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1. KAPITEL

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Lelant, Grafschaft Cornwall

Wenn Cynthia Trevelyan über die Liebe nachdachte, saß sie weder verträumt im Blumengarten noch hatte sie einen bestimmten Mann im Sinn. Überhaupt standen in ihrer Gefühlswelt Menschen an zweiter Stelle. Für sie war nichts so bedingungslos wie die tiefe Zuneigung zu ihrem Wallach Nori. Cynthia presste die Schenkel gegen den Leib des Tieres und beugte sich vor, um mit beiden Händen Noris Brust zu streicheln. Nach einer Weile hielt sie in der herzlichen Umarmung inne und atmete tief ein. Noris erdiger Körpergeruch vermischte sich mit dem vom letzten Regenguss noch schweren Heidekraut, das in Eintracht mit den Ginsterstauden die umliegenden Hügel in ein gelb-lila Feld verwandelte. Von niemandem hatte sich Cynthia je so angenommen gefühlt wie von ihrem Pferd. Wie ihre Schwestern hatte sie ihr Pferd bereits im Fohlenalter bekommen, allerdings auch eigenhändig aufgezogen. Vielleicht lag es daran, dass weder Emilia noch Rebecca eine so innige Beziehung zu ihren Pferden entwickelt hatten wie Cynthia. Inzwischen kümmerte sie sich auch um die verwaisten Pferde ihrer Schwestern, doch das Band zwischen ihr und Nori war jenes der unerschütterlichen Liebe. Nori verstand sie ohne Worte, nahm sie an, wie sie war. An ihn konnte sie sich im wahrsten Sinne des Wortes anlehnen. Auf dem Rücken des großen Tieres konnte Cynthia Schwäche zeigen, sich so zart zeigen, wie es ihre Seele ohnehin war. Eigenschaften, die ihr kaum jemand zutraute, wenn sie selbstbewusst auftrat und die meisten Menschen um mindestens eine halbe Haupteslänge überragte.

Sie richtete sich auf Noris Rücken auf und trieb das Pferd sanft zum Galopp an. Schon als Kind hatte sie es geliebt, ohne Sattel zu reiten, und genoss es bis heute, nur mit einem Halsring in der Hand auf dem nackten Pferderücken zu sitzen. Auch Nori zeigte deutliches Wohlbehagen über diese Art, seine Reiterin zu tragen, wodurch Cynthia im Laufe der Jahre ihren Sitz perfekt ausbalanciert hatte. Sie spürte die kraftvollen Bewegungen des Pferdes unter sich, als sie über die sattgrünen Wiesen Lelants galoppierten. Der Wind fegte über ihr Gesicht. Mühelos fügte sich Cynthia Noris rasanten Bewegungen, streckte ihren Rücken und stieß ein Jauchzen aus. Mit einem schnellen Handgriff löste sie ihre Spange. Ihr schweres kastanienbraunes Haar fiel bis auf ihre Hüfte, bauschte sich im nächsten Moment im Zugwind auf. Ihr Herz schlug unbändig unter dem Rausch der Freiheit und sie wünschte sich, ewig auf dem Rücken ihres Pferdes den Wind einzufangen.

Es war ihr vorbestimmt, ihren beruflichen Werdegang auf ihre Leidenschaft abzustimmen und Pferdewirtin zu werden. Nicht ohne Gegenwehr, denn wenn sich schon eine Tochter der gehobenen Gesellschaftsschicht in den Berufsstand begeben musste, so doch nicht als besserer Stallknecht, befand ihre Mutter. Sogar ihr stets zurückhaltender Vater hatte Bedenken. Vielleicht sollte sie ihre zweifellos herausragende Intelligenz besser in ein Medizinstudium investieren oder zumindest Anwältin werden. Cynthia hielt sich nicht für intelligent, sondern allenfalls für klug – und herausragend konnte sie allenfalls unter dem liebenden Blick des Vaters sein. Oder in Bezug auf ihre Körpergröße. In diesem Fall konnte sie nur zustimmen. Dass sie auch noch eine Anstellung auf dem Churchtown-Morgan-Gestüt antrat, da sie sich im Reitstall der Trevelyans kaum selbst entlohnen konnte, übertraf Mutters dunkelste Befürchtungen. Sie klagte wochenlang über ihr schweres Los, die älteste Tochter im Dienste der hochnäsigen Lady Morgan, dieser Eingeheirateten, zu wissen. In den ersten Wochen nach Arbeitsbeginn hatte Cynthias Mutter jeden Morgen ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, der Allmächtige möge ihr beistehen bei der Bürde, eine Tochter als Stallknecht verloren zu haben. Auf ihre Frage, womit sie dieses schwere Los verdient habe, kam bis heute keine Antwort, wenn man vom Augenrollen ihres Ehemanns mal absah.

