Читать книгу Heute, nur heute - Helmut Schlegel - Страница 33
ОглавлениеWas versteht Johannes XXIII. unter Zurückhaltung? Musste er selbst um die richtige Balance ringen? War der bodenständige Bauernsohn von Natur aus ein Mensch der allzu schnellen Urteile und der allzu festen Grundsätze? Einige Seiten seiner Persönlichkeit und einige Kapitel seiner Biographie sprechen für diese Annahme. Dann hätte er mit seinem Gebot eine Warntafel aufgestellt, damit sein und unser Denken nicht auf die Holzwege der Selbstgerechtigkeit und Arroganz gerät und unser Reden nicht auf der breiten Straße populistischer Parolen landet.
Vielleicht können wir in diesem Sinn das Wort „Zurückhaltung“ ins Heute übertragen: Es ist unsere Aufgabe, eine kritische Distanz zu allen Mainstream-Philosophien zu wahren. Es ist unsere Aufgabe, uns selbst genauso in Frage zu stellen wie andere. Es ist unsere Aufgabe, wahrzunehmen, dass die Fehler, die wir bei anderen sehen, ein Spiegelbild unserer eigenen Schwächen sind. Es ist unsere Aufgabe, uns selbstkritisch der Warnung zu erinnern, die Jesus ausgesprochen hat: „Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und dabei steckt in deinem Auge ein Balken?“ (Mt 7, 4)