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Alltag im Paradies

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Immer wenn meine Zeitung ins Paradies kommt, blättere ich sie rasch durch. Im Paradies arbeite ich als Frisöse, nicht etwa in der reihenweisen Abfertigung weiblicher Köpfe, sondern in der individuellen Haarkomposition finde ich Befriedigung. Ich diene der Schönheit, ich bin Frisöse aus Leidenschaft. Diese Leidenschaft befähigt mich, den Typ zu erfassen, der latent in jeder Frau steckt. Durch Edmunda, meine Nichte, verfüge ich über eine anspruchsvolle Kundschaft, die Redakteurinnen meiner Zeitung, und ich tue, was ich kann, um meinen Damen das Flair gepflegter sozialistischer Schönheit zu verleihen.

Edmunda ist gewissermaßen mein Werk, oft ist ihr Bild doppelt briefmarkengroß in meiner Zeitung abgedruckt, mal im Profil, mal seitlich, eine hübsche junge Frau, nicht so jung, daß man ihr kein Vertrauen schenkte, und nicht so alt, daß Edmundas Meinung als überholt, als altmodisch empfunden würde. Vor einigen Jahren kam Edmunda zu uns, vom Lande, wie man so sagt. Sie war eine Henne, ich habe aus ihr einen Paradiesvogel gemacht. Edmunda übernahm damals eine Beratungsstelle für moderne Haushaltstechnik, woraus hervorgeht, daß meine Nichte nichts anderes als eine kleine Verkäuferin gewesen ist. Wer beschreibt meinen Schrecken, als Edmunda vor mir stand, in strickgewirkter Jacke, ohne modisches Accessoire, in dreiviertellangem Flauschrock, mit flachen Tretern. Ich sagte wohl, mein Gott, Kind, komm herein, tritt näher, leg ab, was man so sagt, wenn man einem Schlaganfall eben entgangen ist. Meine Schwester schickte mir das Kind, es sollte vorübergehend bei uns wohnen. Da wir kinderlos sind, auch aus beruflichen Gründen, beschloß ich, mich des Kindes anzunehmen, beschloß aus Edmunda eine moderne junge Frau zu machen. Zuerst mußte ich ihr einen Schock zufügen, ein Schuldbewußtsein sozusagen, denn ich sah wohl, daß sich diese Unschuld mit ihrem normalen Gesicht und ihrer hübschen Figur rundherum wohlfühlte. Das mußte sich ändern, ich mußte Wünsche in Edmunda wecken.

Rührend, es war rührend, als ich mit ihr zum ersten Male eine moderne hauptstädtische Boutique aufsuchte. Edmunda, umgeben von dem, was eine werktätige Dame ausmacht, Schuhe, Kleider, Mäntel, Tücher, Taschen, Complets. Das kleine Café oben, wo die Dame nach gelungenem Einkauf einen Mokka nimmt oder einen Eisbecher Hawaii. Ich zeigte ihr die Dame, die einkaufte, beiläufig im grauen Kostüm und schmucklosem Nerzkollier. Ich schärfte den Blick Edmundas für teure unauffällige Kleinigkeiten. Amüsant für mich, den, respektvollen Blick wahrzunehmen, das Bewußtsein, sehr abzufallen in dieser Umgebung. Wir kauften auch wirklich nette Sachen; ein Postsparbuch brachte Edmunda immerhin mit. Natürlich riet ich ihr, sich ein Girokonto einzurichten, und ich machte Edmunda mit den Erleichterungen des Scheckverkehrs bekannt. Beim Eisbecher Hawaii erklärte ich dem Kind ausführlich das moderne Leben in einer modernen Welt.

»Höre mal, Kleines«, sagte ich, »was dich jetzt so bestürzt, beruht auf einem Informationsrückstand. Niemand wird mit einem Gefühl für Schönheit geboren, oder nur wenige. In den weitaus meisten Fällen wächst die Frau in ihren Typ hinein, sie ahmt nach. Durch jahrelange Beschäftigung mit·sich, durch sorgfältig ausgesuchte Kleidung, durch kosmetische Nachhilfen, durch Perücken, Hüte, Schuhe. Laß dir nicht einreden, dies sei der berufstätigen Frau nicht angemessen, im Gegenteil, gerade die Werktätige hat einen Anspruch auf solche Dinge und sogar die Verpflichtung, eine Dame aus sich zu machen. Aus einem normalen Gesicht kann immer noch was werden, vorausgesetzt, man hat Figur. Deine ist gut, noch, also, friss nicht so unmenschlich!«

Erster Erfolg: Edmunda legte den Eislöffel beiseite und sah bedauernd den Sahneberg zerschmelzen.

