Читать книгу Wilde Aufwachgeschichten - Helmut Kratochvil - Страница 6

Das Projekt

Оглавление

Professor Westenhausen war schon ziemlich müde, als er sich um ca. 15h leicht seufzend hinter seinem Schreibtisch niederließ. Es war wieder einer jener zermürbenden universitären Tage. Zunächst hatte er seine Vorlesungen gehalten, was noch das ersprießlichste war, denn die jahrelange Routine führte dazu, dass ihn auch stundenlanges Vortragen nicht allzu sehr erschöpfte. Danach war es jedoch knüppeldick gekommen. Vier Stunden war er in einer Fakultätssitzung gesessen und man hatte darüber gestritten, wie der Titel eines Papiers zum Aufruf zur Bildung eines Logikkomitees zur Planung eines Konventes zur Lösung der Frage der neuen Kompetenzverteilung der Institute im Hinblick auf die Neuordnung des Fakultätsvorsitzes zu lauten habe. Darauf, nach einem ambulant hinuntergewürgten Wurstbrot, hatte er die Diskussion zu einem Vortrag eines Gastprofessors geleitet und all die eitlen Wortmeldungen in die richtigen Bahnen geleitet und den Diskussionsteilnehmern ausgiebig die Gelegenheit gegeben, zu hinterfragen in den Raum zu stellen, zu relativieren, zu argumentieren und zu widersprechen. Nach der Diskussion hatte er noch ganz schwindelig von den gleichermaßen komplizierten wie unnötigen Debatten von einem Kollegen zugeflüstert bekommen, dass er es sich bewusst machen solle, dass demnächst Nationalratswahlen anstünden und es dann die obligate Neuorganisation von Lehre und Forschung geben werde, treu dem Prinzip: Verbesserung ist nebensächlich, doch Änderung muss sein – koste es was es wolle. Er hatte noch einige Zeit mit dem Kollegen darüber depressive Gedanken ausgetauscht und einiges brühwarmes Insidergemauschel nachgeschoben, dann endlich fand er den zu seinem Schreibtisch, wo er seinem eigentlichen Beruf nachgehen wollte – Praktikumsarbeiten von Studenten verbessern und an seinem jüngsten Artikel für eine Fachzeitschrift weiterarbeiten, was er schon seit Monaten versuchte. Meistens war er um diese Zeit schon zu müde für derartige anspruchsvolle Tätigkeiten. Zu sehr wurde die Institution und ihre Organisation Selbstzweck, zu sehr wurde er wie auch die meisten seiner Kollegen von dem immer umständlicher und teurer werdenden Organisationsapparat aufgefressen und zermürbt. Längst waren der einstige Enthusiasmus und Feuereifer in einer Serie von Ernüchterungen ertränkt und das Verantwortungsbewusstsein für Neuerungen durch eine auf der Stelle tretenden Scheinentwicklung abgetötet worden.

Er war einige Minuten gesessen und hatte etwas abwesend darüber gegrübelt, womit er beginnen sollte, da klopfte es an der Tür. Solche Unterbrechungen waren für ihn nichts ungewöhnliches; häufig kamen zu ihm Studenten oder Kollegen mit den verschiedensten Anliegen und er hatte sich nie durchringen können, konsequente Sprechstunden einzuhalten, das kam ihm einfach zu verbeamtet oder spießig vor.

„Nur herein“, rief er leutselig. Langsam öffnete sich die Tür und ein mittelgroßer, bebrillter Mann in mittleren Jahren im grauen Anzug schob sich herein.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung, sind Sie Professor Westenhausen?“, beeilte er sich zu fragen.

„Ja“

„Hätten Sie für mich etwas Zeit?“

„Bitte sehr, nehmen Sie doch Platz.“

Westenhausen hatte kaum ausgesprochen, als sein unauffälliger Besucher auch schon seiner Aufforderung, sich doch zu setzen, nachgekommen war und sich vorstellte.

„Mein Name ist Buttel, Dr. Buttel, ich bin der Geschäftsführer der IGFUZ – der Internationalen Gesellschaft für Universitäre Zusammenarbeit.“

„Ach ja die“, bemerkte Westenhausen eilig. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was die IGFUZ war. Es gab einfach zu viele Gesellschaften, fachbezogene, politische, soziale, offizielle und private. Außerdem war es ein richtiger akademischer Sport von profilierungsgeilen Kollegen, Vereinigungen zu gründen. Besagte Kollegen machten sich dabei regelmäßig unbeliebt, indem sie versuchten Mitglieder zu keilen, weil sie Zahler, freiwillige Arbeitssklaven oder zumindest Applaudierer brauchten. Er hatte es längst aufgegeben, sich all die Abkürzungen zu merken und war daher keinesfalls überrascht, von einer neuen Vereinigung zu hören.

„Sie kennen also unsere Gesellschaft“, stellte der graue Mann erfreut und geschmeichelt fest.

