraftausdrücke für sich zu behalten. Ich bin mir sicher, dass Sie Herrn Jäschke falsch einschätzen und sich mal wieder vorschnell ein Urteil bilden. Herr Jäschke ist ein sehr engagierter Arzt, der viel Gutes bewirkt. Er leitet in Sierra Leone ein …«

»… Buschkrankenhaus«, vollendete Erik hämisch den Satz des Chefarztes. »Er ist ein Held, ein Wohltäter und der wiedergeborene Albert Schweitzer …«

»… und Sie können ihn aus irgendeinem Grund nicht leiden.« Daniel musterte seinen Mitarbeiter nachdenklich. »Ist Ihnen Herr Jäschke auf den Schlips getreten? Hat er Sie mit irgendetwas verärgert? Was will er hier überhaupt?«

»Er will zu Frau Rohde«, knirschte Erik mit zusammengebissenen Zähnen. »Die beiden sind ein Paar. Haben Sie davon gewusst?«

»Nur gerüchteweise. Bis jetzt habe ich nicht viel darauf gegeben, aber wenn selbst Sie das sagen, wird’s wohl stimmen.«

»Ja, es stimmt«, knurrte Erik. »Ich habe es aus erster Hand von Frau Rohde.«

»Und was stört Sie daran?«, fragte Daniel nicht ganz im Ernst.

Erik sah seinen Chefarzt direkt an. »Die Frage sollte wohl eher lauten, warum stören Sie sich nicht daran? Ihnen müsste doch klar sein, wohin das führt.«

»Nein, tut mir leid, Herr Berger. Vielleicht sollten Sie mich endlich mal aufklären.«

»Was denken Sie wohl, was dieser Mann hier will? Glauben Sie wirklich, er wird sich mit ein paar Spenden und ausrangierten Hilfsmitteln zufriedengeben, wenn er sich auch gleichzeitig eine brillante Chirurgin angeln kann? Er hat ganz sicher nichts dagegen, wenn sein Ärzteteam im Busch etwas Verstärkung bekommt.«

»Übertreiben Sie jetzt nicht? Frau Rohde und Herr Jäschke verstehen sich gut und womöglich haben sie sich auch ineinander verliebt. Im Moment gibt es keinen Grund, sich unnötige Sorgen zu machen. Sie kennen Frau Rohde doch. Haben Sie den Eindruck, dass sie eine Frau ist, die leichtfertig und gedankenlos alles hinter sich lässt, um Dr. Jäschke nach Afrika zu folgen?« Daniel schüttelte den Kopf und beantwortete seine Frage gleich selbst: »Nein, das würde sie nie tun. Jedenfalls nicht so schnell. Vielleicht irgendwann, in ein oder zwei Jahren, wenn die Beziehung gereift ist und sie für den nächsten, größeren Schritt bereit ist. Aber das wird die Zeit zeigen. Keine Sorge, Frau Rohde wird uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben.«

*

Ein köstlicher Duft weckte Christina an diesem Morgen. Sofort erschien ein Lächeln in ihrem Gesicht.

»Kaffee!«, murmelte sie glückselig.

»Schwarz, heiß und stark – so, wie du ihn am liebsten magst.« Adam küsste sie sanft. »Aufstehen, du Langschläferin. Ich war schon beim Bäcker und habe uns frische Semmeln geholt.«

»Du bist ein Schatz, Adam.« Christina blinzelte gegen das Sonnenlicht an, als sie ihre Augen öffnen. Zuerst sah sie das voll beladene Frühstückstablett, das Adam auf dem Bett abgestellt hatte. Dann sah sie zur Uhr auf ihrem Nachtschrank.

»Zehn vor sieben!«, entfuhr es ihr entsetzt. »Du weckst mich so früh an einem Samstagmorgen und wagst es dann noch, mich eine Langschläferin zu nennen?«

Adam küsste lachend ihre Na­senspitze. »Ist das das Einzige, woran du denken kannst? Wo bleibt der morgendliche Begrüßungskuss? Und dass ich dir ein leckeres Frühstück gemacht habe, scheint dir auch nichts wert zu sein.«

»O doch! Das weiß ich sogar sehr zu schätzen.« Christina setzte sich auf und stopfte sich das Kissen in den Rücken. Dann nahm sie einen großen Schluck von ihrem Kaffee. »Himmlisch!«, schwärmte sie, obwohl sie ihren Kaffee viel lieber mit Milch trank. Sie wunderte sich ein bisschen, dass Adam das nicht wusste. Schließlich war das nicht der erste Morgen, den sie zusammen verbrachten.

»Meinst du, du könntest dich an das frühe Aufstehen gewöhnen?«, fragte er, während er eine Semmel mit Butter bestrich.

»Ich muss mich nicht erst daran gewöhnen. Falls es dir entgangen ist – ich bin berufstätig und stehe unter der Woche immer sehr früh auf. Und oft auch noch am Wochenende. Mich als Langschläferin zu bezeichnen, ist also ziemlich unfair.« Sie nahm ihm dankbar das Brötchen ab, belegte es mit einer Scheibe Käse und biss ab. »Warum fragst du?«, wollte sie von ihm wissen.

»Na ja, im Busch beginnt der Tag schon sehr früh bei Sonnenaufgang.«

»Im Busch beginnt der Tag schon sehr früh«, echote Christina. Dabei überlegte sie, was Adam ihr damit sagen wollte.

»Ja, beim ersten Hahnenschrei.« Er musterte sie aufmerksam. »Meinst du, du kommst damit klar?«, fragte er dann vorsichtig.

»Warum soll ich damit klarkommen?«

»Ist das denn nicht offensichtlich?«

»Nein.« Christina schüttelte den Kopf. Auf einmal fiel ihr die Anspannung in Adams Miene auf. Irgendetwas ging hier vor. »Adam, bitte, rede endlich Klartext. Du machst hier eine Andeutung nach der anderen. Warum sagst du mir nicht einfach, was du möchtest?«

»Ich möchte …« Adam stoppte. Er nahm ihr das Brötchen wieder ab und legte es auf ihren Teller zurück. Dann ergriff er ihre Hände und sah ihr tief in die Augen. »Ich möchte, dass du mich nach Sierra Leone begleitest. Als Ärztin, als meine Partnerin und als Frau, die ich liebe und mit der ich mein Leben verbringen möchte.«

Christina schluckte. »Begleiten? Ich soll mit dir kommen, wenn du in vier Wochen abreist?«

»Ja, das meine ich. Ich will nie wieder ohne dich sein.«

»Aber so einfach geht das doch nicht. Und vor allem nicht so schnell. Das ist ein Riesenschritt, der gründlich durchdacht und geplant werden muss.«

»Ich liebe dich und du liebst mich. Reicht das nicht? Worüber musst du denn noch nachdenken?« Zärtlich strich er ihr über die Wange. Dann beugte er sich zu ihr hinüber und küsste sie mit einer Leidenschaft, die ihr den Atem raubte. »Hör auf zu grübeln, Liebes«, murmelte er an ihrem Mund. »Sag einfach ja und denk nicht an das, was kommen könnte.«

»Aber …«, versuchte sie sich an einem kleinen Einwand, der sich schnell in Luft auflöste. Adams glühende Küsse und seine beschwörenden Worte beraubten sie der Fähigkeit, logisch und vernünftig zu denken. »Aber, wir kennen uns kaum. Und außerdem waren wir uns doch einig gewesen, noch ein wenig zu warten und zu sehen, was die Zeit uns bringt. Du wolltest mich nicht drängen, Adam«, brachte sie dann doch noch raus.

