Читать книгу Das Mädchen, der Köter und ich - Хелена Эберг - Страница 3

Tierquäler!

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Viktor zog die Oberlippe hoch, fletschte die Zähne und knurrte dumpf; sein ganzer Oberkörper zitterte. Er spürte, wie das Wilde in ihm aufstieg, sich durch sein Herz pumpte, sich in die Arme hinaus verbreitete, sich schwer in die Beine legte und den Körper heiß machte. Jetzt war er gefährlich.

Er stierte auf den Hund, und sachte, sachte kauerte er sich dabei zusammen, zog den Bauch ein, schob die Schultern hoch, stemmte die Zehen gegen den Boden und atmete tief ein. Jetzt war er bereit. Der Hund war von seinem Blick gebannt. Er stand wie gelähmt da, schaute verlegen nach unten, versuchte dem Blick zu entkommen, sank in sich zusammen und drehte sich von Viktor weg, wagte es aber nicht wegzugehen. Erst als Viktor mit dem Fuß auf den Boden stampfte, warf er sich hinter Vaters Beine, bohrte seinen Kopf in dessen Kniekehlen und winselte jämmerlich.

Zuerst blieb der Vater still. Er stellte seinen Teller in die Spüle und schob die Brille auf die Stirn. Er hatte die Krawatte gelockert, er war müde, es war Abend, und er starrte Viktor an.

Als der Hund aber winselte, war die Grenze erreicht, da wurde er wütend, jetzt war es genug! Er warf die Spülbürste ins Becken und schüttelte Viktor so heftig, dass dessen Kopf hin und her geschleudert wurde.

»Was zum Teufel treibst du da?«, brüllte er.

Die Finger des Vaters gruben sich in Viktors Schulter, aber Viktor spürte nichts, er hatte immer noch das Wilde in sich, es pochte in seinen Adern und betäubte ihn. Schlag nur, schlag!, dachte er. Er leistete keinen Widerstand. Er wusste, dass er ja doch nicht entkommen konnte. Der Schmerz war außerhalb, sein Körper war wie ein Stein, spürte nichts.

Plötzlich lockerte der Vater seinen Griff. Viktor machte ein paar benommene Schritte und musste sich am Türpfosten festhalten, um nicht hinzufallen.

Der Vater schüttelte den Kopf, zog einen der Küchenstühle heran und setzte sich seufzend. Der Hund folgte ihm wie ein Schatten, kroch unter den Tisch und drückte seinen Rücken an den Heizkörper. Der Vater stützte den Ellenbogen auf die Tischkante, sein Kinn ruhte in der Hand und er seufzte wieder. Er hatte gedacht, dass der Hund eine schöne Überraschung sein würde, dass Viktor sich über ihn freuen würde. Nein, er verstand es wirklich nicht.

Viktor ging zur Treppe, die in die obere Etage führte. Im Flur blieb er vor dem alten, vergoldeten Spiegel seiner Großmutter stehen. Das Glas war fleckig, saß eine Spur schief in dem verzierten Rahmen und wenn man ganz genau hinsah, konnte man kleine, geschnitzte Schnörkel mit Schwänzen und Hörnern entdecken. Der Spiegel reichte vom Boden bis zur Decke und hatte in Großmutters Wohnung im Seniorenheim keinen Platz. Aber zu Viktor hatte Großmutter die Wahrheit gesagt – sie hatte den Tod im Spiegel gesehen und deshalb wollte sie ihn nicht mehr haben.

Viktor spannte die Muskeln an. Er fühlte sich stark, hart wie Superman. Aber im Spiegel sah er nur sich selbst.

Er legte sich aufs Bett. »Welche Länder gehören der EG an?«, las er laut. »England, Deutschland, Frankreich, Italien ... Und welche noch? Italien und ...«

Er blätterte in den Aufgaben im Sozialkundebuch und versuchte wirklich zu lernen, aber die Wörter purzelten nur durch seinen Kopf, und morgen, wenn er mit der Schulaufgabe vor sich in der Bank saß, würde es aus sein. So lief es immer, aber er musste einfach lernen, die Lehrerin hatte es ihm gesagt, er musste sich zusammennehmen, wenn er es in die Mittelstufe schaffen wollte, denn da ging es noch anders zu, da hieß es nur büffeln und jeden Tag Tests schreiben. Da sei es anders als jetzt, hatte sie gesagt und ihre Stirn in tiefe Falten gelegt. Und Viktor bemühte sich ja auch, aber ihm war, als hätte er mehrere Radiosender im Kopf, und die ganze Zeit störte ein anderer Sender seinen Paukkanal.

