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Zweites Kapitel Der Test

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Weil am Montag die Schulferien begannen, durfte Robert länger aufbleiben als sonst. So lümmelte er sich auf dem Sofa und schaltete mit der Fernbedienung durch die Kanäle, während seine Mutter Brote für das Abendessen schmierte. Nachdem er einige langweilige Werbespots für Autos und Tütensuppen weggeklickt hatte, sah er Hunderte von Pinguinen auf einem Eisberg.

»Pinguine haben zwar Flügel«, hörte er einen Sprecher sagen, »aber zum Fliegen sind sie zu kurz. Forscher haben ausgerechnet, dass Pinguine erst bei einer Startgeschwindigkeit von vierhundert Stundenkilometern abheben könnten. Doch mit ihren kurzen Beinchen erreichen sie diese Geschwindigkeit natürlich nicht.«

»Hej«, rief Robert, »hier läuft was über Pinguine.

»Mmmmh«, murmelte seine Mutter in der Küche. Eines dieser Erwachsenenworte, die alles bedeuten konnten oder nichts.

»Wo liegt der Vorteil der Flugunfähigkeit?«, fragte der Sprecher. »Vögel müssen leicht gebaut sein, manche haben sogar Luft in ihren Knochen. Das beeinträchtigt natürlich ihre Fähigkeit zum Tauchen. Nahrung in größerer Tiefe bleibt unerreichbar. Pinguine hingegen sind schwer und gleiten durch das Wasser. Der kleine Zwergpinguin taucht dreißig Meter tief, Kaiserpinguine kommen sogar auf bis zu fünfhundert Meter. Fünfhundert Meter, so hoch sind die höchsten Türme, die je von Menschen gebaut wurden. Und da Pinguine nach einem Fischzug nicht fliegen müssen wie andere Vögel, können sie Unmengen von Garnelen vertilgen. Bis zu einem Viertel ihres Körpergewichtes können Pinguine an Nahrung aufnehmen. Zum Vergleich: Ein elfjähriger Junge müsste sieben bis acht Kilogramm Nudeln essen, jeden Tag.«

»So, dann wollen wir mal sehen, wie viel Nahrung du aufnehmen kannst.« Roberts Mutter stellte Brote mit Frischkäse und Schnittlauch sowie Gurkenstücke auf den Tisch. Daneben eine Kanne mit dampfendem Pfefferminztee, auf dem noch die Blätter schwammen.

»Iieh, Pfefferminztee. Hab’ ich Durchfall oder was?« Robert seufzte. »Kann ich Apfelsaft?«, fragte er.

»Was?«, fragte seine Mutter zurück. »Auf die Blumen gießen? Zum Autowäschen benutzen? Im Klo runterspülen? Wir sprechen in ganzen Sätzen. Kann ich Apfelsaft haben? Oder trinken? Und dann gibt es noch das Wort Bitte

Robert drehte genervt die Augen zum Himmel, ging in die Küche und holte sich ein Glas Apfelsaft. Als er zurück war, sah er seine Mutter vorwurfsvoll an. »Du weißt doch genau, dass ich Pfefferminztee nicht leiden kann.«

»Vielleicht würde der Tee dir schmecken, wenn du ihn mal probieren würdest, ist nämlich eine neue Sorte«, sagte seine Mutter. Aber Robert schüttelte nur den Kopf und konzentrierte sich wieder auf den Fernseher.

»Jeder Quadratzentimeter Pinguinhaut ist von zwölf Federn bedeckt«, erklärte der Sprecher. »Die auf der Haut liegenden wolligen Daunen wirken dabei wie Unterwäsche, sie halten warme Luft in Körpernähe. Die gefetteten Federspitzen darüber weisen dagegen das Wasser ab wie ein Taucheranzug.«

»Davon«, nuschelte Robert mit vollem Mund, »dasch die Federn schich verfärben können, schagt der nischts.«

»Warum sollte er?«, fragte Roberts Mutter. »Können sie ja auch nicht.«

Seine Mutter sagte das in so bestimmtem Ton, als wäre es Gesetz. Robert beschloss, besser seinen Mund zu halten. Vielleicht hatte er sich ja wirklich getäuscht.

