Читать книгу Karla und die Murmeltiere - Helmut Bückle - Страница 7
ОглавлениеDen Murmeln hinterher
Der Papa schenkte sich ein Glas Rotwein ein und die Kinder hatten sich eine Fanta genehmigt. »Murmeltier, was ist mit Dir? Nüsschen aus der Minibar vielleicht?«, fragte der Papa. Die Kinder kicherten. Das Murmeltier war wieder herunter gekommen ins Dorf und Peter hatte es durch die Hintertür nach oben in den Brunnenwirt geschmuggelt. Das Murmeltier winkte ab, »Danke, sehr lieb von Dir, aber ich würde sowieso nichts runterbringen, ich bin viel zu angespannt«. Das galt auch für den Papa. Beide blickten auf Karla und Peter, denen ihr Kichern nun albern vorkam. »Ich weiß ja auch noch nichts«, sagte der Papa, »was habt ihr gefunden?« »Wir haben ihn!«, sagte Peter stolz, »Karlas Idee mit dem Gästebuch war Bombe«. Er fingerte den Zettel aus der Jackentasche und reichte ihn hinüber. »Ja, ich denke auch, das wird er sein«, sagte Karla, »aber jetzt halt Dich mal gut fest, wo der herkommt, Papa«. Das Murmeltier konnte die Spannung kaum mehr aushalten. Es ging um die gestohlenen Murmeln seiner Familie, der Winter war angebrochen, es war bitterkalt in der Murmeltierhöhle und die Freunde sprachen in Rätseln. »Verdammte Hacke, wenn mir jetzt nicht gleich einer von Euch sagt, was hier geht, dann setzt' s was«, zischte es und seine Barthaare zitterten vor Erregung. Der Papa blickte auf den Zettel in der Hand. »Ich glaubs nicht«, sagte er, »die Glatze ist aus München. Ausgerechnet. Aus meiner Stadt«. Peter blickte Karla erstaunt an. Er erinnerte sich noch sehr gut an den Hamburg-Vortrag vorhin über schifahrende kleine Nordsee-Nixen. Karla machte eine Handbewegung, die heißen sollte, Stimmt schon, aber ich erklärs Dir später. »Ja, Papa, die Glatze lebt in München. Aber vielleichts machts das ja einfacher? Wir kennen uns aus«. Der Papa verzog das Gesicht. »Ja, vielleicht. Aber mir gehts erst mal sensationell auf den Geist, wenn ich ehrlich bin. Und wieso wundert' s mich bloß nicht, daß die Adresse in Bogenhausen ist?«
Das Murmeltier hatte noch nie seine Heimat in den Bergen verlassen, nicht nach Australien und auch nicht nach München. »Also wie nun«, fing es verunsichert an, »was heisst das denn jetzt, Ihr drei fahrt nach diesem Bogenhausen in München und versucht die Murmeln wiederzufinden?« Karla und Peter schauten das Murmeltier liebevoll an. »Wir vier. Du kommst natürlich mit. Keiner von uns kennt doch die Murmeln so gut wie Du«. Soweit ein kleines Pelztier das überhaupt kann, das Murmeltier wurde aschfahl. Es ahnte, daß diese Reise das grösste Abenteuer seines Leben werden würde. »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, sagte Karla, »wer weiß schon, was die Glatze inzwischen mit den Murmeln macht. Eigentlich müssten wir gleich losfahren, aber ich fürchte ein wenig, dafür ist es wohl schon zu spät«. Peter unterdrückte mühsam ein Gähnen. »Ja, lass uns gleich morgen in der Früh aufbrechen«, sagte er mit weit offenem Mund. Der Papa stand plötzlich so energisch auf, als wollte er noch in dieser Sekunde zu Fuß nach München loslaufen. »Einverstanden«, sagte er. »Aber ich gehe jetzt noch mal auf den Hof und buddle unser liebes Auto aus. Das ist ja völlig eingeschneit inzwischen. Wenn Ihr alles klar habt, mögt Ihr dann herunterkommen und mir ein bisschen helfen? Isse viele Schnee und wenisch Auto«.