Cynthia lenkte Nori in Richtung Stall, genoss die letzten Augenblicke auf dem Rücken ihres Pferdes und bedauerte, dass sie irgendwann wieder zurück ins Herrenhaus ihrer Eltern musste, als einzige daheimgebliebene Tochter. Entgegen des normalen Verlaufs wohnte sie, die älteste der Trevelyan-Schwestern, noch zu Hause, während Rebecca und Emilia inzwischen verheiratet waren. Cynthia hatte sich damit abgefunden, diejenige zu sein, die sich später um ihre Eltern kümmern würde, so wie sie es bei ihren Schwestern getan hatte. Sich zu verlieben und fortzugehen, konnte sie sich nicht vorstellen und wie es aussah, würde es auch nicht dazu kommen. Doch hier gab es genug für sie zu tun, genug Menschen, die ihrer Hilfe bedurften und sie liebten. Das dürfte für ein ganzes Leben ausreichen.

Sie stieg von ihrem Pferd ab und wischte sich die verschwitzten Haarsträhnen aus dem Gesicht, um sie wieder zusammenzubinden. An Noris’ Box fand sie auf dem Geländer einen kleinen Strauß Blumen, die eindeutig aus dem Garten am Südhang des Herrenhauses stammten. Stirnrunzelnd betrachtete Cynthia die eng aneinander gebundenen Ranunkelblüten in ihrem kräftigen Orange. Es war einer der zahlreichen Blumensträuße, die sie in regelmäßigen Abständen dort fand, wo sie sich aufzuhalten pflegte. Ihr fiel auf, dass die Sträuße, die sie bisher gefunden hatte, sich in Bindeform und Größe ähnelten und immer aus nur einer Blütensorte bestanden. Zuletzt waren es rosafarbene Gerbera und davor drei kleine Sonnenblumen, die wie wortlose Botschaften für sie abgelegt worden waren.

Was auch immer ihr damit mitgeteilt werden sollte, sie wusste zumindest, wer der vermeintlich geheime Verehrer war. Instinktiv blickte sie sich um.

Stewart der Gärtner winkte ihr von der anderen Seite des Zaunes aus zu, stippte sich an den Hut und fuhr damit fort, sie verliebt anzustarren. Cynthia rollte mit den Augen, griff das Sträußchen und winkte damit zurück. Stewart zog eine überraschte Miene und mit einer nichtsahnenden Geste beide Hände. Glaubte er wirklich, sie wisse nicht, dass die Blumenüberraschungen von ihm stammten?

Stewart war einen halben Kopf kleiner als sie, was seinem Selbstbewusstsein offenbar keinen Abbruch tat, denn seit geraumer Zeit machte er ihr deutliche Avancen, wagte aber nicht, offen um sie zu werben. Wohl wissend, dass er damit bei Lady Trevelyan auf Missbilligung stoßen würde. Niemals käme für die Dame des Hauses ein Hausangestellter als Kandidat für eine ihrer Töchter infrage. Cynthia missbilligte grundsätzlich diese herablassende Haltung, anderseits kam es ihr nicht ungelegen, wenn Stewart nicht auch noch ermutigt wurde. Stewart war ein netter Kerl, auch wenn er nicht viel redete. Er war fleißig und botanisch gebildet. Doch als Mann kam er so gar nicht für Cynthia in Betracht. Dennoch konnte sie manchmal nicht umhin, sich Mutters Gesicht vorzustellen, wenn sie dieser den kernigen Botaniker im grünen Overall als potenziellen Heiratskandidaten vorstellen würde. Sie lachte bei dem Gedanken auf, was Stewart offensichtlich auf sich bezog und ihr breit grinsend mit hochroten Ohren erneut zuwinkte. Cynthia seufzte auf, was er aus der Entfernung nicht hören konnte, und führte Nori in die Box, um ihn abzubürsten.

Das Striegeln entspannte sie ebenso wie Nori, sodass sie erst an dem Aufschlagen der Hufe auf dem Boden bemerkte, dass jemand den Stall betrat.

