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Die Wiedergeburt
ОглавлениеNach ihrer Ankunft in unserem Sonnensystem, vielleicht in grauer Vorzeit der Menschheitsgeschichte, mussten die Alien zur Besiedlung des Mondes annähernd dieselben Lebens-bedingungen schaffen, wie sie auf ihrem Heimatplaneten oder auf der Erde anzutreffen sind. Wahrscheinlich haben sie zuerst nur die Erde erkundet, Klimazonen und Landschaften erforscht, die nie zuvor ein Mensch betreten hatte.
Die ahnungslosen, unwissenden Erdenbürger wurden von den Außerirdischen bei allen ihren Tätigkeiten heimlich beobachtet. Ihre Anwesenheit haben die Alien nicht kundgetan; denn sie würden von den Menschen als „Götter“ angesehen werden …
Erst als sie dazu übergegangen sind, Menschen in ihren Ufos zu entführen und sie medizinischen Untersuchungen und verschiedenen Tests zu unterziehen, entstanden die ersten direkten Kontakte mit der
Spezies „Mensch“. Die massenhafte Verfrachtung ausgewählter Kontaktpersonen auf den Mond, ihr zeitlich begrenzter Aufenthalt zu bestimmten Zwecken, hat für die Alien eine strategische Bedeutung. Sie dient Zielen, die der Menschheit vorerst verborgen bleiben …
Nach der Selektion durch die kleinen, grauen Alien wurde Markus zusammen mit anderen „Leidensgenossen“ in einer Quarantänestation der Mondbasis untergebracht. Ein weißer Alien-Arzt, im Aussehen und Habitus von einem irdischen Arzt kaum zu unterscheiden, erklärte ihnen sehr freundlich:
„Die vorbeugende Isolierung ist erforderlich, damit die ankommenden Menschen keine ansteckenden Krankheiten einschleppen, die das Leben und die Gesundheit der auf engsten Raum zusammen lebenden Vertreter beider Zivili-sationen gefährden.
Wir wissen, dass unsere ‚Brüder’ auf der Erde ständig den Angriffen von Viren und Bakterien ausgesetzt sind.“
Auf die Frage von Markus:
„Werden alle Neuankömmlinge einer Isolierung unterzogen?“, antwortete der weise Außerirdische:
„Nein. Nur, wer für unsere Experimente auserwählt worden ist oder uns seine Arbeitskraft uneingeschränkt zur Verfügung stellen kann, ist für lange Zeit unser Gast und wird vorbeugend isoliert.“
Markus teilte sich mit einem jungen Tiroler Naturburschen die Unterkunft in einer langen, schmalen Kammer, die eher einem Verlies glich – raue Felsen als Wände und einem Fußboden aus Mondgestein-Beton.
Zur bescheidenen Ausstattung gehörten zwei unbequeme Betten, ein kleiner quadratischer Tisch mit vier harten Stühlen, ebenso zwei hohe, schmale Schränke und ein Bücherregal.
Alles war aus einem Holz gefertigt, das Markus und sein Mitbewohner nicht kannten und naturbelassen war.
Für ausreichend Licht sorgte die von den Alien bevorzugte indirekte Beleuchtung und für frische Luft und angenehme Temperaturen eine gut funktionierende Klimaanlage.
Der vor Markus entführte zweiundzwanzigjährige Österreicher stammte aus einem 400-Seelen-Dorf am Wilden Kaiser. Seine Eltern
bewirtschafteten einen kleinen Bergbauernhof. Den Sommer verbrachte er als Senne auf der Alm und in den Wintermonaten verdingte er sich als Holzfäller.
Seppel, wie er sich nannte, machte seine augenblickliche Situation – ein Leben wie ein Strafgefangener unter Tage – krank.
Er hatte alle medizinischen Untersuchungen durch die Alien hinter sich gebracht. Auf Grund seiner ausgezeichneten körperlichen Verfassung haben sie ihn „verurteilt“, als Bergmann in einer weit entfernten Mine zu arbeiten, in der Erzbergbau betrieben wird.
Der Lebensrhythmus war dem auf der Erde angepasst. 16 Stunden Tag mit heller Beleuchtung folgten 8 Stunden Nacht mit gedämpftem Licht und Schlafenszeit.
In jeder Unterkunft der Quarantänestation zeigte eine fern-gesteuerte Digitaluhr das Jahr auf der Erde, den Monat und Tag sowie die Weltzeit an. Die Entführten waren deshalb nicht ganz von ihrem Heimatplaneten abgeschnitten …
Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung wurde Markus zu einer medizinischen Untersuchung beordert.
Zwei kleine Graue führten ihn in einen großen runden, klinisch wirkenden Raum mit weiß gestrichenen Wänden.
In der Mitte stand eine schmale, in der Höhe verstellbare Liege. Markus musste sich vor den Augen der kleinen Alien splitternackt ausziehen und lang gestreckt auf der unangenehm kühlen, dünn gepolsterten Pritsche Platz nehmen.
Während er regungslos dalag, standen seine Aufpasser wie Wachsoldaten neben der Eingangstür.
Nach einer „halben Ewigkeit“, wie Markus empfand, traten zwei menschenähnliche Alien, ein großer, dunkelhäutiger Arzt und eine weiße, zierliche, hellblonde Ärztin, aus einem Nebenraum kommend, zu Markus an den Untersuchungstisch.
Sie musterten ihn von oben bis unten, sagten aber nichts.
Dann entnahm die sehr jung wirkende Ärztin aus einem der im Raum verteilten Instrumentenschränke ein Gerät, das mit einem Monitor und zwei Kabel versehen war. Die Alien-Frau setzte sich neben Markus auf einen Hocker und drückte das eine selbsthaftende
Kabelende auf seine Stirn. Am Ende des zweiten Kabels befand sich eine Art Röntgengerät, mit dem sie nach und nach jeden Körperteil abtastete und dabei den kleinen Monitor im Auge behielt.
Dann musste er sich auf den Bauch drehen und die „Durchleuchtung“ begann von Neuem.
Während die Assistenzärztin Markus gründlich „unter die Lupe“ nahm, stand ihr Vorgesetzter stillschweigend daneben. Ob er ihr telepathische Anweisungen gab, konnte Markus nicht feststellen. Es war gespenstisch still im Raum, so dass man eine Stecknadel hätte fallen hören.
Als die Ärztin Markus durchgecheckt hatte, begannen beide Alien, die Haut und großen Gelenke von Markus zu untersuchen. Sie achteten auf blaue Flecken, Tätowierungen, einer Blinddarmnarbe und gefärbtes Haar. Markus konnte damit nicht aufwarten.
Er durfte sich wieder ankleiden. Als ihn der Wohlwollen ausstrahlende Alien nach dem Genuss von Alkohol und Nikotin fragte, bekannte Markus seine diesbezüglichen Verfehlungen …
Sein Gegenüber grinste, eine Gefühlsregung, die er von einem Alien nicht erwartet hatte. Den anschließenden Hörtest bestand Markus mit Bravour. Ungewöhnlich war der Sehtest. Weil er seine Brillen vergessen hatte, wurde ein kleiner Alien geschickt, sie zu holen.
Ähnlich wie bei einem Augenarzt leuchteten auf einer Wandtafel die Zahlen von 0 – 9 in verschiedenen Farben auf. Sie wurden nicht Reihe für Reihe von oben nach unten kleiner, sondern erschienen willkürlich durcheinander in unterschied-lichen Größen.
Mit einem kurzen Metallstock deutete der Arzt auf die Zahl, die Markus erkennen sollte.
Mit dem Ergebnis war er sichtlich zufrieden. Zum Lesetest mit der Nahbrille kam es nicht mehr. Die außerirdischen Mediziner zogen sich zu einer kurzen Beratung in ihr Ärztezimmer nebenan zurück. Als sie wieder auftauchten, durfte Markus auf der „Liege der Wahrheit“ sitzend, aus dem Munde der fast menschlich wirkenden Ärztin erfahren:
„Ihre Ohren sind bestens, ihre Augen noch gut – aber Ihr Herzmuskel ist durch den Herzklappenfehler geschwächt und die
Herzleistung reduziert. Der Alkoholgenuss hat Ihrer Leber geschadet und die vielen Zigarren der Lungenfunktion. Da es bei uns weder Zigarren noch Alkohol gibt, dürften sich beide Organe wieder regenerieren.
Ihre Großgelenke, der Halswirbel und die untere Wirbelsäule zeigen starke Verschleißerscheinungen.
Die beginnende Herzschwäche und die Verschleißer-scheinungen lassen eine schwere körperliche Arbeit nicht zu.
