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Der Führerschein
ОглавлениеUnd sie fand auch eine Möglichkeit, dieses eine Jahr zwischen dem alten und dem neuen Job zu überbrücken, sie machte noch mit vierzig Jahren ihren Führerschein und das kam ihr bei ihrem neuen Job natürlich zugute, denn ohne Führerschein hätte sie den neuen Arbeitsplatz überhaupt nicht bekommen. Man kann nicht in einer Kfz-Werkstatt arbeiten und keinen Führerschein haben. Ja, sie machte den Führerschein und wäre wahrscheinlich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, diesen zu machen, wären nicht Anna, Pit und sogar Tobias durch die Fahrprüfung gerasselt. Ella verstand das nicht. Es konnte doch nicht so schwer sein, einen Führerschein zu machen, dachte sie damals, und so entschloss sie sich klammheimlich zum Besuch einer Fahrschule. Immer, wenn ihre zwei Großen in der Lehre waren und Tobias in der Uni, besuchte sie den Unterricht in der Fahrschule. Wenn sie dann allein zu Hause war, büffelte sie für die Fahrprüfung. Sie sparte eisern und wollte sich, wenn sie die Prüfung schaffen sollte, ein kleines, gebrauchtes Auto kaufen. Und wirklich, sie schaffte die Prüfung und war sehr stolz, dass sie nicht durchgefallen war. Zu der Zeit lebten Ella, ihr Mann und ihre drei Kinder noch gar nicht lange in dem neuen Haus. Das Geld war knapp. Jedes Wochenende suchte sie zusammen mit Nick bei den umliegenden Gebrauchtwagen-Händlern nach einem kleinen Gebrauchtwagen. Sie suchten wochenlang, verglichen Preise und endlich fanden sie einen preisgünstigen Kleinwagen. Ganz heimlich, an einem Wochenende holten sie das Fahrzeug ab. Ella wollte ihre Familie überraschen und war sehr stolz, dass sie als einzige den Führerschein besaß, ohne bei der Prüfung durchgefallen zu sein. Ganz aufgeregt parkte sie das Fahrzeug gleich neben dem Eingang zum Garten und ging ins Haus. Sie konnte es kaum erwarten, bis alle in der Familie heimkamen. Endlich waren alle zum Abendbrot versammelt, außer Tobias, der gerade zur Tür hereinkam und sofort zu schimpfen anfing. „Welcher dämliche Kerl da wohl sein Auto so blöd vor unserem Eingang geparkt hat?“ Ella antwortete: „Das war ich!“ Alle grinsten und Tobias sagte: „Du, ja sehr witzig, du hast ja nicht einmal einen Führerschein!“ Ella griff in die Tasche und legte stolz den Führerschein auf den Tisch, und alle hatten vor Staunen den Mund ganz weit offen. Das Gefühl, als sie so voller Stolz in die ungläubigen Gesichter schaute, würde sie nie vergessen, und nur, weil sie einen Führerschein hatte, bekam sie damals den Job im Büro der Werkstatt. Mit keinem Wort erwähnte sie, wie schwer ihr alles, was mit der Fahrschule zusammenhing, gefallen war. Von Technik verstand sie überhaupt nichts, alles was mit Technik zusammenhing, war schon immer für sie ein rotes Tuch. Sie war mehr musisch und sprachbegabt. Und dann erst die Fahrprüfung! Sie hatte unwahrscheinliche Prüfungsangst, das war schon in der Schule so. Sobald eine Prüfung anstand, fing sie an zu schwitzen und zu zittern. Am Tag vor der Fahrprüfung ging sie zu ihrem Hausarzt und erzählte von ihrer Prüfungsangst. Er gab ihr zwei Tabletten, von denen sie eine am Vortag und eine kurz vor Prüfungsbeginn einnehmen sollte. Und wirklich, am Prüfungstag wurde sie ganz ruhig, nur einmal wurde ihr bewusst, dass sie etwas falsch gemacht hatte, doch der Prüfer sagte kein Wort. Als die Prüfung endlich überstanden war, schaute der Prüfer sie tadelnd an und sagte: „Ich lese hier, Sie tragen Kontaktlinsen, haben Sie die auch drin? Und eine Fahrstunde mehr hätte auch nicht geschadet!“ Dann überreichte er Ella den Führerschein, den sie zitternd entgegennahm. Das war am zehnten Dezember und im folgenden Frühjahr im März konnte sie ihre neue Arbeitsstelle antreten.