Aber der Gedanke ließ ihn nicht los. Später im Bett kam ihm eine Idee. Sie war allerdings ein bisschen fies, fand er. Genau genommen ziemlich fies.

Peng war gerade beim Frühstück, als die Elster neben ihm landete.

»Moin, Peng«, sagte sie.

»Moin, Pica.« Mit einem Fuß schob er ihr einen Teil seiner Körner, Haferflocken und Fischmehlbällchen zu. Montags, wenn niemand zuschaute, fiel das Essen dürftiger aus.

Pica gehörte nicht direkt zum Vogelpark. Für eine Elster geben Menschen kein Geld aus, Elstern können sie auch von ihren Fenstern aus betrachten. Die Besucher kamen wegen der Adler, die bei Flugvorführungen majestätisch und haarscharf über ihre Köpfe hinwegsegelten. Wegen der Brahmahühner, wegen asiatischer Enten, Falken, rosaroter Flamingos und Aas fressender Geier. Wegen federleicht hin- und herflitzender Kolibris, wegen buntschnäbeliger Marabus, Nandus, sprechender Papageien, wegen Pelikanen, der geheimnisvollen Schleiereulen, der Tukane. Und, nicht zu vergessen, wegen der Königspinguine natürlich. Siebenhundertfünfzig unterschiedliche Vogelarten aus der ganzen Welt konnte man hier bestaunen, der Direktor wies extra mit großen Plakaten am Eingang darauf hin. Da brauchte er Pica nicht, die eines Tages über das Gelände geflogen war und beschlossen hatte, hier ihr Nest zu bauen. Aber er verjagte sie auch nicht, obwohl ihre Anwesenheit anfangs für Ärger sorgte.

Pica war schnell. Wie ein blau-weiß-schwarz gestreifter Blitz schoss sie bei Fütterungen vom Himmel hinab, bediente sich aus den Näpfen und war schon wieder weg, bevor der Bestohlene auch nur »Tschilp« sagen konnte.

Trotz Picas kleiner Gaunereien musste allerdings kein Vogel hungern, die Unruhe legte sich schnell. Pica wurde sogar bewundert. Sie sei so flink, hieß es, dass sie einem gähnenden Menschen einen Goldzahn aus dem Mund picken könnte.

Bei ihren Rundflügen bemerkte Pica, dass Peng immer abseits von den anderen Pinguinen stand. Sie schwebte zu ihm herab, stellte sich mit ihrem typischen »Moin« vor und fragte, ob er was gegen die Königspinguine habe.

Peng erklärte ihr den Grund.

»Verstehe«, sagte Pica nur.

Von da an frühstückten sie regelmäßig gemeinsam. Manchmal landete Pica dabei sogar zuerst auf seinem Kopf, was so angenehm kitzelte, dass Pengs Federn in einem warmen, wohligen Orange aufschimmerten.

Heute aber starrte Pica ihn verwundert an. »Was ist denn mit deinem Schnabel passiert?«

»Wieso?«, fragte Peng.

»Sag bloß, du weißt es nicht. Da fehlt eine Ecke.«

»Da fehlt eine Ecke?«

»Ja.«

»Da fehlt eine Ecke?« Peng klang hysterisch.

»Beruhig’ dich mal, Peng«, sagte Pica. »Ich glaube nicht, dass wir weiterkommen, wenn du jeden Satz von mir wiederholst.«

»Da fehlt eine Ecke? In echt?«

Pica nickte genervt.

Peng tastete aufgeregt seinen Schnabel ab. Tatsächlich, sein Flügel verhakte sich an einer stumpfen Stelle. »Da fehlt eine Ecke«, murmelte er entsetzt.