Erholen Sie sich erst einmal – dann werden wir sehen, wie wir sie nützlich einsetzen können.“
Markus war ein Stein vom Herzen gefallen: Das Todesurteil noch nicht gesprochen und in die Grube, wie sein junger Zimmerkamerad, brauchte er auch nicht.
Und der Alien-Arzt fügte mit erhobenem Zeigefinger hinzu:
„Ohne unser Eingreifen wäre ihre Zeit auf der Erde bald abgelaufen!“
Markus, der mit einer stoischen Ruhe diese Prozedur überstanden hatte, wurde jetzt nervös.
Ohne nachzudenken, ob man es überhaupt darf, drückte er den verdutzten Alien die Hände und sagte mit seiner rauchigen Stimme:
„Vielen Dank für die offenen Worte und dass ich mich nicht mehr abrackern brauche!“
Die kleinen Alien begleiteten ihn in seine „Gruft“, wo er schon erwartet wurde.
„Wie war die Untersuchung? Was haben sie alles mit dir angestellt?“, empfing ihn Seppel wie einen alten Freund.
Markus setzte sich bedächtig an den Tisch und holte tief Luft. Nach einer Weile der Sammlung schilderte er haarklein den Ablauf der medizinischen Untersuchung durch die Alien.
Zum Schluss meinte er lakonisch:
„Die Zigarre werde ich aufheben, bis ich wieder zu Hause bin.“
Dann kam er zum Ergebnis der Untersuchung und zitierte wörtlich die junge, attraktive Alien-Ärztin. Er hatte Gefallen an ihr gefunden. – Sie könnte seine Tochter sein!
„Haben sie Blut abgenommen?“, wollte Seppel gern wissen.
„Nein. Das kann noch geschehen.“
„Bei mir haben sie so viel Blut abgezapft, als wollten die Alien Blutwurst machen“, scherzte der überraschend gut aufgelegte Bergbauern-Bursche.
Und Markus setzte obendrauf:
„Vielleicht haben sie einen Vampir gezüchtet, dem frisches, gesundes Tirolerblut besonders gut schmeckt?“
Beide mussten laut lachen …
Die Tage vergingen.
Seppel und Markus vertrieben sich die quälende Langeweile, indem sie stundenlang über Gott und die Welt diskutierten, ihr Leben Revue passieren ließen oder ihre Heimat mit einem verklärten Blick beschrieben.
Bald konnten sie sich ein Bild vom anderen machen.
Während Markus besonders das Fernsehen vermisste, fehlten dem Seppel seine vielen Videos und „anständige Musik“, wie sie Jugendliche in seinem Alter gern hörten.
Stattdessen dröhnte aus einem schwarzen viereckigen „Kasten“ an der Wand eine Musik, die beide nicht leiden konnten. Sie stellten das „Gedudel“, wie sie es nannten, entweder ganz leise oder ab. Diese für Mitteleuropäer exotisch klingende Musik stammte wahrscheinlich vom Heimatplaneten der Alien oder war in „Hinterasien“ aufgenommen worden.
Auch gab es keine Nachrichten. An Zeitungen oder Zeit-schriften von der Erde war überhaupt nicht zu denken …
Täglich bekamen Markus und Seppel Besuch von der Ärztin, die sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Sie sprach perfekt Deutsch. Markus erhielt einen Becher Stärkungsmittel für das Herz verabreicht, dessen Wirkung er schon nach wenigen Tagen spürte. An das fast schwarze, übel riechende und scheußlich schmeckende Gesöff musste er sich erst gewöhnen. Bier und Schnaps wären ihm lieber gewesen. Sein junger Freund lechzte ebenfalls nach Bier. Bei einer der Visiten durch die Alien-Ärztin bat Markus, sie möge doch deutschsprachige Literatur besorgen. Mit den im Bücherregal stehenden Schwarten in fremden Sprachen könnten sie nichts anfangen.
Am darauffolgenden Tag brachten kleine Alien zahlreiche deutschsprachige Bücher: Vom Kriminalroman bis Liebesroman, wissenschaftliche Werke verschiedener Fach-richtungen und Bildbände. Im Nu waren die Bücher ausgetauscht.
Für Markus und Seppel begann ein „Bildungsurlaub auf dem Monde“. – Zu den festgelegten Mahlzeiten trafen sich alle Isolierten der Quarantänestation in einem geräumigen Speisesaal. Etwa 50 Personen fanden darin Platz.
Die Essensausgabe, nebst Getränke, erfolgte wie in einer Betriebskantine. Markus war längst aufgefallen, dass hier keine kleinen Grauen arbeiteten, sondern ausschließlich Alien, die den Menschen sehr ähnlich waren.
Er erkundigte sich diesbezüglich bei den Entführten und den ihnen zugewiesenen Tischnachbarn.
Sie erklärten ihm übereinstimmend, dass das Kantinenpersonal von Hybriden gestellt werde – einer Mischrasse, von den menschenähnlichen Alien gezüchtet: Ein Elternteil sei Mensch und ein Elternteil Alien.
Bei den Hybriden gäbe es mehrere Entwicklungsstufen. Die hier ihren Dienst täten, gehörten der höchsten Stufe an und ähnelten dem Menschen so sehr, dass man ihre Andersartigkeit kaum bemerken könnte.
Sie seien Außerirdische des „nordischen Typs“ und hätten normal aussehende Augen, wobei die Pupille ein wenig zu groß wirke und eine menschliche Haut, die oft sehr glatt sei.
Die männlichen Hybriden trügen gewöhnlich langes oder gewelltes Haar und die weiblichen Hybriden noch längere Haare.
Ihre Kleidung bestand aus einem eng anliegenden, weißen Overall. Sie ernährten sich durch Verdauung und nahmen menschliche Nahrung zu sich.
Wenn sie ihre Arbeit erledigt hatten, setzten sie sich gern zu den Menschen an die Tische und plauderten. Einige waren Sprachen-Genies.
Das Essen und Trinken kam von der Erde und wurde mit Ufos zu den Mondbasen geschafft. Wie die Alien es anstellten, sich und die Entführten unauffällig mit Lebensmitteln aus aller Welt zu versorgen, war für Markus rätselhaft. Auf jeden Fall stand eine
logistische Meisterleistung dahinter. Wahrscheinlich waren an Ort und Stelle Hybriden der höchsten Stufe am Werk, die in entsprechenden Positionen in der menschlichen Gesellschaft lebten und alles organisierten, was die Alien brauchten. In der Regel gab es abgepackte und auch tiefgekühlte Nahrung, die in einem andersartigen Mikrowellen-herd in der Kantine erhitzt werden konnte. Das Obst und Gemüse war frisch, wie direkt vom Markt angeliefert.
Markus vermisste frisches Brot vom Lande und Seppel die selbstgemolkene Kuhmilch.
Das vielseitige Speisenangebot hatte ihn einmal verleitet, etwas Unbekanntes zu probieren, was ihn prompt den Magen verdorben hatte. Danach war er schlauer und wählte nach dem alten Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht!“ Die anwesenden Chinesen dachten sicher anders darüber.
Als Getränke standen Trinkwasser ohne Zusätze und Tees in vielen schmackhaften Sorten zur Verfügung. Markus fehlte der Morgen-Kaffee als Muntermacher und Seppel die weltweit bekannte Cola aus Amerika …
In der Quarantänestation war die Bewegungsfreiheit der Menschen sehr eingeschränkt. Sie konnten sich nur in ihren bescheidenen Unterkünften, auf den engen Korridoren, den geräumigen Toiletten und im Speisesaal aufhalten, der auch nach den Essenszeiten ein beliebter Treffpunkt war.
Für 3 Unterkünfte, maximal 6 Personen, waren 2 WCs und 1 Dusche sowie 3 Waschbecken vorhanden – Frauen und Männer getrennt. Die entführten Kinder hatten die Alien nach Geschlecht den Erwachsenen zugeteilt. Frauen und Kinder waren in der Unterzahl.
Eine tägliche Dusche war Pflicht. Ob kalt oder warm, blieb jedem selbst überlassen. Anstelle von Seife kam aus einem zylindrischen Behälter eine gut riechende gallertartige Masse, mit der man den Körper vor der Dusche „einseifen“ konnte. Eine Art Warmluftdusche ersetzte die Handtücher.
Die in die Quarantänestation eingewiesenen Neuankömmlinge trugen ihre eigene Kleidung, die auf Grund des Völkergemisches sehr unterschiedlich und farbenfroh war …
Nach den medizinischen Checks wurden alle in eine passende „Uniform“ gesteckt: Kurze Unterhosen, Unterhemden und Strümpfe, aus grauer, juckender Baumwolle gefertigt. Die Oberbekleidung bestand aus einem weitmaschigen Pullover und einer langen, gut sitzenden Tuchhose aus pflegeleichtem, strapazierfähigem Material.