»Ich weiß, das habe ich dir versprochen. Aber ruhig abzuwarten, liegt mir nun mal nicht. Bitte glaub mir, ich habe es an jeden einzelnen Tag, den wir uns kennen, versucht. Doch was soll das überhaupt bringen? Es ist albern, nichts zu tun, obwohl wir uns beide unserer Liebe so sicher sind. Wir lieben uns. Nur das zählt. Und nach Afrika zu gehen, um dort als Ärztin zu arbeiten, war doch vor vielen Jahren ein Traum von dir gewesen.«

»Ja, vor vielen Jahren. Es war ein Traum. Mehr nicht«, gab Christina seufzend zu. »Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich mich jemals daran erinnert hätte, wenn ich dir nicht begegnet wäre.«

»Sieh es doch als Chance, deinen alten Traum wieder aufleben zu lassen. Tina, mein Liebling, ich will dich nicht verlieren. Und ich habe Angst, dass das geschehen wird, wenn ich abreise und du hierbleibst. Uns würden tausende Kilometer trennen. Wir könnten uns nur ein- oder zweimal im Jahr sehen, und irgendwann würde unsere Beziehung daran zerbrechen.« Er streichelte ihre Hände, das Gesicht und küsste sie zärtlich. »Ich möchte dich nie wieder verlieren, und ich will keinen einzigen Tag von dir getrennt sein. Ein Leben ohne dich kann ich mir nicht mehr vorstellen. Bitte, mein Liebling, komm mit. Sag ja.«

Christina wollte nicht ja sagen. Stattdessen wollte sie ihm erklären, wie unvernünftig und töricht seine Worte waren. Es war unmöglich, innerhalb von wenigen Wochen ihre Zelte abzubrechen und ein ganzes Leben hinter sich zu lassen – ihre Arbeit, ihre Familie, ihre Freunde, einfach alles, was ihr etwas bedeutete und was ihr wichtig war. Doch dann blickte sie in seine Augen. Die Liebe, die sie dort sah, ließ sie vergessen, warum es nicht klug sein konnte, seinem Drängen nachzugeben. Seine Liebe ließ sie hoffen, dass ihr großer Traum nach einer eigenen Familie endlich wahr wurde. Was hatte sie hier schon zu verlieren? Hier gab es keinen Mann, an dem ihr Herz hing. Kurz drängte sich Eriks Bild in ihren Kopf, und sie wurde traurig. Warum dachte sie ausgerechnet jetzt an ihn? Er wollte sie doch noch nicht mal als gute Freundin haben. Wie sinnlos wäre es da, sich mehr von ihm zu erhoffen? Nein, sie würde nicht so dumm sein und auf Adams Liebe verzichten, um einem Hirngespinst nachzujagen. Sie wollte dieses Leben an Adams Seite. Ein Leben, das so unendlich viel für sie bereithielt: die Liebe eines Mannes, aufregende Abenteuer und neue Herausforderungen. Und wenn sie dafür allem und jedem den Rücken kehren müsste, dann würde sie es eben tun.

»Ja«, sagte sie deshalb und bemühte sich, die vielen Zweifel aus ihrer Stimme herauszuhalten. »Ja, ich werde dich begleiten.«

*

Es war ein wunderschöner, strahlender Montagmorgen. Doch für den Chefarzt der Behnisch-Klinik begann die neue Woche mit einer Katastrophe.

Fassungslos schob Daniel den Briefumschlag wieder zurück, bis er vor Christina auf dem Tisch lag. »Das kann nicht Ihr Ernst sein«, brachte er mühsam hervor. Seine Gedanken eilten zu dem Gespräch mit Erik Berger zurück. Die düstere Vorahnung seines Notfallmediziners hatte er damals als lächerlich zurückgewiesen. Jetzt musste er einsehen, dass er sich geirrt hatte.

»Doch, Dr. Norden, das ist mein Ernst. Es tut mir wirklich sehr, sehr leid, aber an meinem Entschluss ist nicht zu rütteln. Ich werde Adam nach Afrika folgen.«

»Aber warum? Ich verstehe das nicht. Wie kommen Sie plötzlich auf die Idee, Ihren Job zu kündigen und Ihr Glück in der Ferne zu suchen?«

»Ich denke, Sie kennen die Antwort darauf. Ich habe mich verliebt und folge meinem Herzen. Ich möchte mit Adam Jäschke zusammen sein, und das geht nur, wenn wir auf einem Kontinent leben.«

»Das verstehe ich, aber …« Daniel schüttelte den Kopf. »Wie lange kennen Sie Herrn Jäschke jetzt? Drei Wochen?«

»Nicht ganz. Aber das spielt keine Rolle für mich. Ich muss ihn nicht erst Jahre kennen, um zu wissen, dass er derjenige ist, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Wir haben uns ineinander verliebt, und wir möchten uns nicht mehr trennen. Können Sie das denn gar nicht verstehen?«

Daniel lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah seine Chirurgin nachdenklich an.

Natürlich konnte er sie verstehen. Auch er würde sich nie von der Frau, die er liebte, trennen. Aber Frau Rohde und Herr Jäschke? Sie kannten sich erst wenige Wochen. Zu wenig, um auf ein Zusammenleben in der Fremde vorbereitet zu sein.

»In vier Wochen kann der Container mit den Hilfsgütern verschifft werden«, sprach Christina schnell weiter, bevor ihr Chef mit neuen Einwänden kommen konnte. »Kurz darauf wird Adam mit dem Flieger nach Afrika aufbrechen.« Sie holte tief Luft. »Und ich werde im Flugzeug neben ihm sitzen.«

»In vier Wochen.« Traurig schüttelte Daniel den Kopf. »Ich kann es nicht fassen, dass wir Sie in vier Wochen verlieren werden.«

»Eigentlich schon früher«, bat Christina kleinlaut. »Ich weiß, das kommt jetzt zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, und Sie haben ja auch noch keinen Ersatz für mich. Aber ich würde in der letzten Woche sehr gern freinehmen. Es gibt vorher noch so viel zu erledigen.«

»Natürlich«, erwiderte Daniel mit bitterernster Miene. »Keine Sorge, Frau Rohde, ich werde Ihnen keine Steine in den Weg legen. Dafür schätze ich Sie viel zu sehr. Ihr Entschluss scheint ja ohnehin festzustehen, und ich werde Sie wohl kaum noch umstimmen können. Aber ich möchte, dass Sie eins wissen: Hier, in der Behnisch-Klinik, wird es immer einen Platz für Sie geben, sollten Sie es sich noch anders überlegen oder zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren.«

»Danke, Dr. Norden. Das bedeutet mir sehr viel.« Christina stand auf. Sie wollte jetzt nur noch raus, bevor sie vor lauter Rührung in Tränen ausbrach. »Sie wissen, wie gern ich hier gearbeitet habe. Die Behnisch-Klinik wird mir fehlen, Sie werden mir fehlen und auch alle anderen …« Tränen erstickten plötzlich ihre Stimme. Aus großen, traurigen Augen sah sie ihren Chef hilflos an.

Daniel war mit ihr aufgestanden und zog sie jetzt einfach in seine Arme. Christina Rohde war ihm im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen. Noch konnte er sich nicht vorstellen, wie es ohne sie weitergehen sollte.

»Es tut mir leid. Das ist mir jetzt sehr peinlich.« Verlegen löste sich Christina aus Daniels Armen. »Und dabei hatte ich mir fest vorgenommen, nicht so emotional zu werden.«

»Es ist nichts Verwerfliches daran, seine Gefühle zu zeigen«, erwiderte Daniel mit einem verständnisvollen Lächeln. »Es gibt also keinen Grund, sich dafür zu entschuldigen oder gar zu schämen. Ihre Tränen zeigen mir, dass Ihnen Ihr Weggang nicht leicht fällt und dass wir Ihnen am Herzen liegen.«

»Das tun Sie«, schniefte Christina traurig. »Sie liegen mir alle am Herzen.«

»Wissen Ihre Freunde schon Bescheid?«

»Nein, ich wollte erst mit Ihnen reden. Ich will nachher mit Frau Buchner sprechen. Sie wissen ja, dass Sarah und ich befreundet sind. Mir wird jetzt schon weh ums Herz, wenn ich mir vorstelle, wie sie darauf reagieren wird.«

»Frau Buchner wird Sie ganz sicher sehr vermissen.« Daniel zögerte kurz, bevor er fragte: »Und Herr Berger? Wann werden Sie es ihm sagen?«

Christina kaute unschlüssig an ihrer Unterlippe. Es war seltsam, dass ihr der Gedanke, es Erik sagen zu müssen, mehr Unbehagen bereitete als das bevorstehende Gespräch mit Sarah. Sie wollte nicht mit ihm reden. Sie wollte noch nicht mal an ihn denken.

