Читать книгу Sechs Erzählungen - Helmut H. Schulz - Страница 4
Eine Platte für Frank
ОглавлениеFrank ist nie pünktlich gewesen. Wir wunderten uns deshalb nicht, daß er uns warten ließ, aber wir sahen häufig zur Uhr. Wir brachten eben nicht mehr die Geduld mit Frank auf, die uns früher selbstverständlich gewesen war. Seine Schlamperei empfanden wir heute als rücksichtslos gegen unseren Zeitplan. »In einer Viertelstunde fangen wir an«, sagte Mama, «egal, ob er da ist oder nicht.» Wir sagten gar nichts zu Mamas Bemerkung, wir taten, als hätten wir nichts gehört, mein Mann und ich. Natürlich hätte Frank Rücksicht darauf nehmen müssen, daß wir uns ein paar Stunden für ihn stahlen.
Früher war es immer so lustig bei Mama und Papa. Ich meine, problemlos war es. Nach zehn Jahren, etwa so lange hatten wir uns nicht gesehen, läßt sich da nicht einfach anknüpfen. Die Jahre. Papa ist immerhin sechsundvierzig, Mama sogar noch älter. Schließlich sagte Papa: »Weshalb wollen wir eigentlich noch warten? Wir wissen doch, daß Frank vielleicht in einer Stunde kommt oder in zwei Stunden oder gar nicht.« Herausfordernd sah Papa uns an. Er traf immer das Richtige, daran erinnerten wir uns noch gut, mein Mann und ich. Verändert hatte sich Papa eigentlich kaum, vielleicht war ein bißchen Speck dazugekommen. Die Hose spannte etwas über dem Bauch. Wäre Papa allein gewesen, hätte er wahrscheinlich den Knopf oben geöffnet. Feist, ich meine, feist war sein Gesicht schon immer und energisch, keine Hängebacken oder so. Ein fleischiges, energisches Gesicht mit runden kühlen Augen, starkem Kinn. Mehr als weiß ich wie viel Prozent unserer Männer sind zu dick. Papa trug lange Koteletten und ließ sein dünn gewordenes Haar lang über die Ohren wachsen, wie die Jungen heute. Mode, Anpassung; wir haben da so eine Art Playboy hervorgebracht. Ich bin dagegen. Tragen soll das, wem es steht. Papa stand es nicht. Auch die ausgestellten Hosen paßten nicht zu Papa. Meine Sorge, jeder blamiert sich, so gut er eben kann. Bei meinem Mann achte ich auf diese Kleinigkeiten. Harald würde sich auch ohne weiteres anpassen. Der Bart, gut, warum nicht? Aber sonst? Ein Gentleman trägt Mode von gestern, daran halte ich mich und ihn. Harald ist mein Mann und kein Traumheld, er ist nicht dick und auch nicht mager. Lange Haare könnte er sowieso nicht tragen, weil ihn vor einigen Jahren Ausfallserscheinungen heimsuchten. Seither trägt er Glatze. Seine Stirn fällt in der Mitte leicht ein, er hat eine kleine klumpige Nase, Augen ohne Farbe und Ausdruck. Seine Bäckchen sind glatt. Als mein Mann einen Bauchansatz bekam, schickte ich ihn in die Sauna. Seit wir unseren Bau auf dem Halse haben, braucht er keine Sauna mehr.
Die Viertelstunde war noch nicht rum, da sagte Mama: «Neugierig bin ich, ob Frank solo kommt.»
«Solo natürlich», sagte ich, und mein Mann gab seinen Senf dazu. «Natürlich solo, der ist nicht so dumm wie wir.» Mama und Papa protestierten, ich schwieg, obgleich die Bemerkung für mich bestimmt war. Den Hieb habe ich eingesteckt, erst mal. Ich nahm mir vor, mich gründlich zu betrinken.
Ich muß feststellen, daß wir Frank mochten. Er war uns sympathisch, sehr sogar, und natürlich plagte uns auch die Neugier, wie Frank nach zehn Jahren aussehen würde. «Darf ich dann bitten», sagte Mama mit einem Blick auf die Uhr.
«Die Viertelstunde hätten wir wirklich noch warten können», sagte ich. Wir rückten um den Klubtisch zusammen. Mama hatte ein kleines Büfett gemacht, niemand anders als sie brachte ein kleines Büfett so sauber zustande. Schinken, Salami, Cremespeisen, alles mögliche aßen wir. Es gab Maibowle. Ich trank drei oder vier Glas.
«Wo habt ihr denn Waldmeister aufgetrieben», fragte mein Mann kauend.
«Gott», sagte Papa lachend, «wo treibt man heutzutage überhaupt etwas auf? Ich bin zwei Stunden mit dem Wagen rumgekutscht, dann hatte ich welchen. Das ist alles.»
Zufrieden erläuterte Mama: «Kinder, wir haben uns einen ganz schönen Lebensstil angewöhnt, was?» Mama liebt das Burschikose, ihr rundes weiches Gesicht verschwand fast hinter der großen schwarzen Brille. Ihre Zähne waren weiß und klein, deshalb wirkte Mama frisch und gesund, etwas zu füllig vielleicht, pummelig.