Nach der Säuberung und Desinfektion erhielt jeder seine persönliche Kleidung zurück. Sie kam zur Aufbewahrung in den Schrank, zu den wenigen Gegenständen, die die Entführten mitgebracht hatten …
Eines Tages wurde Markus von einem kleinen Alien zu einer weiteren Untersuchung, wie er glaubte, abgeholt und in den bekannten medizinischen Raum gebracht. Er musste auf einem Stuhl Platz nehmen. Ein alter, ergrauter Alien-Arzt, den die Hybriden den „Meister“ oder den „alten Weisen“ nannten, setzte sich dicht vor ihn auf einen drehbaren Hocker. Sein Gegenüber war ein menschlich aussehendes Wesen mit hypnotischen Augen. Er wirkte beruhigend und Vertrauen erweckend auf Markus …
Nach der „Behandlung“ berichtete Markus seinem Bettnachbarn Seppel:
„Der ‚Meister’ kam mir ganz nahe und starrte mir aus einer geringen Distanz in die Augen, wobei er meinen Kopf festhielt. Ich war nicht in der Lage, meine Augen abzuwenden. Ich musste seinen Blick ertragen. Er hatte dunkelbraune Augen. Im Augenhintergrund war etwas Bewegliches zu erkennen, das ein blaues Licht erzeugte. Augenblicklich spürte ich einen Energiestrom, der mein Gehirn durchwanderte und emotionale sowie körperliche Einflüsse hervorrief. Ich wollte seinem Zugriff entgehen, indem ich die Augen schnell hin und her bewegte. – Doch der ‚Meister’ ließ sich nicht überlisten. Als er mein Nervensystem wieder im Griff hatte, ließ er im Kopf filmartige Szenarien entstehen und ich durchlebte wie in einem Alptraum schreckliche Dinge, die meinen Zorn hervorriefen. Dann urplötzlich konnte ich mich wieder an längst vergessene Begebenheiten aus meiner frühen Kindheit erinnern – und mein ganzes Leben zog wie ein Dokumentarfilm an mir vorüber …
Als ich erwacht war, befand ich mich allein im Raum. Der kleine Alien trat ein und begleitete mich auf unser Zimmer. Du warst nicht da.
Ich fühlte mich wie ausgelaugt und legte mich, alle Viere von mir streckend, auf das Bett und schaute unentwegt gegen die Decke.“
Seppel zögerte; denn es kostete ihn Überwindung hinzuzufügen:
„Der Alte hat mich sexuell bis zum Orgasmus erregt und das Sperma in einer Glasschale aufgefangen.“
Markus wunderte das nicht. Er sagte:
„Frauen haben mir berichtet, dass die Alien während des Orgasmus Eizellen ‚geerntet’ haben.“ …
Nach mehreren Tagen der Ruhe und Entspannung bemerkte Markus, dass sein Kurzzeitgedächtnis deutlich besser geworden war, einhergehend mit einer wesentlichen Verbesserung des Allgemeinbefindens. Es ging bergauf mit ihm!
„Der überstandene Gehirnscan beschäftigte Markus lange Zeit. Er nahm ihn zum Anlass, über das Können und Wollen der Außerirdischen nachzudenken und erkannte bald:
1. Ihre außergewöhnliche Fähigkeit, Menschen zu kontrollieren und sie zu beeinflussen, beruht auf der Manipulation des menschlichen Gehirns.
2. Sie wollen auf diese Weise Informationen gewinnen, die sie auf die Hybriden übertragen, damit diese menschliche Gefühle nachempfinden können.“
Für den Seppel konnte es jeden Tag heißen, Abschied von der Quarantänestation zu nehmen. Deshalb versuchten Markus und er, ihre gemeinsame Zeit sinnvoll zu nutzen.
Beide hatten sich inzwischen mit den in der Kantine arbeitenden Hybriden angefreundet. Sie verbrachten gemeinsam viele Stunden im Speisesaal, um miteinander zu reden. Dabei ging es stets sachlich zu. Auch wurde gescherzt und gelacht. Der Tiroler Naturbursche war kein Kind von Traurigkeit! Beide konnten viel voneinander lernen.
Die jüngeren Hybriden beiderlei Geschlechts wollten vor allem wissen, wie die Menschen aufwachsen, in der Umgebung, in die sie hineingeboren werden. Auch das Verhältnis der Eltern zu den
Kindern und umgekehrt war für sie ungemein interessant. Das, was „Opa“ Markus und sein Begleiter von den Hybriden erfuhren, stimmte sie traurig: Die Hybriden waren im Grunde bedauernswerte Geschöpfe – nicht Fisch, nicht Fleisch!
Als der „Kreis der Wissbegierigen“ wieder einmal beisammen saß und eifrig über das Thema „Mehrfachentführungen von Menschen“ diskutierte, gesellte sich die junge Alien-Ärztin zu ihnen. Sie hatte Markus und den Seppel auf ihrem Zimmer nicht angetroffen.
Die ansonsten redseligen Hybriden verstummten plötzlich. Sie erhoben sich einer nach dem anderen von ihren Plätzen und verschwanden leise in der Kantine.
Die scheinbar gut gelaunte Ärztin, deren Namen sie nicht kannten, setzte sich zu ihnen an den Tisch und lächelte. Nach einer Weile fragte sie etwas hintersinnig:
„Nun, was hätten meine ‚Patienten’ gern gewusst?“ Markus nahm die Gelegenheit beim Schopfe:
„Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass sie, die Außerirdischen, mich schon lange Zeit kennen, weshalb ich von ihnen gut behandelt werde.“
Die Alien-Frau stutzte, antwortete dann:
„Das ist wahr. Nicht nur Sie, fast alle in unseren Mondbasen anwesenden Menschen werden seit ihrer Kindheit von uns begleitet. Besonders die Alten sind gute Bekannte. Aus ihrem Erfahrungsschatz lernen wir, wie sie ‚ticken’. Die Menschheit hat bislang nicht unseren Entwicklungsstand erreicht. Deshalb verfügen die Menschen noch über Eigenschaften – wie zum Beispiel ein Gefühlsleben – das unserer Spezies im Laufe der Evolution verloren gegangen ist.“
„Bin ich auch schon früher entführt worden?“, wollte Seppel erfahren.
„Ja.“
„Weshalb weiß ich nichts davon?“
„Ganz einfach: Wir haben die Möglichkeit, Erinnerungen im Gedächtnis der Menschen zu blockieren. Das geschieht zu ihrem Schutz und hilft uns, ihre Entwicklung unverfälscht über Generationen hinweg zu studieren.“
Markus:
„Seit wann werde ich entführt?“
„Seit ihrer Kindheit werden Sie von uns überwacht.“
Der Tiroler:
„Und ich?“
„Von klein auf.“
Markus wurde mutiger, dank der Offenheit der Außerirdischen:
„In welchen zeitlichen Abständen erfolgen die Entführungen ihrer Opfer?“
Das Wort „Opfer“ hörte sie nicht gern, beantwortete trotzdem seine Frage:
„Alle 8 – 11 Erdenjahre.“
Markus schlüpfte mehr und mehr in die Rolle eines Journalisten und bohrte weiter:
„Nach welchen Gesichtspunkten werden die Kontaktpersonen ausgesucht?“
„Das ist unser Geheimnis!“
Auch der Seppel wurde zunehmend dreister und fragte die Ärztin:
„Haben die Menschen, die Kontakt zu den Außerirdischen haben, Fähigkeiten, die andere Menschen nicht haben?“
„Ja. Ich möchte nur einige nennen:
1. Hören, worüber Menschen in weiter Entfernung reden.
2. Finden von verlorenen oder versteckten Gegenständen.
3. Wichtige Ereignisse vorhersehen können.“
Sie legte eine kurze Pause ein und fuhr dann fort:
„Menschen, die mit uns Kontakt haben, sind überwiegend harmonische Menschen. Ihre moralischen, geistigen und physischen Eigenschaften sind meist ausgeglichen. Einige sind hochintelligent.
Viele Kontaktpersonen ändern ihre Lebenseinstellung. Sie wenden sich von der Konsumgesellschaft ab und lenken ihre Gedanken und ihr Handeln auf wichtigere Dinge im Leben: Sie machen sich Sorgen über die Zerstörung des von der Natur gegebenen Lebensraumes und die Zukunft der Menschheit – sie leben einfach bewusster!“
„Der Naturbursche und Markus verglichen im Stillen, das von einer außerirdischen Intelligenz Gesagte mit ihrem Leben. Sie mussten Parallelen feststellen.“
Aber Markus` Wissensdurst war noch nicht gestillt. Er schaute die ihm gegenüber sitzende junge Frau in die blauen Augen und fragte weiter:
„Seit wann werden gezielt Mitglieder bestimmter Familien entführt?“
„Die Menschheit hat einen Entwicklungsstand in der Wissenschaft und Technik erreicht, der auch für uns gefährlich sein kann. Deshalb überwachen wir seit Generationen Familien, die diese Entwicklung vorangetrieben haben, aber auch ganz gewöhnliche Menschen einer Familie.
