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II

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Die Stunde der Abreise ist erschienen! Da, vor den Hütten steht ein schöner junger Mann, den Stock über die Schulter geworfen und den Bündel auf dem Rücken. Seine sonst so lebendigen Augen irren langsam umher, sein Angesicht ist ernst und Alles scheint Gemütsruhe in ihm zu verrathen; obgleich das Herz ihm heftig klopft und seine Brust schwere Athemzüge schwellen und krampfhaft bewegen.

Seine Mutter hält eine seiner Hände fest und überhäuft ihn mit den wärmsten Liebesbezeugungen; die arme Frau weint nicht: ihre Wangen beben unter der Gewalt, die sie sich anthut um ihren Schmerz zu verbergen. Sie lacht ihrem Kind zu um es zu trösten; aber dies Lächeln, erzwungen und peinlich, ist entsetzlicher noch als die bitterste Klage.

Die andere Wittwe ist beschäftigt den kleinen Knaben zu beschwichtigen und ihm weiß zu machen, daß Jan bald zurückkommen wird; aber das Kind hat, bei der jahrelangen Trauer seiner Eltern schon begriffen, daß der Abschied ein schreckliches Unglück ist, – und es schreit nun aus vollem Halse.

Der Großvater und Trien sind drinnen, um die letzten Zubereitungen zur Reise fertig zu machen: sie höhlen ein Festbrod aus und füllen es mit Butter. Dann kommen sie mit dem Reiseproviant vor die Thüre und bleiben bei dem Jüngling stehen.

Der Stall ist offen; der Ochs schaut traurig nach seinem Herrn hin und brüllt einmal um das andere ganz schwermüthig; man sollte sagen, daß das Thier begreift was da vorgeht.

Alles ist bereit: er ist auf dem Punkte fortzugehen. Schon hat er die Hand seiner Mutter fester gedrückt und einen Fuß vorausgesetzt; da schlägt er noch einmal sein Auge rund umher, umfaßt in einem langen Liebesblick die niedere Hütte wo seine Wiege stand, die Haide und die Wälder, welche die Zeugen seiner Kinderspiele waren und die magern Felder, die sein jugendlicher Schweiß so oft schon befeuchtet! Hierauf fällt sein Auge der Reihe nach auf Alle die er liebt, bis auf den Ochsen, seinen treuen Gefährten in der sauren Arbeit er verbirgt das Gesicht in seine Hände und zerdrückt die Thräne, welche über seine Wange rollt und schluchzt mit kaum hörbarer Stimme: »Lebet wohl!«

Dann hebt er sein Haupt wieder empor, schüttelt seine langen Haare und schreitet mit Entschlossenheit fort.

Doch Alle folgen ihm; noch wollen sie ihn nicht verlassen. Nicht weit vom Dorfe, am Kreuzwege, hängt ein Muttergottesbild unter dem Lindenbaume. Trien hat es an einem schönen Maiabend dorthin gehängt und Jan an dem Fuß des Baumes einen Betstuhl gezimmert. An dieser heiligen Stätte, wo jeden Tag Einer von den guten Leuten ein Dank- oder ein Bitt-Gebet zu Gott empor steigen läßt, soll ihren bebenden Lippen das letzte Lebewohl entschlüpfen . . .

Schon sehen sie in der Ferne den Lindenbaum und bereiten sich zum letzten Abschied vor. Der Jüngling mäßigt seinen Schritt, während seine Mutter mit herzlichen Liebkosungen zu ihm spricht:

»Jan, liebes Kind, vergiß nicht was ich dir empfohlen habe. Halte Gott stets vor Augen und unterlasse nie vor dem Schlafengehen zu beten. So lang du dies thust, wird dein Herz rein bleiben; und solltest du einmal dein Gebet vergessen haben, so denk den andern Tag an mich, deine Mutter, und du wirst wieder brav werden; wer an Gott und seine Mutter denkt hat einen Schirm gegen jedes Uebel, lieber Sohn.«

»Ich will immer, immer an euch denken Mutter,« schluchzte der Jüngling, »und wenn ich traurig bin und der Muth mich verläßt, wird die Erinnerung an euch mich stärken und trösten; – denn ich werde, das fühle ich wohl, unglücklich sein: ich seh euch gar zu gerne.«

»Und dann mußt du nicht fluchen, hörst du wohl, und nicht liederlich leben, du wirst in die Kirche gehn, nicht wahr? und uns so oft als möglich über deine Gesundheit benachrichtigen und stets denken, daß ein Wort von dir, deine Mutter glücklich macht, nicht wahr? o ich werde jeden Tag ein Gebet an deinen Schutzengel richten, auf daß er dich nicht verlasse.«

Die sanften Laute seiner Mutter rührten den Jüngling tief; er traute sich nicht sie anzublicken, denn in diesem feierlichen Moment hätte ihn das feuchte Auge seiner Mutter zu sehr ergriffen; so hörte er sie mit gesenktem Haupte an. Seine einzige Antwort bestand in einem festeren Händedruck und einem langen Seufzer, der die Worte »Mutter, liebe Mutter« fast erstickt.

Sie nahten schweigend dem Kreuzwege, der Großvater begab sich an die andere Seite des Jünglings und sagte mit ernster Stimme: »Jan, mein Sohn, du wirst deine Pflichten erfüllen ohne Widerwillen und mit Liebe, nicht wahr? deinen Vorgesetzten gehorsam sein und mit Geduld selbst eine Ungerechtigkeit erleiden, die sie dir zufällig angethan hätten? jedem gefällig und dienstfertig sein? guten Willen zeigen und Alles thun was dir auferlegt wird? dann wird Gott dir, beistehen und Vorgesetzte und Kameraden werden dich lieben« . . .

