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Kapitel 7

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Sophie hatte gründlich ausgeschlafen, was Molly mit ungeduldigem Miauen quittierte. Sie hatte ein dringendes Geschäft zu erledigen und drängte nach draußen. Es war ein wunderschöner Morgen mit strahlendem Sonnenschein. So beschloss Sophie, wieder einen großen Spaziergang zu machen. Mittags aß sie die Reste, die Sarah ihr mitgegeben hatte. Danach machte sie es sich mit Molly auf dem Sofa gemütlich und schmökerte in einem Kriminalroman. Früher hatte sie nie genug Ruhe zum Lesen gehabt und sie genoss diesen Nachmittag sehr.

Abends wollte sie aus dem Mehrzweckraum eine neue Dose für Molly holen, als ihr eine Bodenklappe in der Nische neben der Gästetoilette auffiel. Sie sah sich um und fand den Öffner, hakte ihn in den Ring und zog eine Treppe herunter. Neugierig stieg sie hinauf, schaltete das Licht an und sah sich um. Sie stand in einem kleinen Flur ohne Fenster. Es war staubig und die Spinnen waren fleißig gewesen. Altmodische, großgemusterte Tapeten bedeckten die Wände. Vier Türen gingen vom Flur ab. Gleich gegenüber war ein Raum mit einem kleinen Dachfenster. Er war leer bis auf ein einfaches Waschbecken und einen kaputten Eimer. Zur Straßenfront fand Sophie zwei gleich große Zimmer mit je einem Fenster.

Das waren sicher mal die Kinderzimmer, dachte Sophie. Auch diese Zimmer waren staubig, die Wände mit vergilbten Tapeten bedeckt, die Fenster schmutzig.

Das Haus ist ja gar nicht so klein, wenn man bedenkt, wie viel Zimmer hier oben noch sind, dachte sie und öffnete die letzte Tür gleich links neben der Treppe. Das Zimmer war das Spiegelbild vom Zimmer mit dem Waschbecken, nur dass es keines hatte. Sie machte das Licht aus, kletterte wieder hinunter und klappte die Treppe hoch. Nun kenne ich wenigstens jeden Winkel dieses Hauses, dache Sophie zufrieden. Allerdings stellte sie fest, dass sie ganz staubig geworden war und Spinnenweben in ihrem Haar hingen. Also badete sie und wusch ihre Haare. Sie trank ein Glas Rotwein und naschte ein bisschen und genoss den gemütlichen Abend.

Am nächsten Morgen war der Himmel grau, der Wetterbericht sagte erneuten Schneefall voraus. Hoffentlich kommen Papa und Sarah heil wieder nach Hause, dachte Sophie.

Sie beschloss, am Nachmittag den verschobenen Krankenhausbesuch nachzuholen. Ihre Lebensmittelvorräte waren mehr als dürftig. So fuhr sie zunächst in die Stadt, bummelte herum und ging in ein kleines Restaurant in der Altstadt. Sie hatte Glück, dass gerade ein kleiner Tisch freigeworden war, denn an Feiertagen waren die Restaurants im Allgemeinen fast ausgebucht. Sie wählte Zanderfilet und dazu einen trockenen Weißwein. Sie genoss es, hier allein zu sitzen und nicht reden zu müssen, und wunderte sich darüber. Früher war sie vor dem Alleinsein zurückgeschreckt, weil sie unweigerlich von Verzweiflung überwältig worden war.

Nach dem gemütlichen Teil fuhr sie ins Krankenhaus und ging dort schnurstracks in die Chirurgie. Auf der Station fragte sie, in welchem Zimmer Hans Gollmann liegt.

„Hans Gollmann?“, fragte eine der Schwestern. Aus dem hinteren Zimmer kam ein Arzt mit Papieren in der Hand, der Kittel offen.

„Ah, da ist ja unsere tapfere Lebensretterin“, sagte er und gab Sophie lächelnd die Hand. „Wenn Sie nicht so aufgepasst hätten, dann wäre er dort unten verblutet.“ In der Dunkelheit und bei dem Schneetreiben an der Unfallstelle hatte sie den Notarzt gar nicht so genau gesehen und ihn auch nicht wieder erkannt. Sie überlegte einen Augenblick, dann fiel ihr der Name wieder ein.