Durch unsere Einflussnahme verfügen die gegenwärtigen Generationen über besondere Qualitäten!“
Letzte Frage von Markus an die Außerirdische:
„Ist es denkbar, dass Menschen, die seit ihrer Kindheit regelmäßig entführt worden sind, in einem früheren Leben als Alien existierten und deshalb für sie wichtig sind?“
„Ja.“
Ihrer auskunftsfreudigen Gesprächspartnerin war die Zeit davon geeilt. Sie verabschiedete sich und ging …
Nur einige Tage nach dem aufschlussreichen Gespräch mit der Alien-Ärztin war der Aufenthalt von Seppel in der Quarantänestation beendet.
Der Abschied war allen schwer gefallen. Vor allem die jungen, weiblichen Hybriden bedauerten seine Abreise sehr. Wie von den Alien angekündigt, musste er Untertage in einer Erzmine auf der Rückseite des Mondes schuften …
Markus war nun allein in seiner bescheidenen Behausung. Die Zeit verbrachte er mit Lesen. Leise Musik im Hintergrund gab ihm das Gefühl, nicht einsam zu sein.
Die tägliche Stippvisite durch die Ärztin war auch entfallen, da er das Stärkungsmittel für das Herz nicht mehr benötigte.
Als Gesprächspartner waren ihm die Hybriden geblieben. Sie hatten den alten Mann, der viele Geschichten erzählen konnte und in ihren Augen ein vielseitig gebildeter, ehrlicher Mensch war, ins Herz geschlossen …
Seit Wochen hatte Markus kein Tageslicht mehr gesehen.
„Er fragte sich oft, wie lange er noch in der Quarantänestation ausharren musste und was die Außerirdischen mit ihm vorhatten.“
Manchmal war er nahe dran, zu verzweifeln. Doch das Grübeln half nicht weiter. Es machte alles noch schlimmer.
Die Isolation hatte ihre Spuren hinterlassen. Er musste sich zusammenreißen, um keinen Lagerkoller zu bekommen.
So nach und nach fasste er Vertrauen zu einem älteren, erfahrenen, sehr menschlich wirkenden Hybriden, der ab und zu mit am Tisch gesessen hatte, wenn nach getaner Arbeit das Kantinenpersonal mit den Menschen redete.
Wie Markus in Erfahrung bringen konnte, war er der Chef der munteren Truppe.
Eines Abends verabredeten sie sich zu einem Vier-Augen-Gespräch auf dem Zimmer von Markus.
Der „Organisator“, wie ihn seine Untergebenen nannten, hatte allerlei fremdartige Früchte mitgebracht und mehrere Flaschen eines „himmlischen“ Getränks. Die bunten, exotischen Früchte sowie das süffige Getränk waren eine Köstlichkeit – nur für die besser gestellten Alien vom Heimatplaneten herangeschafft.
Beide wollten einander näher kennen lernen. Berührungsängste hatten sie nicht.
Markus begann das Gespräch, indem er fragte:
„Müssen sie die menschenähnlichen Alien um Erlaubnis bitten, wenn Sie mit uns Menschen zusammen sein wollen?“
„Nein. Es ist ihr ausdrücklicher Wunsch, dies zu tun. Sie organisieren Kontakte geistiger und körperlicher Natur zwischen den Menschen und Hybriden, damit wir uns weiterentwickeln.“
„Was fehlt ihnen, das wir Menschen haben?“
„In erster Linie Emotionen. Sehen sie: Die menschenähnlichen Wesen haben ein eingeschränktes und sehr kontrolliertes Gefühlsleben. Sie verhalten sich stets ruhig und gelassen. Sollten sie Emotionen zeigen, dann handelt es sich um Zufriedenheit oder Erleichterung. – Sie sind niemals verwirrt, kennen keine Freude, Entrüstung oder Verärgerung. Extreme Gefühle, wie sie die Menschen beim Sex empfinden, sind ihnen fremd!“
„Und wie sind die Emotionen bei den Hybriden ausgeprägt?“
„Wir sind von der Natur aus kühle, rational denkende und handelnde Geschöpfe unterschiedlicher Hautfarbe mit wenigen Emotionen. Je nachdem welcher Anteil überwiegt, können wir mehr Mensch oder mehr Alien sein.“
„Als normaler Mensch habe ich die Schwierigkeit, einen Hybriden von einem menschenähnlichen Alien zu unter-scheiden. Ich habe herausgefunden, dass einige Hybriden keine Augenbrauen oder Wimpern haben und die meisten keine Körperbehaarung.“
„Auch keine Schambehaarung“, fügte sein Gesprächspartner hinzu und fuhr fort:
„Manche wirken etwas mager, andere muskulös, aber niemals übergewichtig, wie viele Menschen. Wir Hybriden haben in der Regel blonde Haare und blaue Augen, dazu eine helle Hautfarbe. Sehen sie mich an: Ich bin ein typischer Hybrid!“
Markus betrachtete ihn von oben bis unten. Es stimmte: Sein Gegenüber würde auf der Erde als Nordeuropäer durchgehen.
„Wir Hybriden erledigen ohne Leidenschaft unsere alltäglichen Pflichten. Manchen Menschen gelingt es, bei uns Gefühlsreaktionen zu erwecken, wie sie es schon miterlebt haben. Bei starken Schmerzen können wir auch weinen. Wir können lachen, traurig sein, wütend oder glücklich sein wie die Menschen.“
„Können Hybriden auch ‚ausrasten’ und brutal werden?“
„Einige tun rücksichtslos alles, was ihnen in den Sinn kommt. Vor allem die Jugendlichen lieben ungehemmten Sex und bauen auf diese Weise ihre Aggressionen ab. Sie werden von den menschenähnlichen Vorgesetzten ermutigt, sexuelle Beziehungen mit den Entführungsopfern zu unterhalten.“
„Warum werden Menschenkinder und Jugendliche in eine Mondbasis verschleppt?“
„Sie bringen unter anderem unseren Hybridenkindern und Heranwachsenden das Fußballspielen und andere Spiele, hauptsächlich Gruppenspiele, bei. Weil viele Kinder und Jugendliche sehr an Technik interessiert sind, wollen sie von den Entführten die neueste Technik der Menschen kennen lernen. Überhaupt sind sie von den Menschen begeistert. Einige möchten die emotionalen Unterschiede zwischen den beiden Spezies hautnah erleben. Entführte Erwachsene unterrichten sie über alles, was denPlaneten
Erde betrifft und die menschliche Gesellschaft. Weil wir Hybriden verschiedene Sprachen der Menschen sprechen, werden wir auch als ‚Betreuer’ für die Entführten eingesetzt – zu beiderseitigem Nutzen.“
Markus wollte unbedingt wissen:
„Wie alt können Hybriden werden?“
„Da müssen sie unsere Ärztin fragen!“
Weil Markus nichts über die Hierarchie bei den Alien wusste, interessierte ihn noch:
„Welche Stellung hat ein Arzt in ihrer Gesellschaft?“
„Etwa die gleiche wie ein Medizinmann auf der Erde.“
„Und die beliebte Ärztin in der Quarantänestation?“
„Darüber möchte ich keine Auskunft geben!“
Um seinen geschätzten Gesprächspartner nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, fragte ihn Markus:
„Waren sie schon oft auf der Erde und was haben sie dort gemacht?“
Dieser Gesprächsstoff schien ihm zu gefallen. Er erzählte unbekümmert von seinen zahlreichen „Ausflügen“ auf die Erde und geriet dabei ins Schwärmen …
Unwillkürlich wurde Markus an seine Vergangenheit erinnert. Er kam nicht umhin, diesen sehr sympathischen, ja seelen-verwandten Gast, aus seinem Leben mit allen Höhen und Tiefen zu berichten, was er seinen Mitmenschen gegenüber tunlichst vermieden hatte.