»Sag' ich doch«, stellte Pica zufrieden fest.

»Das tut aber gar nicht weh«, sagte Peng überrascht.

»Dann ist ja gut«, meinte Pica. »Und, unter uns, ich finde, die kleine Lücke steht dir. Du siehst verwegener aus als früher. So, als hättest du es einem der Königspinguine ordentlich gezeigt.«

»Schön wär's«, seufzte Peng. »Das muss passiert sein, als ich mit dem Kopf gegen die Wand meiner Höhle geknallt bin. Oder gegen den Baum. Oder gegen die Gummistiefel des Wärters.«

»Und du beklagst dich, das Leben hier sei langweilig«, sagte Pica mit einem Grinsen.

Sie begannen mit dem Frühstück.

Noch halb im Schlaf war Robert aufgestanden und zu seiner Mutter ins Schlafzimmer getappst. Wie fast an jedem Morgen kroch er zu ihr unter die Decke. Automatisch legte sie ihren Arm um ihn. Normalerweise schlief Robert jetzt wieder ein, doch heute war er hellwach. Sein Plan ließ ihm keine Ruhe.

»Mama«, sagte er und stieß sie sanft in die Seite.

»Hmmm«, grummelte sie müde und drehte sich um.

»Mama, der Pinguin ist plötzlich weiß geworden.«

»Hmmm.«

»Als ihn der Stein getroffen hat.«

»Hmmm.«

»Sag nicht immer nur Hmmm. Wirklich, er hat sich verfärbt.«

Seine Mutter war jetzt fast wach. »Welcher Pinguin?«, fragte sie und gähnte. »Welcher Stein?«

Robert erklärte es ihr.

»Ein Pinguin, dessen Fell sich verfärbt«, wiederholte sie. »Klar. Und die Erde ist eine Scheibe. Lass mich noch etwas schlafen, ja?« Sie zog sich die Decke über den Kopf.

»Federn, Mama, Federn. Pinguine sind Vögel.«

»Wie auch immer«, murmelte sie unter der Decke.

Robert dachte aber nicht daran, sie schlafen zu lassen. Er erzählte ihr von seinem Plan: Sie würden noch einmal in den Vogelpark fahren, dann könnte er es beweisen.

»Och nö, Rübe«, sagte sie.

»Doch«, sagte er und fing an, sie zu kitzeln. Er zog ihr die Decke weg. Als auch das nicht half, begann er zu quengeln. So lange, bis seine Mutter nachgab.

»Na, gut«, seufzte sie schließlich und stand auf.

Aus der Küche, unter das Geblubber der Kaffeemaschine gemischt, hörte Robert einen Satz, der nicht gerade begeistert klang. »Fahren wir halt noch einmal in diesen Vogelpark. Ich bin ja arbeitslos, ich hab ja Zeit.«

Robert hielt es für klüger, auf diesen Satz nicht zu reagieren. Er blieb im Bett liegen und blätterte in einem japanischen Comic. Mangas liebte er über alles.

Vor knapp einem halben Jahr war seine Mutter entlassen worden. Die Werbeagentur, für die sie arbeitete, bekam nicht mehr genügend Aufträge. Deshalb hatte sich die Firma von einigen Mitarbeitern getrennt. Auch von ihr.

Das brachte Vorteile. Im Gegensatz zu früher, als sie in der ganzen Welt unterwegs war oder oft bis in die Nacht vor dem Computer hockte, hatte seine Mutter nun mehr Zeit für ihn.

