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DONNERSTAG

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Der Tag, der Marcel Bleibiers Leben veränderte, war sonnig, mild und leicht, in der Luft lag der spezielle honigsüße Abendduft, den es nur in der Südpfalz gab. Bleibier wackelte mit den Zehen und schaute zu, wie im Badewasser kleine Wellen plätscherten, dann hob er seinen Blick und ließ ihn müßig über die Rheinebene schweifen. Die späten Sonnenstrahlen füllten das weite Land mit Licht, während sich hinter ihm die Bäume am Haardtrand dunkel färbten und die Nacht erahnen ließen.

Bleibiers Badewanne stand außerhalb des Hauses im Garten, dort, wo die Grundstücksgrenze in offene Wiesen und Weinberge überging und zur Ebene abfiel. Inspiriert hatte ihn die TV-Serie »Ein Colt für alle Fälle«, in der ein hartgesottener Kopfgeldjäger massenweise Autos zu Schrott fuhr. Ebenjener Colt Seavers wohnte in einer Blockhütte mit Badewanne davor, und in der Anfangssequenz der Serie gab es eine Einstellung, in der Colt entspannt und mit dicker Zigarre in seiner Open-Air-Wanne lag.

Diese Idee hatte Bleibier schon immer gefallen. Als sich die Rahmenbedingungen in seinem Leben nach und nach änderten – die Tochter aus dem Haus, Scheidung und Auszug seiner Frau – nutzte er eine anstehende Badsanierung und verfrachtete die Wanne kurzerhand nach draußen. Der Sanitärfachmann verlegte kopfschüttelnd Leitungen unter dem Radieschenbeet, seine Nachbarn erklärten ihn für bekloppt, aber das interessierte Bleibier nicht. Er genoss die müßigen Zeiten in seiner Colt-Seavers-Badewanne, wenngleich er statt der Zigarre lieber ein Dubbeglas in der Hand hielt.

Heute trank er schon den vierten Schoppen. Normalerweise beließ Bleibier es unter der Woche bei einer einzigen Rieslingschorle, wenn überhaupt, doch heute war der Abend zu schön, um erbsenzählerisch zu sein. Die milde Luft kondensierte am kalten Glas, Tropfen lieferten sich ein Wettrennen auf dem Weg nach unten, die Farbe des Weins hatte die gleiche goldene Nuance wie die abendglühende Rheinebene. Bleibier nickte versonnen. Ja, es stimmte, was die Pfälzer gerne erzählten: Wenn dem Herrgott jemals ein Stück Paradies auf die Erde gefallen sein sollte, dann war es hier gelandet, genau hier.

In diesem Augenblick sah er den Vogel. Nein, kein richtiger Vogel, sondern ein … ja, was eigentlich? Bleibier blinzelte. Das Wesen hatte die Größe eines Huhns, nun ja, eher eines stattlichen Hahns, und war entfernt vogelförmig. Sein Körper trug pelzige Federn, die in allen Farben schillerten, ohne sich auf eine bestimmte festzulegen. Die Beine waren kräftig, sie erinnerten an einen Hasen, endeten aber in platten Füßen nach Entenart. Zwei stämmige Flügel waren rechts und links an den Körper geklappt, weitere Federbüschel und ein absonderlicher Puschelschwanz schlossen sich hinten an. Am merkwürdigsten wirkte aber der Kopf, in die Breite gezogen und mit einem stabilen grünen Schnabel versehen. Darüber saßen zwei hervorstehende Augen, groß und rund, zwei löffelförmige Ohren und ein winziges Geweih mit kecken Spitzen.

Das Wesen saß einige Schritte von der Badewanne entfernt zwischen einem Buchsbaum und dem Salatbeet, es hielt den Kopf schräg und rührte sich nicht. Bleibier schaute vom Dubbeglas zum Vogeltier und wieder zurück. Halluzinierte er? Stimmte mit dem Wein etwas nicht? Er horchte auf seinen Magen, auf ein verräterisches Grummeln, doch nein, der Riesling von Winzer Ansgar war verträglich wie immer. Vorsichtig peilte Bleibier über den Wannenrand. Das Geschöpf hockte unverändert da, der leichte Abendwind zauste seine Pelzfedern, es rührte sich nicht, die runden Augen starrten unverwandt auf den Mann in der Badewanne. Bleibier plätscherte leicht mit der Hand im Wasser, er wusste selbst nicht so recht, warum, vielleicht wollte er in dieser absurden Situation einfach ein beruhigend normales Geräusch hören.

Noch immer bewegte sich das Wesen keinen Millimeter. Bleibier fing an zu überlegen, ob ihm vielleicht jemand einen Streich gespielt und eine Puppe in den Garten gesetzt hatte. Unauffällig schaute er sich um. Aber nein, der schräge Vogel wäre ihm schon beim Einstieg in die Wanne aufgefallen.

Seine Augen schweiften zurück – und wurden groß. Das Geschöpf war verschwunden, der Platz zwischen Buchsbaum und Salat leer. Bleibier glotzte eine Sekunde reglos, bevor er sich schnaufend in die Wanne zurücksinken ließ. Sah so eine Wahnvorstellung aus? Sollte er endlich einmal beim Doktor Seiler die altersangemessenen Blut- und Hirnuntersuchungen durchführen lassen, die die Apotheken-Illustrierte immer anriet? Oder hatte er sich einfach nur einen Schoppen zu viel gegönnt im milden Abendlicht?

»Ich muss langsam machen mit der Sauferei«, brummte Bleibier und ließ den Rest des Rieslings vorsichtshalber ins Badewasser plätschern. Auf komische Visionen wie dieses Pelzfedervieh hatte er künftig keine Lust mehr.

Mörderjagd mit Elwetritsch

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