Als alle wohlschmeckenden Früchte verzehrt und die Flaschen geleert waren, endete für zwei Männer im Mond ein langer Herrenabend …
Um Körper und Geist fit zu halten, hatte sich Markus etwas Neues ausgedacht: Wenn der Zeitpunkt günstig schien, verließ er heimlich die Quarantänestation und machte sich auf den Weg, die Mondbasis zu erkunden. Dabei musste er sich vor den kleinen Grauen in Acht nehmen, die wie Streifenpolizisten zu zweit oder in kleinen Gruppen unterwegs waren. Wenn er ihnen begegnete, tat er so, als würde er hier hingehören und setzte seinen Weg durch das Labyrinth von schwach beleuchteten Gängen und dunklen
Einbuchtungen fort. Um wieder zurück zu finden, merkte er sich den Ausgangs-punkt und die Wegstrecke genau. Wegweiser und andere Hilfsmittel zur Orientierung gab es nicht.
Das System aus Tunneln mit Räumen auf beiden Seiten schien endlos zu sein. Wie er festgestellt hatte, war es sternförmig angeordnet, mit dem Ufo-Hangar im Zentrum.
Als er wieder einmal von einer Erkundungstour zurückgekehrt war, trat unerwartet die nur noch selten hereinschauende Alien-Ärztin ein. Sie lächelte ihn an und sprach leise:
„Kommen sie mit. Ich will ihnen etwas zeigen!“
Markus rechnete mit dem Schlimmsten. – Hatten die „allwissenden“ Alien seine heimlichen Ausflüge durch die Basis entdeckt? Sein Puls schnellte nach oben. Er brummelte vor sich hin: „Das wird ein Donnerwetter geben!“
Widerwärtig folgte er seiner Chefin in eine Sektion der Mondbasis, die er schon auskundschaftet hatte. Sie öffnete eine schwere Holztür. Und plötzlich stürmte eine Horde ausgelas-sener Kinder auf sie ein und erdrückten sie fast.
Markus, der dicht hinter ihr stand, schob das Knäuel behutsam in den Raum und schloss die Tür. Jetzt kamen mehrere Mädchen und Jungen im Kindergartenalter auf Markus zugelaufen. Er ging in die Hocke und umarmte die zutraulichen Kleinen. Sie sahen wahrscheinlich in ihm den Opa aus einer anderen Welt.
Er hatte schon lange nicht mehr in fröhliche Kinderaugen geschaut. Spontan nahm er ein zierliches Mädchen auf den Arm, das sich fest an ihn klammerte, als er sich wieder aufrichtete.
Sie sah aus wie eine Puppe: Braune Haut, kurze, schwarze, lockige Haare und sehr hübsche, riesige weiße Augen mit großen, dunklen Pupillen. Sie hatte eine kleine, schmale Nase und schneeweiße Zähne.
Sie trug wie alle Jungen und Mädchen die gleiche Spielkleidung, eine Art Uniform und bunte Hausschuhe.
Allmählich schmerzte Markus der linke Arm. Er stellte seine niedliche „Puppe“ wieder auf die Füße, die rasch unter ihresgleichen entschwand.
Während die Kinderschar mit sich selbst beschäftigt war, fragte Markus seine Begleiterin:
„Was sind das für Kinder?“
„Das sind einige unserer Hybriden-Kinder und Jugendliche, um die ich mich kümmere. Sie haben es nicht leicht, ohne Vater und Mutter aufwachsen zu müssen. Sie wissen nicht, wer ihre Eltern sind. Deshalb ist jeder, der es gut mit ihnen meint, ein willkommener Elternersatz.“
Markus gefiel es, den wenigen Großen und vielen Kleinen beim Spielen und Herumtollen zuzuschauen. Neben dunkel-häutigen Jungen und Mädchen waren auch Weiße vertreten.
Unterdessen die Ärztin mit einer Gruppe großer Jungen Handball spielte, sah sich Markus etwas genauer um. Im Gegensatz zu seiner Unterkunft war der Spielsaal der Kinder recht komfortabel eingerichtet: Weil die Kleinen nur auf dem Boden spielten oder sich austobten, war er mit bunten und sehr weichen Teppichen ausgelegt. In den aufgeräumten Wand-schränken befand sich Spielzeug aus aller Welt. Die technischen, futuristisch anmutenden Spielsachen konnten nur vom Heimatplaneten der Alien sein …
Markus war eine silbrige, bildschirmähnliche Tafel an der Wand ins Auge gefallen.
Er setzte sich zu den eine Pause machenden Jungen, an die Seite der Ärztin und deutete auf die Wandtafel:
„Was bedeutet dieser Bildschirm an der Wand? Fernsehen, wie auf der Erde, gibt es hier nicht …“
Sie erklärte ihm, während die Jungen aufmerksam zuhörten:
„Von Zeit zu Zeit werden unsere Kinder und Heranwachsenden von einem gut ausgebildeten Entführten unterrichtet, damit sie die Zusammenhänge des Lebens auf der Erde verstehen lernen. Wenn zum Beispiel auf dem Bildschirm Haus- und Nutztiere erscheinen, übrigens auch in Farbe, dann beantwortet der ‚Lehrer’ die Fragen der wissbegierigen Hybriden-Kinder.“
Markus wollte noch mehr vom Unterricht des Hybriden-Nachwuchses erfahren, als ein junges, hellblondes, weißes Mädchen auf ihn zukam und weinte. Er stand auf, drückte sie an sich und fragte: „Was hast du?“
Sie schluchzte:
„Die anderen können mich nicht verstehen!“
„Was können sie nicht verstehen?“
„Ich kann mehr fühlen als sie! Nur die Menschen können mich verstehen. – Ich bin einsam. Ich weiß nicht einmal, wie es ist, wenn man geliebt wird!“
Damit hatte Markus nicht gerechnet – einem unglücklichen Hybriden-Teenager sagen zu müssen:
„Ich verstehe dich! Die anderen können nichts dafür, dass sie dich nicht verstehen. Und du kannst nichts dazu, dass du mehr fühlst als sie.
Du kannst nur unter Menschen auf der Erde glücklich sein und geliebt werden!“
Inzwischen war ihre langjährige Betreuerin, die Alien-Ärztin, hinzugetreten und versuchte, sie zu trösten …
Zu Markus gewandt, sagte sie verständnisvoll:
„Die Hybriden der höheren Entwicklungsstufen sind emotional zwischen zwei Welten hin- und hergerissen.“
Kurz darauf verließen sie die bunte Kinderstube der Mondbasis. Markus musste zuvor versprechen, wieder zu kommen.
Es fiel ihm schwer, nach dieser beeindruckenden Begegnung einzuschlafen.
Das Schicksal der Hybriden-Kinder hatte ihn sehr nach-denklich gestimmt und tief berührt …
Markus sollte in den nächsten Tagen die Quarantänestation verlassen, ohne zu wissen, was die Außerirdischen geplant hatten.
Diese Ungewissheit belastete ihn sehr. In der Nacht wurde er plötzlich wach, sein Herz raste, er bekam keine Luft und hatte Todesangst.
Eine solche Herzattacke hatte er schon lange nicht mehr erlebt – verursacht durch eine Herzkranzgefäßverengung infolge jahrzehntelangen Zigarrenrauchens.
Weil ihm niemand helfen konnte, blieb er still liegen und wartete ab, wobei er wieder eingeschlafen war. Am Morgen suchte er die Ärztin auf und schilderte ihr den nächtlichen Herzanfall. Sie
untersuchte ihn und verabreichte Tropfen. Nach ein paar Stunden ging es ihm wesentlich besser. Am Nachmittag sollte er sich wieder im Untersuchungszimmer einfinden …
Als er eintrat, bat ihn der große dunkelhäutige Alien-Arzt, der Markus zuerst untersucht hatte, auf einem Hocker Platz zu nehmen. Er beobachtete, wie die Ärztin aus einem der Instrumentenschränke eine Metallhaube, ähnlich einem Haartrockner in einem Damenfriseur-Salon, hervorholte, nur mit vielen Anschlüssen und Kabeln daran. Sie setzte Markus die Haube auf den Kopf. Die dünnen, schwarzen Kabel endeten auf der Rückseite eines mittelgroßen Monitors. Als der „Kopfschmuck“ richtig saß und das unansehnliche Gebilde funktionierte, sagte der Alien-Arzt zu Markus:
„Mit diesem Gerät ermitteln wir das Volumen Ihres Gehirns und andere Daten. Sie spüren nichts.“
„Wozu soll das gut sein?“
„Für ein Experiment!“
Markus schielte unauffällig zu dem Monitor hinüber, den „meine Freundin“, wie er sie im Stillen oft nannte, in den Händen hielt. Er konnte nichts sagende Kurven und Zahlen erkennen.
Nach einer Viertelstunde waren alle Daten gespeichert und Markus seiner ungewöhnlichen Kopfbedeckung beraubt.
Auf dem Weg „nach Hause“ fragte er sich etwas beunruhigt:
„Was haben die Alien mit mir vor? – Ein Experiment, zu dem sie mein Gehirnvolumen brauchen, kann ich mir nicht vorstellen!“
Zwei Tage später.