Er dachte an den Hund, dieses weiße Biest, das sein Vater angeschleppt hatte. Es war ein Rattentöter. Viktor wusste es. Er hatte alle Hundebücher aus dem Regal mit »Haustieren« in der staubigen Schulbücherei gelesen. Der Hund war gezüchtet, um Ratten zu jagen, eine Mischung aus Kampfhund, Terrier und geflecktem Dalmatiner.

Ein Rattentöter, der Krümel hieß!

Aber das hatte er ja die ganze Zeit gewusst – ja, dass sie nicht ganz richtig tickte, also sie, Ingela, Krümels Frauchen. Wenn er einen eigenen Hund hätte, würde er ihn Devil oder so ähnlich nennen. Und es sollte ein schwarzer, ganz schwarzer Schäferhund sein. Er sollte mutig sein, ihm total gehorchen und ihn in der Not retten. Er sollte kluge, treue Augen haben und ihn, aber sonst niemanden, die Nase in sein weiches Fell hineinbohren lassen.

Da hörte er, wie der Rattentöter Krümel in den Flur kam. Das Biest keuchte und seine Krallen schabten am Boden. Viktor tat so, als würde er weiterlesen, auch wenn er die Wut wieder spürte; die kroch einfach von irgendwo aus seinem tiefsten Innern hinauf. Er schielte heimlich zu dem Rattentöter, spannte die Muskeln an, atmete tief ein und machte sich bereit. Als der Hund ihn erreichte, zischte er: »Wenn du die Schwelle übertrittst, bist du des Todes!«

Der Hund gaffte ihn an. Viktor riss die Augen auf und starrte zurück. Dann zog er die Oberlippe hoch und knurrte dumpf. Diesmal gelang es ihm nicht, das Wilde mitklingen zu lassen, es war ein ziemlich mickriges Knurren, aber der Hund schaute trotzdem ängstlich. Er blinzelte mit halb geschlossenen Augen und versuchte den Blick zu senken, aber Viktor hielt ihn fest. Jetzt hatte er die Oberhand. Jetzt würde er ihn zähmen. Der Hund stand breitbeinig mit den Vorderpfoten auf der Schwelle, er hatte einen breiten Rücken, er war weiß und feige und wagte nicht sich zu bewegen.

Viktor zog seine Waffe: eine Walther PPK aus kaltem, grauem Stahl. Er sah sie genau vor sich. Er griff die Pistole mit beiden Händen. Jetzt war er James Bond mit der Lizenz zum Töten. Er stützte den einen Ellenbogen aufs Bett, zielte und drückte mit dem Zeigefinger ab. In dem Moment machte der Hund einen Schritt nach vorne.

»Peng!«

Der Stoß ging ihm durch den Arm und bevor der Hund reagieren konnte, schoss er wieder.

»Peng! Peng!«

Der Hund sank zu Boden, oder eher gesagt: Er hätte tot zu Boden sinken sollen, aber er starrte ihn nur blöde an, machte kehrt und floh in den Flur.

Viktor lächelte spöttisch, das Herz galoppierte in seiner Brust. Er hatte noch nie etwas getötet, nicht einmal eine Fliege, und die Mücken ließ er normalerweise sitzen, bis ihr Körper schwer von Blut war. Ihm wurde schlecht, wenn er Blut sah, und trotzdem war die Lust wie eine dunkle Kraft in ihn gekrochen, eine heiße Lust zu töten.

Er blies ruhig den Pulverdampf von der Pistole und steckte sie wieder in das Halfter.

Viktor hörte den Schritten seines Vaters an, dass der böse war. Er war auf der Türschwelle stehen geblieben, in der einen Hand die Abendzeitung, mit der anderen schob er die Brille hoch, die die ganze Zeit von der Nase zu rutschen drohte. Diesmal war er bei der Sportsendung unterbrochen worden und das hatte er nicht gern. Er war bemüht, sich in den Griff zu bekommen, er wollte nicht noch einmal derart wütend werden, er kämpfte so gegen seine Wut, dass sich seine Stimme fast überschlug.

»Was treibst du eigentlich?«

»Ich lerne«, antwortete Viktor ruhig.

Der Vater rückte die Brille zurecht und faltete die Zeitung zusammen. Der Hund kam im Dunkeln angeschlichen und drückte sich an seine Beine.