Haarersatz, mein Mann hat natürlich nichts gemerkt, aber ich sofort. Das Lockennest hinten sah einen Schein anders aus. Mit ihrem Haar hat Mama immer Kummer gehabt. Es war fettig, dünn und vertrug keine Frisörbehandlung. Es machte auch nichts; Papa legte wenig Wert auf Schönheit. Mamas Kleid war unmöglich. Es müßte sich doch mal rumsprechen, daß große Blumen nichts für Dicke sind. Dazu der Schmuck, ein Goldarmband, so um tausenddreihundert. Man sieht das Zeug ja heute in jedem anständigen Juweliergeschäft herumliegen. Mama und Papa verdienen beide gut, klar, trotzdem, das Haus, gerade erst gebaut, die Kinder in dem Alter, wo sie am teuersten sind. Beide, Junge und Mädchen, studieren. Es ist eine Schande, ich muß das wirklich sagen. Ich meine, unsere Herkunft Arbeiterklasse haftet uns an. Jetzt werden wir dafür bestraft, daß wir gedarbt haben, uns heraufarbeiteten, wo andere bloß ans Verdienen dachten. Ein Stipendium für unsere Kinder kriegen wir nicht, wir müssen alles selbst aufbringen. Uns geht es ja ähnlich. Bald zumindest, wir haben auch zwei. Wenn wir für den Jungen eine gute Lehrstelle finden, muß er in die Lehre. Was er will, oder sagen wir, was eine Zukunft hat. In diesem Punkt bin ich mit meinem Mann einig.
So wendete sich das Gespräch erst mal den Kindern zu. «Ich weiß gar nicht, was da los ist», sagte Mama, «unsere Kinder machen kein Hehl daraus, so bald als möglich weg von zu Hause. Das liegt an der Zeit.» Papa widersprach: «Das ist doch ganz natürlich, waren wir anders?» Ich schwieg dazu, auch mein Mann sagte nichts. Für unsere Kinder sind wir Spießer. Nach dem Essen flaute die Unterhaltung etwas ab. Wir wußten eigentlich nicht so recht was anzufangen mit dem Abend. Die Du-erinnerst-dich-doch-Themen erschöpfen sich ja immer schnell. Es lag auch zu viel Zeit zwischen dem Labor der Organiker von damals und dem beruflichen Ärger von heute. Jetzt hätte Frank erscheinen können, fanden wir, aber er kam nicht. Wir mußten allein mit diesem Abend fertig werden.
«Kommt ihr noch manchmal weg», fragte Mama. «Kaum», sagte mein Mann, «wohin denn? Bis auf die Sommerreise, die lassen wir uns nicht nehmen. Anita hat eine nette Bekanntschaft im Reisebüro. Das klappt, nur kommt man sich da schon wie zu Hause vor. Immer dieselben Leute, aber wo sollen wir hin?»
Anita bin ich. Das stimmt schon mit Nessebar. Jedes Jahr ist es der gleiche Tanz, Nessebar oder nicht. Jetzt, wo wir unser Haus bauen, fällt es uns auch schwer, die Kosten aufzubringen. Im vergangenen Jahr haben wir es so gemacht: das Auto hinten mit Lebensmitteln vollgestopft, Wurst und Fleisch, alles in diesen kleinen Portionsbüchsen. Eine Freude? Ich weiß nicht.
«Uns zieht es auch nicht mehr weg, seit wir das Haus haben», sagte Papa, »dauernd fällt etwas an. Abends haben wir auch das Fernsehen. Was haben wir eigentlich gemacht, als es noch keins gab? Man kann es sich gar nicht mehr vorstellen.« Das ist richtig.
Mein Mann sagte: «Ich habe mir auch, noch die Arbeitsgruppe aufhängen lassen.«
«Da habe ich von vornherein klare Verhältnisse geschaffen», sagte Papa energisch, «acht Stunden, meinetwegen neun, mehr nicht. Man muß auch mal an sich denken.» Stimmt schon, aber ohne die Arbeitsgruppe hätten wir den Bau gar nicht anfangen können. Sie brachte doch ein schönes Stück Geld. Zusätzlich.
Mama schlug vor, den Tisch abzuräumen. Wir Frauen brachten das schmutzige Geschirr in die Küche. Mich ekelt es, ich habe mich an alles gewöhnt, nur nicht daran, dreckiges Geschirr abzuwaschen. Mama sagte: «Der Wasserhahn, Papa wollte da so eine Scheibe auflegen.» Sie rief nach Papa, der kam auch, von Harald, also meinem Mann, begleitet.
«Entschuldigt», sagte Papa, «mit so einem Haus hat man mehr Ärger als Freude.»
»Kann ich dir was helfen«, erbot sich mein Mann.
»Ich bitte dich«, sagte Papa, »das wäre noch schöner, du bist mein Gast. Legt euch doch eine Platte auf, wir kommen sofort wieder rein.«
Wir, mein Mann und ich, verschwanden erst mal von der Bildfläche. Die machen ein Trara um ihr Haus, dabei ist es ungemütlich und verbaut. Ich habe es am Nachmittag festgestellt, als uns Papa herumführte, vom Dach bis zum Keller. Wir fanden nicht mal einen Parkplatz, jetzt muß das Auto draußen auf der Straße stehen. Auch seine Garage hat Papa ungünstig angelegt.«
»Falls Frank Geschmack hat«, sagte mein Mann, »dann erspart er uns dieses Wiedersehen.« Ich nahm erst mal eine Zigarette, mein Mann gab mir Feuer, sah mich aber nicht an. Ich kenne das. Wenn er verstimmt ist, bin ich Luft für ihn fehlte nicht viel, und er würde mich mit Sie ansprechen.