So begann ihre Erziehung zur modernen Frau.

Als Nächstes nahm ich die Umgestaltung ihres Kopfes in Angriff. Einen Sonntagvormittag lang schnitt, färbte und föhnte ich an ihrem Haar herum, cremte ihre Hände butterweich und brachte ihre Fingernägel in Ordnung, formte sie zu Drachenkrallen um.

Am schwersten fiel es mir, Edmunda beizubringen, wie man sich in seinem Typ bewegt, daß man zum Beispiel neue Sachen wie alte trägt. Die ärmere Bevölkerung teilt bekanntlich ihre Kleidung in gute und schlechte ein, die gute wird nur zu besonderen Anlässen herausgeholt, zu Feiertagen und Theaterbesuchen, die schlechte wird aufgetragen. Solch Verfahren ist dem Typ abträglich. Je länger geübt, desto eher stellt sich das Gefühl ein, schlecht angezogen zu sein. Selbstverständlich muß sich dieser Haltung eine gewisse innere Bildung beigesellen. Eine Dame strahlt ja eine bestimmte freundliche Kühle aus, sie bleibt gelassen sitzen, wartet, bis ihr der Herr den Mantel bringt. Sie springt auch nicht etwa impulsiv auf, um einem Herrn die Hand hinzuhalten, der sie drückt wie die Flosse eines seiner Kumpels. Eine Dame dreht die Zigarette so lange in der Hand, bis ein Herr aufmerksam wird und sein Feuerzeug für sie in Tätigkeit setzt. Der angeblichen natürlichen Frische haftet doch immer noch Kuhstallgeruch an. Diese Dinge gehören also einfach zu einer werktätigen Dame, auch wenn sie nur eine kleine Verkäuferin ist, wie in Edmundas Fall.

Mein Mann nahm zunächst wenig teil an der Erziehung Edmundas, was ich ihm bei dem Kälbchen nicht verübeln konnte. Er alberte ein bißchen mit dem Kind herum. Aber als ich einen Fortschritt zu verzeichnen hatte, wuchs sein Interesse. Ernsts Verhalten lieferte mir den schlagenden Beweis dafür, auf dem richtigen Wege zu sein. Ich bestimmte ihn, etwas für Edmundas geistige Ausbildung zu tun: Theater, Film, Bücher. Ich selbst habe ja wenig Zeit für diese Dinge, ausgenommen Theater, für das ich mir gelegentlich einige Stunden raube. Ernst unterzog sich schließlich auch der Mühe, Edmunda über Bücher zu unterrichten. Er erzählte ihr den Inhalt, das genügte. Wozu übertreiben. Wer liest schon Bücher, und wer versteht schon was davon. Ganz anders sieht es aus, wenn man einen der Autoren kennt, seine Reisen, Skandale, Scheidungen. Das Einkommen von Autoren kann man ja leider nur schätzen. Gut entsinne ich mich aber jenes Tages, als ich zum ersten Male, schon nach verhältnismäßig kurzer Lehrzeit, Edmundas Verkaufsstelle, nein, Beratungsstelle betrat, nicht um mich informieren zu lassen, sondern um ihr Auftreten zu kontrollieren und eventuell helfend einzugreifen. Das kann so nach anderthalb Jahren gewesen sein. Edmunda, mit maronenfarbenem Haar, im weißen Kleid, mit hohen weißen Schuhen und Modellbrille. Sie beriet eine Kundin, und ich verhielt mich zunächst still. Edmunda benahm sich hervorragend sicher in ihrem Typ. Da fühlte ich zum ersten Male einen Stich in der Herzgegend. Möglicherweise hatte ich etwas zu viel des Guten getan, aber mein Berufsstolz überwog damals noch. Jedenfalls war mir Edmunda besser gelungen als nötig, ich fiel schon etwas ab gegen das Kind.