Markus lag auf dem Bett und las. Nach wenigen Seiten wurde er gestört, als die Alien-Ärztin eintrat und ihn zum Mitkommen aufforderte. Er legte das Buch beiseite und folgte ihr durch viele verwinkelte Gänge.
Ihr Ziel war die Krankenstation, ein Mini-Krankenhaus der Mondbasis.
Zwei Türen weiter betraten sie die Intensivstation. Markus schaute sich verdutzt um. Sie war beinahe so eingerichtet, wie eine Intensivstation, die er aus Fernsehserien kannte, nur mit anderen, weniger abschreckend wirkenden Geräten. In dem hellen,
medizinischen Raum lag auf einem Krankenbett ein tief schlafender, der Welt entrückter Patient, welcher mit Schläuchen und Drähten am Leben erhalten wurde.
Am Bett standen der „Negerarzt“ und der „alte Weise“, der bei Markus den Gehirnscan vorgenommen hatte.
Der „Meister“ sprach ganz freundlich zu ihm:
„Treten sie näher und schauen sie sich diesen Menschen an!“
Er trat an das Bett des regungslos und nackt daliegenden jungen Mannes. Es war ein sportlicher Typ mit pechschwarzen, kurzen Haaren und dunkelbrauner Haut, ein Mulatte, Nachkomme eines weißen und eines schwarzen Elternteils.
Markus tat der gut aussehende und muskulöse Bursche leid …
Bevor er fragen konnte, weshalb man ihn diesen Menschen zeige, kam der Meister zur Sache:
„Unser Ärzteteam schlägt ihnen vor, einem außergewöhnlichen Experiment zuzustimmen:
Wir transplantieren Ihr Gehirn in den Schädel dieses jungen Mannes!“
Markus dachte: Ich höre wohl nicht recht? Er stand da und wusste nicht, was er sagen sollte! Dann fuhr der Alte, offenbar Chefarzt der Alien, fort:
„Ihr Gehirn passt genau in den Kopf dieses Patienten. Wenn das Experiment gelingt, können sie in diesem jungen, gesunden Körper noch lange weiterleben!“
Im Schädel von Markus begann ein Trommelfeuer. Sein Gehirn arbeitete wie ein Computer an der Leistungsgrenze. Sein angegriffenes Herz pochte laut und die Halsschlagader schwoll an.
„Beruhigen sie sich“, ermahnte ihn die an seiner Seite stehende Ärztin und fasste seine schweißnasse, rechte Hand. Diese Geste wirkte sehr beruhigend auf ihn.
Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, fragte er die drei, anscheinend übergeschnappten Alien-Ärzte:
„Was ist passiert, dass dieser Mann hier liegt?“
Der Chefarzt deutete auf die Ärztin. Sie solle es ihm erklären und tat es sichtlich gern:
„Eine unserer nächtlichen Patrouillen hat diesen jungen Mann auf
einer Landstraße nahe der Stadt Köln gefunden. Er lag bewusstlos ein Stück von seinem Motorrad entfernt am Straßenrand. Die Raumschiffbesatzung hat ihn an Bord gebeamt und uns übergeben. Er hat schwerste, irreparable Gehirnverletzungen davongetragen. Sein Körper ist unversehrt und gut durchtrainiert.“
„Wer ist er?“
„Sein deutscher Personalausweis, als auch Führerschein und Studentenausweis belegen, dass er zweiundzwanzig Jahre alt ist, Tom heißt und Sportstudent ist.“
Markus ging um das Bett herum und betrachtete diesen wie tot daliegenden Menschen von allen Seiten. Leider konnte er seine Augen nicht sehen, die waren geschlossen …
Nach einer Weile sprach Markus zu den geduldig auf eine Antwort wartenden Alien:
„Ich bitte um Bedenkzeit. Ich muss erst eine Nacht darüber schlafen, bevor ich mich entscheide.“
Das Ärzte-Trio stimmte zu.
Der Chefarzt sagte noch:
„Der Ausgang einer Gehirntransplantation ist ungewiss. Mehrere Versuche zuvor sind fehlgeschlagen, und die Menschen gestorben. Wir haben aber aus unseren Fehlern gelernt. – Das sollten Sie bedenken!“
„Das werde ich tun …“
Markus bat, gehen zu dürfen.
Damit er sich auf dem Rückweg nicht verirren konnte, begleitete ihn die nicht von seiner Seite weichende Ärztin. Zum Abschied flüsterte sie ihm ins Ohr:
„Es wird alles gut ausgehen. – Vertrauen Sie unseren Spezialisten!“ …
Markus zog sich in sein Kämmerlein zurück. Er wollte allein sein. Das soeben Erlebte musste er erst einmal verdauen.
Er glaubte, im Liegen entspannter denken zu können und legte sich auf sein „Feldbett“.
Am liebsten würde er eine lange, dicke Zigarre rauchen, wie früher, wenn er Probleme hatte, die gelöst werden mussten …
„Augenblicklich hatte er ein Riesenproblem: Es ging um Leben und Tod!
Wie sollte er sich entscheiden?“
Er hatte viele Fragen:
„ – War es Zufall, dass seine Herzattacke zeitlich mit dem Eintreffen des verunglückten Tom zusammenfiel, oder hatten die Alien sie herbeigeführt, um ihn leichter als Versuchsperson zu gewinnen?
– Meinten Sie es ehrlich mit ihm und wollten sie ihm ein zweites Leben schenken?
– Welche Rolle spielte die Alien-Ärztin?
– Hatte sie aus bestimmten Gründen seine Zuneigung gewon-nen?“
Fragen über Fragen und keine Antwort darauf.
Die Alien garantierten nichts. Wenn ihr Experiment schief geht, ist er tot, ebenso der junge Mann, dessen Körper nur noch funktioniert.
Ihm war nicht bekannt, dass es jemals Ärzte auf der Erde gewagt hätten, das Gehirn eines Menschen in einen anderen Menschen zu transplantieren!
Die schlauen Alien könnten diesbezüglich einen enormen Vorsprung haben, sind aber über das Experimentierstadium nicht hinaus gekommen.
Es war ihm schleierhaft, wie sie das anstellen wollen!
Weshalb führen die Außerirdischen diese Experimente durch und was wollen sie damit erreichen?
Denkbar wäre:
1. Die Verlängerung der Lebensspanne eines Individuums – zuerst am Menschen getestet und dann an ihrer Spezies angewendet.
2. Studieren, wie das Wissen, die Fähigkeiten und Erfahrungen einer Person sich im Körper einer anderen Person weiter-entwickeln.
In Gedanken spielte Markus den Fall durch, das Experiment würde gelingen. Die Aussichten wären viel versprechend:
– Er könnte als „alter Mann“ in einem jungen Körper ohne die gesundheitlichen Beschwerden des Alters noch viele Jahre leben.
– Vielleicht würde er noch einmal jung?
– Welche Person wäre er nach der Gehirntransplantation:
Markus, von dem das Gehirn stammt oder Tom, der den Körper zur Verfügung stellt?
– Ergeht es ihm dann wie den Hybriden, die weder Mensch noch Alien sind, sondern beides?
Markus kam zu der Erkenntnis, dass er dann eine gespaltete Persönlichkeit sei und eine Person mit zwei Identitäten und Personalausweisen!
Doch für eine müsste er sich entscheiden.
Er war hin- und hergerissen von diesen Gedanken. Sein Schicksal würde eine jähe Wendung nehmen, deren Folgen er sich nicht vorstellen konnte –.
Nach einer langen, schlaflosen Nacht hatte er sich entschieden:
Er will die einmalige Chance nutzen! Der Selbsterhaltungstrieb und die Neugier waren stärker als alle Bedenken. Mit einer gehörigen Portion Gottvertrauen und seinem Schutzengel würde er auch diese Hürde überspringen! ...
Nach dem Frühstück meldete er sich unausgeschlafen und etwas mürrisch bei den Alien-Ärzten und verkündete ihnen:
„Ich habe mich entschieden. Ich stimme der Gehirntrans-plantation zu, obwohl ich mir der Risiken bewusst bin.“
Die Ärzte klatschten und gratulierten ihm zu seinem Mut.
Als er wieder gehen wollte, sagte die Ärztin zu ihren Kollegen:
„Wir müssen jetzt unseren „Großen Chef“, den Mond-kommandanten, von unserem Vorhaben überzeugen und ihn bitten, ein Raumschiff zur Verfügung zu stellen, das die Spezialisten vom Heimatplaneten abholt.“ …
Nach mehreren Tagen waren drei Ärzte, spezialisiert auf Transplantationen, in der Zentralklinik der Hauptbasis im Krater Gassendi eingetroffen.