„Ich haben nur am Rande den Namen irgendwo wahrgenommen.“

„Es gibt uns seit einigen Jahren. Nun zum Grund, warum ich zu ihnen gekommen bin. Unsere Gesellschaft ist unpolitisch und uneigennützig und bearbeitet hochkarätige, technisch anspruchsvolle Projekte auf internationaler Ebene, die im Interesse der gesamten Menschheit sind. Wir realisieren unsere Projekte mit der freiwilligen Zusammenarbeit der besten Köpfe. Wir errichten quasi große Netzwerke des Geistes.“

„Sehr interessant, aber was hat das Ganze mit mir zu tun?“, unterbrach Westenhausen den Redefluss seines Gegenüber. Er hatte ein wenig Interesse an den Erläuterungen bekommen und fragte sich, was eigentlich der Grund des Besuches sei.

„Auf das wollte ich gerade zu sprechen kommen. Wir planen gerade das bisher größte Projekt, welches in technischer Hinsicht bahnbrechend sein soll. Ich bin in dieser Angelegenheit unterwegs, um dafür die besten internationalen Köpfe zu gewinnen zu denen auch Sie zweifellos gehören.“

Dieses ungeniert und gezielt abgegebene Kompliment hatte im Gemüt des Professors gezündet. Obwohl er eine prinzipielle Abneigung gegen plumpe, berechnende Schmeicheleien hatte und obwohl er klug genug war zu erkennen, dass auch er die typisch akademische Eitelkeit hatte, die zwar aus Konvention Bescheidenheit hervorkehrt, doch im Grunde nach Anerkennung giert, war es ihm bisher nicht gelungen, derartige Reaktionen zu unterdrücken.

„Was Sie da sagen ist ungemein schmeichelhaft für mich, jedoch welche Fähigkeiten soll ich haben, die Ihnen nützen?“

„Das liegt doch auf der Hand. Sie sind doch einer der führenden Experten in Energieplanung und im Aufbau von Versorgungsnetzwerken, außerdem Sie haben doch einige bahnbrechende Entwicklungen zum Thema Energiewandel beigesteuert.“

„Was ist nun Ihr Projekt?“

Da begann das Gesicht des Besuchers begeistert zu strahlen:

„Nun, unser Projekt soll die schädlichen Auswirkungen bestimmter globaler Veränderungen verhindern. Dazu bedarf es der internationalen Zusammenarbeit möglichst aller Industriestaaten und, wie schon gesagt, der netzartigen Kooperation der fähigsten Fachleute.“

Westenhausen begann sich zu fragen, warum sein Gegenüber so zögerlich damit herausrückte, worum es sich bei dem bedeutenden Projekt wohl handle. Wollte er ihm mit der verzögerten Eröffnung imponieren? Wollte er ihn mit einem besonderen Knüller beeindrucken? Was sollte es für ein globales Problem sein, dass er nicht schon kannte?

Daher fragte er direkt:

„Was sind das denn für globale Veränderungen, die es da zu verhindern gibt.“

„Das wollte ich gerade erläutern. Es handelt sich dabei um die, wissenschaftlich eindeutig nachgewiesene Verschiebung der Erdachse, welche die Welt in Chaos und Verwüstung stürzen wird. Das Projekt ist nun, in den Alpen eine riesige Kraftmaschine zu bauen, die dem Effekt entgegen wirkt. Ich stelle mir eine riesige Säule vor, die in die Felsen eingebaut wird und auf die ein mächtiger Zylinder wirkt um so die Erdverschiebung zu verhindern.“

Kling, kling, kling machte es im Kopf des maßlos erschrockenen Westenhausen:

„Ein Spinner, ein Irrer auch das noch an diesem Nachmittag. Den hat mir vermutlich der verfluchte Ruppel geschickt.“

Professor Ruppel war der Chef vom Nachbarinstitut, dem er vor Jahren einen großen Gefallen getan hatte. Seit dem hasste ihn dieser, denn er war einer von den Egoisten, die sich für gute Taten rächen. Eine der Racheaktionen war es, ihm alle unangenehmen Personen welche bei ihm auftauchten mit freundlichen Empfehlungen zu schicken. Mit den verhinderten Erfindern war das so eine Sache. Mitunter waren es ungelernte, oft technisch durchaus begabte Leute von denen im Jahr mehrere im Haus auftauchten. Die meisten hatten sich hartnäckig in irgend eine undurchführbare Idee verrannt und waren auch durch noch so gutes Zureden nicht zu überzeugen, dass sie entweder längst bekanntes wieder erfunden oder sich einfach in Unsinniges verrannt hatten. Ganz selten erwies sich so ein Amateurerfinder als Talent, das wirklich eine zündende Idee gehabt hatte. Hier und da tauchten auch echte Spinner auf und heute war es wieder so weit. Als ihm Kollege Ruppel mehrmals solche Typen geschickt hatte, war er dazu übergegangen, seinerseits Ruppel ähnliche Kandidaten zu schicken, und so war es im Laufe der Zeit im Hause ein richtiger Sport geworden einander die Verrückten zu schicken. Ein Spinnennetz der Spinner hatte es einmal eine Kollegin genannt und sie hatte damit offensichtlich nicht nur die ungeliebten Besucher gemeint.

