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Der Besucher

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Wieder hatte Therese ihren Therapeuten konsultiert. Sie besuchte ihn nicht, wie es einige Freundinnen bösartig und hinterrücks behauptet hatten, dass die dies nur tue, weil dies zu einer schicken Geschäftsfrau gehöre. Dabei hatte sie ein wirklich ernstes Problem. Das Problem lag in ihrem Schlaf. Nein, sie litt nicht an Schlaflosigkeit. Das Problem war ihr Sandmännchen. Sandmännchen nannte sie ihn jedenfalls. Eigentlich war es ein junger Mann mit sanften, beruhigenden Augen. Jede Nacht, wenn sie sich zur Ruhe begab und in dämmriger Stimmung den Schlaf erwartete erschien er. Sie konnte ihn im vollen Bewußtsein klar und deutlich wahrnehmen. Übergangslos stand er in ihrem Zimmer, ein freundlicher dunkelhaariger Jüngling. Er nahm sich meist einen Sessel und setzte sich zu ihrem Bett.

„Hallo Therese, wie geht es dir heute“, so oder so ähnlich eröffnete er stets das Gespräch. Dann fragte er sie nach alltäglichen Dingen wie Privatem, Geschäften etc. Sie antwortete ihm detailliert und er kommentierte ihre Erzählungen launig. Dabei schlief sie regelmäßig ein. Gelegentlich bekam sie noch mit, wie er ihr einen angenehmen Schlummer wünschte.

Einmal hatte sie sich ermannt, ihn zu fragen, wie er denn hieße.

„Ich heiße Harry“, hatte er ohne Zögern geantwortet.

Mit der Zeit hatte sich Therese an diesen gespenstischen Vorgang gewöhnt, obwohl sie jeden Tag den Abend mit Beklemmung erwartete. Sie versuchte nicht selten, das Schlafengehen hinaus zu zögern. Daher hatte sie sich in ihrer Verzweiflung an einen Therapeuten gewandt. Der hatte sich ihre Geschichte geduldig angehört und war dann erstaunlich schnell mit Erklärungen herausgerückt. Es typisch, ein klarer Fall von verdrängtem Wunsch nach einem Gefährten und Beschützer, die Sublimierung des unbewussten Harmoniebedürfnisses, ein Schrei ihres Egos, sich aus ihrer seelischen Einsamkeit zu befreien. Ihre Beteuerung, dass das ein durchaus reales Phänomen sei und der nächtliche Besucher sie sogar berührt, ihr sogar die Hand gestreichelt hätte, beantwortete der Therapeut mit einem beruhigenden: „Ja, ja, natürlich, ich weiß, ich weiß.“

In langen Gesprächen wurde das Problem gesprochen, ihr privatestes Leben von ihrer Geburt an analysiert und kein Detail ausgelassen. Sie bekam Spritzen und Pillen, aber Harry dachte nicht daran, seine nächtlichen Besuche zu unterlassen.

Diesmal hatte es der Doktor mit Hypnose versucht. „Wenn Du heute Abend Schlafen gehst, wird dich kein Harry mehr belästigen“, hatte er beschwörend auf sie eingeredet. Deswegen ging sie heute auch um einiges zuversichtlicher nach Hause als sonst und nahm sich vor, dieses Mal früher schlafen zu gehen, zumal sie an diesem Tag nichts mehr vor hatte. Sie hatte sich zur Ruhe gebettet, noch etwas gelesen und dann das Licht ausgemacht. Sie lag auf dem Rücken und sinnierte in banger Hoffnung, ob Harry diesmal auf seinen Besuch verzichten würde. Nachdem sie einige Zeit so gelegen war, stieg ihre Zuversicht. Normalerweise war Harry zu diesem Zeitpunkt bereits da.

„Hurra, ich bin den Spuk endlich los“, dachte sie. Entspannt und zufrieden wälzte sie sich auf die Seite und fühlte wie ihr die Lider schwer wurden.

Sie war gerade dabei, in den Schlaf hinüber zu gleiten, da gab es in ihrem Schlafzimmer einen heftigen Knall. Im Nu war sie hellwach, ein eisiger Schreck durchfuhr sie.

„Mein Gott, es ist jemand im Zimmer – ein Einbrecher?“

Zitternd tastete sie nach der Nachttischlampe und drückte den Knopf.

Tatsächlich, es war wahr. Mitten im Zimmer stand ein Junger Mann und es war nicht Harry.

„W- wer sind Sie, was wollen Sie, wie sind Sie hier hereingekommen?“ hauchte sie fast atemlos vor Angst hervor.

„Tut mir leid Therese, ich wollte Ihnen keinen Schreck einjagen. Eigentlich hatte ich die Absicht, mich viel behutsamer bei Ihnen zu melden.

