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So war das mit der Heirat

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Ella war vor lauter Grübeln und Erinnern eingeschlafen. Als sie erwachte dachte sie an ihr zuhause und was die beiden jetzt wohl ohne sie machen würden. Niemand wird sich jetzt um sie kümmern und schon wieder hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie verscheuchte ihre Gedanken und musste plötzlich an ihre Mutter denken. Mutter hatte sie immer wieder gewarnt, diesen Mann zu heiraten. Aber welcher Jugendliche macht das schon, auf seine Mutter hören. Wenn man jung ist und verliebt, lebt man doch in einer Traumwelt und man sieht alles nur noch durch eine rosarote Brille. Ella bekam bei einem Besuch in seinem Elternhaus schon mit, wie Paul von seiner Mutter verwöhnt wurde und sie fand es eher belustigend wenn sie sah, dass ihm seine Mutter die Banane schälte und dass er Nüsse nur aß wenn seine Mutter sie ihm knackte. Kirschen aß er überhaupt keine, denn da hätte man ja die Kerne ausspucken müssen und das war ihm zu umständlich. Das alles hätte ihr eine Warnung sein müssen, aber es heißt ja nicht umsonst, dass die Liebe blind macht.

So richtig kennen gelernt hat sie Paul erst als sie schon verheiratet waren. Heute ist das alles viel einfacher, man zieht erst einmal zusammen. Doch damals wäre das unmöglich gewesen. Die Leute hätten mit Fingern auf uns gezeigt und Mutter wäre vor Scham nicht mehr aus dem Haus gegangen.

"Ach" seufzte sie, "hätte ich doch nie geheiratet denn damit hat mein ganzes Unglück angefangen!" Ja, dachte sie, damit fing alles an und sie wusste plötzlich wie sie ihre Geschichte beginnen sollte und fing an zu schreiben:

Warum ich geheiratet habe? Warum wohl? Natürlich weil ich schwanger war. Aufgeklärt hatte mich niemand, und fragen traute ich mich nicht. So wusste ich nur, was man so auf der Straße mitbekam oder hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde. Eine richtige Freundin hatte ich nicht und auch keine Vertrauensperson, mit der ich sprechen konnte, wenn mich etwas bedrückte. Es fehlte mir überhaupt jemand, mit dem ich als Frau reden konnte, und wenn man niemanden zum Reden hat, ist es schön, wenn man die richtigen Worte zum Schreiben findet. Aber leider bekommt man vom Papier keine Antwort und auch keine Kritik. Kritik aber ist für mich wichtig, weil man daraus lernen kann, und so habe ich jetzt beim Schreiben das Gefühl, ich spreche mit den Blättern. Irgendwie konnte ich schon in meiner Jungmädchenzeit nichts mit gleichaltrigen Jungen anfangen. Sie waren mir zu kindisch. Ich schwärmte immer nur für Ältere, das war schon fast eine fixe Idee, und ich fühlte mich auch immer zu Älteren hingezogen. Ich hatte mich auch schon auf einen bestimmten Typ festgelegt. „Er“ musste aussehen wie Errol Flynn, der Schauspieler. Während ich das schreibe, denke ich, dass ich damals in einer richtigen Traumwelt gelebt habe. Ich habe mir mein zukünftiges Leben in den schönsten Farben ausgemalt. Dass es im Leben auch Sorgen gibt oder Probleme, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich habe immer nur die schönen Dinge gesehen. Obwohl ich mitbekam, dass mein Vater ein großer Schürzenjäger war, und ich Mutter oft weinen sah, hat es mich nicht betroffen gemacht oder gar interessiert. Ich suchte nach meinem Typ Mann. Männlich musste er sein, vielleicht auch wie Clark Gable. So verglich ich jeden Jungen, den ich kennenlernte, mit diesem Typ Mann.

Paul, meinen Mann, lernte ich in einer Jugendgruppe kennen. Wir waren damals bereits in die nächstgrößere Stadt umgezogen, wohin mein Vater beruflich versetzt wurde. Ich besuchte nach dem Umzug das Gymnasium. Es war eine kleine Pfarrei, zu der wir gehörten, und der Besuch der dortigen Jugendgruppe war für mich die einzige Möglichkeit, überhaupt Kontakt zu anderen zu bekommen, denn meine Eltern waren sehr streng. Meine Mutter versuchte dauernd, Kontakte zu Jungen zu verhindern. Ich durfte auf der Straße nicht einmal mit einem Jungen sprechen. Wenn meine Mutter manchmal sah, dass ich trotzdem mit einem Jungen sprach, schrie sie mich dann zu Hause an und sagte: „Wenn du ein Kind bekommst, erschlage ich dich!“ Aber wovon ich eigentlich ein Kind bekommen sollte, das sagte mir keiner, und so fühlte ich mich wieder einmal alleingelassen.