»Ich weiß nicht so recht«, wich sie einer klaren Antwort aus. »Vielleicht mache ich das auch noch heute.«

»Das sollten Sie unbedingt noch heute machen. Ich muss Ihre Kündigung in der Verwaltung abgeben. Einen Tag kann ich das wohl noch hinauszögern, aber spätestens morgen wird die Personalabteilung es erfahren müssen. Und dann wird es auch nicht mehr lange dauern, bis diese Nachricht die Runde in der Klinik macht. Also bitte, reden Sie nachher mit Herrn Berger. Es wäre sehr schlimm für ihn, wenn er es von anderen erfahren müsste.«

»Meinen Sie?«

»O ja, Frau Rohde. Sie kennen ihn doch inzwischen recht gut. Herr Berger wird es wahrscheinlich niemals zugeben, aber für ihn sind Sie zu einer wertvollen Freundin geworden. Zu der einzigen, die er hat. Seit dem Tod seiner Frau hat er nie wieder jemanden so dicht an sich herangelassen wie Sie. Er hat sich Ihnen geöffnet und Ihnen Dinge offenbart, die er tief in sich verschlossen hatte.« Daniel sah sie bekümmert an. »Frau Rohde, wir werden Sie alle schrecklich vermissen, aber für Herrn Berger wird es besonders schlimm sein.«

Bevor Christina auf ihre Station zurückging, suchte sie die nächste Toilette auf. Sie schloss sich in einer Kabine ein und ließ endlich ihren Tränen freien Lauf. Das Gespräch mit Daniel Norden hatte sie aufgewühlt und zutiefst traurig gemacht. Sie wollte doch gar nicht fort. Sie wollte hier, in der Behnisch-Klinik, bleiben. Hier war sie glücklich, hier konnte sie die Arbeit machen, die sie kannte und die sie liebte. Was sie in Sierra Leone erwartete, wusste sie nicht. Sicher, auch dort gab es kranke Menschen, die ihre Hilfe brauchten. Vielleicht noch dringender als hier. Für diese armen Menschen war Adams Krankenhaus die einzige Möglichkeit, an medizinische Hilfe zu gelangen. Trotzdem war sich Christina nicht sicher, dass dies die Aufgabe war, die das Schicksal für sie vorgesehen hatte. Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an, ohne dass sie es erklären konnte.

Doch wenn sie an Adam dachte und an die gemeinsame Zeit, die vor ihnen lag, wurde ihr wieder etwas leichter ums Herz. Sie liebten sich; es würde alles gut werden. In ein paar Monaten – sobald sie sich an das fremde Leben in der Ferne gewöhnt hatte – würde sie wahrscheinlich lachen, wenn sie an diese tränenreiche Zeit in der Damentoilette zurückdachte.

Mit einer energischen Handbewegung wischte sie die letzten Tränen fort. Dann schloss sie die Tür auf und ging zum Waschbecken, um die Spuren ihres kleinen Zusammenbruchs aus ihrem Gesicht zu verbannen. Das kalte Wasser tat ihr gut und sorgte für Klarheit auf ihrer Haut und in ihrem Kopf. Alles würde gut werden. Es gab überhaupt keinen Grund für Tränen. Vor ihr lag eine strahlende Zukunft voller Abenteuer, neuen Aufgaben und Liebe.

Sie nahm sich ein Papierhandtuch aus dem Spender, tupfte ihr Gesicht trocken und übte vor dem Spiegel ein glückliches Lächeln. Es gelang ihr unerwartet gut – doch dann dachte sie an Erik. Sie beobachtete, wie sich ihr Spiegelbild veränderte. Ihre Mundwinkel sackten nach unten, ein dunkler Schatten legte sich über ihr Gesicht und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. Die Traurigkeit war zurückgekehrt.

*

»Ich bin so stolz auf dich, mein Liebling«, hörte Christina Adams Worte am anderen Ende der Leitung, doch sie konnte seine Freude über ihre abgegebene Kündigung nicht teilen. Ihre Finger umklammerten den Telefonhörer mit eisernem Griff, als hoffte sie, so Halt zu finden. Allmählich wich das Blut aus ihren Fingern. Sie wurden taub, und ein leichtes Kribbeln machte sich ihnen breit. Es war ein gutes Gefühl, wie Christina meinte, denn es lenkte sie von ihrem Kummer und den widersprüchlichen Gefühlen ab.

»Ich muss gestehen, dass ich Angst hatte, du würdest doch noch einen Rückzieher machen.«

»Nachdem du mich das ganze Wochenende bearbeitet hast?«, entschlüpfte es ihr ungewollt.

»Wie bitte? Was meinst du damit?«

»Ach nichts«, erwiderte Christina schnell. Sie wollte ihm nicht vorhalten, dass er sie das ganze Wochenende gedrängt hatte, ihre Kündigung zu schreiben. Oder dass er ihr das Versprechen abgerungen hatte, sie noch heute abzugeben. Es wäre falsch, ihm jetzt die Schuld an ihrem Dilemma zu geben. Sie war eine erwachsene Frau und allein verantwortlich für ihre Entscheidung, nach Afrika zu gehen. Ob es eine kluge Entscheidung war, blieb abzuwarten.

»Das Schlimmste steht mir erst noch bevor«, seufzte sie. »Ich habe Sarah und Erik gebeten herzukommen, damit ich es ihnen sagen kann.«

»Du willst es beiden gleichzeitig sagen?«

»Ja, ich glaube, das ist einfacher für mich. Wenn ich es ihnen zur selben Zeit sage, steht mir nur ein einziger Gewittersturm bevor, dann ist es ausgestanden.«

»Hey!«, lachte Adam. »Was ist denn los mit dir? Du hörst dich ja richtig deprimiert an.«

»Was denkst denn du? Glaubst du etwa, es fällt mir leicht, meinen Freunden zu sagen, dass ich ans andere Ende der Welt ziehe und wir uns vielleicht niemals wiedersehen?« Christina fiel ihr auf, wie gereizt sie klang, und sofort ärgerte sie sich darüber. Adam konnte nichts dafür, dass ihr die Trennung so schwerfiel. Es war nicht fair, ihren Frust an ihm auszulassen. Deshalb war sie auch nicht überrascht, dass er nun verschnupft reagierte.

»Niemand zwingt dich, mit mir zu kommen.«

»Das weiß ich doch, Adam. Es tut mir leid, dass du jetzt meine miese Stimmung auszuhalten hast.«

»Freust du dich denn gar nicht auf Afrika?«

»Doch, das tue ich!«, sagte Christina mit fester Stimme. »Ich liebe dich, und ich möchte mit dir zusammenbleiben. Und von nun an werde ich dir nicht mehr die Ohren volljammern, sondern dir nur noch erzählen, wie sehr ich mich auf mein neues Leben freue.«

»Genau das wollte ich von dir hören, mein Liebling«, erwiderte er zufrieden. »Was hältst du davon, wenn ich dich nachher abhole? Wir könnten irgendwo einkehren und abends ins Kino gehen. Das sind Dinge, auf die wir bald verzichten müssen.«

»In Ordnung. Ich versuche, pünktlich Feierabend zu machen. Aber versprechen kann ich’s dir leider nicht. Bis zu meinem Urlaub muss ich noch viel erledigen. Viel Zeit bleibt mir ja nicht mehr.«

Christinas Bürotür öffnete sich, und Sarah kam herein. Mit einer Hand wies Christina auf die Sitzecke, in der schon ein Tablett mit Kaffee, Geschirr und Gebäck stand. »Eine Sekunde«, formte sie lautlos mit dem Mund, dann sprach sie mit Adam weiter: »Ich muss jetzt Schluss machen, Sarah ist gerade gekommen.«

»Ja, natürlich. Ich komme dann nachher vorbei, um dich abzuholen. Wenn du noch nicht fertig bist, warte ich einfach in deinem Büro auf dich.«

»Danke, das ist lieb von dir. Bis später.«

Christina hatte das Gespräch gerade beendet, als auch Erik ins Zimmer kam. Stirnrunzelnd betrachtete er die Kaffeetassen, die Sarah inzwischen auf dem Tisch verteilt hatte. Er verkniff sich einen Kommentar und setzte sich zu ihr.

»Verrätst du uns jetzt endlich, was los ist?«, fragte Sarah, als sich Christina zu ihnen gesellte. »Du hast am Telefon sehr geheimnisvoll geklungen.«

Christinas Anspannung nahm zu. Sie sah von Sarah zu Erik, der noch immer schwieg und sie nur mit einem seltsamen Blick bedachte. Die Wahrheit ließ sich nun nicht länger hinausschieben. Stockend berichtete Christina von Adam und ihren Plänen, gemeinsam nach Afrika zu gehen. Als sie zu ihrer abgegebenen Kündigung kam, entfuhr Sarah ein entsetztes »Nein!«

Erik saß wie versteinert auf seinem Platz. Erst als Christina fertig war und verstummte, kam Bewegung in ihn.

»Du bist ja noch verrückter, als ich dachte!«, brüllte er sie an. Dann sprang er auf und stürmte hinaus. Mit einem lauten Knall flog die Tür hinter ihm zu.

Wie betäubt starrte Christina sekundenlang auf die Tür. Dann fing sie sich wieder. »Das war heftig«, murmelte sie, bevor sie sich ihrer Freundin zuwandte. Sie bekam einen Riesenschrecken, als sie sah, dass Sarah zusammengesunken auf ihrem Stuhl saß und lautlos weinte. Mit einem Satz war sie bei ihr. Sie ging vor Sarah in die Hocke und griff nach ihren Händen.

