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Vorwort des Autors

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Ein Unglück für den Lebenden,

daß er eine siegende Partei sich zum Feinde gemacht hatte,

ein Unglück für den Toten,

daß ihn dieser Feind überlebte und seine Geschichte schrieb.

Friedrich Schiller „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ über Wallenstein

Was Friedrich Schiller als allgemein gültiges Gesetz historischer Überlieferung und Erschaffung von Geschichtsbildern formulierte, beschrieb der englische Althistoriker Sir Ronald Syme im Jahre 1939 folgendermaßen: „The memory of Antonius had suffered damage multiple and irreparable“.1 Das Dickicht von Lügen, Halbwahrheiten und Verzerrungen, welches die geschichtliche Überlieferung über Antonius ausgebreitet hat, ist bis heute nicht wirklich durchdrungen worden. Dies erstaunt umso mehr, als das Problem selbst hinreichend bekannt ist: Der Sieger Octavian, der sich später Augustus nannte, hat die Überlieferung über seinen Gegner Antonius dergestalt kanonisiert, dass er selbst als Retter Roms und seiner Werte vor der ägyptisch-orientalischen Despotie in strahlendem Licht erscheint. Dieses Bild wurde freilich von der Geschichtsschreibung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auch noch bedient. Es war zunächst das zitierte Buch von Syme, welches zumindest in eine neue Richtung wies. In dem Versuch, Antonius von den Schatten der augusteischen Propaganda zu befreien, hinterließ es jedoch auf der anderen Seite in dem glänzenden Lack, mit dem die Figur des ersten römischen Kaisers überzogen war, erhebliche Kratzer.

Es geht hier nicht darum, diese Kratzer zu vertiefen, aber die Schatten über Antonius so weit wie möglich beiseite zu schieben. Bei diesem Vorhaben sträubt sich dem gewissenhaften Forscher mehr als einmal die Feder, muss er doch nicht nur die in der modernen Forschung noch größtenteils zementierten Bilder aufbrechen, sondern auch häufig genug gegen den Strom breiter Quellenüberlieferung ankämpfen. Hat man aber erst einmal das Muster erkannt, das die Quellen an Negativaussagen über Antonius zusammengestrickt haben, so wird zunehmend klarer, wie und warum eine bestimmte Sichtweise seines Handelns und seines Charakters zu vermitteln versucht wird. Ein wirksames Heilmittel, um sich angesichts der scheinbar erdrückenden Quellenevidenz einen klaren Blick zu bewahren, bietet das selbstverständliche methodische Postulat, den „Helden“ in die generellen Rahmenbedingungen seiner Zeit zu stellen, um Normales, Anormales, Grenzen und Möglichkeiten seines Tuns aufzeigen zu können. Konkret gilt es, vor allem die gemeinhin an Antonius negativ bewerteten Eigenschaften mit den Verhaltensweisen seiner Zeitgenossen und Wertmaßstäben sowie Herrschaftspraktiken der römischen Adelsgesellschaft abzugleichen. Dabei springt der damals wie heute vorhandene Gegensatz von propagierter Norm und Lebenswirklichkeit ins Auge, der stets den Nährboden für Heuchelei und Selbstgefälligkeit bildet.