Meine Mutter war immer sehr streng, und heute kann ich das gut verstehen, warum sie so war. Sie lebte immer in der Angst, es könnte mir genauso ergehen wie ihr damals. Sie war noch nicht einmal achtzehn Jahre alt, als sie mich zur Welt brachte. Paul war ein ruhiger Typ. Er war sieben Jahre älter als ich, war Ministrant, spielte Tischtennis und Theater in der Jugendgruppe, und er interessierte sich überhaupt nicht für mich. Genau das reizte mich. Jungen, die mir nachliefen, interessierten mich nicht. Immer, wenn er irgendwo mitspielte, war ich in der Nähe und sah zu. Unsere Blicke trafen sich immer öfter. Immer mehr kam ich zu der Überzeugung, dass er der richtige Mann für mich war. Er kam meinem Traumidol am nächsten. Er war schlank und groß, hatte ein Bärtchen wie Clark Gable und schwarze Haare. Er konnte sagenhaft gut tanzen, und ich tanzte furchtbar gerne. Die einzige Möglichkeit, einmal tanzen zu dürfen, war, in die Jugendgruppe zu kommen. Mit viel Betteln hatten meine Eltern endlich erlaubt, dass ich dort hingehen durfte, und das auch nur, weil es gleich in unserer Nähe war. Es war die katholische Jugendgruppe, die zu unserer Pfarrei gehörte, und da waren eben auch Jungen dabei. So gab es nur eine einzige Möglichkeit, sich mit Jungen zu treffen, das war diese Jugendgruppe. Am Faschingssonntag war dort immer Tanznachmittag und darauf freuten sich alle schon das ganze Jahr über. Diese Jugendgruppe durfte ich auch nur einmal die Woche besuchen, immer nachmittags. Das Treffen der ganzen Gruppe fand natürlich am Abend statt, aber abends musste ich zu Hause bleiben. Abends einmal ins Kino gehen, war für mich nie möglich. Ins Kino durfte ich nur am Nachmittag und auch nur manchmal. Mit sechzehn Jahren musste ich immer noch um halb neun am Abend im Bett sein. Wenn ich so darüber nachdenke, wie viele Ausreden ich mir damals einfallen ließ, um wenigstens am Sonntagnachmittag alleine wegzukommen, muss ich noch heute schmunzeln.

Dass der sogenannte Traummann sich einmal anders entpuppen könnte, daran denkt man doch in jungen Jahren, wenn man sehr verliebt ist, nicht. Und auf die Eltern hörte ich schon überhaupt nicht, die waren in meinen Augen altmodisch und spießig. Nie mehr würde ich heute bei einem Mann auf das Aussehen achten. Mein Mann entpuppte sich als Blender und ist Zeit seines Lebens nie etwas anderes gewesen. Er hielt nicht, was sein Aussehen versprach, und er war auch nicht so, wie meine Filmidole in ihren Filmen. Da kann man sehen, in welcher Traumwelt ich als junges Mädchen gelebt habe. Als ich so nach und nach gemerkt habe, wie er wirklich war, da war es bereits zu spät, ich war schwanger. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich ihn überhaupt geliebt habe. Ich hatte so eine wahnsinnige Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach Umarmungen, und da ist es dann einfach passiert. Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und es sah aus, als sei das größte Unglück geschehen. Glück oder Unglück, das interessierte sie nicht. Für sie war wichtig, was die Leute dachten. Mit neunzehn Jahren schwanger, wie sollte sie das erklären? „Ihr müsst sofort heiraten, dann kann man immer noch sagen, dass es eine Frühgeburt ist“, beschloss sie. Ich weiß heute gar nicht mehr, was eigentlich Vater dazu sagte. Auf jeden Fall arrangierte Mutter eilends die Hochzeit. Ich hatte gerade meine Lehre beendet und war von der Firma anschließend in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden. Mein damaliger Chef bestand darauf, dass ich ihn auf seinen Reisen zu den Baustellen, er war Bauunternehmer, begleitete, aber mir war dauernd furchtbar übel, und ich musste mich häufig übergeben, so dass es nicht mehr zu verheimlichen war, dass ich schwanger war.