»Bitte, Sarah, bitte nicht weinen«, flehte sie, ohne zu merken, dass ihr auch die Tränen übers Gesicht liefen. »Es wird kein Abschied für immer. Das verspreche ich dir. Wir bleiben weiterhin beste Freundinnen. Es gibt doch Telefone und das Internet und …« Christina schaffte es nicht mehr, weiterzusprechen oder gar Trost zu spenden, den sie selbst am nötigsten hatte. Deshalb zog sie ihre Freundin nun in ihre Arme und weinte mit ihr gemeinsam.

»Bist du dir ganz sicher, dass es das ist, was du willst?«, fragte Sarah später, als die Tränen versiegt waren. »Glaubst du, dass du dort glücklich wirst?«

»Ja, natürlich«, erwiderte Christina automatisch, dann verzog sie den Mund. Wem wollte sie hier etwas vormachen? Sarah war ihre beste Freundin. Wenigstens ihr gegenüber sollte sie ehrlich sein. »Ich weiß es nicht. Im Moment gibt es nur die Hoffnung, dass es so sein wird. Trotzdem werde ich mitgehen. Wenn ich es nicht mache, bereue ich es vielleicht eines Tages. Dann sitze ich womöglich einsam und ganz allein in meiner Wohnung. Ich habe graues Haar und viele Falten im Gesicht und frage mich immerzu, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich ihm gefolgt wäre.« Sie sah ihre Freundin eindringlich an. »Hört sich das für dich kindisch an? Glaubst du auch, dass ich verrückt bin?«

»Nein, das glaube ich nicht. Und Berger glaubt das ganz sicher auch nicht.«

»Du hast ihn doch eben gerade gehört …«

»Ich habe jemanden gehört, der verletzt und traurig war und der das mit dieser rüden Bemerkung verbergen wollte. Du kennst ihn besser als ich und kannst vielleicht eher verstehen, was in ihm vorgeht.«

Christina schüttelte traurig den Kopf. »Da irrst du dich. Ich wollte, es wäre anders, aber Tatsache ist, dass mir dieser Mann nach wie vor ein Rätsel ist. Es gab mal eine Zeit, da dachte ich …« Sie lachte bitter auf. »Ich hatte wirklich gedacht, ich würde ihn irgendwann besser verstehen und wir … wir würden uns vielleicht näherkommen …«

Als Christinas Stimme versagte, sprach Sarah für sie weiter: »Du hast gehofft, er würde deine Gefühle erwidern.« Sarah lächelte tiefsinnig. »Denkst du, ich hätte nicht bemerkt, was du für ihn fühlst? Ich weiß, dass er dir nicht gleichgültig ist. Früher hielt ich das übrigens für eine irrwitzige Idee. Ausgerechnet Erik Berger und meine beste Freundin? Niemals! Doch jetzt …« Ihr Lächeln wurde traurig. »Jetzt wünsche ich mir, du wärst mit ihm zusammen und nicht mit Adam. Dann würde ich meine beste Freundin nicht verlieren.«

»Das tust du nicht. Wir werden immer beste Freundinnen bleiben, auch wenn ich mit Adam fortgehe. Ich liebe ihn. Er ist der Mann, mit dem ich zusammen sein will.«

»Und Erik?«, fragte Sarah leise.

»Erik war ein Irrtum«, erwiderte Christina. »Eine dumme Idee, in die ich mich verrannt hatte. Damals, als ich noch dachte, er könnte irgendwann etwas für mich empfinden. Inzwischen bin ich klüger. Erik ist es im Grunde doch völlig egal, ob ich hier, in Afrika oder auf dem Mond lebe. Ich bedeute ihm absolut nichts.«

*

Erik Berger tat den ganzen Tag das, was er immer machte, wenn ihn etwas bedrückte: Er stürzte sich in die Arbeit. Er hetzte von einem Patienten zum anderen, wertete Laborergebnisse aus, kümmerte sich um Überweisungen und Klinikeinweisungen, versorgte Wunden und befundete Röntgenbilder. Trotzdem gelang es ihm nicht, Christinas Worte aus dem Kopf zu bekommen.

Sie würde die Behnisch-Klinik verlassen. Sie würde ihn verlassen. Sie würde mit einem Mann, den sie kaum besser kannte als den Gemüsehändler an der Ecke, das Land verlassen.

Geistesabwesend griff er nach der Kaffeetasse, die vor ihm auf dem Schreibtisch stand. Angewidert verzog er das Gesicht, als er davon trank. Der Kaffee war eiskalt und entsetzlich bitter. In einem Anflug von Zorn und Kummer schmiss er die Tasse weit von sich. Mit einem lauten Knall schlug sie an der Tür auf und fiel zertrümmert auf den Boden.

Eine Weile blieb Erik still auf seinem Platz sitzen und betrachtete den Schaden, den er angerichtet hatte. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er musste etwas tun. Er konnte hier nicht untätig rumsitzen und zulassen, dass Christina fortging. Er musste sie aufhalten, sonst würde er die einzige Freundin, die er besaß, verlieren.

Er sprang auf, sammelte die Scherben auf und ging damit in den Pausenraum. Als er sie dort in den Mülleimer warf, kam Schwester Anna herein.

»Ach, wie schade«, sagte sie. »Das war doch Ihre Lieblingstasse.«

»Ja, sie ist mir runtergefallen«, brummte er. »Was soll’s! Es war nur eine dämliche Tasse! Falls mich jemand sucht, ich bin auf der Chirurgie. Ich muss da was klären.«

Noch wusste er nicht, wie er Christina davon abhalten sollte, das Land zu verlassen. Während ihn der Fahrstuhl auf die chirurgische Station brachte, grübelte er unentwegt darüber nach. Ohne Erfolg.

»Wo ist Frau Dr. Rohde?«, blaffte er die erste Schwester, die ihm über den Weg lief, an.

»Äh … ich weiß nicht … vielleicht in ihrem Büro …«, stammelte Schwester Renate. Dr. Berger machte sie nervös, besonders wenn er so ungehalten war wie jetzt.

Die Tür zu Christinas Büro stand eine Handbreit offen, und Erik stürmte hinein, ohne sich die Mühe zu machen anzuklopfen. Verblüfft blieb er im Türrahmen stehen, als er den Mann sah, der an Christinas Computer saß und nun wie ertappt aufblickte.

»Was machen Sie hier?«, herrschte ihn Erik an.

»Guten Tag, Dr. Berger«, erwiderte Adam mit einem unbeschwerten Lächeln. »Ich warte auf Christina.«

»Weiß sie, dass Sie hier sind? An ihrem Computer?«

»Natürlich. Es gibt also keinen Grund, mich so anzublaffen.«

»Dafür gibt es sogar mehr als nur einen Grund!«

»Ach, dann hat Christina es Ihnen bereits gesagt. Sie wissen also, dass sie mit mir kommen wird. Das erklärt natürlich Ihre schlechte Laune und Ihre noch mieseren Umgangsformen.«

»Meine Laune geht Sie überhaupt nichts an! Und meine miesen Umgangsformen haben Sie sich selbst zuzuschreiben!«

»Hören Sie auf, so ein Theater zu machen«, ärgerte sich Adam jetzt. Er hatte inzwischen seine Arbeit am Computer beendet und war auf­gestanden. Adam ging um den Schreibtisch herum und lehnte sich dagegen. »Was ist eigentlich Ihr Problem? Ich dachte, Sie wären so etwas wie ein Freund für Christina. Dann sollten Sie es doch wohl hinbekommen, sich für sie zu freuen.«

»Worüber sollte ich mich denn freuen? Darüber, dass sie blind in ihr Unglück rennt?«

»Wir lieben uns und …«

»Liebe?«, schnitt ihm Erik wütend das Wort ab. »So ein Schwachsinn! Das Einzige, was Sie lieben, ist Ihre kleine Buschklinik! Wenn Sie nur halb so viel für Christina empfänden, würden Sie sie niemals bitten, hier alles Knall auf Fall aufzugeben. Sie würden ihr mehr Zeit zum Nachdenken und die Möglichkeit geben, sich das Land und die Klinik anzusehen, bevor sie eine Entscheidung trifft. Wenn Sie Christina wirklich lieben würden, hätten Sie sie nicht gedrängt, mit Ihnen zu gehen!«

»Das hat er nicht, Erik.« Christina hatte der Lärm, der aus ihrem Büro bis auf den Stationsflur gedrungen war, hergelockt. Regungslos stand sie an der Tür und sah nur Erik an. Unter ihrem kühlen Blick aus großen, dunklen Augen, die das erschreckend blasse Gesicht dominierten, wurde ihm auf einmal klar, dass es keine Hoffnung mehr gab. Er würde sie verlieren.