Das brachte aber auch Nachteile. Immer wieder saß sie geistesabwesend am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt und blickte ins Nichts. So, als denke sie darüber nach, was sie nun tun soll. Oder, schlimmer noch, als wisse sie nicht mehr, was sie noch tun soll. Ab und zu fuhr sie sich mit der rechten Hand durch die dunklen langen Haare und stöhnte. Ein paar Mal hörte Robert sie sogar seufzen, während sie unter der Dusche stand. Früher hatte sie dort immer gesungen. Nicht besonders schön, zugegeben, aber doch so fröhliche Lieder wie »Wir finden schon nach Hause, so oder so, bis neun bist du okay, bei zehn erst k. o.«

Jetzt sagte sie immer häufiger, alles sei zu teuer. Die Jeans, die schon jeder zweite in seiner Klasse hatte. Ein Handy. Sammelkarten zum Tauschen auf dem Schulhof. Selbst Kaugummi gab es nicht mehr jeden Tag.

Aber immerhin hatte er sie überredet, noch einmal in den Vogelpark zu fahren. Und weil Montags der Eintritt nur die Hälfte kostete, kauften sie vorher sogar in einem Fischladen einen frischen Hering.

Wie es ihre Art war, blickte sich Pica immer wieder kurz um, während sie die Körner aufpickte. »Geht früh los heute«, sagte die Elster nach einer Weile zu Peng.

»Was?«

»Menschen.«

Peng blickte auf. Am Zaun standen Robert, eine Plastiktüte in der Hand, und seine Mutter. Beide starrten ihn durchdringend und neugierig an.

Roberts Mutter bückte sich und hob einen großen Stein auf. Sie wog ihn in der Hand, warf ihn mehrmals aus dem Handgelenk hoch in die Luft und fing ihn wieder auf. Dann kniff sie die Augen zusammen und zielte.

Die wirft nach mir, dachte Peng.

Blitzschnell hob Roberts Mutter ihren Arm und ließ ihn nach vorn schnellen, genau in Pengs Richtung.

»Oh, Mist.« Pica schlug mit den Flügeln und machte sich aus dem Staub.

Peng quiekte ängstlich: »Iiieehjuk.«

Ha, Robert hatte Recht gehabt. Jetzt musste auch seine Mutter den weißen Schimmer gesehen haben, der nur ganz kurz, für ein oder zwei Sekunden, über das schwarze Gefieder des Pinguins lief.

»Du meine Güte«, sagte seine Mutter heiser. »Es stimmt. Der Pinguin ver …« Mitten im Satz verstummte sie.

Robert staunte. Seiner sonst so wortgewaltigen, nie um eine Antwort verlegenen Mutter fehlten die Worte. Sie brachte und brachte ihren Satz nicht zu Ende. Und der Stein, den sie natürlich nicht auf den Pinguin geworfen hatte, sie hatte ja bloß so getan als ob, der Stein fiel aus ihrer kraftlos wirkenden Hand. Er blickte zu seiner Mutter hoch. Die starrte noch immer entgeistert den Pinguin an. Dann ihren Sohn. Dann wieder den Pinguin.

»Wie kann das sein?«, fragte sie mehr sich selbst als Robert.

»Keine Ahnung«, antwortete er.

»Das ist …«, sie zögerte, »… das ist unglaublich.«

Robert war ziemlich stolz auf sich. Sein Plan hatte funktioniert.

»Vielleicht solltest du dem Pinguin den Hering geben«, sagte seine Mutter. »Er hat sich ziemlich erschrocken. Ich brauche jetzt einen Kaffee. Möchtest du auch was?«

»Apfelsaft«, sagte Robert geistesabwesend. Er konzentrierte sich auf den Pinguin, dessen Gefieder inzwischen wieder aussah, als sei nichts geschehen. Während seine Mutter in Richtung Kiosk verschwand, trat er ganz dicht an den Zaun heran.

»Hallo«, flüsterte er. Seine Stimme klang fast schüchtern. Es war ihm ein bisschen peinlich, einen Pinguin anzusprechen. Aber wenn er die Wahrheit herausfinden wollte ... Robert räusperte sich und wiederholte sein »Hallo« etwas kräftiger.

»Was sollte denn der Mist?«

Die Stimme, die – von wo auch immer sie kam – in seinem Kopf nachhallte, klang wütend.