Es heißt immer, der schönste Tag im Leben einer Frau ist der Hochzeitstag. Von Freunden und Bekannten weiß ich, dass dieser Tag unvergesslich sein konnte. Bei mir war das nicht so. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich an diesem Tag glücklich war. Der Tag ging eigentlich wie in Trance an mir vorüber. Der Arzt hatte mir am Tag davor noch Medikamente verschrieben, weil Mutter immer Angst hatte, ich könnte wegen der Schwangerschaft ohnmächtig werden, oder, was noch schlimmer war, ich könnte mich übergeben. Ich erinnere mich nur noch an den Mittagstisch in der Gastwirtschaft und an den Nachmittag des Hochzeitstages, an dem viel getanzt wurde. Ich weiß noch, dass Mutter den ganzen Tag in meiner Nähe war, um möglicherweise gleich eingreifen zu können, falls mir doch übel werden sollte. Das war ihre ganz große Sorge, und dass die Leute dann anfangen könnten zu tuscheln.

Ich überstand den Hochzeitstag, und heute denke ich, dass die Mädchen heutzutage gar nicht wissen, wie gut sie es haben. Es gibt so viele Möglichkeiten, nicht schwanger zu werden. Allein schon mit der Pille kann ich selbst bestimmen, ob ich nun schwanger werden will oder nicht. Ich kann selbst bestimmen, ob ich ein Kind möchte oder nicht. Das konnte ich damals nicht. Unaufgeklärt bin ich da hineingeschlittert. Wir haben nur einmal miteinander geschlafen, und schon war es passiert.

Im Hause meiner Eltern bekamen wir das Zimmer unterm Dach, das noch frei war. Zwei Wochen vor meiner Niederkunft bekamen wir im Haus meines Schwiegervaters, der in der Zwischenzeit eine Witwe geheiratet hatte, eine Wohnung im ersten Stock. Die richtigen Probleme kamen erst nach der Hochzeit, als wir zusammenlebten, aber ich verdrängte alles und hoffte immer, mein Mann würde sich ändern. Er änderte sich nicht, er schämte sich für mich, für meine Unförmigkeit, für meinen dicken Bauch, und er nahm mich, als ich dicker wurde, nie irgendwo hin mit, wie zum Beispiel auf die Hochzeit seines Freundes, der gerade geheiratet hatte. Das hat mich natürlich sehr gekränkt, und ich fühlte mich gedemütigt und alleingelassen. Kaum waren wir mit dem Umzug fertig, kam das Kind und auch gleich die nächste große Enttäuschung, und meine Liebe zu meinem Mann bekam einen großen Knacks. An einem Samstagnachmittag bei einem Spaziergang bekam ich die ersten Wehen und musste mich alle paar Meter an einem Zaun festhalten. Das ging so bis zum späten Abend. Gerade als ich mir im Fernsehen das Schauspiel „Don Carlos“ ansah, kamen ganz schlimme Wehen, das werde ich nie vergessen, ich krümmte mich vor Schmerzen. Der Koffer stand schon seit Tagen fertig gepackt, und mein Mann fuhr mich in die Klinik. Vor dem Portal stiegen wir aus dem Auto und gingen die Treppen hoch. Am Eingang drückte er mir meinen Koffer in die Hand, klopfte mir auf die Schulter, wünschte mir alles Gute, ließ mich stehen und verschwand im Auto. Dann fuhr er davon, als ob er vor etwas flüchten müsste. Ich hatte furchtbare Angst, ich wusste ja nicht, was mich eigentlich erwartete. Ich fühlte mich so allein und war so furchtbar unglücklich. Ich hatte erwartet, er würde mich jetzt fürsorglich in die Arme nehmen und mich in die Klinik begleiten. Ich war so enttäuscht, und kam mir vor wie ein Paket, das gerade abgegeben wurde.

Wie alle Frauen ging ich etwa vier Wochen vor der Niederkunft zu einer Hebamme, um mich untersuchen zu lassen. Diese Hebamme kam dann ins Krankenhaus, wenn es so weit war. Es gab keine so fürsorgliche Betreuung wie heute mit Schwangerschaftsgymnastik, Ehemann mitbringen und so. Es gab auch keine Nachsorge und keine Hilfe oder Unterweisung, um mit dem Baby klarzukommen. Die ganze Nacht über dauerten die Wehen, und endlich um halb sechs Uhr früh kam das Kind. Es war ein süßes Mädchen, und ich konnte es kaum erwarten, das Kind meinem Mann zu zeigen. Doch erst am Vormittag nach der Geburt, so um ca. zehn Uhr, tauchte mein Mann in der Klinik auf. Er schien es überhaupt nicht eilig zu haben, mich und unser Kind zu sehen.

Ella wischte sich die Tränen vom Gesicht. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie, während sie ihre Erinnerung niederschrieb, geweint hatte.