Markus und Tom waren mit einer Flugscheibe dorthin verbracht worden. Die Spezialisten untersuchten zuerst den Körperspender Tom und dann Markus.
Dem Ärzteteam vom Heimatplaneten gehörten an: zwei sehr gebildet aussehende und vornehm auftretende weiße,
menschenähnliche Alien mittleren Alters sowie ein junger farbiger Hybrid der höchsten Entwicklungsstufe mit vielen menschlichen Zügen.
Die Drei waren sehr freundlich zu Markus, sprachen untereinander eine seltsame, fremdartige Sprache und strahlten sehr viel Zuversicht aus.
Am nächsten Morgen war es dann soweit:
Als Markus ganz ruhig und entspannt den mit Tom belegten Operationssaal betrat, in dem das Unvorstellbare geschehen sollte, war er erschrocken.
Von der Decke hingen viele bewegliche, in alle Richtungen leuchtende Lampen unterschiedlicher Größe und Form herunter. Einige waren auf Tom gerichtet und andere auf den unweit von seinem Bett stehenden Operationstisch auf Rädern.
Auf einem langen, schmalen Tisch waren nebeneinander gereiht eine Vielzahl medizinischer Geräte ausgebreitet, die auf den ersten Blick furchteinflößend wirkten.
Am Krankenbett des von alledem nichts mitbekommenden Tom diskutierten, ganz in weiß gekleidet, die drei Spezialisten vom Heimatplaneten mit den beiden Ärzten und der Ärztin von der Mondbasis unweit des Kraters Fontenelle.
Markus vermisste die Operationsschwestern …
Dann wurde er gebeten, sich auszuziehen und auf den Operationstisch zu legen.
Der gütige „alte Weise“ fragte ihn:
„Wie fühlen sie sich?“
Markus antwortete:
„Es ist mir mulmig zu Mute. Ich bin aufgeregt.“
„Das wird sich gleich legen!“, sprach´s und starrte ihn in die Augen.
Markus fiel in einen langen Tiefschlaf …
Was dann geschah, blieb für immer ein Geheimnis der an der Gehirntransplantation beteiligten Alien-Ärzte! Als Markus die Augen aufschlug, saß die nette Ärztin an seinem Bett auf der Intensivstation. Sie strich ihn sanft über die Hand und sagte:
„Tom.“
Ihm war, als hätte er geträumt. Er sah sich um und bemerkte, dass er ohne Schläuche und Kabel dalag und viel besser sehen konnte. Alles erschien heller und klarer und war gestochen scharf zu erkennen. Auch die störenden „fliegenden Mücken“ waren verschwunden.
Er hob die großen, braunen Hände, besah sie und bewegte die Finger. Das wiederholte er mit den Füßen.
Allmählich begann er zu begreifen, dass er in einem fremden Körper aufgewacht war, der aber auf die Befehle seines Gehirns reagierte!
Die charmante Ärztin an seinem Krankenbett schien noch hübscher geworden zu sein.
Mit seiner neuen, reinen Stimme rief er aus:
„Ich lebe noch. – Welch ein Wunder!“
Worauf die Alien-Ärztin in ihrer betont sachlichen Art erwiderte:
„Es ist kein Wunder, aber sehr viel Arbeit und Bangen!“
Sie küsste ihn auf die Stirn und sagte:
„Tom.“
Dann verließ sie umgehend den Raum, wobei sie sich die Tränen aus den Augen wischte.
Markus sah ihr nach und dachte:
„Sie hat mich Tom genannt. Also heiße ich jetzt Tom für den Rest meines Lebens.“
Nach kurzer Zeit fanden sich alle Ärzte bei ihrem Patienten ein. Die Spezialisten der Alien-Ärzte untersuchten ihn von Kopf bis Fuß und nahmen verschiedene Tests vor.
Als sie ihn durchgecheckt hatten, sagte der vermeintliche Chef des Spezialistenteams zu Tom:
„Heute bleiben sie noch im Bett. Nur zur Toilette dürfen sie gehen.
Ab morgen bekommen sie wieder feste Nahrung.
Unsere Kollegin wird sich um Sie kümmern und uns von Ihren Fortschritten oder Rückschlägen berichten.
Wir bleiben noch einige Zeit. Wenn es Ihnen hier und da, besonders im Kopf zwickt, so ist das normal. Sie sollen wissen, dass
wir Ihnen mehrere Implantate eingesetzt haben. Was es mit ihnen auf sich hat, bleibt Ihnen vorerst verborgen. Sie stehen unter unserer ständigen Kontrolle.
Ihre wahre Identität dürfen Sie den Menschen gegenüber nicht preisgeben.
Wenn alles gut ausgeht, sind Sie der erste Mensch, bei dem eine Gehirntransplantation geglückt ist! Sie sind uns sehr wertvoll. Denken Sie immer daran und verhalten Sie sich dementsprechend.
Für weitere Auskünfte steht Ihnen unsere hochgeschätzte Kollegin zur Verfügung.
Sie und Ihre Betreuerin müssen ein eingespieltes Team werden, wenn unser Experiment gelingen soll!“
Hiernach sind sie wieder gegangen.
Tom fühlte sich allein gelassen.
Als die Blase drückte und er die Toilette aufsuchen musste, versuchte er aufzustehen, fiel aber wieder aufs Bett zurück. Die Welt drehte sich im Kreise.
Nach einer Weile unternahm er einen zweiten Anlauf. Er blieb zuerst auf der Bettkante sitzen und erhob sich dann ganz vorsichtig, bis er auf wackligen Beinen stand.
Jetzt stellte er fest, dass er ein Stück größer war und seine Umgebung aus einer anderen Perspektive sah. Er musterte seinen Körper.
Ins Auge stach die dunkle Haut, an die er sich erst gewöhnen musste.
Im Sanitärtrakt der Intensivstation angekommen, stellte er sich, nur mit einer engen, weißen Badehose bekleidet, vor den Panoramaspiegel an der Wand.
Jetzt konnte er seine großen, braunen Augen sehen und das lückenlose Vorzeigegebiss.
Sein Körperbau war ganz anders: An den Stellen, wo früher Fettpolster waren, befanden sich jetzt Muskeln. Sein Bauch war einem Waschbrettbauch gewichen. Seine Arme und Beine waren länger und muskulös. Nicht nur das – auch sein Geschlechtsteil war zwei Nummern größer …
Als er am nächsten Tag von der Morgentoilette zurückkam, wartete schon seine „Krankenschwester“, die Ärztin, auf ihn. Sie hatte das Frühstück und eine Kanne Tee mitgebracht.
Er hatte großen Durst und trank hastig eine Tasse dieses Gesöffs, das nach „Wald und Wiese“ schmeckte.
In diesem Moment trugen vier kleine Alien einen runden Tisch und zwei Stühle herein. Tom und die Ärztin nahmen am Tisch Platz. Während er eine Schüssel Reis verspeiste, sagte sie zu ihm:
„Wir müssen ganz allmählich die Verdauung wieder in Gang bringen und kontrollieren, ob alle Organe arbeiten. Schritt für Schritt müssen wir uns der neuen Situation stellen. Wir haben gemeinsam noch eine langen Weg vor uns!“
Als Tom den Reis widerwillig hinunter gewürgt hatte, fasste er sich ein Herz und sagte zu ihr:
„Wenn wir für längere Zeit wie ein Geschwisterpaar zusammen sein werden, was ich gut finde, dann möchte ich sie mit ihrem Namen anreden, wie das bei uns Menschen üblich ist. Ich heiße jetzt Tom – aber wie heißen sie?“
Und er wollte noch wissen:
„Haben Alien überhaupt einen Namen?“
„Ja, wir führen einen Namen, verwenden ihn aber selten. Unsere Identität ist eine Personenkennzahl, die bei der Geburt vergeben wird. – Nennen Sie mich einfach „Aisha“, ein Name, der mir gefällt.“ …
Eine Woche später.
Tom war von der Intensivstation der Hauptbasis in die Quarantänestation der Mondbasis nahe dem Krater Fontenelle zurückverlegt worden. In der ursprünglichen Umgebung fühlte er sich wohler. Er hatte wieder Kontakt zu den Hybriden in der Kantine und den Entführungsopfern …
Unter den Alien hatte sich das geglückte Experiment einer Gehirntransplantation wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Nur die Menschen wussten nichts von alledem. Sie ahnten nicht einmal, wen sie vor sich hatten, wenn ihnen Tom gegenüber stand. Und er selbst musste höllisch aufpassen, dass er sich nicht zu erkennen gab.
Manche Entführten staunten über das umfangreiche Wissen und die Lebenserfahrungen dieses gut aussehenden, sympathischen, dunkelhäutigen Typs im Alter von zweiundzwanzig Jahren!