„Na, hat dein Rosenkavalier wieder zugeschlagen?“

Cynthia erhob sich und sah Penny mit der eleganten Stute ihrer Schwester Rebecca am Halfter auf sich zukommen. Penny war eines der Mädchen, das eine Reitbeteiligung im umfangreichen Gestüt der Trevelyans unterhielt. Neben der flachsblonden jungen Frau lief ihr ebenso blonder, aber umso schlaksigerer Freund, der sie hin und wieder eher widerwillig zur Reitstunde begleitete. Die beiden wiesen diese sonderbare Ähnlichkeit auf, die man häufig an jahrelang verbundenen Paaren bemerkte. Allerdings war Penny erst Anfang zwanzig, ebenso wie Sven, dessen Namen auf skandinavische Vorfahren schließen ließ. Wenn Cynthia sich recht erinnerte, waren Penny und Sven schon seit ihrer Schulzeit ein Paar und harmonierten, zumindest rein optisch, so gut miteinander wie zusammengehörige Puzzlesteine, die aus einem wirren Haufen zueinandergefunden hatten. Was die Sympathie anging, schienen die kluge und lebensfrohe Penny von ihrem Partner allerdings Welten zu trennen. Zogen sich Gegensätze tatsächlich so an?

Penny deutete grinsend auf den Blumenstrauß, den Cynthia auf dem Gebälk abgelegt hatte.

„Das sind Wildblumen“, erwiderte sie knapp, zwinkerte dem Mädchen aber zu.

„Die Rosen werden sicher noch folgen“, entgegnete Penny lachend.

Jeder wusste um das hoffnungslose Werben des Gärtners und einige zogen Cynthia damit auf. Wie üblich verzog Cynthia als Reaktion das Gesicht zu einem schrägen Grinsen.

Sven kam hinter der Stute hervor und starrte mit offenem Mund auf Nori, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen.

„Das ist ja das reinste Schlachtross!“

„Schlachtrösser waren Kaltblüter. Nori ist ein Vollbluthengst“, erklärte Cynthia leicht gereizt. Sie mochte es nicht, wenn sie oder Nori auf ihre Körpergröße angesprochen wurden.

Sven zuckte mit der Schulter. „Trotzdem, wenn der auf Sie drauffällt, wird das übel ausgehen.“

Cynthia blickte Sven mit der Verständnislosigkeit einer erfahrenen Reiterin ins Gesicht. „Warum sollte er auf mich drauffallen?“

„Keine Ahnung. Sie wären nicht die erste Adlige, die einem Reitunfall erliegt.“

Da hatte wohl jemand in der Geschichtsstunde besonders gut aufgepasst. Cynthia sah, wie Penny die Lippen zusammenpresste und die Augen rollte, ohne dass es ihr Freund bemerkte. Natürlich wusste Cynthia um die Gefahren des Reitens, die nicht höher waren als in jeder anderen Sportart, und war auch schon mehr als einmal vom Pferd gefallen. Doch Nori war ein Paradebeispiel an Sanftmut und Cynthias Vertrauen zu ihm war unerschütterlich. Aber sie hatte nicht vor, das dem Besserwisser zu erklären. Stattdessen richtete sie sich zu voller Größe auf und legte eine Hand auf Noris Rücken, als wolle sie ihn vor einem Angreifer beschützen. „Der britische Dichter Ronald Duncan sagte einst:

Wo in der Welt kann der Mensch Adel ohne Hochmut, Freundschaft ohne Eifersucht und Schönheit ohne Eitel finden?

Hier, wo Anmut mit Muskelkraft einhergeht

und Stärke von Sanftmut bezwungen wird,

wo ohne Untertänigkeit gedient

und ohne Feindschaft gekämpft wird,

nichts Mächtigeres, nichts Beherrschteres, nichts Schnelleres

und nichts Geduldigeres ist zu finden als das Pferd.“

„Das ist wunderschön“, rief Penny und legte beide Hände auf ihre Brust.

Von Sven kam nichts weiter als ein missbilligendes Schnaufen, mit dem er davonstapfte.

Cynthia wandte sich grinsend wieder ihrer Arbeit zu.