»Er hat mich nicht bedrängt«, sagte sie tonlos. »Ich habe den Entschluss, ihm nach Afrika zu folgen, ganz allein getroffen.«

»Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, schnauzte Erik. »Du hast dich von ihm blenden lassen und bist auf ihn reingefallen wie ein verknallter Teenager!«

»Erik, hör endlich auf, Adam oder mich zu beschimpfen«, fuhr sie ihn an. »Du hast kein Recht, dich in meine Angelegenheiten einzumischen oder mir vorzuschreiben, was ich tun soll.«

»Natürlich habe ich das Recht dazu. Du behauptest doch immer, wir wären befreundet. Als dein Freund werde ich nicht seelenruhig zusehen, wie du einen schweren Fehler begehst!«

»Als mein Freund solltest du mich in all meinen Entscheidungen unterstützen!«, wetterte sie jetzt los. »Und du solltest endlich aufhören, nur an dich zu denken, sondern mir einfach mein Glück gönnen!«

Bei ihren Worten wurde Eriks Miene ausdruckslos, aber in seinen Augen flammte ein Schmerz auf, der sie zutiefst erschütterte. Noch während sie überlegte, was das zu bedeuten hatte, drehte er sich um und ging.

Wie betäubt stand Christina im Raum und sah ihm nach.

»Was für ein Blödmann!«, hörte sie Adam hinter sich. Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie zu sich heran. »Hallo, meine Süße«, sagte er, und Christina konnte hören, dass er lächelte. Doch ihr war nicht zum Lächeln zumute. In ihrem Herzen brannte der Schmerz, den sie in Eriks Augen gesehen hatte.

»Was ist denn los?«, fragte Adam, als ihm aufging, dass Christinas Aufmerksamkeit nicht ihm galt. »Machst du dir etwa seinetwegen Sorgen? Das kann nicht dein Ernst sein! Auf den kannst du gut verzichten. Sei froh, dass du ihn los bist.«

»Das bin ich aber nicht«, widersprach Christina unwillig. »Du kennst ihn nicht und weißt absolut nichts von ihm.«

»Und so soll es auch bleiben. Mir ist dieser Kerl total egal, und ich will nicht mehr über ihn reden.« Adam küsste sanft ihren Nacken. »Ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu streiten. Wir wollten uns einen schönen Abend machen. Hast du das vergessen?«

»Nein, natürlich nicht.« Sie brauchte ihre ganze Kraft für das dünne Lächeln, mit dem sie sich zu ihm umdrehte. »Ich habe mich doch schon darauf gefreut.«

*

Für Christina begann nun eine aufregende und geschäftige Zeit. Sie hatte in der Klinik alle Hände voll zu tun und musste sich außerdem um ihre Abreise kümmern. Mit Erik hatte sie nicht mehr gesprochen. Seit dem Streit in ihrem Büro ging er ihr konsequent aus dem Weg. Anfangs hatte ihr das wehgetan, aber allmählich begann sie sich mit der Situation abzufinden. Es hatte auch sein Gutes, wenn sie sich nicht mehr sahen. So fielen wenigstens keine bösen Worte, die die Erinnerungen an ihn trüben könnten, wenn sie in der Ferne an ihn zurückdachte.

Eine große Stütze war ihr jetzt Sarah. Ihre Freundin litt zwar auch unter der bevorstehenden Trennung, aber sie ließ es sich nur selten anmerken.

»Habe ich dir schon gesagt, wie dankbar ich dir dafür bin, dass du mir beim Einpacken meiner Sachen hilfst?«

Sarah lachte. »Ja, ungefähr tausend Mal.« Sie griff nach einem leeren Karton, um Christinas CD-Sammlung zu verstauen. »Und genauso oft habe ich dir gesagt, dass ich das sehr gern für dich mache.«

Christina sah sich in ihrer ehemals gemütlichen Wohnung um, in der sich nun die vielen Kartons und Kisten stapelten. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen, und ihr war, als würde ein schweres Gewicht auf ihrer Brust lasten. Was tat sie hier eigentlich? Wollte sie wirklich alles aufgeben, um in eine ungewisse Zukunft zu starten? Christina verstand nicht, woher diese Zweifel kamen. Sie war sich doch so sicher gewesen, das Richtige zu tun.

»Weißt du, ob Frau Kleinfeldt schon einen Nachmieter für deine Wohnung gefunden hat?«, fragte Sarah, die nicht ahnte, wie es in ihrer Freundin aussah.

»Äh … nein … ich … also …« Christina brach nervös ab.

»Was ist denn los?«, fragte Sarah neugierig. Dann sah sie Christinas zerknirschte Miene und wusste Bescheid. »Du hast die Wohnung noch nicht gekündigt. Du willst dir eine Hintertür offenlassen, falls es mit Adam doch nicht klappt.«

Als Christina nur beschämt nickte, deutete Sarah verwundert auf die ganzen Kartons. »Aber warum packen wir alles ein, wenn du die Wohnung behältst?«

»Weil ich ein großer Feigling bin«, gestand Christina mit einem schweren Seufzer. »Adam denkt, dass ich die Wohnung aufgebe, und ich lasse ihn in diesem Glauben. Ich möchte nicht, dass er die Wahrheit erfährt. Er würde dann doch nur vermuten, dass ich mir meiner Sache nicht mehr sicher bin und kalte Füße bekommen habe.«

»Und?«, fragte Sarah mitfühlend. »Ist es so? Hast du kalte Füße bekommen?«

»Nein! Nun ja … also nicht direkt. Ich habe nur so ein mulmiges Gefühl, und solange das anhält, möchte ich eben kein Risiko eingehen.« Sie sah Sarah betreten an. »Ganz schön erbärmlich, nicht wahr?«

»Nein, nur äußerst vernünftig und sehr klug. Mach dir deswegen keine Gedanken, Tina. Es kann nicht falsch sein vorzusorgen. Wenn es sich als unnötig erweisen sollte, ist es doch kein Problem, die Wohnung irgendwann endgültig aufzulösen. Und falls du mit deinem mulmigen Gefühl richtig liegst …« Sarah sah ihre Freundin verständnisvoll an. »Dann wirst du sehr froh sein, eine Bleibe zu haben.«

Als Sarah aufbrach, begleitete sie Christina bis zur Gartenpforte und verabschiedete sich dort von ihr. Dann ging sie zur Garage, um sie für die Nacht abzuschließen. Frau Kleinfeldts Garage war inzwischen prall gefüllt. Adams Spendentour durch Kliniken, Sanitätshäuser und Pharmaunternehmen war sehr erfolgreich verlaufen. Neben Sachspenden war auch viel Geld zusammengekommen, mit dem Adam Medikamente, Verbandstoffe und Hilfsmittel gekauft hatte. In den letzten Wochen waren etliche Pakete eingetroffen, die in der Garage ein Zwischenlager fanden, bevor sie eine Spedition nach Hamburg zum Seehafen bringen würde.

Christina verriegelte die Garage und ging dann ins Haus zurück. Lustlos packte sie noch ein paar Sachen ein und vermisste die Vorfreude auf das große Abenteuer, das nun unmittelbar bevorstand. In zwei Tagen würde sie der Behnisch-Klinik und allen Menschen, die ihr dort ans Herz gewachsen waren, Lebewohl sagen. Sie würde in ihrer Urlaubswoche zwar noch einmal zu einer kleinen Abschiedsfeier zurückkehren, aber ihre Arbeit als Chirurgin in der Behnisch-Klinik ging übermorgen zu Ende.

Am nächsten Morgen, während der Visite, war ihr so wehmütig zumute, dass sie ein paar Mal fast in Tränen ausgebrochen wäre. Und wenn sie in die bedrückten Gesichter der Kollegen und Patienten sah, wusste sie, dass der Abschied nicht nur ihr sehr nahe ging.

Gegen Mittag beschloss sie, in die Notaufnahme zu gehen. Sie wollte ein letztes Mal versuchen, mit Erik ins Reine zu kommen. Der Gedanke abzureisen, ohne sich mit ihm versöhnt zu haben, war inzwischen unerträglich geworden.

Als sie in sein Büro kam, platzte sie geradewegs in eine Unterhaltung zwischen ihm und Daniel Norden.

»Oh! Entschuldigung! Ich wollte nicht stören. Ich komme später noch mal wieder.«

»Nein, nein, Frau Rohde«, sagte Daniel schnell. »Es passt ganz gut, dass Sie auch hier sind. Das erspart mir einen Gang auf die Chirurgie.« Daniel wartete, bis Christina sich zu ihnen gesetzt hatte, dann erklärte er sein Hiersein: »Die Verwaltung hat mich auf ein Problem aufmerksam gemacht. In den letzten drei Wochen sind vermehrt Rechnungen für medizinisches Material und Medikamente eingegangen. Mehr als sonst üblich. Es geht zwar nicht um horrende Summen, aber es fiel halt auf.«

»Geht aus den Rechnungen hervor, welche Abteilung die Bestellung aufgegeben hat?«, wollte Erik wissen.

