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Drittes Kapitel Der erste Vertrag

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So ein edles Restaurant hatte Robert noch nie gesehen. Der Raum schien hoch wie eine Kirche und es war auch fast so still. Auf allen Tischen lagen weiße Decken, standen riesige silberne Kerzenleuchter. Links und rechts neben den Tellern fanden sich verschiedene Gläser und so viel Besteck, dass es für eine ganze Familie gereicht hätte.

Von einem Kellner mit einer knöchellangen Schürze wurden sie zu einem Tisch geleitet, an dem ein Mann saß. Sein Kopf war fast kahl rasiert. Eine Brille saß fest auf diesem Schädel, als wäre sie angeklebt. Eine spitze Nase stach hervor. Der Mann stand auf, er war riesig und erinnerte Robert ein bisschen an einen Königspinguin. Das musste Mister Glitz sein, der ehemalige Chef seiner Mutter. Der Werbeboss.


Irgendwann einmal, Robert war acht oder neun, war er durch das Treppenhaus gelaufen und hatte lauthals »Geiz ist geil« gerufen. Seine Mutter hatte gelacht und gesagt: »Jetzt hast du meinen Job verstanden.«

Er hatte sie verständnislos angeschaut.

»Das ist ein Werbespruch«, erklärte sie. »Von einer Firma, die Radios, Fernseher, Computer und Kaffeemaschinen verkauft. Angeblich so billig, dass die Leute, die da einkaufen, geizig sind. Weil sie so wenig bezahlen.«

Robert hatte immer noch nichts kapiert. »Hä?«, sagte er.

»Also, es gibt Firmen, die stellen Computer her. Oder Jogurt oder Turnschuhe oder Zeitschriften oder Shampoo. Diese Sachen wollen sie an die Leute verkaufen, die hier im Haus leben, in dieser Straße, im ganzen Land. Sie wollen das Geld all dieser Leute haben. Deshalb gehen sie zu Experten, die diesen Leuten sagen, mit Plakaten, im Fernsehen, im Radio, im Comic, auf Konzerten oder auf den Trikots von Fußballspielern, dass diese Computer ganz großartig sind. Das ist Werbung. Und je besser die Werbung ist, desto mehr Computer, Jogurts oder Shampoos werden verkauft. Darum geht es am Ende: Wie viel wird verkauft? Und wenn sich ein Spruch wie ›Geiz ist geil‹ im Kopf so festsetzt wie in deinem, ist das schon mal sehr gut.«

»Wieso?«, fragte Robert.

»Weil Werbung überall ist. Auf der Milchtüte oder der Cornflakespackung am Frühstückstisch. Du gehst auf die Straße, ins Fußballstadion, ins Kino, und sofort siehst du ein Plakat oder einen kurzen Film. Alles das sagt dir morgens, mittags, abends: Hallo, ich hätt’ gern deine Aufmerksamkeit. Ich bin nämlich ein toller Computer. Das merkst du ja an den bunten Bildern. Den netten Menschen, die mich schon benutzen. Und an der lauten Musik. Also: Kauf mich. Das passiert ungefähr zweitausendmal am Tag. Aber wenn du so etwas zweitausendmal am Tag hörst, hörst du irgendwann gar nicht mehr zu. Wenn ich dir sage ›Räum dein Zimmer auf‹, hörst du ja auch nicht mehr zu. Bei ›Geiz ist geil‹ aber hast du zugehört. Sonst würdest du den Spruch hier nicht so rumkrähen.«

Aha, hatte Robert gedacht, das also ist Werbung. Wenn ihn jemand anbrüllt und veralbert, damit er sein Taschengeld rausrückt.

Mister Glitz brüllte nicht. Er verbeugte sich feixend vor ihnen und kniff Robert in die linke Wange. »Na«, fragte er, »solltest du nicht in der Schule sein?«

»Ferien«, antwortete Roberts Mutter knapp.