Ich sehe gut aus, sehr gut, muß ich sagen, ich meine, für mein Alter. Meine Figur ist noch ausgezeichnet. Zu meinen dunklen Augen paßt ein grelles Rot auf meinen vollen Lippen. Auch mein Haar verträgt noch was. Selbst meine Kosmetikerin macht mir Komplimente, obwohl ich ahne, daß sie sich selber auf diese Weise herauszustreichen sucht. Meine Zähne sind nicht mehr ganz in Ordnung. Deshalb lache ich selten und gelte als ernste, zurückhaltende Frau von einem stillen Charme. Ich rauchte also und trank auf die Schnelle zwei Glas Bowle. Mein Mann spürt kein Verlangen mehr nach mir, aber ich weiß genau, daß er um andere, die weniger gut aussehen als ich, herumbalzt. Ich wollte ihn aufstacheln und sagte gelangweilt: »Sprichst du jetzt von Frankieboy?« Wir Studentinnen nannten Frank damals so. »Von wem sonst«, sagte mein Mann, »Frankieboy, wenn ich das schon höre«
Mama und Papa kamen zurück, deshalb mußten wir uns zusammennehmen und das abgeklärte Ehepaar spielen. Ich hatte genug von der labbrigen Bowle und fragte, ob es nichts anderes zu trinken gebe. Papa öffnete daraufhin eine Flasche Weinbrand. Mama stellte ein Gerät auf den Tisch und setzte den Spiritusbrenner darunter in Gang. Papa erwärme Kognakschwenker über der bläulichen Flamme und goß Weinbrand ein. »Trinkt das mit Verstand«, sagte Mama nach diesem Zeremoniell Donnerwetter, die ließen alle Minen springen. Ich habe nichts gesagt, den Spaß machte ich ihnen nicht. Mama sagte denn auch: »Das hat Papa aus dem Ausland mitgebracht, probiert mal, das Aroma wird tatsächlich besser. Wißt ihr noch, wie wir früher Weinbrand getrunken haben? Halb kalt? Wir wußten es ja nicht besser, wir Kröten aus dem Hinterhof.« Napoleon, so hieß der Schnaps, schmeckte ausgezeichnet, ich trank vielleicht zwei, höchstens drei Glas. »Kommst du denn so oft ins Ausland«, fragte mein Mann Papa. »Hin und wieder. Wir verkaufen ja Chemieausrüstungen, du mußt eben einen Anlaß für eine Dienstreise finden«, sagte Papa. »Ihr bedient euch wohl selbst?«
Hier zeigte es sich, daß wir ein bißchen den Anschluß verloren haben. Weiß der Teufel, wie Papa sich etabliert hat, uns stand so was nicht ins Haus. Wir kleben in unserer Farbenfabrik fest. Ich will ja nichts sagen, uns geht es gut. Wir wären auch dumm, würden wir die Annehmlichkeiten unserer Verträge mir nichts, dir nichts aufgeben, für eine ungewisse Zukunft hier in Berlin.
Mein Mann erzählte dann ein paar lustige Schnurren von unserem Bau. Mit der Baugrube fing das Theater schon an, kein Betrieb wollte uns kurzfristig die Baugrube ausheben, aber man ist ja geeicht auf solche Pannen. Zufällig haben ein paar Leute an unserer Straße gebaut, unsere, das heißt, bei uns in Thüringen. Ich habe den Brigadier angesprochen, am Sonntag rückte die ganze Truppe an, zwei Stunden später hatten wir unsere Baugrube. So macht man das. Scheck wollten die Männer nicht. Die paar tausend Mark haben wir uns von den Nachbarn zusammengeborgt. Papa lachte Tränen, ich meine, so wie Papa kann kein Mensch lachen, so von Herzen, sein Lachen steckte uns an. Mit dem Napoleon stellte sich natürlich auch die Stimmung ein. Papa holte noch Wodka, aus dem Kühlschrank, eisgekühlt. Ich muß sagen, ich ziehe eisgekühlten Wodka vor, zumindest dem Kognak. Ist Geschmacksache, zugegeben.
Mama legte eine Tanzplatte auf. »Kinder«, sagte sie, »das ist ja wie in den alten Tagen. Man müßte öfter zusammenkommen, nicht bloß alle zehn Jahre.«
»Wenn unser Haus fertig ist«, sagte mein Mann, »dann sind wir an der Reihe.«
Es war reichlich halb elf, als es draußen klingelte.