Der Erste, der damit der Geschichte der letzten zehn Jahre aus Antonius’ Leben seinen Stempel aufdrückte, war kein Geringerer als Augustus selbst. Er beeilte sich, in seiner Autobiographie, die er bereits im Alter von etwas über 40 Jahren verfasste, dem letzten Kampf um die Vorherrschaft im Römischen Reich eine Version zu geben. Dank der Autorität ihres Verfassers und mangels alternativer Darstellungen legte diese ein Raster des Geschehens und der Charaktere fest, dem sowohl die antike als auch moderne Geschichtsschreibung nie mehr ganz entronnen ist. Zuvor widerfuhr Antonius das große Unglück, sich den mächtigsten politischen Redner der ausgehenden Republik, Cicero, zum Todfeind gemacht zu haben. Dessen wortgewaltige Philippische Reden tauchten Antonius’ Jugend und Karriere unter Caesar in tiefschwarze Farbe, die an Antonius wie Pech haften blieb. Augustus’ Autobiographie ist – ebenso wie andere Geschichtswerke von Augenzeugen – verloren, etwa dasjenige des Asinius Pollio. Dieser war zunächst ein Anhänger des Antonius, hatte dann aber eine neutrale Position zwischen den Kontrahenten inne. Ebenso ist die Darstellung des Quintus Dellius nicht mehr erhalten, der am Partherfeldzug des Antonius teilnahm, bevor er zu Octavian übertrat. Bis auf kurze Inhaltsangaben ist für diese Epoche auch das monumentale Werk des Titus Livius verloren, dem Autor einer unter Augustus verfassten geradezu kanonischen Darstellung und Deutung der gesamten römischen Geschichte. Die uns erhaltene Überlieferung2 beginnt mit dem Tatenbericht des Augustus und dem Abriss der römischen Geschichte aus der Feder des Velleius Paterculus, der unter Augustus’ Nachfolger Tiberius ein Loblied auf die neue Kaiserherrschaft Roms sang. Sie setzt sich mit Werken fort, die erst im zweiten und beginnenden dritten Jahrhundert n. Chr. verfasst wurden, heute aber unsere Hauptquellen darstellen: der Antoniusbiographie des Plutarch, der Darstellung der Bürgerkriege durch Appianos und der römischen Geschichte durch Cassius Dio. Die Klärung der Frage, welchen zeitgenössischen Quellen als Grundlage für unser Wissen diese antiken Autoren nun folgten, soll der gelehrten Forschungsdiskussion vorbehalten bleiben. Es ändert sich nichts an der Tatsache, dass das Bild von Marcus Antonius durch Augustus und seine Zeitgenossen für die Nachwelt geformt worden ist.

Der Leser ahnt schon, dass in diesem Buch ein Antonius aufscheint, der sehr viel mehr einen „Römer“ als einen „Herrscher des Orients“, oder wie die Beititel alle lauten, abgibt. Entsprechend reduziert sich die Rolle der Person, mit der Antonius in einem Atemzug genannt zu werden pflegt, ja in deren Schatten er geradezu steht: der ägyptischen Königin Kleopatra. Was die politische Seite ihres Verhältnisses für die östliche Mittelmeerwelt und für die stadtrömische Öffentlichkeit betrifft, so kann man viele Begebenheiten einer einseitig übertriebenen Berichterstattung nüchterner und ‚leidenschaftsloser‘ beurteilen, indem man einfach die Passagen der antiken Überlieferung ausblendet, die keine Fakten, sondern auch nur subjektive Deutungen derselben, um nicht zu sagen Unterstellungen, bieten. Was die persönliche Seite wiederum betrifft, so sind wir außerstande, den Grad einer gefühlsmäßigen Intensität, wenn es denn eine gab, dieser Beziehung zu beurteilen. Mit Ausnahme weniger Sätze besitzen wir weder von Antonius noch von Kleopatra eine authentische persönliche Äußerung. Auf jeden Fall sollte man sich von Ehe- und Moralvorstellungen christlicher Prägung und damit verbundener Gefühlswelten frei machen. Angesichts dieser Quellenlage muss leider das Alltägliche, Beiläufige auf der Strecke bleiben, welches neben dem Außergewöhnlichen erst den ganzen Menschen ins rechte Blickfeld rückt.


Abb. 1: Bronzestatue des Marcus Antonius in Löwenquadriga von Arthur Strasser (1899) vor dem Gebäude der Secession in Wien.

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine Lebensbeschreibung, in deren Mittelpunkt Antonius als Politiker steht und darüber hinaus als Mensch, so weit die Quellen ihn als solchen zeigen. Es geht nicht um die Auseinandersetzung mit allen noch offenen Fragen und ungelösten Problemen, die Antonius’ Leben begleiten und den Wissenschaftler beschäftigen. In diesem Zusammenhang stößt man zwar auf empfindliche Lücken (eine der größten bildet eine fehlende Gesamtschau von Antonius’ Münzprägung), aber diese können und sollen an dieser Stelle nicht geschlossen werden.

Trotz des Gefühls eines gewissen Unvermögens angesichts mangelnder Dichte und einseitiger Art der Überlieferung müssen die Quellen erneut „ins Kreuzverhör genommen werden“, wie Johann Gustav Droysen schrieb3, wenn der Historiker meint, die Vergangenheit von einem neuen Blickwinkel aus erfassen und beurteilen zu können. Die Tatsache, dass diese Perspektive immer von einer subjektiv erfahrenen Gegenwart und von eigenen Sinngebungen beeinflusst wird, bedeutet kein Manko, sondern sie folgt einem Gesetz, welchem jede Erforschung und Deutung von Vergangenheit unterliegt. Gerade der sich wandelnde Blickwinkel reizt und fordert heraus, dem Geschehenen jeweils eine neue eigene Geschichte zu geben.

Marcus Antonius

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