Die Taufe fand in der Klinik-Kapelle statt. Die zweite Frau meines Schwiegervaters, die er nach dem Tod von Pauls Mutter geheiratet hat, hatte sich schon vorher angeboten, die Taufpatenschaft zu übernehmen. Obwohl ich als Taufpatin lieber meine Mutter gehabt hätte, war ich einverstanden. Schließlich hatte sie uns in ihrem Mietshaus eine Wohnung gegeben, und da musste man dankbar sein. Wir tauften das Kind auf den Namen Anna. Sie war ein hübsches Kind, hatte große dunkle Augen, und ich war ganz verliebt in die Kleine. Ich glaube, ich habe schon damals alle meine Liebe dem Kind gegeben, weil ich von Paul so enttäuscht war. Ab dieser Zeit änderte sich mein Leben. Mein Mann zog sich zurück, wir schliefen auch nicht mehr miteinander. Oft machte ich mir Gedanken darüber, warum er wohl nicht mehr mit mir schlafen wollte, aber zu fragen traute ich mich nicht. Einmal fasste ich mir ein Herz und vertraute mich meinem Schwiegervater an, zu dem ich eigentlich ein gutes Verhältnis hatte. Er grinste und sagte spöttisch: „Paul kommt wahrscheinlich nach seiner Mutter, die wollte auch nie ins Bett mit mir, sie hatte einfach für Intimitäten nichts übrig!“ Ich widmete mich ganz meinem Kind, aber so langsam gab es auch mal wieder harmonische Abende und wir schliefen sogar wieder miteinander.

Als Anna fünf Monate alt war, merkte ich, dass ich wieder schwanger war. Ich war unglücklich, und ich traute mich nicht zu meiner Mutter, ich wusste, was sie als erstes sagen würde: „Mein Gott, was werden da die Leute sagen“, denn es war ihre große Sorge, dass sie bei den Leuten nicht mehr gut dastand. Wenn ich schwanger war, bemerkte man meine Schwangerschaft erst ziemlich spät. Gerade jetzt beim zweiten Kind, es war Spätherbst, und ich trug immer sehr weite Kleider. Um zu vermeiden, dass meine Mutter merkte, dass ich schon wieder schwanger war, sahen wir uns nicht all zu oft. Ich entschuldigte mich immer wieder mit viel Arbeit, und eines Tages, ich war schon im achten Monat, entschloss ich mich, meine Eltern wieder einmal zu besuchen. Ich hatte einen Schlüssel und musste deshalb nicht läuten. Ich sperrte die Eingangstüre auf und hörte laute Stimmen, die aus dem Inneren drangen. Mir war sofort klar, sie stritten schon wieder miteinander. Wahrscheinlich ging es wie immer um eine andere Frau. Beim Öffnen der inneren Türe sah ich, wie die beiden gerade aufeinander losgingen. Ich wusste ja, dass sie oft stritten, aber dass sie jetzt sogar handgreiflich wurden, war mir neu. Ich erschrak so sehr, fasste mir mit der Hand an den Bauch, als ich den starken Schmerz fühlte, und musste mich setzen. Beide hielten inne, und es schien ihnen doch etwas peinlich zu sein.

Noch in derselben Nacht bekam ich das Kind. Es wurde eine Frühgeburt im achten Monat und war ein Junge. Wir tauften ihn Pit. Wie schon beim ersten Kind fuhr mich mein Mann in die Klinik, klopfte mir am Eingang auf die Schulter, stellte meinen Koffer neben mich, wünschte mir alles Gute und verschwand. Es ging alles ganz schnell, das Kind hatte es eilig, nur mein Mann hatte auch dieses Mal keine Eile, mich zu besuchen. Der Junge war allerliebst, mit schwarzen, langen Haaren, die die Hebamme gleich zu einer runden Tolle formte. Ich blieb die damals üblichen sieben Tage in der Klinik, und auch die Taufe fand in der Klinik, statt weil die Hebamme es so für besser hielt. Es war Anfang Januar und sehr kalt, und man sollte doch berücksichtigen, dass der Junge vier Wochen zu früh zur Welt gekommen war, meinte sie, und ich gab ihr Recht. Eine Taufe in unserer Kirche daheim, so wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, wäre bei dieser Kälte für das Kind nicht gut gewesen. Mein Schwiegervater ließ es sich nicht nehmen, Pate für den Jungen zu sein. Ich weiß noch genau die Worte des Priesters bei der Taufe: „Der Junge hat ja so lange Haare, da muss ich gleich zweimal das Taufwasser über seinen Kopf gießen!“, meinte er und musste dabei selbst lachen. Die Haare des Babys waren nicht nur sehr lang, sondern auch noch pechschwarz. Nach der Taufe holte mich Paul dann nach Hause. Mein Schwiegervater wartete vor dem Hauseingang, als wir ankamen, und nahm den Enkelsohn freudig entgegen. „Wenigstens einer, der sich mit mir freut“, dachte ich damals. Doch im Zusammenleben mit Paul änderte sich nichts, er war wie immer sehr abweisend.