»Gut, gut«, sagte Mister Glitz und setzte sich. »Du siehst etwas heruntergekommen aus, meine Liebe. Deine Jacke ist ziemlich verranzt.«

»Eine Elster hat mich aus der Luft angegriffen«, erklärte Roberts Mutter.

»Aha«, sagte Mister Glitz. Für Robert sah es nicht so aus, als würde es ihn interessieren. »Gut, gut. Zeit ist Geld. Kommen wir zur Sache. Also, deine Idee bitte!?«

»Wenn ich richtig informiert bin«, begann seine Mutter, »sollt ihr die Werbung für Frostis Fischstäbchen übernehmen. Ausgerechnet jetzt, wo immer weniger Eltern Fischstäbchen kaufen.«

»Ist eine schwierige Zeit. Hat sich herumgesprochen, dass zu viel Seelachs gefischt, zu viel schlechte Ware verarbeitet wurde.« Mister Glitz breitete seine Arme aus, die Handflächen nach oben. »Unser Kunde aber liefert genau diese la-Qualität.«

»Wissen die Eltern das?«, fragte seine Mutter.

»Wir müssen sie eben von Frostis Vorteilen überzeugen«, fauchte Mister Glitz ohne den Hauch eines Zweifels.

»Wie das?«, hakte seine Mutter nach.

»Wir denken darüber nach«, sagte Mister Glitz schnippisch.

Das klang fast so, als wäre er sauer über die Frage. Robert vermutete, dass es für die Antwort zwei Übersetzungen gab. Entweder: Das werde ich dir doch nicht auf die Nase binden. Oder: Uns ist noch nichts eingefallen. Seine Mutter hatte immer gesagt, nimm nie etwas zu wörtlich.

»Dabei würd ich euch gern zur Seite stehen«, sagte Roberts Mutter gelassen.

»Was hast du denn zu bieten?«, fragte Mister Glitz. Das Wort »du« betonte er stark.

»Ihr braucht erstens eine gute Idee für die Fischstäbchen. Ihr braucht zweitens jemand, der sie lobt und dabei so sympathisch wie überzeugend wirkt. Ich habe beides. Aber ich habe keinen Job.«

»Ach was?«, sagte Mister Glitz. Seine Stimme klang höhnisch, gemein, fand Robert. »Tja, so etwas hab’ ich mir schon gedacht.« Nachdenklich zeichnete er mit den Zinken der Gabel Linien in die weiche Tischdecke. »Gut, gut«, sagte er nach einigem Zögern. »Wenn du mich und Frostis überzeugst, mache ich dich zur Verantwortlichen für die komplette Werbung.«

»Bekomme ich das schriftlich?«

»Jetzt?«

»Jetzt.«

»Gut, gut.« Mister Glitz griff in sein Jackett und holte einen Stift hervor. Anschließend kritzelte er einige Zeilen auf seine Stoffserviette. Er las sie noch einmal durch, unterschrieb schwungvoll und überreichte die Serviette. »Zufrieden, Anne?«

Roberts Mutter las in aller Ruhe. Dann faltete sie die Serviette zusammen und verstaute sie lächelnd in der Innentasche ihrer Jacke. »Also«, fragte sie, »was liegt Eltern für ihre Kinder am meisten am Herzen?«

Mister Glitz überlegte einen Moment. »Dass sie glücklich sind«, sagte er. »Und gesund vermutlich.«

»Vermutlich. Was wollen Kinder am liebsten?«

»Keine Ahnung. Spielen? Sich amüsieren?«

»Auch richtig. Jetzt verbinde beides.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Mister Glitz ungeduldig.

Robert verstand auch nichts.

Seine Mutter blickte in das ratlose Gesicht ihres Sohnes. »Eltern wollen, dass sich ihre Kinder gesund ernähren«, erklärte sie. »Damit es ihnen gut geht, sie ordentlich wachsen und möglichst selten krank werden. Deshalb brauchen Fischstäbchen etwas, das signalisiert, dass sie gesunde Nahrung sind.«

Robert nickte.