Als sie später die Halle des Herrenhauses der Trevelyans betrat, vernahm sie bereits das Kichern aus dem kleinen Salon, in dem ihre Mutter regelmäßig Besuch zu empfangen pflegte. Obwohl Cynthia vom Ausritt verschwitzt und staubig war, gebot es ihr die Höflichkeit, die Gäste kurz zu begrüßen. Sie trat ein und drei perfekt frisierte Damenköpfe drehten sich in ihre Richtung. Cynthia entging natürlich nicht der verkniffene Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter, Lady Melisande Trevelyan, mit dem diese sie abschätzig von oben bis unten musterte und jeden einzelnen Staubfleck auf ihrer Reiterhose mit einem Naserümpfen zur Kenntnis nahm. Wie gewohnt, reagierte Cynthia gleichmütig auf die Reaktion ihrer Mutter und ging auf sie zu, um sie zum Gruß auf die Wange zu küssen. Sie hatte früh gelernt, diese Stimmungsschwankungen mit Nachsicht zu behandeln. Leicht war das nicht immer und mitunter wurde ihr dabei einiges abverlangt, wenn sie Widerworte unterdrückte. Die zahlreichen Versuche, ihre Mutter zur Rücksicht auf die Gefühle anderer zu bewegen, hatten zu nichts geführt außer zu noch mehr Unstimmigkeiten. Cynthia sah keinen Sinn darin, eine starrsinnige Person belehren zu wollen, und ließ es um des Friedens willen irgendwann bleiben. Ihre Mutter war schon in jungen Jahren eine Frau gewesen, deren eigene Belange stets im Vordergrund standen und mit zunehmendem Alter würde das nicht besser werden. Möglicherweise konnte sie nicht anders, hatte nie etwas anderes gelernt, als selbst im Mittelpunkt zu stehen. Anderen Menschen gegenüber war sie uneingeschränkt oberflächlich, gab sich durchaus verständnisvoll, was aber nie lange anhielt, wenn man die Welt ausschließlich aus der eigenen Perspektive wahrnahm. Doch Cynthia wusste, dass ihre Mutter jenen gegenüber einfühlsam sein konnte, die ihr wirklich nahestanden. Sie nahm ihre Mutter, wie sie war, und wie erwartet entspannten sich bereits deren Gesichtszüge.

Zu ihrer Erleichterung stand Mutters Laptop zusammengeklappt abseits auf einem zierlichen Beistelltisch. Die Damen hatten sich demnach tatsächlich zum harmlosen Teekränzchen versammelt, denn nichts auf der Welt interessierte sie weniger als die vermeintlich legendären Teekränzchen ihrer Mutter und die eigens dazu zelebrierten Verkupplungsversuche. Selbstverständlich diskret getarnt mit einer weniger professionellen Internetseite zur Partnervermittlung für heiratswillige – oder unwillige – adlige Sprösslinge. Je nachdem, wie man es betrachtete. Cynthia hatte ihrer Mutter seinerzeit dabei geholfen, eine Website zu basteln, und war begeistert darüber, dass die Dame des Hauses sich ein neues Interessengebiet zulegen wollte. Ihr den Umgang mit dem Computer beizubringen hatte sogar richtig Spaß gemacht. Dass ihre Mutter auf die Idee kommen würde, eine Partnervermittlung für adlige Singles zu kreieren, hatte sie dabei nicht erwartet. Dabei war das Thema schon jahrelang Bestandteil der Damentreffen. Lauter besorgte Mütter, die ihre hochwohlgeborene Nachkommenschaft möglichst bald und standesgemäß unter die Haube bringen wollten, anstatt dabei zuzusehen, wie sich ihre Kinder mit unnötigen Karriereplänen oder indiskutablen Beziehungen zu nicht passenden Partnern vergeudeten.

Natürlich waren auch Cynthia und ihre jüngeren Schwestern nicht gefeit gewesen vor Mutters Versuchen, die Töchter mit jungen Lords aus der Umgebung zu verloben. Drei Töchter schienen einen noch höheren Druck auf die mütterlichen Pflichten einer Landgräfin auszuüben. Dass sie inzwischen im 21. Jahrhundert lebten, schien weder Mutter noch ihre adligen Freundinnen zu interessieren.

Inzwischen waren Emilia und Rebecca verheiratet, auch ohne das Zutun der übereifrigen Mutter, die eine Weile brauchte, um einzugestehen, dass die jüngeren Töchter durchaus gute Partien gemacht hatten. Damit schien sie sich zufriedenzugeben und hatte sogar damit aufgehört, Cynthia mit ihren Vermittlungsversuchen zu belangen. Oder sie hatte schlicht die Hoffnung aufgegeben, die dreiunddreißigjährige Tochter mit den Maßen einer Riesin an einen passenden Mann zu vermitteln. Welche Gründe auch immer, Cynthia hatte damit wenigstens ihre Ruhe und musste sich nicht mehr zu fragwürdigen Treffen überreden lassen.

„Cynthia, gesell dich doch zu uns. Wir wollten gerade eine Partie Rommé spielen.“ Hilary Thompson verzog ihren Mund zu einem spitzen Lächeln, dem deutliche Spuren einer Gesichtsstraffung zu entnehmen waren. Mit Anfang vierzig mochten sich ihre Möglichkeiten auf dem Heiratsmarkt, besonders dem standesgemäßen, vielleicht verringert haben, doch für Schönheitsoperationen befand Cynthia sie eindeutig als zu jung.