Die Tür des Zimmers schloss sich hinter dem Papa. Karla schaute Peter an. »Sag mal, wie machst Du das denn jetzt, hast Du keine Schule?« Peter schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben immer vier Wochen Schiferien und davon sind noch zwei übrig«. Das war für Karla fast zuviel. Vier Wochen Schiferien, wie groß war das denn? Wenn sie zurück war, musste sie unbedingt dem obersten Hamburger Schuldirektor von dieser glänzenden Idee aus Österreich berichten. Vielleicht liess sich da noch was machen. »Aber Deine Eltern, willst Du denen sagen, daß Du nach München fährst?« Da hatte sie wohl den wunden Punkt getroffen, denn Peter seufzte tief. »Tja, das ist etwas, was ich auch gar nicht weiß. Ich denke nicht, daß sie mich einfach weglassen würden, zudem müsste ich ihnen dann vorher die Geschichte mit den Murmeln erzählen, und die glaubt uns doch eh kein Mensch«. Das Murmeltier nickte zustimmend. »Aber ich hab meine Eltern lieb«, sagte Peter, »und sie würden sich natürlich die schrecklichsten Sorgen machen. So einfach ausreissen geht auf gar keinen Fall«. Das verstand Karla nur zu gut. »Vorschlag, Peter, Du schreibst Deiner Mama einen Brief, in dem Du ihr sagst, daß wir einfach weg mussten. Ganz superwichtig, eine gute Sache, weißt schon. Stimmt ja auch alles. Und daß sie Dir dieses eine Mal bitte einfach vertrauen müssen und Du bald wieder da bist. Und den Brief legen wir unten bei Onkel Fonse so an die Rezeption, daß er ihn morgens ganz sicher finden muß. Und zur Beruhigung schreiben wir noch Papas Handynummer dazu. Dem wird schon was einfallen, dafür ist er schliesslich angestellt bei mir«. Peter lachte. Der arme Mann. Aber so würden sie es machen.
Der Brief für die Mama lag findefertig für Onkel Fonse an der Rezeption und die Kinder und das Murmeltier huschten hinaus in die Kälte auf den Hof. Der Papa hatte inzwischen schwitzend ganze Arbeit geleistet und aus dem meterhohen weissen Schneehaufen war wieder ein schwarzes Auto zum Vorschein gekommen. Die Fahrertür öffnete sich mit dem Knirschen und Ächzen eines hundert Jahre alten Schlosstors. Der Papa liess sich auf den Fahrersitz fallen. »Mal sehen, ob ich hier überhaupt heraus komme aus all dem Schnee«. Der Schlüssel drehte sich im Zündschloss, doch was dann geschah hatte niemand erwartet. Es passierte nämlich nichts. Überhaupt rein gar nichts. Das Auto gab keinen einzigen Mucks von sich. Es war sehr still auf dem Hof vor dem Brunnenwirt. Zugegeben, es war sowieso sehr ruhig im Dorf mitten in der Nacht. Aber dadurch, daß alle erwartet hatten, daß der Motor jetzt mit einem Brummen anspringen würde, war es noch stiller als sowieso schon. Der Papa probierte es noch zweimal, dann gab er auf, so wie offensichtlich auch das Auto seinen Geist. »Es ist ihm wohl zu kalt geworden in den Tagen, in denen wir ihn nicht gebraucht haben«, sagte der Papa und kletterte wieder heraus. Peter kannte sich da aus, das passierte hier dauernd während des Winters. »Da ist die Batterie alle, oder?« »Ja, nein, weiß nicht«, sagte der Papa, »das sieht zwar so aus, und dann wärs ja nicht schlimm, aber der alte Herr hat so seine Zipperlein inzwischen. Das kann alles mögliche sein. Hölle ist nur ein anderes Wort für Elektrik. Habt Ihr einen Autohändler im Dorf?« »Du willst ihn morgen weggeben für einen Neuen?«, staunte Peter. Der Papa war völlig entsetzt, was für ein absurder Gedanke. »Niemals, Peter«, sagte er, »niemals. Bis daß der Tod uns scheidet. Ein Bund fürs Leben«. Die Platte kannte Karla auch schon lange. Aber sie verstand‘ s, der alte Bolide war einfach super. »Hier im Dorf haben wir nichts«, sagte Peter, »da muß man die Paßstrasse hinunter in die nächste Stadt«. »Recht schönen Dank, das ist ja super«, sagte der Papa und grummelte vor sich hin.