Es war die Zeit, in der die Fernsehgeräte in die Wohnungen einzogen. Wir selbst konnten uns noch keines leisten, aber mein Schwiegervater, der ein Stockwerk über uns wohnte, hatte bereits eines. So kam es, dass mein Mann jeden Tag nach der Arbeit, kaum dass er gegessen hatte, seinen Abend bei seinem Vater und dessen zweiter Frau verbrachte, und ich mit den Kindern alleine in der Wohnung saß. Jeden Tag war es dasselbe, ich hörte Musik, wenn die Kinder eingeschlafen waren, oder ich las ein Buch, und ich fühlte mich sehr unglücklich und einsam. Die zweite Frau meines Schwiegervaters stammte aus einer Gastwirtschaft, und sie hatte immer etwas Flüssiges zu Hause. So kam mein Mann an so manchem Abend mit einer Alkoholfahne zurück. Er kümmerte sich nach der Arbeit um nichts. Er gab mir Geld und ließ mich schalten und walten, er wollte mit nichts, was die Finanzen oder Sonstiges betraf, behelligt werden.

Ich grübelte immer öfter. Was war er nur für ein Mensch? Er zeigte nie Gefühle, keine großen Regungen. Oft fragte ich mich, ob er denn gar nichts empfand? Ich sehnte mich so nach ein bisschen Zärtlichkeit, danach, ein wenig in den Arm genommen zu werden. Wenn ich mich manchmal an ihn schmiegen wollte, schob er mich weg mit der Begründung, er sei müde. Ein anderes Mal hatte er Kopfschmerzen, das nächste Mal hatte er Magenschmerzen oder es war ihm sonst nicht gut. Im Laufe der Zeit bekam ich schon Minderwertigkeitskomplexe und fragte mich, wie das wohl weitergehen sollte. Ich zweifelte an mir, weil ich ausgerechnet ihn geheiratet habe! Ich hatte früher so viele Chancen bei den Männern, aber ich war nur auf ihn fixiert. Wir waren eine Familie, hatten zwei liebe Kinder, doch mein Mann veränderte sich immer mehr, er wurde mir gegenüber immer kälter.

Ella streckte sich, sie fühlte sich vom vielen Schreiben wie eingerostet. Es war ja auch schon spät und sie nahm sich vor, am nächsten Tag nach der Arbeit weiterzuschreiben. Doch sie konnte nicht einschlafen. Die Erinnerungen ließen sie einfach nicht los.

Männer kannte sie früher viele, doch sie fühlte sich immer zu jenen hingezogen, die sich eigentlich gar nicht für sie interessierten. Es reizten sie immer Männer, die schwer zu erobern waren, die meistens etwas anders waren, die stillen, die zogen sie unwahrscheinlich an. Sehr oft waren es die schüchternen Männer, an denen sie testete, ob sie als Frau wirkte. Sie machte sich einen Spaß daraus, mit Männern zu flirten, Verabredungen zu treffen, zu denen sie dann gar nicht hingegangen ist. Es war für sie wie ein Spiel. Ihr gefielen immer nur Männer, die eigentlich von ihr keine Notiz nahmen. Die, die sie übersahen, genau die reizten sie. So einer war ihr Mann Paul damals, und deshalb war sie so fixiert auf ihn. „Was hilft es, immer in der Vergangenheit zu wühlen, du kannst grübeln so viel du willst, es ändert nichts. Du musst an jetzt denken“, ging es ihr durch den Kopf. „Du sitzt hier in dieser kleinen Wohnung, dabei hätte eigentlich er ausziehen müssen. Aber er wollte keine Scheidung und zog auch nicht aus“, grübelte sie weiter. Das Gesetz verlangt aber bei einer Scheidung, ein Jahr getrennt von Tisch und Bett zu leben, das war in einem gemeinsamen Haus nicht möglich, zumindest nicht mit Paul. „Schluss jetzt“, sagte sie laut, deckte ihr Bett auf und kuschelte sich unter die Decke. Dann schlief sie endlich ein.

Die nächsten Tage zogen sich nur so dahin. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Ihr gingen auch in der Arbeit so viele Gedanken durch den Kopf, und sie stellte fest, dass das mit dem Schreiben gar nicht so einfach war. Meistens, wenn ihr etwas einfiel oder sie etwas bedrückte, das sie hätte schreiben können, war sie in der Arbeit, und wenn sie dann nach Hause kam, hatte sie vieles schon wieder vergessen. So fing sie an, zwischendurch Zettelchen zu schreiben und in ihre Handtasche zu stecken als Gedankenstütze für zu Hause. Oft hatte sie auch keine Lust zum Schreiben, dann steckte sie diese Zettelchen in einen kleinen Karton, den sie ihre Gedankenbox nannte.

