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Aufbruch ins Ungewisse
ОглавлениеIn der Regel hielten sich mindestens zwei Missionare gemeinsam am gleichen Ort auf. Das war sinnvoll, da sich eventuell auftretende Probleme gemeinsam besser meistern lassen. Außerdem konnte man sich in den Zeiten ohne Dolmetscher austauschen und auf die nächsten Einsätze vorbereiten.
Als ich jedoch meinen Termin mitgeteilt bekam wurde mir eröffnet, dass aus Kostengründen ab sofort nur immer einer allein vor Ort sein würde.
Das war ein Schock.
Es bedeutete, für zehn Tage ohne Sprachkenntnisse in einer fremden Kultur und einer ungewohnten Umgebung zu arbeiten.
Alle erforderlichen Entscheidungen müssten allein getroffen werden. Aber ich hatte „Ja“ gesagt und nun gab es kein Zurück mehr.
Ich war umso erleichterter, als klar wurde, dass ein guter Freund - auf gleicher Mission, aber an anderem Ort – mich das erste Stück des Weges begleiten würde.
Immer wieder wurde probegepackt, aber das Ergebnis war stets das Gleiche: Es passt nicht alles in die Koffer und Taschen. Nicht, dass ich nicht genug Koffer gehabt hätte, aber zum Tragen hatte ich leider nur 2 Hände.
Schließlich musste ich mich von manchem wieder trennen, was ich vorher als zwingend erforderlich angesehen hatte. Das Gepäck der Kirche und die Geschenke hatten Vorrang.
Endlich hatte ich es geschafft und alles war in zwei riesigen Koffern, einem Rucksack und einer großen Umhängetasche verschwunden. Es ließ sich mit viel Mühe sogar noch tragen.
Es konnte losgehen.
Der 20. Januar 1994 war ein ungemütlicher und nasskalter Tag. In Erwartung von Staus auf dem Weg zum Düsseldorfer Flughafen fuhren meine Frau und ich schon früh los.
Unsere Stauprognose erwies sich als richtig. Doch trotz Stop-and-go auf der A40 erreichten wir den Flughafen in Düsseldorf rechtzeitig. Die Zeit bis zum Abflug reichte sogar noch für ein Frühstück im Restaurant.
Dann war es Zeit für den Abschied von meiner Frau.
Im Warteraum traf ich außer meinem Freund noch drei weitere Missionare, die nach Sibirien wollten. Zwei von Ihnen hatten in Magadan ihren Einsatzort und ein weiterer wollte nach Wladiwostok. So waren wir insgesamt fünf, die in einem Auftrag - aber an verschiedenen Orten - arbeiten sollten.
Zunächst ging unsere gemeinsame Reise nach Moskau. Der Start verzögerte sich wegen Nebels um 30 Minuten. Unsere Ankunft in Moskau war aber dennoch fast pünktlich.
An der Passkontrolle hatte ich Gelegenheit, die russische Gründlichkeit kennen zu lernen. Während mein Freund am Gepäckband bereits unsere Koffer und Taschen herausfischte wurde an unserem Passschalter Dienst nach Vorschrift gemacht.
Nur alle paar Minuten bewegte sich etwas. Der Unmut der Passagiere wurde merklich lauter, so dass endlich ein Vorgesetzter darauf aufmerksam wurde.
Nach einigen barschen Kommandos ging es plötzlich auch an unserem Schalter zügig voran.
In Moskau trennten sich unsere Wege von denen des Bruders, der weiter nach Wladiwostok wollte. Der Abschied war kurz und wir wünschten einander Gottes Segen für die kommende Zeit. Wir verbliebenen vier hatten zunächst noch dasselbe Ziel, den Flughafen Vnukovo.
Die wenigen Gepäckwagen die es gab, waren für uns unerreichbar, weil uns die passenden Münzen fehlten.
Da keine Rubel eingeführt werden durften, hätten wir erst unsere Dollars an der amtlichen Wechselstube in Rubel umtauschen müssen. Eine Wechselstube war aber nicht zu sehen.
So machten wir uns beladen mit Koffern und Gepäck auf, um nach dem bestellten Taxi zu suchen, das uns zum nächsten Flughafen bringen sollte.
Am Ausgang der Ankunftshalle standen viele Männer, die auf ihre Fahrgäste warteten. Sie hielten Schilder mit den Namen der Gesuchten hoch.
Es dauerte nicht lange und auch wir hatten unseren Fahrer gefunden. Nun stand unserer Weiterfahrt nach Vnukovo nichts mehr im Wege: So dachten wir zumindest.
Ein relativ neuer Mercedesbus vom Typ MB 100 stand uns für den Transport zum 60 Kilometer entfernten Flughafen zur Verfügung. Es war genügend Platz für vier Personen und Gepäck.
Zuerst würden mein Freund und ich in Vnukovo aussteigen. Die beiden Missionare, die nach Magadan unterwegs waren, würden zu dem anderen Inlands-Flughafen Domodedowo gebracht werden.