Das Murmeltier hatte die ganze Zeit nur still im Schatten der Hauswand auf einem Schneehaufen gesessen. Das waren Menschensachen, von denen es nichts verstand. Aber jetzt wusste es sehr wohl, was das bedeutete. »Wir können also nicht nach München fahren, weil das Auto kaputt ist und in der Zwischenzeit verscherbelt dieser Mensch unsere Murmeln?«, fragte es leise. Der Papa brauchte ein bisschen, denn er konnte nicht sicher sagen, daß es anders sein würde. »Ich muß morgen auf jeden Fall erst das Auto wieder flottkriegen, bevor was geht«, sagte er und hockte sich auf die Kühlerhaube. Karla machte große Augen. Das war doch unglaublich verboten normalerweise, selbst mit ihrem Fliegengewicht. Aber sie schwieg, weil das gehörte grade echt nicht hierher. Peter wiederum war bester Laune. »Murmeltier, lass Dich nicht hängen, Kopf hoch, ich weiß schon was. Ich sag‘ nur, Onkel Schorsch«. Karla konnte kaum glauben, was sie grade hörte. Noch ein Onkel. »Wieviele hast Du denn im Ganzen?«, kicherte sie, »so mit allen Vierteloder Halb-Onkels? Das ist bei Dir ja fast wie bei den Murmeltieren«. Das fand Peter überhaupt nicht komisch und zwar ganz und gar nicht. Und er war nicht allein, das Murmeltier verschränkte seine Ärmchen vor der Brust und blies sich auf neben Peter. Karla kriegte den Fettnapf deutlich zu spät mit, die beiden aus den Bergen schauten schon extrem sauer. »Weißt Du, auf dem Land hält man halt zusammen in der Familie und wir mögen es so. Und bleiben auch gerne da, wo wir aufgewachsen sind und uns zu Hause fühlen. Man nennt das Heimat, falls Dir das was sagt, Du Stadtpflänzchen«, schnauzte Peter. Karla hatte es inzwischen kapiert, das war das umgedrehte Freulein Brökstrup von vorhin. Der Papa wusste zwar nichts von der Klavierlehrerin, aber er schaute seiner Tochter mit Interesse beim Rudern zu. »Ähhmm, yapp, jetzt ich doof«, sagte Karla zu Peter, »tut mir leid. Aber Du warst vorhin auch blöd!« Kinder können es nicht lassen. Immer zweimal mehr als Du. Aber ganz so schlimm wars nicht. »Lass‘ sagen, wir sind quitt, ok?«, sagte Karla und Peter fand das fair. »Aber was hat es nun mit Deinem Onkel Schorsch auf sich?«, fragte der Papa, erhob sich und schaute nach Dellen in der Kühlerhaube. Es gab keine, gottlob. Peter tat geheimnisvoll, er wusste, wie sie auch ohne Auto und Papa nach München kommen konnten. Aber was machte das für einen Spaß Karla jetzt ein bisschen zappeln zu lassen. »Wir treffen uns um sechs in der Früh an der Molkerei. Seid pünktlich bitte, sonst vermasselt Ihr alles«.