Mama sprang sofort auf. Frank hatten wir fast vergessen. »Das ist er«, sagte Mama und ging nach draußen. Wir folgten ihr langsam in die Diele und sahen, wie Mama Frank umarmte. Wir waren genau in der richtigen Stimmung, ihn zu empfangen. Er war solo. Mein Mann drückte meinen Arm, ich machte mich natürlich los und trat auf Frank zu. Seine Lederjacke roch nach Schweiß und nach Chemikalien. Frank war überrascht, als er mich sah. Ich muß sagen, ich habe diese Überraschung auf seinem Gesicht genossen. Er zog mich an sich, legte mir auch den Arm um den Nacken. Einen zähen und starken Körper hat Frank immer gehabt, nicht fett und schwammig. Auch sonst, kein Bart, keine Dackelfrisur, alles wie früher, dichtes dunkles Haar, die eingeschlagene Nase, ein paar Wangenfalten, braun und gesund, wie aus dem Urlaub. Frank war früher Ringer, Leichtgewicht oder Bantam, ich kenne mich da nicht aus. Wir Studentinnen gingen jedenfalls gern zu den Wettkämpfen. Merkwürdiges Gefühl, dieses Ziehen im Leib, wenn unten auf der Matte die Muskeln explodierten, reden wir nicht davon.
Natürlich war es Mama, die zuerst daran dachte, daß Frank nicht gegessen hatte. »Ich mach dir Würstchen heiß, mein Junge«, sagte sie, »willst du?«
»Später, Karoline«, sagte Frank, großartig machte er das. Im Triumph führten wir ihn ins Zimmer, ließen ihn sich setzen. Ich muß noch erzählen, wie Frank meinen Mann und Papa begrüßte. Die Arme erhoben wie auf einem Siegerpodest nach einem Ringkampf, schnippte er mit den Fingern, na, ihr faulen Säcke? So mit der Haltung unser Mann aus, na, woher gleich? Ich weiß nicht.
Mama nahm Franks braune kräftige Hände in die ihren, die ein bißchen verfettet waren. Frank kriegte das wieder richtig hin, ohne Mama zu verletzen. Er ließ ihr einen Augenblick lang seine Hände, dann fingerte er eine Zigarettenschachtel aus der Brusttasche seiner Lederjacke und steckte sich eine an. Er sah aus, als habe er sich Mama gedankenlos entzogen.
Frank trug eine enge Hose, unter der Lederjacke ein buntes Hemd. Seine dunklen Schlitzaugen, mongolisch, funkelten, als er zur Begrüßung einen Wodka trank, wie ein Kutscher, Kopf nach hinten, zack. »Alle hast du wohl nicht zusammengekriegt«, fragte er Mama. »Nein«, sagte Mama, »ich wollte auch gar nicht alle hier haben, das Haus ist ja nicht groß.« Wir hechelten dann das Seminar durch. Viel kam dabei nicht raus. Papa sagte zu Frank: »Du siehst aus wie ein Räuber. Willst du dich frisch machen?«
Da erst fiel uns der Gegensatz richtig auf. Wir trugen ja zur Feier des Tages unbequeme enge Kledaschen. Mich ärgerte, daß ich nicht auf den Putz gehauen hatte. Hosen stehen mir, offene Bluse, ich meine, oben die beiden ersten Knöpfe offen, kein BH natürlich. Ich kann es mir leisten, meine Brust ist noch straff, ich sage immer, tragen soll man, was einem steht. Haare hinten aufgebunden, Blusenärmel aufgekrempelt, Sandalen, rot bemalte Zehennägel, so hätte ich mich wohl gefühlt, wohler, meine ich. Die anderen hätten ruhig so bleiben können.
«Ich komme gerade von der Schicht», sagte Frank, mein Frank, sein Lächeln war unverkennbar ironisch. Klar, er hätte mit zwei Griffen Papa an die Wand pfeffern können, von meinem Mann zu schweigen. Ich weiß nicht, was der neuerdings hat, dauernd schleppt er die Flasche mit dem Herztonikum herum. Wird nicht so schlimm sein, denke ich, er läßt sich in die Krankheit fallen. Franks Lächeln, ja, darüber waren mal alle Weiber unseres Seminars gestolpert, außer Mama, die in jedem jungen Mann ein zu bemutterndes Kind sieht und in jedem älteren eine Respektsperson. Wird auch ein gut Teil Heuchelei dabei sein, oder nein, nicht bei Mama, die ist so hausbacken. Sie ging damals auch schon mit Papa, gesucht und gefunden, das Seminar war da einer Meinung.
Papa sagte: «Moment mal, wir haben deine Anschrift von Danzer bekommen, der hat aber nichts davon gesagt, daß du Betriebschemiker bist. Wie verhält sich das? Klär uns mal auf.» Ich hätte schreien können über die dämlichen Gesichter, aber ich hielt mich zurück, versteht sich. Eins muß ich sagen, als mein Frank mich damals sitzen ließ, als ich hinter seine Liebschaften kam, ich bin dicht dran gewesen, Schluß zu machen, aber meine Bude hatte keinen Gasanschluß. Was anderes kam nicht in Frage. Heute bin ich ganz froh, Kindereien sind das, auch das andere, der Traum vom Eheglück mit Frank, und was hätte mir ein Fuchs an der Kette genutzt?
Frank antwortete erst mal gar nicht, und Mama rettete die Situation. «Ab ins Bad, ich mach dir inzwischen Würstchen heiß. Annilein hilft mir, ja?»