Funktionierte es wirklich? Hatte der Pinguin eben geantwortet? Zumindest stand er unmittelbar vor Robert, nur durch den Zaun von ihm getrennt, und schaute zu ihm hoch. Sein Schnabel war geschlossen.

»Entschuldige«, sagte Robert und blickte sich um, ob ihn jemand beobachtete. Aber eigentlich war ihm das jetzt auch egal. »Entschuldige, aber ich musste es wissen.«

»Was?«

»Ob ich mich getäuscht habe. Oder ob sich deine Federn wirklich verfärben.«

»Warum sollten sich meine Federn verfärben? Ich bin ein Pinguin. Keine Ampel, die mal rot, mal gelb, mal grün leuchtet.«

»Doch!«

»Ich bin eine Ampel?«

»Nein, natürlich nicht.« Robert lachte. »Aber als du dich eben erschreckt hast, bist du ganz blass geworden. Siehst du, jetzt wirst du sogar rot.«

In der Tat, wieder wechselte das Gefieder für kurze Zeit die Farbe. Robert schien es, als schäme sich der Pinguin.

»Magst du es nicht, wenn deine Federn bunt sind? Ich find das ziemlich schön.«

Peng schwieg, er war zu verdattert. Nach einer Schrecksekunde watschelte er zum Wasserbecken, um dort sein Spiegelbild zu betrachten. Wenn sich die Farbe seines Gefieders wirklich veränderte, dann würden sich die anderen Pinguine, die Tierpfleger und die Besucher noch mehr über ihn lustig machen.

»Das muss dir doch nicht peinlich sein«, rief Robert ihm nach. »Ich werde auch ab und zu rot.«

Peng antwortete nicht. Er schaute auf die Wasseroberfläche. Auf ihr sah er den blauen Himmel. Die gelbe Sonne. Die grünen Blätter eines Baumes. All das schimmerte, von kleinen Wellen leicht verzerrt, vor seinen Augen. Und dann war da noch dieser Pinguin zu sehen. Dieser kleine Pinguin mit dem verängstigten Gesicht. Auf dessen Federn eine rosafarbene Schicht zu liegen schien, die langsam blasser wurde. Wie die Garnelen in meinem Traum, dachte Peng. Immerhin, dachte er weiter, ich bin nicht rot-gelb-grün gestreift, nicht türkis-oliv geblümt oder so was. Aber rosa, das war schon schlimm genug.

Mit gebeugtem Kopf watschelte er zu Robert zurück, langsam und schaukelnd wie ein Kreisel, kurz bevor er zum Stillstand kam. Ich bin eine Lachnummer, dachte er. Eine Witzfigur. Der Zoodepp. Genau, der Zoodepp, das war er hier.


Er sah im Geiste Scharen von Kindern vor sich, die Steine nach ihm schmeißen, damit er sich erschreckt. Plakate, auf denen erklärt wird, was man tun muss, damit er eine bestimmte Farbe annimmt: »Ärgern sie unseren kleinen Peng aber bitte nicht zu lange, sonst läuft er vor Wut lila an.« Vermutlich würden sie klein noch »Hi hi« drunter schreiben. Zu jeder Familienkarte gäbe es noch ein Wurfgeschoss umsonst dazu. Und die Pfleger würden sonntags den anderen Pinguinen absichtlich mehr Futter geben als ihm, damit er grün würde vor Neid. Gott, wie furchtbar.

»Ich will hier weg«, sagte er. Eigentlich mehr zu sich selbst, aber Robert hatte es gehört.

Er hob die Plastiktüte hoch und schwenkte sie in der Euft. »Ich habe dir was mitgebracht, kleiner Pinguin.«

»Peng. Mein Name ist Peng.«

Peng? Der Pinguin hatte sogar einen Namen? Robert holte den Hering hervor und warf ihn in das Gehege, direkt vor Pengs Füße. Der Pinguin schaute kurz hinunter.