Sie wollte gerade das Angebot ablehnen und wieder hinauseilen, doch die beiden anderen Gäste ihrer Mutter kamen ihr zuvor.

„Ja, bitte, das wäre doch mal ein netter Zeitvertreib“, fand Eve Smith.

Cynthia hätte beinahe mit den Augen gerollt. Ihre Tage waren angefüllt mit Tätigkeiten und könnten durchaus noch ein paar Stunden länger sein.

„Und eine Zerstreuung, nach all deiner Arbeit im Pferdestall“, fügte Betty Green hinzu und erntete dafür ein Schnaufen ihrer Gastgeberin.

„Vielleicht solltest du dich erst umkleiden“, schlug Cynthias Mutter kaum hörbar vor.

„Warum nicht? Umkleiden kann ich mich später ja immer noch“, entschied sie kurzentschlossen und setzte sich an den mit süßem Gebäck beladenen Tisch.

Allgemeine Freude breitete sich unter den Damen aus und sogar ihre Mutter half dabei, Platz für die Spielkarten zu schaffen.

Sie spielten einige Partien, die Cynthia allesamt gewann. Dabei fühlte sie sich zurückversetzt in die Zeit, als sie mit ihren Schwestern gespielt hatte. Der Gedanke ließ sie ein wenig wehmütig werden. Seit Emilia und Rebecca ausgezogen waren, fühlte sich Cynthia manchmal einsam in dem großen Herrenhaus mit ihren Eltern. Damals war sie die Älteste in der Runde gewesen, nun die Jüngste, und dennoch kam es ihr seltsam vor, hier Bridge zu spielen mit ihrer Mutter und Frauen, die wie alte Jungfern wirkten, obwohl sie gerade mal ein paar Jahre älter waren als Cynthia. Über ihr Kartenblatt hinweg musterte Cynthia die drei Frauen, die sich auf seltsame Weise ähnlich sahen. Exzellent frisiert und gekleidet, in hochgeschlossenen Schluppenblusen und gerade geschnittenen Röcken. Meine Güte, mussten es denn immer Erdtöne und Grau sein? Auch ein Pferdeschwanz mit Schleifenspange trug wenig dazu bei, die altbackene Erscheinung aufzufrischen. Normalerweise sollten die drei altersgemäß eher Cynthias Freundinnen sein, anstatt sich an Mutters Teekränzchen zu erfreuen. Vielleicht hatten sie sich ja auch aufgegeben, weil sie noch nicht verheiratet waren. Sollte Cynthia sich auch aufgeben? Gewiss nicht. Ihr Leben war erfüllt und alles andere würde sich ergeben oder auch nicht. Sich ergeben in eine Schluppenbluse zu packen, kam nicht infrage. Sie stand mit beiden Beinen im Leben und musste sich nicht über einen Ehemann definieren. Auch wenn die Emanzipation in den höheren Gesellschaftskreisen Cornwalls immer noch leicht stolpernd Einzug hielt, fühlte sich Cynthia vollkommen unabhängig. Sie war stolz darauf und würde sich von nichts und niemandem davon abbringen lassen.

Gedankenverloren beendete sie die letzte Spielrunde und blätterte ihre Karten auf den Tisch.

„Huch, Cynthia, du hast schon wieder gewonnen“, rief Sarah aus. „Wie machst du das bloß?“

Cynthia lächelte in die Runde. „Ich denke, das ist nur Zufall.“

Oder Glück im Spiel und Pech in der Liebe, wie ihre Schwester Emilia seinerzeit vorlaut zu kommentieren wusste, wenn Cynthia wiederholt irgendwelche Spiele, egal welcher Art, immer wieder gewonnen hatte. Emilia war noch jung und wollte damit nur ihrem Verliererfrust Luft machen, doch hatte diese alberne Weisheit einen seltsamen Samen in Cynthia gesät. Glück im Spiel, Pech in der Liebe. Wann immer sie einen Wettkampf in der Schule gewann, und das geschah häufig, kam ihr in den Sinn, dass sie die Einzige unter ihren Freundinnen war, die noch keinen festen Freund gehabt hatte. Irgendwann redete sie sich sogar ein, es laste ein Fluch auf ihr, und sie ärgerte sich deshalb bis heute über diesen Spruch.

Die Trevelyan-Schwestern: Gabe des Stolzes

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