»Nein, leider nicht. Auf meine Bitte hat die Verwaltung jetzt von den Lieferanten Kopien der Bestellungen angefordert. Dann wissen wir mehr. Allerdings kann das ein paar Tage dauern. Ich hatte gehofft, schon jetzt eine Erklärung für diesen Mehrbedarf zu finden.«

Christina dachte nach. »Manchmal kommt es vor, dass wir auf Station mehr Verbandsmaterial brauchen, weil wir es mit größeren Wunden zu tun haben. Um was genau geht es denn?«

Daniel reichte zwei Zettel an Erik und Christina weiter.

»Die Verwaltung hat sich die Mühe gemacht, die Materialien, die der Klinik in den letzten Wochen in Rechnung gestellt wurden, aufzulisten.«

Erik warf nur einen kurzen Blick darauf.

»Nichts davon habe ich bestellt. Die meisten Sachen brauchen wir hier gar nicht.«

»Bei mir ist es das Gleiche«, stimmte ihm Christina zu. »Die Antibiotika, die hier draufstehen, verwenden wir nicht, und ich habe sie noch nie bestellt. Und hier …« Sie tippte auf einen bestimmten Punkt auf der Liste. »Für Orthesen und Unterarmgehstützen dürften wir eigentlich keine Rechnung bekommen. Die Sanitätshäuser, die unsere Patienten versorgen, rechnen immer direkt mit den Krankenkassen ab und nie mit der Klinik.«

»Ich weiß«, sagte Daniel nachdenklich. »Das hat mich auch stutzig gemacht. Deshalb versuche ich, herauszubekommen, was da los ist.« Er stand auf. »Nun gut, dann werde ich meinen Rundgang fortsetzen und auf den anderen Stationen nachfragen. Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, melden Sie sich bitte bei mir.«

»Ja, natürlich.« Christina wartete, bis sich die Tür hinter dem Chefarzt geschlossen hatte. Dann sagte sie: »Wir müssen unbedingt sprechen, Erik. Morgen ist mein letzter Arbeitstag, und ich möchte unseren Streit gern aus dem Weg räumen, bevor ich gehe.«

Erik reagierte nicht auf ihre Worte. Er hielt noch immer die Liste des Chefarztes in der Hand. »Eine ziemlich bunte Mischung, findest du nicht auch? Breitbandantibiotika, sterile Instrumente, Einwegspritzen, Lokalanästhetika, Verbandsmaterial und auch ein paar Hilfsmittel – das sind alles Sachen, die man gut in einem Buschkrankenhaus, fernab der Zivilisation, gebrauchen könnte.«

»Ja, natürlich.« Christina war verwirrt. Was sollte das? Sie war gekommen, um sich mit ihm auszusöhnen, und er interessierte sich nur für diese Liste. Plötzlich fiel bei ihr der Groschen. Empört schnappte sie nach Luft. »Unterstellst du mir etwa, ich hätte die Sachen bestellt, um Adams Klinik zu unterstützen?«

»Nein! Reg dich nicht so auf!« Erik musterte sie eindringlich, bevor er fortfuhr: »Ich halte dich für ehrlich, loyal und gewissenhaft. Ich würde dir niemals zutrauen, die Klinik zu bestehlen. Allerdings solltest du dich fragen, ob du deinen Freund gut genug kennst, um das auch von ihm behaupten zu können.«

»Erik, hör endlich damit auf, Adam grundlos schlecht zu machen. Du bist voller Vorurteile, und deine Verdächtigungen sind kindisch und völlig haltlos. Wie sollte es Adam denn möglich sein, diese ganzen Sachen im Namen der Klinik zu bestellen?«

»Über deinen Computer«, erwiderte Erik seelenruhig. »Wie oft hat er dich in den letzten Wochen abgeholt und dann in deinem Büro auf dich gewartet, weil du noch nicht fertig warst?«

Christina blinzelte nervös. Das war tatsächlich sehr häufig vorgekommen, beinahe täglich. Aber Adam würde doch nie … oder etwa doch?

»Na und?«, sagte sie schnippisch. »Was ist schon dabei, wenn er dort auf mich wartet? Das bedeutet noch lange nicht, dass er sich an meinem Computer zu schaffen gemacht hat!«

Sie konnte sehen, dass Erik mit seiner Antwort zögerte und das beunruhigte sie mehr als seine offenen Anschuldigungen. »Ich kam einmal dazu, als er an deinem Computer saß«, sagte er schließlich ernst.

In Christinas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie wollte nicht glauben, was Erik erzählte. Sie wollte Adam vertrauen und sich seiner Unschuld sicher sein. Fieberhaft dachte sie nach. Sehr oft war Adam lange vor der verabredeten Zeit in der Klinik aufgetaucht, um sie abzuholen. Er hatte dann jedes Mal in ihrem Büro auf sie gewartet, und sie hatte sich nichts dabei gedacht. Bis heute. Erik hatte sie mit seinem Argwohn angesteckt. Plötzlich misstraute sie dem Mann, den sie liebte, und dafür schämte sie sich.

»Du lügst«, brachte sie endlich heraus, bevor sie sich umdrehte und hinausrannte.

*

Als Christina an diesem Tag nach Hause kam, lief sie sofort in die Garage. Dort griff sie sich irgendein Paket. Auf dem Etikett standen ihr Name und ihre Anschrift. Dagegen gab es nichts einzuwenden. Adam hatte ihr erklärt, dass er ihre Adresse angegeben hatte, damit die Pakete auch ankamen. Christina dachte angestrengt nach. Was hatte sie hier eigentlich erwartet? Einen Beweis, dass Adam die Behnisch-Klinik und damit auch sie betrog? So ein Blödsinn! Er würde sie nie hintergehen oder in kriminelle Machenschaften verwickeln! Sie musste ihm vertrauen und durfte sich nicht länger von Erik verrückt machen lassen.

Christina stellte das Paket zurück und verließ die Garage. Sie wollte das Tor schließen, doch dann hielt sie inne. Konnte sie jetzt wirklich in ihre Wohnung gehen und so tun, als würde es Daniel Nordens Listen nicht geben? Konnte sie sich denn wirklich sicher sein, dass Adam nichts damit zu tun hatte? Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, stand sie erneut in der Garage, schnappte sich irgendeinen Karton und riss ihn auf. Die Kanülen und die Spritzen, die sie darin fand, beachtete sie nicht. Sie interessierte sich nur für den Lieferschein, der obenauf lag – und ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte.

»Besteller: Dr. Christina Rohde, Abteilung: Chirurgie, Behnisch-Klinik«, las sie immer wieder wie in einer Endlosschleife vor. Noch hoffte sie, dass diese Worte irgendwann einen anderen Sinn ergaben als den, dass Adam in ihrem Namen und auf Rechnung der Behnisch-Klinik eingekauft hatte.

Ihre Hände, die den Zettel hielten, zitterten plötzlich unkontrolliert. Ihre Kehle wurde eng, als die Enttäuschung einsetzte. Im selben Augenblick hörte sie Adam kommen. Er blieb in der Tür stehen und sah von ihr zu dem aufgerissenen Karton und dem Lieferschein in ihrer Hand.

»Was ist denn los, Liebling?«, fragte er unsicher, als Christina ihn vorwurfsvoll anschaute.

»Das fragst du noch?«, flüsterte sie tränenerstickt und hielt ihm anklagend den Lieferschein entgegen. »Kannst du mir mal erklären, was das hier bedeuten soll?«

»Was meinst du?« Als Christina wütend schnaubte, verteidigte er sich: »Was regst du dich denn da­rüber auf? Das ist doch ganz harmlos …«

»Harmlos?«, schrie sie ihn an. »Sag mal, spinnst du? Das ist doch nicht harmlos, wenn du die Klinik bestiehlst! Das ist ein Verbrechen!«

»Nun übertreib mal nicht so!« Adam war jetzt auch sauer und völlig frei von Reue oder einem schlechten Gewissen. »Der Klinik tut`s bestimmt nicht weh. Dort ist doch alles im Überfluss vorhanden, während es in den armen Ländern am Nötigsten fehlt! Dort sterben Menschen, weil es keine Antibiotika oder sterile Wundverbände gibt! Soll ich da etwa tatenlos zusehen? Ich musste handeln! Aber keine Angst, es wird niemandem auffallen, was ich getan habe.«

»Du täuschst dich. Es ist bereits aufgefallen. Deswegen kam ich ja auf die Idee, hier nachzusehen. Dr. Norden forscht bereits nach, wo die bestellten Sachen geblieben sind.«

»Mist!«, entwich es Adam. Für eine Sekunde sah er so aus, als würde er sich tatsächlich Gedanken machen. Dann winkte er ab. »Egal. So schnell wird er uns nichts nachweisen können. Bis er stichhaltige Beweise gegen uns in der Hand hat, sind wir längst außer Landes.«