Wir waren froh, dass es jetzt endlich ernst wurde.
Nach wenigen Kilometern fing unser Bus jedoch an zu „husten“ und blieb kurz darauf, mitten auf der Ringautobahn, stehen.
Wie wir erfuhren, hatte es in Moskau noch keinen Winterdiesel gegeben. Aus dem Sommerdiesel war bei Temperaturen um die minus 16 ° Celsius nun „Wackelpeter“ geworden.
Immer wieder versuchte der Fahrer den Treibstoff flüssig zu bekommen. Dafür lag er unter dem Auto und erwärmte mit einer Lötlampe die Dieselleitungen.
Überall auf der Straße und am Straßenrand bot sich dasselbe Bild. Die Fahrer von LKWs und anderen Dieselfahrzeugen versuchten auf abenteuerliche Weise ihre Fahrzeuge wieder flott zu kriegen. Manche hatten einfach ein Holzfeuer unter dem Motor entzündet.
Wir beteten im Stillen, dass das Auto die nächsten Kilometer schaffte. Immer häufiger kamen wir auf der Straße zum Stehen, während die Zeit des Abfluges immer näher rückte.
Schließlich war es auch unser Fahrer leid. Er lud uns im Hotel „Saljut“ ab, um andere Fahrzeuge zu besorgen.
Mit unserem Handgepäck machten wir es uns in der Bar bequem. Es gab sogar Holsten Bier.
Nach einiger Zeit kam dann ein anderer Fahrer, um uns zum Flugplatz zu bringen. Beim Umladen des Gepäcks vergaß mein Partner seine Geschenketasche im defekten Auto.
Das fiel uns allerdings erst in Ulan-Ude auf. Wir konnten nur hoffen, dass die beiden anderen Missionare sie mit nach Magadan genommen hatten.
Mit großer Verzögerung, aber immer noch rechtzeitig kamen wir endlich am Flughafen Vnukovo an. Beim Einchecken für den Nachtflug nach Ulan-Ude sahen wir uns dann mit dem nächsten Problem konfrontiert.
Die Dame an der Gepäckannahme erkannte die Bescheinigung nicht an, laut der uns 60 Kilo Gepäck zustanden. Es wurde ein langes Palaver und Feilschen, obwohl wir kein Russisch sprachen und sie kaum Englisch verstand.
Nach zähen Verhandlungen mussten wir für 65 Kilo Gepäck schließlich insgesamt 800 Rubel – das sind ca. 0,50 Euro – bezahlen. Wenn man bedenkt, dass zum Preis einer Briefmarke 65 Kilo Gepäck 5640 Kilometer befördert wurden, dann war das ein wahres Schnäppchen.
Bei der Sicherheitskontrolle gab es für mich das nächste unerwartete Ereignis. Der Detektor piepste ohne Unterbrechung.
Taschenmesser, Fotoapparat, Kleingeld und Schlüssel lagen bereits auf dem Tisch und noch immer gab der Apparat keine Ruhe.
Schließlich hatte ich nur noch mein Tagebuch, den wahren Übeltäter, in der Tasche. Der Metallbügel und die Ringmechanik hatten den ständigen Warnton ausgelöst.
Pünktlich um 20.20 Uhr Ortszeit starteten wir dann in die Nacht - in Richtung Ulan-Ude.
Die Flugzeuge der Aeroflot waren mit denen der Lufthansa nicht zu vergleichen. Sie hatten sehr enge Sitzreihen, so dass man die Beine nicht ausstrecken konnte. Da die Maschine nicht voll ausgelastet war, konnten wir es uns jedoch trotz Aeroflot-Sitzen einigermaßen bequem machen.
Vor uns saßen drei deutsche Geschäftsleute, die ebenfalls nach Ulan-Ude flogen. Sie wollten dort Baumaschinen verkaufen.
Im Gespräch mit ihnen wurde deutlich, dass sie sich große Hoffnungen auf gute Geschäfte machten. Die Zahlung der Maschinen lief teilweise über Kompensationsgeschäfte.
Ein Russe, der in der Nähe saß, lud uns ein, von seinem Wodka, Speck und Zwiebeln zu kosten. So kamen wir das erste Mal mit der Gastfreundlichkeit der Russen in Berührung.
Vor unserer Abreise hatte man uns gewarnt, dass es auf den Flügen der Aeroflot nichts zu essen gäbe. Deshalb hatten wir uns an unsere Marschverpflegung gehalten. Zu unserer Überraschung und zur Ehrenrettung von Aeroflot wurde dann doch noch ein Nachtmahl serviert. Es gab kaltes Hühnchen mit Reis. Bereits gesättigt mussten wir nun leider dankend ablehnen.
Nach einigen Stunden gelang es uns schließlich sogar, ein wenig zu schlafen.
Die vorgesehene Zwischenlandung in Omsk wurde einfach gestrichen und so landeten wir, nach ruhigem Flug mit wenig Schlaf, fast 1 Stunde früher als vorgesehen um 7.00 Uhr Ortszeit in Ulan-Ude.