Die Kundin, eine ältere Dame, ließ sich ein Küchenaggregat vorführen. In zwangloser Unterhaltung zeigte Edmunda ihren Charme, flocht Bemerkungen ein über Bücher, Filme, alles, was ihr Ernst beigebracht hatte, und ich dachte, Gott, wenn du wüßtest, was dahinter steckt, eine, dumme kleine Gans. Aber natürlich mischte ich mich nicht ein. »Würden Sie«, fragte die Dame, »unter Umständen diesbezügliche Leserbriefe beantworten können? Ich suche eine fachlich versierte Mitarbeiterin.«

So kam es heraus, diese Dame bearbeitete die Leserbriefseite meiner Zeitung. Da schaltete ich mich sofort ein, sagte, ich sei Edmundas Freundin und natürlich würde sie solche Ratschläge erteilen können, da sie in ihrer Freizeit gelegentlich schriftstellere, zu bescheiden allerdings, um davon ein Aufheben zu machen. Man versteht, ich mußte etwas übertreiben, um dem Kind behilflich zu sein, es war sogar ein Glück, daß ich zufällig an diesem Tage im Geschäft war.

Und so kam Edmunda zur Journalistik, und deshalb blättere ich viel in meiner Zeitung. Nicht daß ich die Ratschläge Edmundas alle befolgte, sie widersprechen sich allzu häufig. Ernst, dem ja die geistige Erziehung Edmundas oblag - er ist von Beruf Korrektor und der deutschen Sprache mächtiger als mancher Redakteur -, griff mit Freuden ein. Zweimal in der Woche fuhr er abends in die hübsche kleine Neubauwohnung, die Edmunda mittlerweile bekommen hatte, und die beiden dokterten an den Antworten herum. Sie schrieben bald über alles, auch über Sachen; von denen sie wenig verstanden. Sie gaben Tipps, den Gebrauch von Steilwandzelten betreffend, stellten Urlaubs- und Reiserouten zusammen, schrieben über Koch- und Eßgewohnheiten, über schnelle Brüter und Haushaltsmaschinen, über Waschmittel und pflegeleichte Textilien.

Eine Flut von Briefen Scheidungswilliger oder -unwilliger erreichte uns. Die EE's, so nannten sie sich, verfuhren proportional, etwa dreißig Prozent ließen sie passieren, dem Rest rieten sie, die Ehe unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, weil sie ihren Sinn noch nicht verloren habe.

Mir wurde dieser Unfug suspekt, aber die Karriere Edmundas war schon nicht mehr aufzuhalten. Ich fragte mich, was versteht das Mädchen' von Liebe, Ehe, Kindern, schnellen Brütern? Ich mußte Edmunda verheiraten, sobald als möglich. In Rundfunksendungen hörte ich Edmundas Stimme, sie klang merkwürdig fremd, dunkler oder voller, ich weiß nicht, wie. Edmunda teilte Wissenswertes über Küchentechnologien mit, auch im Werbefernsehen trat sie auf, stand hinter oder vor ihren Küchenfronten, führte Maschinen vor, Grillgeräte, Mixgeräte, Mühlen, Rührwerke, Schälmaschinen, Toaster mit Auswerfeinrichtung, Marke Mysterium; Waschmaschinen, Kühlschränke. Zuletzt sah ich sie mit der Serie Lotos, Körper- und Schönheitspflege - Edmunda, die vor drei Jahren noch keinen Lippenstift von einem Zimmermannsblei unterscheiden konnte.

Offen gestanden, ich bin zwischen Baum und Borke geraten, schwanke hin und her zwischen Zustimmung und Ablehnung, auch empfinde ich dieses merkwürdige Schuldgefühl, eine unterdrückte Neugier auf Sachen, die ich noch nicht kenne. Scheelen Blickes betrachte ich meinen alten Kühlschrank, meine alte Waschmaschine, nur verfüge ich nicht über Edmundas Einkommen. Mein Girokonto hält mit ihrem längst nicht mehr Schritt. Freundlich bietet mir Edmunda ihre Hilfe an. »Bediene dich, Tante«, sagt sie, »ich verdanke dir ja alles, tu so, als wäre alles dein Eigentum.«

Das ist hübsch von dem Kind, zeugt von ihrem unschuldigen Herzen, aber ich als Tante kann das doch nicht annehmen, es würde dumm aussehen, so als ob ich Edmunda ausnutzte. Was Kosmetika betrifft, wovon ich etwas verstehe, kann ich nur raten, Wasser tut es auch; heiß und kalt, ist es noch immer die sicherste Kosmetik. »Aber Tante«, sagt Edmunda, »das wissen wir auch, aber was sollen die Damen mit ihrem Geld machen? Siehst du.«

Solch ein Gesichtspunkt ist mir nicht fremd.