Es war mal wieder endlich Arbeitsschluss. Ella kramte in ihrer Gedankenbox, als sie zu Hause ankam. Dann griff sie nach einem Zettel mit dem Hinweis: „Er würde nie ausziehen“. Tagsüber auf der Arbeit hatte sie sich überlegt, dass sie genau darüber am Abend niederschreiben wollte, und es war wohl Schicksal, dass sie genau den Zettel zu diesem Thema aus der Box fischte. „So ein Zufall“, dachte sie. Sie schob den Hocker, der vor ihrer Schreibmaschine stand, zurecht, setzte sich und fing an.

Getrennt vom Bett waren wir ja schon seit ewigen Zeiten, und doch wollte er sich nicht scheiden lassen. Was ich auch versuchte, er blieb stur. Er wollte unbedingt eine Scheidung verhindern. Wenn ich also im Haus geblieben wäre, dann hätte er sich aus lauter Bosheit so einiges einfallen lassen. Hätte ich nicht für ihn gekocht, dann hätte er einfach Reste aus den Töpfen genommen. Hätte ich nicht für ihn gewaschen, wäre er wahrscheinlich in Schmutzwäsche erstickt, und so etwas konnte ich nicht mitansehen. Ein ganzes Jahr lang wäre das so gegangen. Er hätte sich geweigert, sich scheiden zu lassen, und hätte dann womöglich vor dem Scheidungsrichter behauptet, ich hätte für ihn gewaschen und gekocht, nur um diese Scheidung zu verhindern. Er hätte nie sein bequemes Leben aufgegeben.

Plötzlich verlor sie irgendwie die Lust am Schreiben. Sie warf sich auf das Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte vor sich hin. Vielleicht klappte es morgen wieder besser. Sie gähnte und fühlte sich plötzlich furchtbar müde. „Morgen ist auch noch ein Tag, da kann ich weiterträumen und mich erinnern.“ Morgen würde sie schreiben, wie sie sich in der Jugendgruppe näherkamen, und wie es weiterging. Mit diesem Gedanken und laut gähnend schlief sie endlich ein.

Am nächsten Morgen war sie schon früh auf den Beinen, denn sie wusste nie genau, wie lange sie von ihrem jetzigen Domizil bis zur Arbeit mit dem Auto brauchen würde. Es war ja alles anders, auch der Weg zur Arbeit. Sie fragte sich, wie die Kollegin und die Kollegen es in der Arbeit aufnehmen würden, wenn sie erfuhren, dass sie von zu Hause ausgezogen war. Was würde vor allem die Chefin dazu sagen? Es war alles gar nicht so einfach, und sie musste überlegen, wie sie alles erklären sollte. Ihr Kollege, der Meister im Betrieb war, lebte auch gerade in Scheidung. Sie wollte mit der Erklärung warten, bis jemand auf sie zukam, und so verlief auch dieser Arbeitstag wie immer, und es fragte sie auch niemand, besonders jetzt, nachdem das Arbeitsklima wegen Differenzen mit ihrem Kollegen, dem Meister, sowieso gestört war.

Nach der Arbeit fuhr sie gleich nach Hause, denn sie brannte darauf, sich alles von der Seele zu schreiben. Ohne etwas zu essen, setzte sie sich gleich an ihre Schreibmaschine und begann.

Als ich Paul damals in der Jugendgruppe kennenlernte, fand ich auch gleich heraus, welchen Arbeitsweg er hatte, denn er fuhr immer zur selben Zeit in der Straßenbahn wie ich. Er arbeitete fast gegenüber des Gymnasiums, in das ich damals ging. Aber Paul war nicht so leicht zu erobern. Eines Abends, als wir wieder Gruppenstunde gehabt hätten, es war so ein wunderschöner lauer Sommerabend, sonderte ich mich mit zwei anderen Mädchen von der Gruppe ab. Mit von der Partie waren drei Jungen, von denen einer Paul war. Wir schwänzten die Gruppenstunde und machten stattdessen einen Abendspaziergang am nahen Waldrand. Wie das eben so ist, die Pärchen hatten sich schnell gefunden. Paul legte seinen Arm um meine Schultern, wir lachten und scherzten, es war einfach nur schön, so zusammen zu sein, und sonst passierte überhaupt nichts. Wir alle wussten, dass die Jugendstunde um neun Uhr beendet sein würde und gingen zu dieser Zeit wieder zurück. Woran wir nicht dachten war, dass die Leiterin der Jugendgruppe uns vermisste, und auch nur deshalb, weil sie selbst, was ich nicht wusste, ein Auge auf Paul geworfen hatte. Meine Mutter stand, als ich nach Hause kam, schon vor der Haustüre und wartete auf mich. Die Gruppenleiterin war in der Zwischenzeit bei ihr gewesen, und hatte uns angeschwärzt. Zu einer Erklärung kam ich erst gar nicht, sie schlug mir links und rechts ins Gesicht und schrie wieder ganz hysterisch: „Wenn Du ein Kind bekommst, erschlag‘ ich dich!“ Ich wusste schon, dass ich etwas Verbotenes getan hatte, aber was hatte das mit einem Kind zu tun? Von da an ließ sie mich nicht mehr weggehen. Und wenn sie mich mit einem Jungen auf der Straße auch nur sprechen sah, bekam ich zu Hause gleich eine Ohrfeige.