»Danke. Aber ich habe keinen Hunger mehr.«

»Wieso heißt du Peng?«

Der Pinguin antwortete nicht.

Roberts Mutter kam zurück, einen Pappbecher und eine kleine Flasche Apfelsaft in der Hand.

»Na«, sagte sie wieder entspannt und nippte an ihrem dampfenden Kaffee, »unser bunter Vogel hier schaut aber etwas bedröppelt aus.«

»Ich glaube, er ist traurig, Mama.«

»Wieso denn das?«

»Ich habe ihm gesagt, dass seine Federn rot geworden sind.«

Roberts Mutter öffnete ihren Mund. »Äh«, sagte sie. Und nach einer Pause noch einmal: »Äh.« Dann machte sie ihren Mund wieder zu.

»Durfte ich ihm das etwa nicht verraten?«

Seine Mutter fuhr ihm übers Haar. »Rübe, noch mal für deine alte Mutter zum Mitschreiben: Seine Federn wurden rot. Das hast du ihm gesagt. Daraufhin wurde er traurig. Soweit richtig?«

»Genau. Und er hat gesagt, dass er hier weg will.«

»Du heißt Robert Zander, nicht Doktor Dolittle. Dieser Pinguin da ...«

»Peng«, sagte Robert. »Er heißt Peng.«

»Von mir aus heißt er Peng«, erwiderte seine Mutter schroff. »Oder Piff. Oder Paff. Das heißt aber nicht, dass du mit ihm sprechen kannst.«

»Aber wenn es doch so ist ...« Robert war enttäuscht. Und beleidigt. Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte. Zornig blickte er auf seine Mutter: Wie sie da stand, in ihrer schwarzen Hose, der verwaschenen Jeans-Jacke, die langen dunklen Haare hochgesteckt, kam sie ihm vor wie eine Polizistin, die ihn anpfiff, weil er bei Rot über die Straße gegangen war, obwohl nirgendwo ein Auto kam.

Peng straffte seinen Rücken. »Erwachsene«, sagte er zu Robert. «Pah. Glauben immer, sie wissen alles besser. Wir werden ihr das Gegenteil beweisen.« Er öffnete seinen Schnabel: »Hoijank, hoijank.«

Wie auf Kommando kam Pica angeflattert. Leise unterhielten sie sich.

»Wir machen Folgendes«, schlug Peng schließlich vor, »du wirst deiner ungläubigen Mutter sagen, dass diese Elster, sie heißt übrigens Pica, also dass Pica gleich losfliegen und sich auf ihrer Jacke entleeren wird – auf ihrer rechten Schulter.«

»Entleeren?«, fragte Robert.

»Mein Gott«, antwortete Peng. »Pica wird ihr auf die Schulter kacken. Weißt du nun, was ich meine?«

»Aber …«, wandte Robert ein.

»Mach es«, befahl Peng.

Also machte Robert es. Seine Mutter sah ihn an, als wäre bei ihm eine Schraube locker. In derselben Sekunde breitete die Elster ihre Flügel aus, hob vom Boden ab und flog auf Roberts Mutter zu. Pica liebte solche Auftritte. Als sie wie in Zeitlupe genau über der Frau schwebte, erklang leise, aber für alle hörbar ein Geräusch: »Pflatsch.«

Auf der rechten Schulter breitete sich ein weiß-grauer Fleck aus. Instinktiv wischte Roberts Mutter mit der linken

Hand darüber. »Brrrks«, sagte sie, als die Flüssigkeit an ihren Fingern klebte. Mit der anderen Hand wühlte sie in der Hose nach einem Taschentuch. Angewidert wischte sie damit mehrfach über ihre Finger und roch an ihnen. »Was geben die den Tieren hier zu fressen?«, fragte sie.

Robert und Peng blickten sie an. Und warteten.

»Das glaub’ ich nicht«, sagte sie.