Natürlich war Mama imstande, Frank den Rücken abzuseifen, ohne daß was passiert wäre, da bin ich sicher, fast sicher. Mama ging in die Küche, Papa und Frank verschwanden im Badezimmer. Ich hatte schon einen kleinen sitzen. Mein Mann warf sich in den Sessel zurück und lachte lautlos, sein schwaches, energieloses Kinn wabbelte. «Hör auf», zischte ich. «Entschuldige», sagte mein Mann, «das ist einfach zu komisch. Der Musterknabe, Danzers Kronprinz, Frank, der heute Professor sein könnte, würde er gewollt haben und sich nicht so blöde angestellt, der Beischläfer vom Dienst, der fährt heute noch in einer Chemiebude Schicht. Wenn das nicht komisch ist, dann weiß ich nicht.»
Es ist wahr, ich habe ihm eine geschallert, eine saftige, nicht bloß die leichte Andeutung einer Schelle. Sein Bäckchen verfärbte sich auch gleich rosa. Meinem Mann verschlug es die Sprache. Das war ein seltener Genuß, ich hätte das schon eher tun sollen, es löst Spannungen. «Für den Beischläfer», sagte ich, glänzend in Form, «wir wollen doch einen Rest Anstand zwischen uns wahren.» Ich ließ meinem Mann keine Zeit, sich was auszudenken, sondern zog mich in die Küche zurück.
Mama arbeitete schon am Herd. Sie zeigte ihre Küche mehr vor, als daß sie damit arbeitete, eine Küche mit allen denkbaren Maschinen, mit Rauchabzug und Grill, alles eingebaut. Mama brauchte ja nur einen kleinen Topf, um die Würstchen heißzumachen. «Ist Papa bei Harald», fragte sie. «Du», sagte ich schluckend, mir wurde ein bißchen mies, Mama verstand es falsch, denn sie sagte: «Tu mir den Gefallen und heul jetzt nicht, daß alle Weiber immer gleich heulen müssen, ich habe sofort gesehen, daß es zwischen euch nicht mehr stimmt. Jetzt mach ich mir Vorwürfe, Frank überhaupt eingeladen zu haben. Ich habe nicht gewußt, wie tief es bei dir sitzt. Gib mir mal den Lappen rüber», sagte sie resolut. Ich reichte ihr den Topflappen. Wenn es darauf ankommt, kann Mama ganz schön falsch sein. «Wir sind ja nicht mehr auf unsere Männer angewiesen», sagte Mama streng, «wenn es eben nicht mehr geht, machen wir halt Schluss.» Sie nahm die Würstchen vom Herd, wedelte mit dem Deckel den Kochdunst ab und roch an den Würstchen. Nett machte sie das, eine hübsche Platte für Frank mit Senf und Toast, Gurkenscheiben und Salatblättern. «So einfach, wie du denkst, ist es nicht», sagte ich. «Das weiß ich doch, Kind», sagte Mama, «aber für den Fall, daß es überhaupt nicht mehr geht, machst du eben Schluss.» Das ist es, wir wissen ja nie, ob es überhaupt nicht mehr geht, zumal jetzt, wo wir das Haus, bauen. Ich habe ja auch dafür mitgearbeitet. Vielleicht könnte ich das Haus behalten und meinen Mann an die Luft setzen. Heute sollten Dachbinder geliefert werden, eigentlich hätten wir uns diese Reise nach Berlin gar nicht gestatten dürfen.
«Willst du wissen, wie du aussiehst», sagte Mama, «in der Diele hängt ein Spiegel.» Das konnte sie sich nicht verkneifen. Den Spiegel hatte ich gleich gesehen, altes Stück im verschnörkelten Goldrahmen, ich habe meinen Mann angestoßen. Wie man ein Haus so konsequent geschmacklos einrichten kann, bleibt mir ein ewiges Rätsel. «Was besagt das schon», meinte ich. «Versau uns nicht den Abend», sagte Mama hart, «nimm dich ein bißchen zusammen.»
Wir gingen ins Zimmer zurück. Frank war noch nicht da, aber mein Mann und Papa standen auf der Terrasse. Mama ordnete den Tisch, nett machte sie das wieder. Mama hätte das Zeug zu einer kalten Mamsell, würde sie nicht alles auffressen, was für die Gäste bestimmt ist. «Frank trank doch immer Bier», sagte sie, «lauf doch bitte in die Küche, im Kühlschrank stehen noch ein paar Flaschen, Kind.» Na schön, ich tat es.
Papa und mein Mann kamen herein, fröstelnd, denn die Maiabende waren noch kühl. Papa küßte Mama auf die Wange und sagte: «Nett, das wird dem Herrn aus der Großchemie wohl genügen.»
»Kleiner Imbiss«, sagte Mama stolz und bescheiden.
Wir setzten uns und warteten, es war wie zu Beginn des Abends, wir warteten auf Frank. Mama sagte: »Habt ihr eine Erklärung dafür gefunden, daß Frank im Betrieb sitzt?«
»Wegen seinem Fiasko mit dieser Pilotanlage«, sagte mein Mann. Mechanisch rückte Mama an dem Wurstteller herum.