Während der junge Mann sprach, hatte sich Therese etwas gefangen und konnte ihn genauer betrachten. Er war ein ganz anderer Typ als Harry. Er wirkte viel entschlossener und war auch viel besser angezogen. Während Harry immer etwas derangiert wirkte, war dieser fast geschniegelt. Er trug einen tadellosen dunklen Anzug mit Krawatte. Er hatte eisgraue Augen, die sie ruhig, aber nicht unfreundlich anblickten. Trotzdem war da eine starke Ähnlichkeit mit Harry vorhanden, doch konnte sie nicht sagen, woran es lag.

„Wenn Sie ein Einbrecher sind, dann nehmen Sie was Sie wollen und lassen sie mich in Ruhe“. Therese hatte sich etwas gefangen, trotzdem zitterte sie noch am ganzen Körper.

„Ein Einbrecher bin ich strenggenommen schon, denn immerhin bin ich bei Ihnen eingebrochen. Ich habe jedoch keinesfalls die Absicht, Sie zu bestehlen oder ihnen irgend sonst irgend einen Schaden zuzufügen.“

„Was wollen Sie denn dann hier?“

„Eigentlich bin ich statt meinem Bruder Harry hier.“

„Mein Gott, geht das schon wieder los“, dachte Therese, „Dieser verfluchte Pfuscher von Therapeut mit seiner Hypnose – Er hat mir nicht geholfen, sondern nur einen anderen Quälgeist geschickt.“

„Werden Sie mich jetzt statt Harry jede Nacht nerven?“, beeilte sie sich zu fragen.

„Aber nein liebe Therese. Ich bin nicht da, um Harry abzulösen. Er hat seine Aufgabe erfüllt. Ich bin in ganz einer anderen Funktion bei Ihnen.“

„Harry ist ihr Bruder!“

„Ja sogar mein Zwillingsbruder, obwohl wir einander nicht besonders ähnlich sind. Übrigens, falls Sie sich fragen, ob der Wechsel von Ihrem hypnotisieren Therapeuten verursacht wurde, kann ich Sie versichern, dass dies nicht der Fall ist. Sie hätten sich, wenn es um Hypnose geht viel besser an Harry gewandt, der ist da viel kompetenter.“

„Wieso ist er kompetenter?“

„Die beste Antwort ist wohl, wenn ich ihnen verrate, wie er früher geheißen hat. Sie werden erstaunt sein – er hieß früher Hypnos.“

„Hypnos?“

„Ja Hypnos, Unsere Familie stammt ursprünglich aus Griechenland – Namensänderung, Integration, Sie wissen schon. Harry ist der absolute Experte für Schlaf und Hypnose. Kein Wunder, dass sein Sohn Murphy so ein verträumter Typ ist.“

„Ich weiß noch immer nicht was Sie eigentlich von mir wollen.“

„Ach ja, entschuldigen Sie bitte. Ich sagte Ihnen ja schon, dass ich nicht hier bin, um Harry abzulösen. Meine Erscheinen ist nur ein einmaliges, zeitlich begrenztes Ereignis.“

„Welches denn“, entfuhr es Therese genervt. Schön langsam begann der junge Mann, Ihr wieder unheimlich zu werden. Vor allem wurde ihr jetzt mit einem mal bewusst, was für eiskalte Augen und welch starren Blick dieser herausgeputzte Jüngling hatte.“

„Ganz einfach, liebe Therese, übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, mein Name ist Theo – auch eine Namensänderung. Also der Zweck meines Besuches ist, ich möchte Sie auf eine Reise mitnehmen,“

„Sie scherzen, junger Mann, warum sollte ich ausgerechnet Sie auf eine Reise begleiten?“

„Nett, dass Sie mich einen jungen Mann nennen. Ich bin bedeutend älter als ich aussehe. Begleiten werden Sie mich schon, jeder begleitet mich einmal.“

„Ich fürchte Theo, Sie überschätzen ihren Charme und Ihre Überredungskunst. Wohin wollen Sie eigentlich mit mir verreisen. Ich bin doch überhaupt auf keine Reise eingestellt und außerdem kann ich aus beruflichen Gründen nur ganz selten verreisen.“

„Das spielt überhaupt keine Rolle. Für diese Reise brauchen Sie nichts mit zu nehmen und über die beruflichen Belange brauchen Sie sich überhaupt keine Gedanken mehr zu machen.“