»Du solltest lieber schlafen«, sagte der Vater und blinzelte über den Brillenrand. »Es ist schon spät!«

»Okay, sobald ich den da los bin«, erwiderte Viktor mit einer Kopfbewegung zum Hund hin.

»Ich nehme ihn mit, damit du schlafen kannst«, seufzte der Vater.

»Das glaube ich nicht.«

»Hast du was gesagt?«

Viktor schüttelte den Kopf.

»Schlaf jetzt!«, sagte der Vater und machte das Licht aus.

»Hm«, sagte Viktor und stierte den Hund so scharf an, dass der in den Flur zurückschreckte.

Der Vater sank wieder in seinen Fernsehsessel. Der Hund sprang aufs Sofa, kauerte sich dort zusammen und drückte den Kopf gegen den Schwanz. Der Vater strich ihm über die Stirn und blätterte weiter in der Zeitung. Er hatte so viele Prinzipien gehabt; alles musste sauber sein, aufgeräumt, die Schuhe in Reihen stehen, und er hasste Haare im Waschbecken. Jetzt war alles anders. Überall gab es Hundehaare, kleine, kratzige, weiße Haare: auf dem Sofa, auf den Socken und in der Waschmaschine, damit sie auch an Pullis und Unterhosen hängen blieben.

Früher war alles anders gewesen. Viktor hatte sich doch so oft einen Hund gewünscht. Er hatte versprochen, sich selbst um ihn zu kümmern, hinter ihm herzuräumen, ihn auch beim Platzregen hinauszuführen, ihn zu füttern und ihn jeden Tag zu kämmen. Der Vater hatte nichts davon hören wollen. Er hatte einfach Nein gesagt. Stattdessen hatte er ein Kaninchen vorgeschlagen.

Ein Kaninchen! Viktor hatte die Nase gerümpft. Kaninchen waren doch was für die Mädchen im Reitstall. Und was war schon ein winziges Kaninchen gegen einen schwarzen Schäferhund?

Viktor ließ das Sozialkundebuch auf den Boden fallen und starrte an die Decke.

Er streckte sich schräg nach hinten, schraubte einen der Knöpfe von den Bettpfosten ab und holte ein zerknittertes Stück Papier heraus. Er hatte es fest zusammengerollt, damit es in dem schmalen Loch Platz haben würde. Es war total faltig, denn er hatte es mehrmals zerknüllt. Viktor zog die Decke über den Kopf, sodass nur ein schmaler Lichtstrahl der Bettlampe durchsickerte.

»Scheiße und nochmals Scheiße«, murmelte er leise und schlug sich mit den Fingerknöcheln gegen die Schläfe.

Das Stück Papier war ein Foto von seiner Mutter. Eine Falte lief über den Mund und erstreckte sich bis zum rechten Auge, aber das machte ihm nichts aus, er sah sie trotzdem. Er hatte das Bild selbst aufgenommen, im letzten Sommer, als sie bei den Großeltern an der Westküste gewesen waren. Seine Mutter hatte ein rotes Kleid mit dünnen Trägern getragen und sie blinzelte in die Sonne und lachte. Das war, bevor sie etwas wusste. Nur Viktor wusste Bescheid. Und sein Vater natürlich. Aber der sagte nichts. Er war nur still. Und Viktor war auch still und so verging der Sommer. Dann kamen der Herbst und der Winter, und Viktor lag nachts wach in seinem Bett und hörte, wie sie stritten und sich schlimme Sachen an den Kopf warfen. Jetzt war bald wieder Sommer.

Er rollte das Foto zusammen und steckte es in das Loch zurück. Dann schraubte er den Knopf an, zog die Decke wieder über den Kopf und versuchte zu schlafen.

Er machte die Augen zu und wünschte, dass er eine richtige Pistole hätte, dann würde er schießen, voll ins All hinein, dass es nur so krachte und alles in einem schwarzen Loch von ewiger Dunkelheit explodierte. Er machte die Augen fester zu, bis er hinter den Lidern Blitze sah, und versuchte, das Gefährliche in sich zu spüren.

Aber er spürte nur die Einsamkeit, wie ein starker Magnet zog sie ihn an.

Viktor wachte davon auf, dass er sich im Leintuch verheddert hatte. Das Kissen lag auf dem Boden. Der Rücken war schweißnass und er zog die feuchte Pyjamajacke aus. Vielleicht hatte er geträumt, ihm war, als trüge er eine vage Erinnerung in sich wie einen Abdruck, den er nicht deuten konnte.