»Das kann jedem passieren«, sagte Papa beschwichtigend, »das ist unser Risiko.«
»Risiko geh ich auch ein«, sagte mein Mann, »aber ich fordere niemand heraus. Wir kennen doch Frank, oder?«
Ich sah ihn an, aber die Backe war nur noch wenig gerötet, ich hätte fester zuschlagen sollen, für Frank. »Alle fünf Jahre ein neues Chemiekonzept«, sagte mein Mann, »mir können sie den Buckel runterrutschen. Ihr hier in Berlin merkt vielleicht weniger davon als wir da unten«, er winkte ab, weil Frank erschien.
Mein Frank trug ein weißes Hemd und einen Binder von Papa. Wir waren ja gewöhnt, daß Frank nur mitbrachte, was sich in den Taschen unterbringen ließ. Frank war frisch rasiert, überhaupt ging Frische von ihm aus. »Das Wichtigste hätte ich fast vergessen«, sagte er und fischte aus seiner Lederjacke zwei winzige Sträuße, »die ersten Veilchen.« Gerührt weinte Mama ein bißchen.
Ich? Ich hielt den Strauß fest zwischen meinen Händen. So stark rochen die Blumen, daß sie den Zigarettenrauch verdrängten. Früher hatte Frank Blumen für mich aus Danzers Garten geklaut. Ich muß wohl mal sagen, wer Danzer ist, unser alter Lehrer, Professor, Chemiepapst genannt.
»Hast du noch mehr Wunder in der Tasche?«, fragte Papa. Frank schüttelte den Kopf. Er nahm ein Würstchen, stippte es in den Senf und aß es.
«Ernsthaft», sagte mein Mann, «wir haben uns eben den Kopf darüber zerbrochen, warum du im Betrieb hängen geblieben bist.» Neugierig sahen wir dem ruhig essenden Frank zu. «Wir haben ja alle mal unseren gesellschaftlichen Pflichtteil eingebracht», sagte Papa, «zwei, drei Jahre Leim oder Gas, ganz gleich, um Erfahrungen in der Großtechnik zu sammeln, einverstanden. Dann aber Forschung oder was anderes. Schließlich sind wir promovierte Chemiker. In einem Betrieb versinkt doch bald alles in Routine.»
«Danzer kann dir wohl nicht helfen?», fragte mein Mann lauernd.
«Weshalb sollte mir Danzer helfen», fragte Frank. Er schob den Teller weg, und Mama nahm gedankenlos vom Tisch, sie räumte auf mit dem Würstchenteller. Also ich muß sagen, verstanden haben wir alle nicht, welchen Spaß Frank an der Großchemie haben könnte. Es war bloß großartig, wie er da saß, mit dunklen Mongolenaugen, geschmeidig und zäh, ein Mann eben. Mein Frank.
»Danzer ist schon in Ordnung«, sagte Frank schließlich, »aber sonst? Ein Institut mit allen Intrigen, Kriecherei, Heuchelei. Draußen ist für solche Faxen weniger Zeit.«
Mama nickte überzeugt. Sie hatte nie einen Fuß in eine Bude gesetzt, freiwillig nicht. Auch Papa stimmte nachdrücklich zu. »Du hast schon recht«, sagte er, »wenn du es so nimmst. In der Produktion ist man heute tatsächlich am besten aufgehoben, da kann man noch eine Lippe riskieren. Uns ist wahrhaftig nicht immer wohl in unserer Haut«.
»Sucht euch doch was Besseres«, sagte Frank, »unten werden immer tüchtige Leute gebraucht,« Frank, den riß keiner um.
Mein Mann lächelte mitleidig. »Nicht jeder kann einfach weglaufen, dem es nicht mehr paßt, mein Lieber.« Ich traute meinen Ohren nicht, mein Mann sagte tatsächlich mein Lieber zu Frank.
Der erwiderte schlicht: "Mir machst du nichts vor, Klaus, ihr sitzt hier wie angeschraubt, euch müßte man mit der Brechstange losmachen.« Mein Mann im Doppelnelson.
»Die Geschichte damals mit der Pilotanlage«, sagte mein Mann, sich noch immer wehrend, »die hat dich wohl aus der Bahn geworfen?«
»Ich habe mein Verfahren durchgesetzt«, sagte Frank; »richtig, ich habe auf der Schnauze gelegen, bin aber dran geblieben.« Peng, da lag mein Mann, Schultersieg, mir tat das wohl.
»Du machst, was du für richtig hältst«, sagte Mama nun, »und jetzt sprechen wir über was anderes als über Arbeit, die haben wir jeden Tag. Dazu sind wir nicht zusammengekommen.«
«Meinetwegen«, sagte Frank, »aber ich spreche gern über Arbeit.« Mama hatte meinen Mann gerettet, schade ich hätte gern mal gesehen, wie Frank auf seiner Brust kniete und den Atem aus ihm rausquetschte.
Frank tanzte zuerst mit Mama, sie hatte beide Arme um seinen Hals gelegt. Unter dem Hemd zeichnete sich Franks fester Rücken ab. Frank war einen Kopf länger als Mama, die wie eine dickliche Puppe in seinen Armen hing. Ich gönnte es ihr, muß ich sagen. Dann kamen sie zurück zum Tisch. Frank trank, ich goß mir den Schwenker voll, mir war alles egal.