Westenhausen machte die Probe aufs Exempel: „Ich denke, es wäre für Sie Professor Ruppel eher zuständig.“

„Nein, bei dem war ich schon. Erst war ich beim Dr. Lubner. Der hat mich zu Frau Professor Knolls geschickt, die wiederum verwies mich zu Professor Gröblich, jener schickte mich zu Professor Ruppel und Professor Ruppel war es, der mir detailliert schilderte, dass Sie und nur Sie der richtige Ansprechpartner seien.“

„Sollte ich auf meine alten Tage kriminell werden und einen Kollegen erwürgen?“, dachte Westenhausen kurz und beschloss, diese Überlegungen ein anders mal fortzusetzen und sich dem aktuellen Problem zu widmen. Fieberhaft dachte er nach, wie er aus dieser verdrießlichen Situation am schnellsten herauskäme. Dieser Mann war offensichtlich der stärkste Spinner seit Jahren. Er hatte genug Erfahrung um nicht, nur um den Mann zu beruhigen, wohlwollend auf das Projekt einzugehen. Da bestand die Gefahr, dass er sich später zu seinem größten Entsetzten in irgend einer Zeitung als Fürsprecher für diesen Irrwahn wiederfand. So jemanden schroff abzuweisen, hatte sich auch als Zwiespältig erwiesen, denn dann konnte es schnell zu einer lautstarken Auseinandersetzung kommen. Da gab es für nur eine Möglichkeit, er musste den Mann irgendwie ablenken.

„Ein Riesenprojekt, wie sind Sie eigentlich dazu gekommen“, fragte er daher.

Dr. Buttel zögerte etwas, dann begann er zu erklären: „Ich befasse mich schon lange mit globalen Problemen, also solchen die den ganzen Erdball betreffen. Durch umfangreiches Studium habe ich mich besonders über die astronomischen Erkenntnisse informiert welche besagen, dass die Erdachse ihre Stabilität verliert, dadurch der Mond zu taumeln beginnt und mit seinen negativen Energien auf die Erde zurückwirkt. Schreckliche Katastrophen wären die Folge, Überschwemmungen, neue Eiszeit, schreckliche Hitzewellen, Vulkanausbrüche und dergleichen.“

„Sie erschrecken mich“, bemerkte Westenhausen, denn der Mann war wirklich erschreckend.

Buttel ließ sich durch die Bemerkung nicht in seinem Redefluß stören, er nahm sie wahrscheinlich als Zustimmung. Er sprach von Kontinentalverschiebungen, welche die Ursache für die Verschiebung der Erdachse seien, vom Erdmagnetfeld, das bedenklich in der Arktis herumwandere und die Ursache für die Zunahme der Wirbelstürme sei und von Meteoriten, welche durch Veränderungen der Erdanziehungskraft angelockt würden.

Westenhaus wurde immer verstörter und Dr. Buttel tat ihm mit einem mal leid. Er dachte verzweifelt nach, wie er diesen armen Mann schonend sein absolutes Desinteresse an diesem Projekt vermitteln könne. Er musste irgendetwas sagen, um das Gespräch wieder in andere Bahnen zu lenken.

„Haben Sie sich nicht gefragt, ob sie sich mit einem solchen Projekt nicht Feinde schaffen. Es könnte sich doch gegen ein solch gigantisches Vorhaben mächtige Gegengruppierungen bilden.“

„Da sagen Sie wirklich etwas wichtiges“, antwortete Buttel. „Die ganze Welt ist voller geheimer Netzwerke finsterer Vereinigungen, welche die Weltmacht anstreben. Man weiß nie, wo und wie diese Interessengruppen oder Geheimorganisationen agieren, wie viele Politiker und bedeutende Persönlichkeiten von ihnen gelenkt werden. Da gibt es wirtschaftliche, politische und religiöse Gruppierungen. Denken sie nur an die immer stärker werdenden Moslems.“

Da mit einem mal hatte Westenhausen die Idee, den rettenden Einfall:

„Oh je, das ist schlimm, den gerade in unserem Haus haben die Moslembruderschaften einen enorm starken Einfluss“

Dr. Buttel schaute ihn mit großen Augen an.

Da sprang Professor Westenhausen von seinem Sitz auf und rief aus vollem Hals: „Allah ist groß.“

Da wich alle Farbe aus dem Gesicht von Dr. Buttel und er stand auf, verabschiedete sich kurz und ging mit auffallend schnellen Schritten davon.

Westenhausen setzte sich wieder, denn er hatte noch eine Menge Praktikumsarbeiten von Studenten zu verbessern.

Wilde Aufwachgeschichten

Подняться наверх