»Kinder dagegen«, fuhr sie fort, »wollen immer spielen, auch beim Essen. Deshalb müssen die Fischstäbchen irgendwie an Spielzeug erinnern.«

»So wie Bio-Fischstäbchen in Schlumpf-Form?«, fragte Robert.

»Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen.« Seine Mutter blickte ihn stolz an. »Obwohl, Schlümpfe sind blau, oder? Blau ist keine gute Farbe für Lebensmittel. Wirkt zu künstlich. Weil es außer Blaubeeren kaum Lebensmittel in dieser Farbe gibt. Viele Menschen denken bei Blau auch an Schimmel. Aber die Richtung stimmt: eine grüne Kruste mit Spinat, eine rote mit Tomatensoße. Und dann in verschiedenen Formen, als Auto vielleicht, als Pirat oder Prinzessin.«

»Als Son Goku«, sagte Robert.

»Als was?«, fragte seine Mutter.

»Son Goku. Der Held in Dragonball. Mann, Mama, du kennst auch gar nichts.«

»Das ist ein Manga, oder?«, fragte seine Mutter. Überflüssigerweise, wie Robert fand.

Im selben Moment sah Mister Glitz so aus, als wäre wie im Comic eine Glühbirne über seinem Kopf aufgeleuchtet. »Das ist ja genial«, sagte er.

»Nun übertreib nicht«, sagte Anne und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, die Arme sichtlich zufrieden vor der Brust verschränkt.

»Okay«, sagte Robert. »Aber was hat Peng damit zu tun?«

»Wer oder was ist Peng?«, erkundigte sich Mister Glitz neugierig.

»Peng ist Teil zwei meiner Idee«, sagte Roberts Mutter. »Der bessere. Ich schlage aber vor, du besprichst erst einmal Teil eins mit den Bossen von Frostis. Sollte denen die Idee gefallen, treffen wir uns mit Peng.«

Mister Glitz nickte verblüfft. Er verstand offenbar, dass Anne nicht sofort alle Trümpfe aus der Hand geben wollte und wechselte das Thema. »Wollt ihr was essen?«

Roberts Mutter blickte ihren Sohn an. »Was meinst du?«

»Es gibt hier eine echte afrikanische Köstlichkeit«, sagte Mister Glitz. »Gefülltes Kamel. In dem Kamel steckt ein Kalb, in dem Kalb ein junges Lamm, in dem Lamm ein Huhn und in dem Huhn wiederum ein Ei. Die Kunst besteht darin, eine Scheibe so von dem Kamel abzuschneiden, dass alle Fleischsorten, selbst ein Stück von dem Ei auf dem Pfannkuchen landen, auf dem serviert wird.« Er kicherte.

Robert schüttelte den Kopf. Das Kichern überraschte ihn. Für so einen großen Menschen schien ihm dieses Lachen viel zu hoch und zu schrill. Wie das Kreischen einer auslaufenden Kreissäge.

»Vielen Dank für das Angebot«, sagte Roberts Mutter. »Aber wir essen aus Prinzip nichts, was mehr als vier Beine hat.«

Zu Hause kochte seine Mutter Spagetti mit Tomatensoße, Robert schnitt für den Obstsalat eine Ananas klein.

»Hast du jetzt wieder Arbeit?«, fragte er und warf den Blätterzapfen in den Mülleimer.

»Vielleicht«, sagte sie und rührte die Soße um. »Hoffentlich.«

»Krieg ich dann ein neues Computerspiel?«

»Oh, Mann«, sagte sie.

Diesen Tonfall kannte Robert. Den gleichen hatte sie, wenn er davon erzählte, was seine Klassenkameraden sich alles leisten konnten. Oder wenn sein Vater vor der Tür stand, um ihn, wie an jedem zweiten Wochenende, abzuholen, um ihn zu einem Fußballspiel oder ins Kino mitzunehmen.