Entgeistert sah sie ihn an. »Ich fasse es nicht, dass du keinerlei Skrupel hast, mich da mit reinzuziehen. Noch weniger fasse ich, wie sehr sich dein Verständnis von Recht und Ordnung von meinem unterscheidet. Ich glaube, du bist dir noch nicht mal bewusst, dass dein Handeln falsch war.«

»Wie kann es falsch sein, Leben zu retten? Ich habe mich doch nicht persönlich bereichert! Das ganze Zeug da kommt nicht mir zugute, sondern bitterarmen Menschen in Not. Ich handle nur in bester Absicht und sorge für eine gerechtere Verteilung. Nebenbei rette ich noch Menschenleben.«

»Der Zweck heiligt also die Mittel?«, fragte Christina kopfschüttelnd. »Tut mir leid, das sehe ich anders. Vor allem, wenn jemand so skrupellos vorgeht wie du. Für die Bestellung hast du heimlich meinen Computer und meinen Namen benutzt. Du hast nicht nur die Klinik betrogen, sondern auch mich! Dir ist es völlig egal, in welchem Licht mich das erscheinen lässt. Sobald herauskommt, dass mein Name auf allen Bestellungen steht, wird man mich für eine Betrügerin und Diebin halten.« Zum ersten Mal, seit sie diese Diskussion führten, sah Christina leichtes Bedauern in seinen Augen aufblitzen. Sie wollte gern glauben, dass es echt war, dass ihm leidtat, was er getan hatte, aber sie konnte es nicht.

»Genau wie du bin ich der Meinung, dass man Menschen in Not helfen muss. Und ja, ich finde es wunderbar und bewundernswert, was du in Afrika leistest. Aber wie kannst du gleichzeitig so rücksichtslos und ohne Skrupel sein, wenn es darum geht, deine Ziele durchzusetzen? Wie kannst du es nur billigend in Kauf nehmen, jemanden, den du liebst, so zu hintergehen und zu verletzen? Wie konntest du mir das nur antun?«

Adam machte kurz einen betroffenen Eindruck. Dann schüttelte er den Kopf, als wollte er sein schlechtes Gewissen loswerden. »Es geht hier nicht um dich oder mich. Ich bedauere, wenn ich dich verletzt habe. Das war nie meine Absicht. Aber ich … ich würde es jederzeit wieder tun, wenn ich dafür Leben retten kann.«

Christina nickte bedächtig und ohne verwundert zu sein. »Ich weiß, Adam«, erwiderte sie traurig. »Deshalb solltest du jetzt gehen und nie mehr zu mir zurückkommen.«

»Bitte, tu das nicht. Schick mich jetzt nicht fort. Lass uns vernünftig darüber reden. Wir lieben uns, nur darauf kommt es doch an.«

»Ich glaube nicht, dass ich einen Mann, der mich belügt und hintergeht, noch länger lieben kann. Wie soll ich dich lieben, wenn ich dir nicht mehr vertraue?«

Als sie die Garage verließ und an ihm vorbei ins Freie ging, machte er keinen Versuch, sie aufzuhalten. Sein Blick brannte in ihrem Rücken, bis sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte.

Mit schleppenden Schritten und tränenverschleiertem Blick quälte sie sich die Treppe zu ihrer Wohnung hoch. Im Gehen streifte sie ihre Schuhe ab und ging zum Wohnzimmerfenster, um hinauszusehen. Adam war nicht mehr da.

*

Am nächsten Morgen wartete in Daniels Büro eine Überraschung auf ihn.

»Frau Rohde! Was führt Sie denn so früh …« Er brach ab, als er ihr Gesicht sah, das von einer schlaflosen und tränenreichen Nacht gezeichnet war. Er goss ein Glas Wasser ein und reichte es ihr. »Wenn Sie möchten, bitte ich Katja um einen Kaffee. Sie sehen aus, als könnten Sie ihn gut gebrauchen.«

»Nein, danke«, murmelte Christina leise. »Das Wasser reicht mir.«

»Nun gut.« Daniel setzte sich und wartete geduldig, bis Christina bereit war, sich ihm anzuvertrauen.

»Es geht um diese Bestellungen«, begann sie endlich stockend. »Ich weiß jetzt, wer sie ausgelöst hat.«

»Es war Herr Jäschke, nicht wahr?«

Erstaunt sah Christina auf. »Ja, woher wissen Sie das?«

»Es war so eine Ahnung. Außerdem hat mir die Verwaltung gestern noch die Kopien der Bestellungen geschickt. Überall steht Ihr Name drauf.«

»Bitte Dr. Norden, glauben Sie mir, dass ich nichts damit zu tun hatte. Ich habe erst gestern Abend die Wahrheit erfahren. Vorher wusste ich von nichts.«

»Beruhigen Sie sich, Frau Rohde. Ich habe nicht eine Sekunde an Ihrer Ehrlichkeit gezweifelt. Für mich stand sofort fest, dass dies allein das Werk von Herrn Jäschke war. Die Frage ist jetzt nur, wie es weitergehen soll. Haben Sie mit Herrn Jäschke darüber gesprochen?«

Christina nickte betrübt und berichtete dann von ihrem Streit mit Adam. »Es ist aus«, schloss sie leise. »Wir sind nicht mehr zusammen.«

»Das tut mir leid. Ich habe Ihnen dieses Glück von Herzen gegönnt. Wie soll es denn nun für Sie weitergehen? Bleiben Sie in München?«

Christina nickte. »Ja, ich habe meine Wohnung noch. Im Gegensatz zu meinem Job hatte ich sie nicht gekündigt.«

»Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen sagte, als sie Ihre Kündigung abgaben? In der Behnisch-Klinik wird es immer einen Platz für Sie geben. Das meinte ich ernst, Frau Rohde. Wenn Sie ihn noch möchten, haben Sie Ihren Job zurück. Wir tun so, als hätte es Ihre Kündigung nie gegeben.«

»Danke! Vielen Dank, Herr Norden. Ich nehme Ihr Angebot sehr gern an. Aber dann habe ich noch eine große Bitte: Könnte ich meine Urlaubswoche trotzdem nehmen? Ich brauche ein paar Tage, um zu mir zu finden und mit Adam abzuschließen. Außerdem wartet eine Unmenge an Kisten und Kartons darauf, wieder ausgepackt zu werden.«

»Natürlich, Frau Rohde. Der Urlaub ist genehmigt und Sie sollten ihn unbedingt nehmen. Fahren Sie nach Hause und beginnen Sie sofort damit. Ich denke, das haben Sie nötig.«

»Ja, die letzte Nacht war schrecklich«, gestand Christina niedergeschlagen. »Und was soll nun mit Herrn Jäschke und den gestohlenen Sachen passieren? Werden Sie … werden Sie Anzeige erstatten?«

»Eigentlich müsste ich das machen. Immerhin ist der Klinik ein nicht unerheblicher Schaden erstanden. Doch in Absprache mit der Verwaltungsleitung lassen wir ihn ungeschoren davonkommen. Ich werde ihn nachher anrufen und ihm sagen, dass er alles als Spende behalten kann. Allerdings unter der Bedingung, dass er sich künftig von Ihnen fernhält. Er muss wählen: Sie oder die Hilfsmittel. Er bekommt nicht beides.« Daniel lächelte. »Zumindest werde ich das behaupten.«

»Warum stellen Sie diese Bedingung? Befürchten Sie, ich könnte wieder schwach werden, wenn ich ihn sehe? Oder denken Sie gar, ich bräuchte Ihren Schutz?«

Daniel musste lachte. »Nein, das glaube ich nicht. Ich halte Sie für eine sehr kluge und starke Frau, die mit allen Widrigkeiten des Lebens fertig wird. Meinen Schutz brauchen Sie nicht.«

»Dann verstehe ich nicht …«

»Ich tu das nicht für Sie, sondern für Herrn Jäschke. Es ist seine Chance, doch noch das Richtige zu machen und sich für die Frau, die er liebt, zu entscheiden.«

»Das wird er nicht. In seinem Leben gibt es nur eine große Liebe – seine Klinik in Afrika. Und selbst wenn seine Entscheidung anders ausfallen sollte, spielt das keine Rolle mehr für mich. Ich würde mich nie wieder auf ihn einlassen.«

Nach dem Gespräch mit Daniel Norden schaute Christina noch kurz auf ihrer Station vorbei und erledigte die wichtigsten Dinge. Ihre Ankündigung, der Behnisch-Klinik erhalten zu bleiben, wurde dort mit großer Freude aufgenommen.

