Читать книгу Weil ich dem Leben vertraue - Helmut Zöpfl - Страница 12
ОглавлениеGespräche
Neulich war wieder eine der sogenannten Gesprächsrunden im Fernsehen, mit einem Moderator selbstverständlich. Ich erfuhr in dieser Runde viel Interessantes, nicht zuletzt aber war sie Anlass, mir ein wenig Gedanken über das Gespräch an sich zu machen, und ich dachte an das, was Joseph Wechsberg schreibt: »In der modernen Diskussion teilt niemand die Meinung des andern …«
Jeder stellt sich dar. Eine Sendung dauert eine bestimmte Zeit, und der Moderator stellt jedem eine Sprechzeit zur Verfügung. Wer kann es sich schon leisten, diese Zeit nicht zu nutzen. Zeit ist schließlich Geld. Und es ist die große Chance, sich ins rechte Licht zu setzen. Dieses »Etwas-Sagen-Müssen« lastet offensichtlich auch bei vielen Tagungen und Sitzungen auf den Teilnehmern. Wie könnte es sonst sein, dass sich immer wieder Leute zu Wort melden, das Wort ergreifen (und nicht mehr abgeben), die – zumindest in diesem besonderen Fall – nichts oder nur wenig zu sagen haben. Selbst bei Angelegenheiten, die von vorneherein sonnenklar sind, wird geredet, endlos geredet, und wenn es die wortreiche Begründung ist, warum man dem Vorredner zustimmt, der seinerseits vorher Übereinstimmung mit seinem Vorredner bekundet hat.
Hier ist wenigstens offenbar noch zugehört worden. Oft aber fehlt dieses für eine Unterhaltung so wesentliche Moment. Wechsberg drückt es so aus : »Heutzutage besteht die Unterhaltung darin, dass der eine es kaum mehr erwarten kann, dem andern ins Wort zu fallen … Während der eine redet, lauert der andere schon darauf, dass jenem die Logik, die Überzeugungskraft, der Faden oder am besten der Atem ausgeht. Kaum macht er eine unfreiwillige Pause, bemächtigt sich der andere des konversationellen Vakuums und beginnt zu reden … In der heutigen Form von Unterhaltung siegt … der Stärkere, in diesem Fall der Mensch mit den schnelleren Reflexen und der lauteren Stimme. Die andern hören mitten im Satz auf, und jetzt sind sie böse. Sie starren dem Redner verbittert auf den Mund, in der Hoffnung, er möge sich auf die Zunge beißen.« (Joseph Wechsberg, Lebenskunst und andere Künste, München 1980, S. 32 f)
Jeder denkt darüber nach, was er hätte sagen wollen oder in der knappen Zeit noch hätte sagen können, und wie er sich das nächste Mal besser durchsetzen könnte. Er wartet eigentlich nur, um dem andern bei einem entsprechenden Stichwort ins Wort fallen zu können.
Ich erlebe immer wieder Vorträge mit anschließender Diskussion, in denen Diskussionsteilnehmer statt Fragen an den Redner zu richten, Koreferate halten, die oft länger sind als die Hauptrede. Die Kunst einer kurzen, präzisen Fragestellung scheint bei diesen Diskussionen überhaupt abhandengekommen zu sein. Aber vielleicht will man auch gar nicht fragen. Man hat ja ohnehin bereits seine Antwort parat. Und sich selber in Frage stellen? Ja, wo käme man da hin? Man erinnere sich an Plato und Sokrates, die ihre Äußerungen oft mit einer Frage beschlossen: »Und was sagst du, mein Freund Timotius?« Das aber interessiert wohl niemand mehr.
Politikerreden können auch als beredtes Beispiel für eine gewisse Gesprächsmisere gelten. Hierzu meint Wechsberg: »Die Reden der Staatsmänner werden weniger nach ihrem Inhalt als nach ihrer Dauer gewertet. Die Marathonredner, die vor den Parteigenossen fünf Stunden lang reden, oder oppositionelle Senatsmitglieder, die 13 Stunden lang den Mund offen haben, um den Gegner nicht zu Wort kommen zu lassen - wobei es gleichgültig ist, was sie sagen -, gelten als Helden unserer Zeit.« (a. a. O., S. 33)
Die Erkenntnis, dass Quantität nicht Qualität ersetzen kann, ja die Länge der Aussage deren Qualität geradezu entgegenwirken kann, scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben. Churchill erzählt mit Selbstironie, dass es ihn bei seinen vielen Reden nie gestört habe, wenn jemand auf die Uhr schaute, sondern erst, wenn einer die Uhr ans Ohr gehalten habe, um festzustellen, ob sie nicht stehengeblieben sei. Die alte Regel: »Rede über alles, nur nicht über zehn Minuten« hat leider meist zu wenig Geltung. Für viele Reden gilt natürlich auch Robert Lembkes spitze Bemerkung: »Ob sich Redner darüber klar sind, dass neunzig Prozent des Beifalls, den sie beim Zusammenfalten ihres Manuskripts entgegennehmen, ein Ausdruck der Erleichterung ist?«
Wir brauchen aber gar nicht auf andere zu verweisen. Haben wir nicht alle immer mehr verlernt, miteinander zu reden? Interessiert uns noch, wenn uns andere ihre Meinung mitteilen, oder sind wir nicht von vornherein der Auffassung, dass wir die Meinung des andern ohnehin nicht teilen? Haben wir uns heute immer weniger zu sagen? Wie käme es sonst, dass man so gerne davon Gebrauch macht, sich durch den Lärm der Musik einer Disco, einer Blaskapelle oder auch eines Smartphones vor dem Gespräch zu drücken? Sicher ist die Gesprächsmisere Ausdruck einer gewissen Vereinsamung des Menschen in der Masse. Noch nie ist so viel über Unterhaltung geredet worden, und noch nie hat man sich so wenig unterhalten. Wir reden über alles Mögliche, aber immer weniger miteinander. Dabei fänden wir mithilfe des Gesprächs nicht nur zum andern, sondern auch zu uns, wie es Martin Buber ausdrückt: »Im Gespräch begegne ich nicht nur den andern, sondern mir selber.«