»Es gibt noch so viele offene Fragen«, sagte sie am Esstisch. »Erst mal muss Frostis zustimmen, diese Art von Fischstäbchen herzustellen. Dann müssen sie auch damit einverstanden sein, dass Peng für diese Fischstäbchen werben soll. Und dann müssen wir auch mit dem Vogelpark klären, ob sie Peng überhaupt dafür freigeben.«

»Was soll er denn tun?«

»Was ein Pinguin so tut. Schwimmen, tauchen, Fisch fressen.«

Am Abend wusch seine Mutter ihm die Haare. Meistens machte er das selbst, aber heute wollte er sich richtig verwöhnen lassen. Der Duft des Bananen-Shampoos füllte das Badezimmer.

»Was ist warm und riecht nach Banane?« Robert grinste.

Seine Mutter blickte ihn fragend an.

»Affenkotze«, sagte er und feixte weiter.

»Oh, Mann«, sagte sie und überprüfte die Temperatur des Wassers, das aus dem Duschkopf kam. Aber diesmal war ihr Tonfall weder klagend noch genervt. Diesmal lächelte sie.

»Wieso kann der Tierpark eigentlich bestimmen, ob Peng Werbung macht oder nicht?«, fragte Robert und streckte seinen Kopf nach hinten, damit sie seine Haare abbrauste.

»Peng gehört doch denen«, antwortete seine Mutter.

»Aber sie behandeln ihn schlecht.«

»Das hat er dir erzählt?«

»Na ja, überleg mal. Es gibt da zwei Sorten Pinguine, einen wie ihn und ganz viele andere. Als wir hierher gezogen sind und ich in die Schule kam, kannte ich auch keinen in meiner Klasse.«

Sie trocknete ihn ab, hüllte ihn in einen Bademantel und rubbelte dann, ohne etwas zu sagen, seine Haare trocken. An ihrem Schweigen merkte er, dass er ein unangenehmes Thema angesprochen hatte. Nachdem sie das Handtuch aufgehängt hatte, hockte sie sich neben ihn, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte.

»Inzwischen ist das aber anders«, sagte sie. »Oder, Rübe?«

Robert nickte.

»Du hast neue Freunde. Till. Clarissa. Nils.«

Robert nickte.

»Ich weiß, dass es schwer für dich war. Der Umzug. Die neue Klasse. Du musst dich einige Zeit ziemlich allein gefühlt haben.«

Robert sah sie an.

»Und dass sich dein Vater und ich getrennt haben, natürlich«, fuhr sie fort. »Aber stell dir vor, wir hätten uns andauernd weiter gestritten. Immer lauter, immer doller. Das wäre doch noch viel schlimmer gewesen …« Sie verstummte und schaute ihn an.

Robert sagte nichts.

Sie fuhr ihm zärtlich durch die Haare. Dann stand sie mit einem leisen Seufzen auf und griff nach dem Fön.

»Peng will da weg«, sagte Robert.

»Ich weiß. Aber ohne die Erlaubnis des Vogelparks können wir nichts tun.« Seine Mutter steckte den Fön in die Steckdose. »Komisch, funktioniert nicht.«

»Gib mal her«, sagte Robert und seine Augen blitzten. Das alte Erschreckspiel. Er hielt den Fön seiner Mutter direkt vors Gesicht. »Kuck mal, ist da was kaputt?«

Seine Mutter schaute direkt in den Fön. Robert schaltete ihn ein und der Fön fauchte wild auf. Seine Mutter riss die Augen auf und zuckte zusammen. Robert lachte. Seine Mutter lachte auch. Als nur noch die Haarspitzen feucht waren, fragte er: »Warum entführen wir Peng nicht einfach?«


Peng, der Penguin

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