Abends durfte ich nie mehr aus dem Haus, und wenn überhaupt, dann nur am Sonntagnachmittag und auch nur mit einer Freundin ab und zu ins Kino. Ich hatte das Zimmer zusammen mit meinem Bruder, und musste jeden Tag um halb neun Uhr im Bett sein. So traf ich mich mit Paul immer heimlich. Wir sahen uns ja jeden Tag morgens in der Straßenbahn, aber das wusste meine Mutter ja nicht. Wenn ich nachmittags Schule hatte und über die Mittagspause in der Stadt blieb, verabredeten wir uns heimlich, gingen in der Stadt händchenhaltend spazieren, und ich weiß es noch wie heute, am 21. März, es war Frühlingsanfang, da hat er mich das erste Mal geküsst. Er wohnte ja in unmittelbarer Nachbarschaft, und so blieb es natürlich nicht verborgen, dass zwischen uns etwas war. In einer Gegend, in der alles stinkbürgerlich war und jeder alles von jedem wusste, sprach sich so etwas schnell herum, und meine Mutter war stets besorgt um ihren guten Ruf. So war es ein großes Entgegenkommen, wenn ich Paul zu uns nach Hause mitbringen durfte, natürlich nur in ihrer Anwesenheit. Seiner Mutter passte das jedoch gar nicht, sie drohte ihm mit Enterbung, ihm, ihrem einzigen Sohn. Auch meine Eltern versuchten mit allen Mitteln, mir Paul auszureden. Sie versuchten, ihn in meinen Augen lächerlich zu machen. „Schau ihn dir an“, spottete mein Vater, „wie der schon läuft, wenn er um die Ecke kommt, der hat ja einen Gang wie Charlie Chaplin!“ Paul hatte wirklich einen etwas schlaksigen Gang, aber das störte mich nicht.

Über Aufklärung oder gar Sex wurde in unserer Familie nie gesprochen, das war ein großes Tabu. Ich hatte oft so viele Fragen, hatte auch so manchen Kummer, doch ich hatte niemanden, mit dem ich über solche Dinge sprechen konnte. Mit einer Schwester, wenn ich eine gehabt hätte, hätte ich bestimmt über alles reden können. Zu der Zeit schwor ich mir, dass ich bei meinen Kindern, wenn ich welche haben würde, alles ganz anders machen würde.

Ella rieb sich die Augen, sie hatte für heute genug geschrieben, und als sie noch kurz ihre kleine Wohnung aufräumte und das Fotoalbum, das sie von zu Hause mitgenommen hatte, zur Seite legte, fiel ein Bild heraus, das sie zusammen mit ihrem Bruder zeigte. Er hielt die kleine Anna im Arm und Ella stand daneben. Sie war damals bereits mit dem zweiten Kind schwanger, doch man merkte davon noch nichts. Ihr Bauch wurde erst so im siebten Monat richtig sichtbar. „Darüber werde ich dann morgen schreiben“, dachte sie, und ging an diesem Abend ziemlich früh schlafen.

Am nächsten Tag, gleich nach der Arbeit, hatte sie es eilig. Sie hatte den ganzen Tag dem abendlichen Schreiben entgegengefiebert, und so fing sie gleich damit an.

An die Zeit, als ich das zweite Mal schwanger war, kann ich mich noch genau erinnern. Ich habe nie vergessen, wie unglücklich ich bei der zweiten Schwangerschaft war. Ich hatte mir damals vorgenommen, meiner Mutter zu erzählen, wie es in mir aussah, doch immer, wenn ich ihr dann gegenüberstand, verließ mich der Mut. Ich hätte jemanden zum Reden gebraucht, und ich fühlte mich einsam. Paul war immer so abweisend und zusammengeschlafen hatten wir auch schon lange nicht mehr. Ich hätte ihr so gerne erzählt, wie erniedrigt ich mich fühlte, wenn ich um Liebe betteln musste, denn Paul hatte da immer die üblichen Ausreden parat wie zum Beispiel: „Heute habe ich Kopfschmerzen“, oder „Ich bin heute furchtbar müde“, oder „Ich glaube, ich habe heute etwas Schlechtes gegessen, mir ist gar nicht gut“, und ähnliches. Doch auch wenn man nur ganz selten mit einem Mann schläft, einmal genügt, um schwanger zu werden, und so war es auch bei mir.