Christina hätte gern mit Sarah gesprochen, um ihr persönlich von den Neuigkeiten zu berichten, doch ihre Freundin stand am OP-Tisch und war nicht zu erreichen. So schrieb sie ihr nur eine kurze Nachricht und verließ dann die Station, um nach Hause zu fahren. Sie war müde, erschöpft und traurig und wollte sich jetzt nur noch in ihrem Bett verkriechen.

Es überraschte sie nicht, dass die Garage leer war. Adam hatte Daniel Nordens Bedingung akzeptiert und seine Wahl zugunsten der Hilfsmittel getroffen. Obwohl sie es nicht anders erwartet hatte, traf sie diese bittere Erkenntnis bis ins Mark.

Dennoch schaffte sie es irgendwie, in ihre Wohnung zu kommen, ohne zusammenzubrechen. Doch als sie hier die leeren Schränke und die gepackten Kisten, Kartons und Koffer sah, war es um ihre Selbst­beherrschung geschehen.

Laut schluchzend lief sie ins Schlafzimmer. Dort warf sie sich aufs Bett und vergrub ihr Gesicht im Kissen, um ihre Enttäuschung in einem Meer von Tränen zu ertränken.

Die Haustürklingel riss sie Stunden später aus einem unruhigen Schlaf. Mit einem frustrierten Aufstöhnen zog sie sich die Bettdecke über den Kopf, um das schrille Läuten auszusperren. Sie war noch nicht bereit, sich der Welt zu stellen. Sie wollte nur hier liegen bleiben und sich ihrem Kummer und dem Selbstmitleid hingeben.

Doch ihr Besucher gab nicht auf. Das Klingeln ging beharrlich weiter, und auch ihr Handy kündigte nun mit einem lauten Signalton den Eingang einer Nachricht an.

Sie war von Sarah. »Nun mach schon auf! Ich habe uns Eis mitgebracht! Das schmilzt bereits in meinen Händen!!!«

Nun hielt Christina nichts mehr im Bett. Sie eilte die Treppe hinunter und riss die Haustür auf. Im selben Moment fand sie sich in Sarahs Armen wieder. »Es tut mir so leid«, sagte ihre Freundin mitfühlend. »Es tut mir so schrecklich leid für dich!«

»Ja, so wie’s aussieht, wirst du mich nun doch nicht los«, versuchte sich Christina an einem Scherz, über den beide nicht lachen konnten. »Nun komm schon rein«, sagte sie seufzend. »Ich habe gehört, du hast mir Eis mitgebracht.«

»Uns!«, wurde sie sofort von Sarah verbessert. »Glaub bloß nicht, dass ich dir das ganze Eis allein überlasse. Ich leide mit dir und habe mir deswegen auch einen süßen Seelentröster verdient.«

Während sie das Eis aßen, berichtete Christina ausführlich von Adams Verrat. Natürlich flossen bei ihr auch wieder Tränen, aber sie waren jetzt leichter zu ertragen, weil Sarah tröstende Worte fand und sie sich nicht mehr so verloren vorkam.

»Ich frage mich die ganze Zeit, ob er mich überhaupt geliebt hat. Vielleicht gehörte ich ja auch nur zum medizinischen Equipment, das ihm in seiner Klinik gute Dienste leisten sollte. Ob er sich auch für mich interessiert hätte, wenn ich keine Ärztin gewesen wäre?«

»Natürlich!«, erwiderte Sarah überzeugt. »Warum auch nicht? Du bist hübsch, liebenswert und witzig. Er musste sich einfach in dich verlieben.« Sarah wurde nun ernster. »Soll ich dir sagen, was ich mich seit Wochen frage?« Als Christina stumm nickte, fuhr sie fort: »Ob Adam je eine Chance bei dir gehabt hätte, wenn Erik Berger nicht so ein Holzkopf wäre.«

Christina wollte das sofort bejahen, doch dann verzog sie nur traurig den Mund. »Das werden wir wohl nie erfahren.«

Es war schon dunkel, als sich Sarah auf den Heimweg machte. »Ich wäre gern noch geblieben, aber ich muss morgen wieder früh raus.«

»Du Ärmste.« Christina gähnte. »Ich bin froh, dass ich eine Woche Urlaub habe und den ganzen Tag im Bett bleiben kann.« Als sie Sarahs besorgten Blick bemerkte, fügte sie hinzu: »Keine Angst, das werde ich nicht machen. Du hast ja das Chaos in meiner Wohnung gesehen. Ich werde wahrscheinlich die ganze Woche brauchen, um meine Sachen wieder auszupacken und Ordnung zu schaffen.«

»Ich komme morgen nach dem Dienst vorbei, um zu helfen«, versprach Sarah, bevor sie sich verabschiedete.

Wieder allein lief Christina planlos in ihrer Wohnung umher. Sie räumte ein wenig auf, packte lustlos einen Karton aus und entschied dann, dass es besser sei, den Fernseher einzuschalten, um sich etwas abzulenken. Schnell fand sie einen Krimi, der gerade erst begonnen hatte. Ehe sie in die Handlung reinfinden konnte, klingelte es wieder an der Tür. Sie hatte mit Sarah gerechnet, die etwas vergessen hatte, doch es war Erik, der davor stand.

»Ich habe uns Pizza mitgebracht«, sagte er und hielt einen flachen Karton hoch. Dann ging er an ihr vorbei die Treppe nach oben, als wäre er hier zu Hause. Völlig verdutzt folgte ihm Christina. Erik stand bereits in ihrem Wohnzimmer und betrachtete das wilde Durcheinander an Umzugskartons und Packpapier.

»Sehr gemütlich«, stellte er trocken fest.

»Ich wusste, es trifft deinen Geschmack.« Sie sah ihm zu, wie er sich einen Weg zum Sofa bahnte und sich dann darauf fallenließ. »Erik, was willst du hier eigentlich?«

Erik stellte die Pizzaschachtel auf dem Couchtisch ab und schlug den Deckel auf.

»Keine Ahnung. Ich richte mich ganz nach dir. Quatschen, ausheulen – was immer du willst. Aber zuerst sollten wir die Pizza essen, sonst wird sie kalt.«

Als Christina ihn nur anstarrte, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen, hob er die Schultern.

»Was ist denn? Sind Freunde nicht dafür da, sich in der Not beizustehen? Du brauchst mich gar nicht so entsetzt anzusehen. Du warst es doch, die auf diese dämliche Freundschaft bestanden hat.«

»Dämliche Freundschaft«, wiederholte Christina grinsend und gab ihren Widerstand auf. Sie setzte sich zu ihm aufs Sofa und griff sich ein Pizzastück. Sie aßen schweigend, tranken von dem Wein, den Christina rausgesucht hatte, und sahen sich zusammen den Krimi an. Sie redeten nicht, und es flossen auch keine Tränen mehr. Christina ging es wieder gut. Es gab Freunde, die für sie da waren und sich um sie kümmerten, wenn sie Beistand brauchte. Was wollte sie mehr?

Als ihr – kurz vor Ende des Films – vor Müdigkeit die Augen zufielen, lehnte sie einfach ihren Kopf an Eriks Schulter. Sie merkte noch, wie er sich anders hinsetzte, damit sie es bequemer hatte und dass er nach der Decke griff, um sie zuzudecken. Dann schlief sie ein.

Es war schon früher Morgen, als sie wieder wach wurde. Sie hörte, wie die Haustür leise zugezogen wurde und wusste, dass Erik gerade gegangen war. Es war kurz nach sechs. In einer knappen Stunde begann sein Dienst. Trotzdem war er die ganze Nacht bei ihr geblieben und hatte sie in seinen Armen schlafen lassen.

Sie stutzte, als sie eine einzelne Rose in einem Wasserglas auf ihrem Couchtisch sah – noch feucht vom Morgentau, lachsfarben und wunderschön. Lächelnd nahm sie das Glas in die Hand und schnupperte an der Blüte, die einen unaufdringlichen süßen Duft verströmte.

Erik musste sie erst heute früh geschnitten haben. Es war keine von Frau Kleinfeldts Rosen; die kannte Christina alle. Wahrscheinlich hatte er sie an irgendeinem Gartenzaun in der Nachbarschaft entdeckt und für sie stibitzt. Danach war er noch einmal zurückgekommen, um sie ihr zu bringen. Christinas Lächeln vertiefte sich. Ob Erik überhaupt wusste, wie romantisch diese Geste war?

Immer noch lächelnd stand sie auf. Sie nahm das Glas mit der Rose hoch und ging ins Schlafzimmer. Ihr Lächeln hielt an, als sie es auf dem Nachtschrank abstellte und sich ins Bett legte. Und es war noch da, als sie einschlief und begleitete sie bis in ihre Träume.

Chefarzt Dr. Norden Staffel 9 – Arztroman

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