»Es steht schlecht um euch, Lina«, sagte Frank ziemlich laut, »man sieht es. Ich bin nicht gegen Haus, Auto und Wohlstand überhaupt, ich finde bloß, man sollte sich nicht ganz an solchen Mist ketten.«
Mama die solche Reden nicht liebte, schob ihn weg von sich, mir zu und sagte: »Red keinen Unsinn, man lebt nur einmal.«
»Eben«, sagte Frank. Dann tanzte er mit mir. Mein Mann und Papa beteiligten sich nicht an der albernen Tanzerei. Sie zechten, sie stritten sich, es wurde laut, sehr laut. Ich meine, sie stritten sich nicht richtig, es wurde nur laut, sie benahmen sich wie Angetrunkene, die ihre Hemmungen verlieren.
Ich? Ich hängte mich an meinen Frank, an früher dachte ich wie an das verlorene Paradies. Franks Bude lag im Obergeschoß eines Miethauses, mitten im Häusermeer Berlins. Wenn wir raussahen, morgens, vom Bett aus, hatten wir die Dächer der Stadt vor Augen. Mir war jetzt alles scheißegal, muß ich sagen, vielleicht hatte ich auch schon ein Ding weg. Ich küßte Frank lange und nicht bloß brüderlich oder schwesterlich. Er küßte mich auch, und ich ließ es mich was kosten, ihn scharf auf mich zu machen. Mama saß ausgebootet im Sessel und glotzte wütend vor sich hin.
»Du, vielleicht war das falsch, damals«, sagte Frank zu mir, zärtlich. Ach, Frank, wären wir doch weggegangen. Ich bat ihn um seine Adresse. Ich hätte Mama um seine Anschrift bitten können, aber die würde natürlich getratscht haben. »Im Ernst«, fragte er.
Verdammt noch mal, hätte ich doch Hosen und die alte Bluse an, ohne BH, Knöpfe oben offen, ich hätte Frank viel stärker gespürt. Wer konnte ahnen, daß Frank solo käme? Ich bin ja wie eine Witwe, alle drei Wochen mal, und dann auch nichts rechtes. »Nimm mich doch mal fest in den Arm, Frank«, bat ich, »mein großer Junge, mein Mongole, na, los, mach schon.« Er war ein bißchen verwirrt, er zögerte, sah schnell zu meinem Mann hinüber, und da endlich, nach so vielen Jahren, ging mir auf, was für eine dumme Kuh ich damals gewesen bin, zu jung, meine ich.
Stimmt, ich hatte einen sitzen, sonst würde ich natürlich meinen Rand gehalten haben. Frank ist geschieden, den hat die Erinnerung an unsere Zeit damals auch nicht losgelassen. Ich kann mich bloß nicht mehr genau entsinnen, aus welchem Anlaß und wann wir uns trennten.
Schluß habe jedenfalls ich gemacht, mit großer Szene und so. Die sollten uns jetzt mal vierzehn Tage allein lassen, auf einer Insel. Mach mich doch mal richtig fertig, Frank, Doppelnelson, oder kleb meinem Mann mal eine.
Das muß eine ganze Weile so gegangen sein, mir drehte sich alles, bis Mama den Tonarm von der Platte nahm und laut und deutlich sagte: «Nun ist Schluß, macht bloß halblang, ich brüh Kaffee.»
Es ging auf zwei. Mama war in der Küche und schrie alle Augenblicke nach mir. Da hatte ich die Nase voll und schrie auch, leck mich doch du alte Ziege, oder etwas ähnliches, nichts Feines und Anständiges jedenfalls. Mein Mann machte den Fehler, sich einzumischen. Er hielt mir einen Kurzvortrag über Moral, glaube ich. Mir drehte sich alles, wie gesagt. »Du auch«, schrie ich, »nimm bloß deine dämliche Visage weg, sonst schmier ich dir noch eine rein, du alter Niesfisch, faul, fett und träge. Ich halte es nicht mehr aus, ich geh weg.« Ich kann hier nicht alles genau wiedergeben, einfach deshalb, weil ich das meiste vergessen habe. Vielleicht hätte Mama mit ihrer Wachsamkeit das Schlimmste verhindert, aber Mama war eben in der Küche. »Ich mach nicht mehr mit«, sagte ich noch, »ich geh zu meinem Frank.« Ich schrie weiter solch ungereimtes Zeug, dann kam Mama herein und brachte mich weg. Natürlich ging ich nicht einfach mit, mein Mann und Papa halfen ihr. Ich schlug um mich, versuchte meinen Mann zu schnappen, aber der hielt sich außer Reichweite. Schließlich kriegten sie mich unter. Mein Mann rächte sich, er griff fest zu, an meinem Arm habe ich noch blaue Flecke. Sonst ist mein Mann zu nichts fähig. Dann lag ich in Mamas Bett und heulte, schlief aber wohl darüber ein. Beim Erwachen lag ich still und lauschte. Aus dem Zimmer hörte ich das Gesumm von Stimmen, allmählich, je länger ich über das Vorgefallene nachdachte, kam eine tiefe Befriedigung über mich. Ich, die promovierte Chemikerin, die zierliche und nette kleine Frau, die immer still ist und selten aus sich herausgeht, die immer zu allem Ja und Amen sagt, ich hatte endlich mal Luft abgelassen. Ich denke nicht daran, das Haus zu räumen, ich bleibe, wo ich bin. Scheiden laß ich mich auch nicht.