Die Gehirntransplantation hatte für Tom auch gravierende psychologische Auswirkungen:
– Er musste sich erst an seinen neuen Körper gewöhnen.
– Die Vergangenheit und die damit verbundenen Erinnerungen hatte er im alten Körper erlebt.
Ihm wurde allmählich bewusst, dass er eine gespaltene Persönlichkeit war – ein zweiundsechzigjähriges Gehirn in einem zweiundzwanzigjährigen Körper!
Anfänglich hatte er leichte Sprachstörungen und stotterte unverhofft, aber nur kurzzeitig. Sein Sprachstil war geblieben – nur hörte er eine andere Stimme.
Weil seine Gliedmaßen größer waren als früher, kam es zu Störungen der Bewegungsabläufe von Armen und Beinen, Händen und Füßen. Gehirn und Körper mussten erst zueinander finden, sich der neuen Situation anpassen.
Als Tom etwas niederschrieb, entdeckte er, dass seine krakelige Schrift unverändert geblieben war!
„Er dachte nach und fand, dass er nur mit der identischen Handschrift beweisen kann, dass er einmal der entführte Markus war!
Man könnte aber auch seine Doppelidentität herausfinden, sollte er jemals wieder in seine Heimat zurückkehren …
Ihn belastete, dass er sein wahres „Ich“ vor den Menschen verbergen musste. Er lebte praktisch wie ein Spion mit einer falschen Identität.“
Tom war eine Neuschöpfung der Alien; denn seinesgleichen gab es nicht!
Sie führten ihn unter der Tarnbezeichnung „Alpha 001.“
Der Chef des Transplantationsteams hatte zu ihm gesagt:
„Sollten sie einmal mit Alpha 001“ angesprochen werden, dann wissen sie, dass ihr Gegenüber einer von uns ist!“ …
Nach drei Wochen Mondaufenthalt war für die drei Spezialisten vom Heimatplaneten der Rückflug angesagt.
In der Quarantänestation unterzogen sie Tom einer letzten gründlichen Untersuchung, verbunden mit Funktionstests des Gehirns in Bezug auf die inneren Organe und der Bewegungsabläufe.
Äußerlich waren keine sichtbaren Spuren eines Eingriffs zurückgeblieben.
Die Ärzte waren sehr zufrieden und erleichtert. – Sie hatten eine vortreffliche Arbeit geleistet, die wegweisend sein könnte …
Zum Abschluss des medizinischen Checks fragte der Chefarzt den ebenfalls erleichterten Patienten Tom:
„Wie fühlen sie sich?“
Tom, der einen Geistesblitz erhascht hatte, antwortete:
„Wie ein Phönix aus der Asche!“
„Das verstehe ich nicht.“
„Gemeint ist: Ein Vogel, der sich im Feuer verjüngt.“ „Verjüngt schon, aber ohne Feuer!“, erwiderte der Chefarzt und strich ihm väterlich über das dichte, schwarze Haar. Er sah Tom an und wollte wissen, ob er noch Fragen habe.
Tom nutzte die Gunst der Stunde und fragte:
„Was ist mit meinem ehemaligen Körper geschehen?“
„Den haben wir auf unsere Art entsorgt.“
„Ich habe von der Transplantation nichts, aber auch gar nichts mitbekommen, frage mich aber, wie so etwas überhaupt möglich ist?“
„Das bleibt unser Geheimnis. Ich kann Ihnen anvertrauen, da Sie jetzt unser ‚Baby’ sind, dass wir eine Technologie entwickelt haben, die es uns ermöglicht, Schnitte an den Zellen vorbei vorzunehmen, so dass die Zellwände unbeschädigt bleiben. Diese Technologie ist die Voraussetzung für eine Gehirntransplantation, weil die Nervenzellen nicht beschädigt werden dürfen!“
Tom konnte nur noch staunen. So viel Offenheit hatte er nicht erwartet.
Dann sagte er zu Tom:
„Wir müssen uns auf unseren Rückflug vorbereiten und uns vom Mondkommandanten verabschieden.“
Während er ihn ganz fest die Hand drückte, sagte er noch:
„Wir wünschen ihnen alles Gute für die Zukunft!“
Tom war tief gerührt. Er kam nicht umhin, ein paar Dankesworte an die Alien zu richten:
„Ich möchte ihnen dafür Dank sagen, dass sie mir durch Ihre Kunst ein neues, zweites Leben geschenkt haben. Ich verspreche ihnen, zusammen mit meiner Betreuerin Aisha alles zu tun, damit ihr Experiment als ein Meilenstein in die Geschichte der Medizin eingeht!“
Alle klopften ihn auf die Schulter und umarmten ihn, als Letzte die Ärztin. Sie wollte ihn am liebsten gar nicht mehr loslassen …
Nach der Abreise der Spezialisten begann für Tom die Zeit der Regeneration und des Aufbruchs. Nach einigen Wochen der besseren Durchblutung und Sauerstoffversorgung durch das gesunde Herz setzte eine Regeneration der Gehirnzellen ein.
Sein Kurzzeitgedächtnis verbesserte sich zusehends, ebenso die Lernfähigkeit. Auch konnte er auf längst vergessen geglaubten Wissens zurückgreifen.
Als Kind verfügte er über ein ausgesprochen gutes visuelles Gedächtnis, das im Laufe des Lebens nachgelassen hatte und wieder reaktiviert wurde.
Ein großer Vorteil war, dass er keine Brille mehr brauchte, weder für die Nähe, noch für die Ferne. Er hatte jetzt „Adler-Augen“.
Er bekam immer mehr Lust am Leben.
Lästig waren das ständige Hungergefühl und der kaum zu stillende Durst. In seinem Körper schien ein „Schweinemagen“ zu sein.
Seine Freunde, die Hybriden an der Essensausgabe der Kantine, hatten Verständnis für seinen Appetit und Durst. Sie versorgten ihn mit allem, was er brauchte und hatten Gefallen daran.
So blieb es nicht aus, dass er bald spürte, wieder in Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte zu sein.
Die Hormone eines jungen Mannes machten sich ebenfalls bemerkbar. Sein Gefühlsleben kam in Schwung und er entwickelte wieder ein Interesse am anderen Geschlecht, bis hin zum Wunsch auf Sex.
Sorge bereitete ihn, die körpereigenen Abwehrstoffe könnten sein Gehirn abstoßen. Er hatte keine Ruhe, bis ihm „seine“ Aisha erklärte, dieses Problem sei mit Hilfe eines Implantats gelöst, welches das Immunsystem steuere.
Eines Tages wollte er von ihr wissen:
„Wie lange kann mein altes Gehirn in diesem jungen Körper funktionieren? Oder anders gefragt: Wie viele Jahre lebe ich noch?“
„Das wissen wir nicht. Unser Experiment wird es zeigen. Fest steht, das menschliche Gehirn altert langsamer als der Körper!“ …
Weil Tom, früher als Markus, wegen seines Herzklappen-fehlers keinen Sport, außer Wandern, betrieben hatte, sein jetziger Körper aber durchtrainiert war, entschloss er sich mangels anderer Möglichkeiten, täglich einen Dauerlauf durch die kilometerlangen Korridore der unterirdischen Mondbasis zu absolvieren.
Wegen seiner Sonderstellung durfte er sich, bis auf wenige Bereiche, überall hinbegeben. Nach jedem Lauf und anschließender Dusche fühlte er sich wie neu geboren …
Eines Abends kam seine lieb gewonnene Ärztin Aisha zu ihm auf das Zimmer und bat ihn, gemeinsam den Hybriden-Kindern einen Besuch abzustatten. Er habe schließlich versprochen, wiederzukommen.
Er willigte ein und sie machten sich Arm in Arm auf den Weg.
Als er die Tür des Spielsaales öffnete, kamen ihnen die Großen entgegen.
Und die Kleinen schrieen:
„Da ist ja der Onkel!“
Tom hatte nicht erwartet, dass sie Bescheid wussten und sprach zu ihnen:
Ja, ich bin es. Ich hatte doch versprochen, euch wieder zu besuchen. Damals stand ich als Opa hier, jetzt als junger Mann!“
Nach langem Zögern, weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte, kam das Hybriden-Mädchen auf ihn zu, das damals ihr Herz ausgeschüttet hatte, weil man sie nicht verstand.
Sie musterte ihn von allen Seiten. Er trug ein cremefarbiges T-Shirt und eine eng anliegende, kurze weiße Hose.
Nach einer Weile des Staunens schaute sie Tom tief in die großen braunen Augen und sagte lächelnd:
„Ich liebe dich!“
Er wurde ganz verlegen. – Es war eine Situation, die er noch öfter erleben sollte …