Eines Tages, ich hatte einen Herrn für Edmunda interessieren können, besuchte ich Edmunda in ihrer hübschen kleinen Neubauwohnung. Ich Dussel glaubte damals immer noch an die gespielte Schüchternheit Edmundas. Mit verheultem Gesicht hockte Edmunda im Sessel, obwohl unten ihr neuer Fiat-Polski stand, das muß man sich vorstellen, und sah recht häßlich aus. »Wenn dein Publikum dich so sehen könnte!«, dachte ich, aber das Mitleid überwog, kurzum, ich kühlte ihr das Gesicht mit Wasser, die sicherste Schönheitshilfe, wie schon gesagt, und brachte das Kind schließlich zum Sprechen. Es war das alte Lied. Irgendein älterer Kerl hatte sie vernascht, war natürlich verheiratet, hatte etwas von zerrütteter Ehe gefaselt und Schwierigkeiten, die der Scheidung angeblich im Wege stünden. Edmunda, die dumme kleine Gans, war darauf hereingefallen.

»Höre zu, Kleines«, sagte ich, »ich als deine Tante und ältere Freundin habe wohl das Recht, dir zu raten. Wer hoch steigt, wird tief fallen. So weit ist es glücklicherweise noch nicht, unten steht dein Auto, hier oben ist deine hübsche kleine Wohnung. Ehebruch in dem Sinne kennen wir nicht. Bist du zu dem Kerl ins Bett gestiegen, hat es Folgen gehabt, auch kein Beinbruch mehr. Wie verhältst du dich? Wie wahrst du dein Gesicht? Nimm mich, ich weise noch heute jede Woche drei Annäherungsversuche zurück. Ich habe meinen Ernst, nicht die Welt, nein, also laß den Kerl von der Bühne abtreten, heirate, ich habe einen Mann für dich in petto.«

»Nein«, sagte Edmunda, »ich will den und keinen anderen, es ist so kompliziert, weißt du, der Frau beizubringen, daß er sie nicht mehr liebt.«

Wir redeten eine Stunde und länger, ich brühte Kaffee und aß Kuchen, bis Edmunda sagte, »iß doch nicht soviel, Tante.« Mir blieb der Kuchen im Halse stecken, Edmunda gab mir zurück, was ich ihr eingebläut hatte. Gut, sagte ich, hol dir dein Glück, mein Kind, auf mich kannst du immer rechnen.

Das war wieder nett, wie Edmunda mich an sich drückte, dankbar.

An irgendeiner Fachschule nahm Edmunda ein Studium auf, ich glaube an einer Handelsfachschule. Sie quartierte sich tagelang bei uns ein, Ernst half ihr bei den Schularbeiten. Selbstlos brachte er ihr dieses Opfer, ich muß sagen, recht verstand ich das alles nicht mehr. Wozu plagte sich das Kind noch? Hatte sie es nicht geschafft? War sie nicht weiter gekommen als andere in ihrem Alter? Wozu also erneute Anstrengungen? Die beiden saßen häufig bis in die Nacht auf, ich lag im Bett und schlief. Im Einschlafen hörte ich manchmal Schallplattenmusik, Gelächter, und ich dachte, die beiden machen eine Pause, sollen sie.

Ernst äußerte, das Kind wachse ihm immer mehr ans Herz, und niemand könne den Reizen der Jugend auf die Dauer widerstehen, am wenigsten ein Mann, wenn es sich um junge Mädchen handele.