Da hörte er ihre Stimme von unten aus der Küche. Ihre Stimme, er konnte sich nicht irren. Es war eine runde Stimme, so wie sie überhaupt ganz rund war. Seine Mutter war schmal, schlank und braun gebrannt, irgendwie sehnig. Sie dagegen war rund, sie war ganz wie ein weicher, wabbeliger Ball. Viktor hörte die Stimme seines Vaters, die dann, wenn er mit ihr redete, auf eine Art weich und sanft war, die sie verstellt klingen ließ – wie ein dicker, schnurrender Kater. So klang er nie, wenn sie allein waren. Viktor hörte, wie die beiden zusammen Kaffee kochten. Sie unterhielten sich leise und kicherten, als ob sie total viel Spaß hätten. Die weiche Stimme seines Vaters ringelte sich um ihr Lachen und gellte Viktor in den Ohren.

Es roch nach Kaffee. Viktor mochte keinen Kaffee, nicht einmal mit Milch und Zucker, aber den Geruch hatte er gern: Wenn der Duft aus einer frisch geöffneten Tüte zischte oder bei Großmutter im Urlaub auf der Insel, wenn sie den Kaffeetisch im Garten deckte und die Kupferkanne und die alte, verschlissene Mühle herausholte und die schwarzen Bohnen mahlte.

Der Kaffeeduft suchte sich jetzt den Weg in seine Nase und die Sonne sickerte durch die Rollos. Wenn sich nicht gerade diese Stimme in sein Zimmer gedrängt hätte, wäre es ein guter Morgen gewesen.

Er schob die Decke zur Seite, streckte sich und gähnte, der Körper wehrte sich. Er hatte noch Schlaf in den Augen. Er zuckte, als er die Füße auf den kalten Boden setzte. Er trippelte schnell durch den Flur ins Bad und machte die Tür mit einem Knall zu, damit man es unten in der Küche hören konnte. Dann sperrte er sicherheitshalber zu. Er schaute in den Spiegel, der so hoch hing, dass er nur sein halbes Kinn sah, aber das genügte. Er zog die Pyjamahose aus und stellte sich in die Badewanne. Er drehte den Hahn auf, und das Wasser brannte auf dem Bein, er hielt den Duschgriff vom Körper weg, bis das Wasser sich abgekühlt hatte. Dann seifte er sich ein und duschte sich schnell ab. Danach blieb er stehen und ließ das Wasser laufen, bis es kalt wurde. Das bedeutete, dass das heiße Wasser zu Ende war. Jetzt würde es mindestens eine Stunde dauern, bis der Boiler neues Wasser erhitzt hatte. Er wusste, dass das seinen Vater nervte, und er lächelte vor sich hin. Dann drehte er die Hähne am Waschbecken voll auf, während er sich abtrocknete, damit es bis ins Erdgeschoss in den Rohren dröhnen und das Gekicher übertönen würde.

Er zog seine neue Jeans an, sie war weit, etwas weiter, als seine Mutter meinte, dass sie sein sollte, aber er hatte sie selbst gekauft. Zum ersten Mal hatte er Geld bekommen und war in die Stadt gefahren, um Kleidung für sich zu kaufen. Der Gürtel war auch neu, er war braun, und die bronzene Schnalle hatte die Form eines Stierschädels, wie die, die man auf Bildern aus der Wüste sehen kann. Sie war groß wie die Handfläche, und er hatte sie in Stockholm gekauft, als sie eine Klassenfahrt dorthin ins Wasa-Museum gemacht hatten.

Eigentlich war der Gürtel viel zu teuer gewesen, aber auf dem Rückweg, als sie bei McDonald’s anhielten, wettete er mit Jonas und Alex, dass er eine Cola in vier Sekunden austrinken könne, gewann die Wette und bekam fünfzig Kronen. Er hatte von Mickes Bruder gelernt, beim Trinken nicht zu schlucken, einfach die Kehle nach hinten beugen und reingießen. Mit Wasser ging es am besten, damit hatte er es geübt. Bei der Cola hatte es so gesprudelt, dass er Magenkrämpfe bekam, bevor sich die Kohlensäure beruhigt hatte. Die Lehrerin hatte sich Sorgen gemacht und ihn gezwungen, auf der Heimfahrt ganz vorne im Bus zu sitzen, damit er schnell hinauskonnte, falls er kotzen müsste. Er versäumte dadurch das ganze Pokerturnier auf den hinteren Plätzen. Das war es aber wert gewesen, dachte er und legte die Hand auf die Schnalle.