Hin und wieder werde ich so ein Ding drehen wie heute.
Frank, na ja, es ist schon besser, es bleibt, wie es ist.
Ich stand auf, ging ins Bad und besah mein ramponiertes Gesicht. Das kriegte ich schon hin mit heißem Wasser und Farbe. Es dauerte, aber ich hatte ja Zeit. Dann bekam ich Appetit auf Kaffee und holte mir meinen Teil, Musik gab es keine mehr. Ich setzte mich bescheiden auf einen freien Platz und hielt meinen Sabbel. Die saßen herum und warteten auf den Morgen. Anscheinend hatten sich die Männer gestritten, klar, ich hatte auch ein bißchen Zündstoff gegeben, Franks Gesicht sah hart aus, ungefähr wie damals, bevor er in einen Kampf ging. Mama sagte schlecht gelaunt: »Bowle und Schnaps, Kinder, was haben wir früher mal vertragen.«
Papa sagte zu Frank, meinem Frank: »Das hättest du gleich sagen können, anstatt uns im dunklen tappen zu lassen. Vielleicht wär dann der Abend ganz anders verlaufen.« Ich wusste natürlich nicht, wovon die Rede war, wollte aber auch nicht fragen, denn ich hatte ja diese herrliche Party geschmissen. Bereut habe ich nichts,·mir war sauwohl.
Trübe Stimmung bei den anderen. Wir gingen raus auf die Terrasse. »Es wird schon recht früh hell«, sagte mein Mann, als verkünde er eine Neuigkeit. »Mai«, sagte Papa, »was willst du, die Tage werden bald schon wieder kürzer.« Wir redeten ziemlich vernünftig und sahen auch häufig nach der Uhr. »Habe ich viel Blödsinn geredet«, fragte ich beiläufig, sicher, daß ich in Gnaden wieder aufgenommen war. »Es ging, Schätzchen«, sagte mein Mann trocken, »Schwamm drüber.« So, jetzt bin ich endgültig mit ihm fertig, wie kann er sich das von mir bieten lassen, ohne aus dem Kleister zu gehen? Schwamm, ja, Schwamm saugt alles auf und gibt nichts wieder her. Andererseits, es war ja nichts zu machen, das Haus, die Kinder. Ich ging hin zu ihm und sagte: »Dachbinder, unsere Dachbinder sollten doch kommen, was meinst du?« Er erschrak sichtlich.
Im Zimmer saß Frank und schrieb etwas, die Adresse, ich schüttelte langsam den Kopf.
»Es ist eben immer dasselbe«, sagte Mama mißbilligend, »aufhören können, das ist die Kunst.«
»Fährst du gleich wieder zurück», fragte Papa meinen Frank, meinen Traummann. Das werde ich mir für stille Tage angewöhnen, ich schlafe im Wachtraum mit Frank, ohne mir was zu vergeben. «Ja«, sagte Frank. Nervös sagte Mama: »Wir sind etwas eng, aber es wird schon gehen.« Etwas eng ist gut, vier Zimmer habe ich gezählt. »Mach keinen Unsinn«, sagte auch Papa, »schlaf ein paar Stunden. Solche Touren enden im Krankenhaus.«
Dann stand Frank wieder im Räuberzivil in der Diele.
Keiner versuchte mehr, ihn zurückzuhalten. »Komm mal wieder vorbei, wenn du in Berlin bist», sagte Mama, katzenfreundlich, muß ich sagen, nichts mehr mit Küßchen in Ehren. Dann kam Papa an die Reihe. »Fahr vorsichtig«, riet er warm, »wie gesagt, du könntest auch bleiben, obwohl wir etwas eng sind.«
Wir sahen zu, wie Frank in den Wagen stieg, Trabant, ziemlich alte Kiste; stellte ich fest. Viel verdiente er wohl nicht.
»Den Jungen hat es erwischt«, sagte ich. Er tat mir leid, ich mochte nicht in seiner Haut stecken. »Den hat es erwischt«, sagte Mama mit Nachdruck, »der wird Danzers Nachfolger im Institut, mein Kind. In ein paar Jahren ist er dein Vorgesetzter, sozusagen. Der hat immer sein Ziel verfolgt.« Donnerwetter, da ist mir doch das Wichtigste entgangen, als ich im Jumm lag.
»Da schrubbt man jahrelang«, sagte Papa, »gönnt sich nichts, und so ein windiger Bursche macht das Rennen.«
»Alle zehn Jahre solch ein Besuch reicht mir eigentlich«, sagte Mama.
Mein Mann sagte: »Wir wollen uns mal jetzt keinen Kopf machen. Es muß auch Leute wie uns geben, die ohne Spektakel ihre Pflicht tun, sauber und anständig durchs Leben gehen. Im nächsten Jahr seid ihr bei uns zu Gast.«
Mama nickte. Ich? Ich ging noch mal rein und grapschte mir Franks Adresse vom Tisch. Vielleicht fahr ich doch zu ihm. Die kotzen mich an, alle.