„Herr Doktor Baier, ich wollte Herrn Gollmann besuchen und sehen, wie es ihm inzwischen geht.“

„Tja, das ist was, das kann ich Ihnen sagen. Der Mann wurde auf eigenen Wunsch entlassen und am nächsten Tag abgeholt. Sie werden es nicht glauben, er wurde mit einem Hubschrauber in seine Heimat geflogen in Begleitung eines Arztes. Unser Patient heißt aber nicht Gollmann.“

„Wohin wurde er gebracht und wieso heißt er nicht Gollmann“, fragte Sophie erstaunt.

„In die Schweiz. Es ist einiges schief gelaufen. Der begleitende Arzt hat in der Verwaltung einen großzügigen Barbetrag für die Krankenhauskosten abgegeben und die in der Verwaltung waren darüber wohl so verwirrt, dass sie versäumt haben, die Personalien abzugleichen Also wissen wir im Moment den Namen des Verletzten nicht. Wir haben es nämlich erst gemerkt, als der richtige Hans Gollmann seine Papiere hier abholen wollte, der vor dem Unfall den BMW gemietet hatte, und sie darin vergessen hatte. Sie selbst haben ja die Papiere im Handschuhfach gefunden!“

„Das ist ja...“, sagte Sophie stirnrunzelnd. Die Gedanken stürmten auf sie ein. Jutta Plambeck hatte ihr doch von dem Mann mit dem Schweizer Dialekt erzählt, der nach ihr gefragt hatte. Vielleicht hatte sie sich das Kennzeichen notiert, zuzutrauen war es ihr. Wenn dieses Kennzeichen mit dem des Mietwagens übereinstimmte, dann hätte sie zumindest Gewissheit, dass der Verletzte und der Mann, der nach ihr gefragt hatte, ein und dieselbe Person waren, und dieser Mann absichtlich hinter ihr hergefahren war.

„Haben Sie zufällig das Kennzeichen des Unfallwagens?“, fragte sie und sah Doktor Baier an.

„Nein, darum hat sich eine Abschleppfirma gekümmert. Wozu brauchen Sie das Kennzeichen, es war doch ohnehin ein Mietwagen.“

„Das ist eine lange Geschichte. Ich glaube, heute reicht die Zeit dafür nicht.“

Doktor Baier lächelte. „So geheimnisvoll?“

„Wissen Sie, wie die Mietwagenfirma heißt?“

Doktor Baier sah sich nach den Schwestern um und eine Schwester nannte wie aus der Pistole geschossen Namen und Telefonnummer. Sie hatte den Dialog gespannt verfolgt.

Vielleicht erfahre ich bei der Firma, wie der verletzte Mann wirklich heißt, dachte Sophie.

„Arbeiten Sie oft als Notarzt?“

„Es geht. Wir wechseln uns ab. Ansonsten bin ich hier in der Chirurgie. Und Ihr Fachgebiet?“

„In Hamburg habe ich dasselbe gemacht, wie Sie. Aber nun wird sich ja einiges ändern.“

„Möchten Sie einen Kaffee?“

Sophie lehnte dankend ab. Sie wollte nach Hause, um in Ruhe über diese Vorfälle nachzudenken.

„Na, dann wünsche ich Ihnen einen guten Einstand in Ihrer Praxis. Wir sehen uns in Zukunft sicher öfter. Ihren Vater kenne ich gut. Er hat seine Patienten hier immer besucht.“

Aha, das ist typisch Papa, dachte Sophie. Sie schüttelte Doktor Baier herzlich die Hand zum Abschied, schaute in die Runde und bedankte sich.

Papa und Sarah sind heil nach Hause gekommen, dachte Sophie als sie drüben das Licht aus den Fenstern scheinen sah. Als sie aus ihrem Auto stieg, fielen die ersten Schneeflocken sachte hernieder, einen halben Tag später als angekündigt.

Das alte Haus im Schneesturm

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