Um Edmunda zu zerstreuen, auch um sie von dem Kerl abzubringen, zu dem sie, wie ich annahm, noch Beziehungen unterhielt, reisten wir gemeinsam an die See. Im Quartier mußten wir die Meldescheine ausfüllen, und ich bemerkte, daß dieser Empfangszwerg Edmunda für Ernsts Frau hielt und mich für die Schwiegermutter. Das war an und für sich nur lustig, der Urlaub war es weniger. Ich füllte den Strandkorb aus, Edmunda und Ernst saßen nebeneinander in einem anderen. Ernst in getigerter Badehose, ein stämmiger, leicht glatzköpfiger Endvierziger, der seinen Bauch verloren hatte, wie ich feststellte. Edmunda im Badeanzug mit Kettchen um den Bauch, wie ich es sie gelehrt hatte. Manchmal spielten die beiden mit einem Ball, manchmal schwammen sie weit raus, bis zur Boje. Ich drehte mich, um und schlief.

Was blieb mir übrig?

Ernst klagte ja immer über Ausfallserscheinungen, um das böse Wort Impotenz zu vermeiden.

Um es kurz zu sagen, ich bin kein Freund von langen Reden, seine Impotenz erstreckte sich nicht auf Edmunda. Ich war das Opfer meiner Erziehungsmethode geworden. Ernst stieg zu seiner angeheirateten Nichte ins Bett, und Edmunda war geschmacklos genug, das zuzulassen, vielleicht noch zu provozieren. Das ist die nackte Wahrheit und der blanke Hohn auf alle die guten Ratschläge, die die EE's anderen Leuten erteilten. Tief gekränkt teilte ich meiner Schwester diesen Sachverhalt mit, ein sauberes Paar, aber meine Schwester, mit der ich nie auf gutem Fuße stand, schrieb zurück, ihre Tochter sei jetzt sechsundzwanzig und müsse allein entscheiden, was sie zu tun und zu lassen habe. Sie, meine Schwester, billige das nicht, aber sie sehe auch keine Möglichkeit einzuschreiten.

Groß in Form stiefelte ich in meine Redaktion und trank mit den Damen, die ich ja auch aus dem Paradies kannte, Kaffee. Allesamt waren wir Eheruinen, ungeschickte Handwerker. Die Damen sagten ja auch, man dürfe so etwas nicht zu ernst nehmen, in vielen Fällen zeitige sich eine günstige Wirkung durch passive Bearbeitung solcher Fälle. Meist würden die Männer gern wieder zu den gewohnten Fleischtöpfen zurückkehren, falls man ihnen den Rückweg offenhalte, im Grunde seien alle Männer faul, gefräßig und versoffen, aber sie wandelten sich mit zunehmenden Alter. Mit Abnahme ihrer Fähigkeiten zögen sie es vor, schöngeistige Vorträge zu halten. Das sei ein Konflikt, der zusammenhinge mit der Rolle der Frau als geschichtliches und gesellschaftliches Wesen.

Ich muß sagen, diese vernünftigen Vorstellungen nutzten bei mir wenig. Mir fiel auch ein Brief Edmundas in die Hände, der mich dermaßen bloßstellte, daß ich drauf und dran gewesen bin, Edmunda die Tür zu weisen. Ich lief von Pontius zu Pilatus um mein Recht, erfolglos. Dann kam ich auf den Einfall, die Kranke zu spielen, um Mitleid zu erwecken. Mir wurde aber bald klar, als ich im Bett lag, Edmunda und Ernst zur Seite, daß die Hilflosigkeit, die ich ihnen vorspielte, sie eher noch in dem Gefühl bestärken mußte, ich sei eine alte Schachtel, zu nichts mehr nutze. Es kam, warum soll ich es leugnen, zum Handgemenge, die von mir geschärften Drachenkrallen brachten mir ein paar tiefe Risse bei, auch Ernst bekam sein Teil. Zum Ende dieses Auftritts verbanden wir uns gegenseitig mit Mull und waren nun reif für ein klärendes Familiengespräch.

Ich sagte, daß eine Scheidung nicht in Frage komme, stellte aber anheim, die Dinge vorerst zu belassen, wie sie waren. Eine Hängepartie gewissermaßen. Ich warte also ab.

Einen Ausgleich in meiner verzweifelten Verfassung bietet mir das Paradies. Mit Befriedigung vermerke ich, daß immer mehr Damen nach meiner pflegenden Hand verlangen, ich bin zum Alltag zurückgekehrt. Abends ist es wie sonst. Edmunda deckt den Tisch, wir setzen uns, erzählen ein bißchen. Dann ziehe ich mich zurück. Ich begreife, daß die beiden allein sein und nicht immer eine alte Frau um sich haben wollen.


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