Der Vater und Ingela saßen am Küchentisch und tranken Kaffee. Sie hörten auf zu reden, als er die Treppe herunterkam.

»Guten Morgen, Viktor«, sagte sein Vater und schaute von der Morgenzeitung hoch. Viktor spürte den strengen Blick und wusste, was sein Vater eigentlich meinte.

»Hallo!«, sagte Ingela und lächelte. Sie war blass, aber puderrosig über den Backenknochen. Die Haare hatte sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt und unordentliche Haarsträhnen umrandeten ihr Gesicht. Sie trug eine orangefarbige Bluse aus einer Art Seidenstoff und ein lila Stein baumelte wie ein Pendel zwischen ihren Brüsten.

Viktor sagte nichts. Er ging zum Kühlschrank und holte die Milch heraus. Er füllte die Tasse, stellte sie in die Mikrowelle und schaltete auf 60 Sekunden ein. Die Digitalziffern leuchteten grün und die Mikrowelle surrte. In der Zwischenzeit strich er Krabbenkäse auf sieben Scheiben Knäckebrot. Als der Ofen sich mit einem Knack ausschaltete, holte er die dampfende Tasse heraus und schüttete sieben Löffel Kakao hinein, sodass die Milch fast überschwappte. Dann setzte er sich an den Tisch, auf den äußersten Rand eines Stuhles, mit dem Rücken zu Ingela.

»Wird sie am Wochenende hier sein?«, fragte er mit leiser Stimme seinen Vater.

»Was hast du gesagt?«, fragte der Vater und ließ die Zeitung fallen. Die Brille glitt auf die Nasenspitze und presste die Nasenflügel zusammen, er schob sie mit gewohnter Geste nach oben.

»Wird sie am Wochenende hier sein?«, wiederholte Viktor und rührte in seiner Tasse.

»Ja, das habe ich schon gehört, aber ich finde, dass du nicht in diesem Ton reden solltest. Und übrigens kannst du sie ja selbst fragen.«

Der Vater strich eine Falte in der Zeitung glatt und in der Küche herrschte Stille. Viktor vergaß, dass der Kakao heiß war, und verbrannte sich die Zunge. Er stellte die Tasse mit einem Knall ab, stand auf und stapelte die Knäckebrote auf einen Haufen. Kakaoreste schwammen noch auf dem Boden der Tasse, das war das Beste am ganzen Frühstück, normalerweise hob er sich diesen Rest bis zuletzt auf, aber jetzt hatte er keine Lust drauf.

»Interessiert mich sowieso nicht«, sagte er und ging mit den Broten in der Hand zur Tür.

»Du stehst nicht vom Tisch auf, bevor du aufgegessen hast!«, sagte der Vater so heftig, dass er sich am Kaffee verschluckte.

»Müsst ihr immer streiten?«, fragte Ingela, mit der Hand auf dem Arm des Vaters.

Sie sah traurig aus und legte den Kopf schräg wie ein Cockerspaniel.

»Ich muss nur schnell den Hund holen, Viktor. Ich fahre gleich los.«

»Das ist mir scheißegal«, erwiderte Viktor und schlug gleichzeitig die Tür zu, damit man ihn nicht hören konnte.

Der Hund lag ausgestreckt vor der Treppe, den Kopf auf den Pfoten, und stierte zur Tür. Er hob ein wenig den Kopf, spitzte die Ohren und wedelte mit dem Schwanz.

»Du kleiner Teufel«, brummelte Viktor.

Er holte sein Fahrrad, das an der Garagenwand lehnte. Der Ständer war kaputt. Er setzte sich auf den Sattel und balancierte die Brote, schwankte und bekam Krabbenkäse auf die Finger. Viktor mochte kein Geschmiere, das war für ihn das Schlimmste, was es überhaupt gab. Dreck ging gerade noch, aber kein Geschmiere. Er warf die Brote dem Hund hin, der sie sofort hinunterschlang, der Sabber lief ihm aus dem Maul.

Viktor wischte sich die Finger am Hosenbein ab.

»Du kleiner Teufel, das nächste Mal gibt’s Arsen«, zischte er und fuhr auf die Straße hinaus.