„Sie sprechen in Rätseln, wohin wollen Sie nun mit mir reisen?“

„Das will ich Ihnen ja gerade diplomatisch beibringen, liebe Freundin. Wir gehen auf die ultimative Reise. Wir wollen gemeinsam den Endpunkt unseres irdischen Weges erreichen. Ich bin da, Sie ans Ziel zu bringen, Sie dorthin zu führen, wo die Sorge um Ihren Beruf, die vielen kleinen und großen Probleme nicht mehr existieren, wo es keine Beziehungskrisen, keine materiellen Mühen, keine Plagen um die Schönheit, keine Kriege und keine Kriminalität gibt.“

Jetzt dämmerte es Therese mit einem Schlag. Erstaunlicherweise war sie überhaupt nicht schockiert:

„Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, dass Sie so etwas wie ein Todesbote sind. Sie kommen mir eher wie so eine Art Handelsvertreter in Sachen Jenseits vor. Gehen Sie jetzt bitte und schrecken sie jemanden anderen.“

„Ich bin mit einer unbegrenzten Geduld ausgestattet, geschätzte Therese. Ich kann garantiere ihnen, noch heute Nacht werden Sie mit mir kommen und zwar freiwillig.“

„Sie sind offensichtlich einer von der ganz souveränen Sorte. Was soll eigentlich das Gerede mit der griechischen Familie? Halten Sie sich eventuell für diesen mythologischen Todesgott, den Thana - Thanatos - Dingsbums.“

„Ja genau, der bin Ich. Ich sprach bereits von der Namensänderung. Der alte Name war doch etwas schwulstig.“ Erstmalig schlich sich so etwas wie ein trockenes Lächeln in Theos Gesicht.

„Trotzdem ist mir Ihr Reisevorhaben reichlich wurscht“, brachte Therese müde hervor.

„Ist es Ihnen nicht, Therese. Mit einem Fuß haben Sie die Reise ja schon angetreten. Es ist wirklich nicht schlimm, nur ein kleiner Sprung ist es in die Unendlichkeit. Geben Sie sich einen Ruck und ich helfe Ihnen dabei.“

Während Theo gesprochen hatte, war sein Blick noch starrer geworden und er war langsam auf Therese zugegangen. Dann fuhr er fort:

„Ich sehe, meine Liebe, sie werden langsam müde. Kommen Sie mit mir, befreien Sie sich von allen Lasten. Ich begleite Sie, vertrauen Sie mir. Machen Sie den kleinen Schritt, den alle machen müssen, den Ihre Eltern schon gemacht haben, den ihr Mann schon hinter sich hat und viele ihrer Freunde.“

Mittlerweile war der unheimliche Mann schon ganz nahe an Therese heran gerückt und streckte ihr die Hand entgegen. Sie starrte aus nächster Nähe in zwei eisgraue, unglaublich teilnahmslose Augen.

„Nun kommen Sie schon nur ein kleiner Schritt. Kommen Sie mit – schlafen Sie nicht ein – nur eine kleine Berührung – geben Sie mir die Hand – wachen Sie auf.“

Und dann tat der Mann etwas unglaubliches. Er hob die Hand und schlug Therese ins Gesicht, mit voller Kraft, wieder und wieder schlug er sie auf beide Wangen.

Zunächst war Therese starr vor Schreck und Schmerz, dann erfasste sie ohnmächtige Wut über diesen Wahnsinnigen, der in ihre Wohnung eingebrochen war und sich jetzt unterstand, sie dermaßen zu quälen. Hasserfüllt starrte sie in sein Gesicht, dass ihr auf einmal gar nicht mehr so jung und glatt vorkam. Die grauen Augen waren immer noch da, doch wirkte er mit einem Male viel älter, er hatte er nun ein gefurchtes Gesicht und schüttere Haare.

„Hören Sie auf, hören Sie auf, lassen sie mich schlafen, wer sind Sie eigentlich?“, rief sie mit schwacher Stimme.

„Verstehen sie mich, können sie mich verstehen“, antwortete der Mann.

„Sind Sie denn nicht Theo?“

„Ich bin Ihr Notarzt. Ich versuche Sie aufzuwecken.“

„Was wollen Sie von mir?“

„Ich konnte Sie gerade noch zurückholen. Ihre Nachbarin hat uns verständigt. Ein schadhafter Kamin. Er muss schon längere Zeit kaputt gewesen sein. Zu viel Kohlendioxyd in ihrer Wohnung.“

„Ich muss also nicht auf eine Reise gehen?“

„Beinahe wären Sie wirklich auf eine endgültige Reise gegangen. Bleiben Sie ruhig liegen. Wir fahren jetzt in die Klinik und einer Woche sind sie wieder in Ordnung. Ihr Kamin muss allerdings bis dann auch in Ordnung sein.“

„Mein Gott“, dachte Therese, „Alles ausgestanden – beinahe hätte ich die Ewigkeit berührt – ich denke jetzt bin ich all die lästigen Griechen endgültig los.

Wilde Aufwachgeschichten

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