Ella legte sich auf das Bett und starrte zur Decke. Dann dachte sie an die Zeit, als das zweite Kind kam. So etwas vergisst man nicht, auch nicht nach so vielen Jahren.

Die Witwe, die Ellas Schwiegervater geheiratet hatte, besaß ein Sechs-Familien-Haus. In diesem Haus hatten sie eine Wohnung bekommen. Doch als der Schwiegervater in Rente ging und nur noch zu Hause war, fing er immer mehr an, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Er fing an, Ella zu bevormunden, er war der Meinung, sie sei noch zu jung, um Kinder großzuziehen, und bestand darauf, sie müsste deshalb mehr auf seine Vorschläge über Kindererziehung eingehen. Es ging sogar so weit, dass er Anna, wenn sie manchmal weinte, aus dem Babykorb nahm, zu sich in die Wohnung holte, und sie nach ein paar Stunden wiederbrachte, wenn sie eingeschlafen war. Doch wenn Ella dies am Abend ihrem Mann erzählte, stand er ihr kein bisschen zur Seite.

Irgendwie lebte er in einer ganz anderen Welt. Er merkte manchmal gar nicht, wie viel Arbeit ein kleines Kind machte, und es interessierte ihn auch nicht, ob Ella Ärger hatte oder nicht, ob es ihr gut ging oder ob sie Kummer hatte. So fraß sie alles in sich hinein, und als das zweite Kind, Pit, gerade mal sechs Wochen alt war, bekam sie ihre Tage nicht. Mit niemandem konnte sie darüber reden, mit ihrer Mutter schon gar nicht. Sie dachte nur: „Lieber Gott, bitte nicht schon wieder ein Kind!“ In einer Zeitschrift hatte sie einmal einen Artikel über Abtreibungen gelesen, und sie hatte davon eine vage Vorstellung. In ihrer Verzweiflung und in dem Glauben, sie sei schon wieder schwanger, nahm sie eine Stricknadel, führte diese in die Scheide ein und durchstach sich den Muttermund. Sofort bekam sie höllische Schmerzen. Sie versuchte noch, zu ihrer Mutter, die ein paar Straßen weiter wohnte, zu gelangen, brach jedoch auf offener Straße bewusstlos zusammen. Als sie wieder zu sich kam, lag sie in einem Bett im Krankenhaus, und man erzählte ihr, dass man an ihr eine Ausschabung vorgenommen hatte. Die schlimmste Information war dann, als sie bei der Arztvisite erfuhr, dass sie gar nicht schwanger gewesen war.

Tief glitten ihre Gedanken in die Vergangenheit. Die Erinnerungen an diese unschöne Zeit musste sie dann aber auch niederschreiben.

Zu der Zeit gab es eine Möglichkeit, nicht mehr schwanger zu werden, indem man sich die Eierstöcke abbinden ließ. Die Pille war ja noch nicht auf dem Markt, und das Unterbrechen beim Akt war eine ganz unsichere Sache. Als am nächsten Tag Visite war, fasste ich mir ein Herz, und bat den Chefarzt um ein Gespräch. Es fiel mir nicht leicht, über solch ein Thema zu sprechen, doch der Arzt kam mir zuvor. Er wollte wissen, warum ich diesen Selbstversuch gemacht hatte, und ich erzählte ihm, dass ich dachte, wieder schwanger zu sein. Verzweifelt bat ich den Arzt, mir zu helfen und meine Eierstöcke abzubinden, doch der Arzt weigerte sich, und meinte, ich sei doch noch viel zu jung. „Vielleicht möchten sie ja später doch noch ein Kind?“, sagte er. Soviel ich ihn auch bat, ihm meine Lage erklärte und ihm erzählte, dass ich wirklich kein Kind mehr wollte, er blieb hart und lehnte eine Abbindung der Eierstöcke ab. Meine Mutter kümmerte sich in dieser Zeit um die beiden Kinder, und mein Mann fragte nicht einmal nach dem Grund meines Krankenhausaufenthaltes. Hätte es damals alle diese Möglichkeiten, nicht ungewollt schwanger zu werden, schon gegeben, vielleicht wäre mein Leben ganz anders verlaufen.

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