»Frag sie«, sagte Peng, »ob sie noch einen Beweis braucht. Auf ihrer anderen Schulter ist noch Platz.«

Robert übersetzte den Satz, Wort für Wort.

Seine Mutter schaute ihn fassungslos an. Sie schüttelte den Kopf. »Nein danke, ich bin überzeugt.« Sie roch noch einmal an ihren Fingern und verzog das Gesicht. »Hatte ich wohl nicht besser verdient.« Sie warf einen Blick auf ihre Schulter, wo immer noch ein heller Fleck schimmerte.

Dann schnippte sie mit den Fingern und grinste.

»Wenn das klappt …«, murmelte sie. Sie holte ihr Handy aus der Jackentasche und tippte eine Nummer. »Hallo, Mister Glitz, Anne hier … Welche Anne? Anne Zander. Ich habe da vielleicht was für euch …«

Mehr verstand Robert nicht, weil seine Mutter in einiger Entfernung auf- und abwanderte, das Telefon am Ohr. Aber er befürchtete das Schlimmste. Wenn seine Mutter ihren ehemaligen Boss anrief – der sie gefeuert hatte und über den sie nur geschimpft hatte und der sie so traurig machte –, dann hatte sie ja wohl den Verstand verloren.

Riesenradkotzer hatte sie ihn genannt. Schwachstruller. Beckenrandschwimmer. Und das waren noch die harmlosen Ausdrücke. Den rief sie jetzt an?

Peng blickte neugierig zu Robert. Der zuckte mit den Schultern.

»Gut, dann bis gleich«, sagte seine Mutter beim Näherkommen und beendete das Gespräch.

»Okay, Jungs«, sie hockte sich neben Robert, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte. Das machte sie immer so, wenn sie etwas Wichtiges sagen wollte. »Ich fasse zusammen. Dieser kleine Pingu …«, sie unterbrach sich, »… also Ping kann die Farbe seiner Federn verändern, wie und warum auch immer.«

»Peng«, sagte Peng. »Ich heiße Peng. Nicht Ping. Peng.« Seine Stimme hallte in Roberts Kopf.

»Er heißt Peng«, sagte Robert. Dann nickte er.

»Okay, okay, Peng. Und Peng und du, ihr könnt miteinander reden. Richtig?«

Robert nickte erneut.

»Wie funktioniert das?«

Robert starrte Peng fragend an.

»Woher soll ich das wissen?«, antwortete Peng.

»Woher sollen wir das wissen?«, sagte Robert. »Ich höre seine Stimme einfach in meinem Kopf.«

»Hmm«, sagte seine Mutter. »Ist ja auch egal. Und Peng will weg hier?«

»Hat er gesagt, ja«. Robert lächelte voller Stolz.

»Dann richte ihm doch bitte aus, dass ich eine Idee habe, die sein Leben um einiges angenehmer machen könnte. Unseres übrigens auch«.

»Das brauchst du nicht zu wiederholen«, sagte Peng. »Ich bin ja nicht taub. Sag ihr, ich wäre dabei. An manchen Tagen langweile ich mich hier, das sind die guten. An den schlechten werde ich gepiekt, beschimpft oder ausgelacht. Etwas besseres als das hier finde ich allemal.«

Robert übersetzte es seiner Mutter, Wort für Wort.

»Cool«, sagte sie und blickte auf die Uhr. »Gut, dann verschwinden wir jetzt. Wir haben eine wichtige Verabredung, wir zwei.« Sie winkte Peng zum Abschied zu. »Aber wir kommen wieder, keine Frage.«

Auch Robert winkte. Er war ziemlich erleichtert.

Auf dem Weg zum Parkplatz sang seine Mutter fröhlich vor sich hin. »Bis neun bist du okay, bei zehn erst k. o. …«

Und Robert fragte sich: Was, um Himmels Willen, geht denn hier ab?


Peng, der Penguin

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