Er stieß genervt gegen den Ständer und haute sich dabei den Knöchel so an, dass sein Bein rasend schmerzte. Das Fahrrad war im Eimer. Er wollte ein Neues. Nur er fuhr auf so einem Schrotthaufen herum. Die Gänge waren hin und blieben die ganze Zeit hängen. Er schaute zum Ständer hinunter und schwankte. Als er hochsah, entdeckte er Marika.

Sie war zur Seite gesprungen und hatte sich an den Zaun gestellt, damit er sie nicht anfahren würde. Sie lächelte. Sie hatte einen fröhlichen Mund und wenn sie lächelte – wie jetzt –, wurden die Augen zu kleinen Schlitzen. Sie trug eine wilde Frisur; sie hatte dunkles Haar, das sich auf der Stirn nach hinten zog und ihr dann an den Seiten wie eine elektrisch geladene Wolke um den Kopf stand. Wenn man ganz dicht neben ihr stand, roch sie schwach nach Zigarettenrauch und kühlem Wind. Sie ging seit Beginn dieses Schuljahres in seine Klasse. Nach den Weihnachtsferien hatte sie im Gang gestanden. Sie hatte schwarze Jeans, eine schwarze Lederjacke und schwere Schnürstiefel getragen. Sie kam aus Stockholm, alles an ihr war von dort. Sie fluchte heftig, sie konnte Dinge sagen, die keiner bis dahin gehört hatte, zu jedem, egal wem, sogar zur Lehrerin. Aber sie war irgendwie gut drauf. Viktor hatte sie noch nie allein getroffen. Im Klassenzimmer saßen sie in verschiedenen Ecken, aber er hatte sie manchmal in der Essensschlange geknufft – wenn alle sich sowieso so drängelten, konnte er ja so tun, als sei es ein Versehen. Und er hatte sie oft heimlich angeschaut.

Sie war irgendwie erwachsener als die anderen Mädchen, sie hatte runde Brüste, und Viktor hatte gesehen, dass sie oft mit ein paar Typen aus der Achten zusammensteckte. Er hatte ein bisschen Angst vor ihr. Er bekam Schmetterlinge im Bauch, wenn er sie ansah, und jetzt wollte er sich am liebsten verdrücken, aber sie winkte ihn heran.

»Willst du nicht den Hund mitnehmen?«

»Nein, wollte ich nicht«, antwortete Viktor.

»Kannst du ihn nicht holen?«, bat sie.

»Kann ich schon«, sagte er lässig, um sich nicht anmerken zu lassen, dass er unter der Jacke zitterte, dass er davor Angst hatte, mit dem Hund an der Leine zu gehen, weil der nur zog und lief, wie er wollte.

Viktor kehrte um, schob sich mit den Füßen am Boden nach vorne, ohne die Pedale zu benützen, und warf das Fahrrad in die Garageneinfahrt.

Er löste das Seil vom Treppengeländer. Der Hund knabberte an den letzten Knäckebrotscheiben und schnüffelte nach Brotkrümeln. Er richtete sich widerwillig auf und hatte gar keine Lust, irgendwohin zu gehen. Ingelas Auto stand mit offenem Kofferraum in der Garageneinfahrt, er wusste also genau, dass es bald Zeit war wegzufahren. Viktor zog ihn hinter sich her, aber der Hund wollte seinen eigenen Takt gehen, langsam. Er sträubte sich und röchelte immer wieder bedrohlich. Viktor bekam Angst und ließ nach, aber der Hund röchelte immer noch. Als sie fast bei Marika waren, fiel er mit einem Plumps hin, rollte sich auf den Rücken und blieb liegen, als wäre er tot. Die Augen waren geschlossen und die Beine ragten in die Luft. Als Viktor an der Leine zog, winselte er.

Marika schrie auf, stürzte vor, sank in die Hocke, riss das Halsband ab und streichelte ihn vorsichtig unter dem Kinn.

»Du hast sie wohl nicht alle! Willst du ihn erwürgen oder was?«

»Nein ... Ich habe doch nichts getan«, murmelte Viktor.

»Typen wie du sollten verdammt noch mal keinen Hund haben dürfen!«

»Habe ich ja auch nicht«, sagte Viktor. »Er gehört nicht mir.«

Der Hund lag auf dem Rücken. Das Fell auf dem Bauch war so dünn, dass die rosa Haut durchschimmerte. Als Marika ihn hinter den Ohren kraulte, grunzte er wie ein zufriedenes Schweinchen, öffnete ein Auge und sah Viktor an. Der war sich sicher, dass er über ihn lachte.

Das Mädchen, der Köter und ich

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