Trien mit ihrer Mutter und dem Kleinen waren schon unter dem Lindenbaum auf dem Gras an der Bank knieend und beteten.

Jan hatte die Zeit nicht dem Großvater auf seine Empfehlungen zu antworten; seine Mutter zog ihn an die Bank.

Jetzt knieen sie Alle nieder und beten mit aufgehobenen Händen . . .

Der Wind rauscht durch die Zweige des Lindenbaums, die Frühlingssonne scheint milde auf den sandigen Weg, die Vögel in den Lüften fingen ihr fröhliches Lied; und doch ist Alles ruhig und feierlich, während sie ihr frommes Gebet flüstern . . .

Es ist vorbei; sie stehen Alle auf; doch ihre Augen sind in Thränen gebadet. Die Mutter umhalst ihr Kind unter bitteren Klagen und obgleich die andern mit offenen Armen bereit stehen um Abschied zu nehmen, läßt sie ihren theuren Sohn doch nicht von sich; sie küßt ihm die Thränen von den Wangen und murmelt unverständliche Worte vor Kummer und vor Liebe.


Endlich setzt sich die ermattete Wittwe, die trotz ihrer Erschöpfung noch immer weint, auf die Bank nieder.

Jan umhalst hastig seinen Großvater und Trien's Mutter; schiebt das weinende Brüderchen, das sich um seine Beine geklammert hatte, freundlich von sich, lauft dann noch zu seiner Mutter, küßt sie auf die Stirne und ruft mit schneidender Stimme: »Lebewohl!« und geht ohne sich weiter umzusehen, auf das Dorf. Bald hat ihn ein naher Busch dem Blicke seiner Eltern entzogen.

Trien, die das Festbrod unter dem Arme trägt, kann ihm kaum folgen.

Einige Zeit gehen die beiden jungen Leute neben einander ohne zu sprechen; ihre Herzen klopfen heftig, eine tiefe Schamröthe bedeckt Beider Stirnen und Wangen, sie wagen es nicht aufzusehen. Feierliche Stunde, in der zwei Seelen vor einem Bekenntniß beben, welches ihnen ein heilig bewahrtes Geheimniß enthüllen soll!

Jan sucht schüchtern Trien's Hand, und faßt sie; doch als ob diese Berührung ein Verbrechen wäre und diese Hand ihn brennte, läßt er sie los und zittert.

Doch nach einer Pause ergreift er sie wieder und spricht mit einem tiefen Seufzer:

»Trien, werdet ihr mich nicht vergessen?«

Thränen waren des Mädchens einzige Antwort.

»Werdet ihr warten, bis Jan vom Militär zurückkommt,« fragte der Jüngling wieder, »darf er wenigstens diesen Trost mitnehmen um nicht vor Kummer zu sterben?«

Das Mädchen heftet seine großen, blauen Augen auf ihn; der lange, sehnsüchtige Blick, den es auf ihm ruhen läßt, dringt wie ein Sonnenstrahl in sein Herz und läßt es in früher nie gekannter Seligkeit schwelgen.

Bewußtlos steht er einen Augenblick da, er weiß nicht wie es kam, doch haben seine brennenden Lippen die Stirne des Mädchens berührt. Dann wich er scheu zur Seite und schlang seinen Arm um einen Eichenstamm.

Dort vor ihm strahlt das Gesicht der Geliebten im keuschen Feuer des Liebesglücks; er legt sich die Hand aufs Herz, das ihm jetzt in wildem Pochen die Brust fast zersprengt; und doch ist eine unaussprechliche Wonne auf seinem Gesicht zu lesen; seine Augen leuchten, er hebt den Kopf stolz in die Höhe, es schien, daß der einzige Blick der Geliebten ihn mit Riesenkraft und Riesenmuth begabt hatte.

Da tönte hinter dem Gehölze eine bekannte Stimme, es naht Jemand, der ein fröhliches Lied sang . . .

Es war des Kartoffelbauers Karl, der auch mitziehen mußte und sich ins Dorf begab.

Trien that sich Gewalt an um ihre Rührung zu verbergen. Aus ihren süßen Träumen geweckt, warf sie einen flüchtigen Blick auf ihren Freund, um ihn zum Fortgehen zu bewegen, auf daß nicht Karl ihn erreiche und ein fremdes Auge lese, was in ihrer Seele vorging.

Doch Karl schritt schnell voran um seinen Kameraden einzuholen, Trien bemerkte es wohl und sagte schnell.

»Jan, wenn ihr fort seid, werde ich allein für eure Mutter, euren Großvater und euer Brüderchen sorgen; ich werde das Feld pflügen und auch den Ochsen pflegen, daß ihm nichts abgeht. Ich bin dazu stark und gesund genug und ihr sollt bei eurer Zurückkunft Alles wiederfinden, so wie ihr es bei eurem bitteren Abschiede gelassen habt.«

»Alles,« wiederholte der Jüngling, ihr tief in die Augen blickend, »Alles?«

»Ja, Alles, so lang ihr wegbleibt, will ich nicht auf die Kirmeß; ohne euch ist mir doch Alles gleichgültig. Aber . . .ihr müßt auch nicht thun wie der häßliche Schmidt euch rieth, vom Trinken und den netten Mädchen, denn wenn ich das wüßte, so läge ich lieber im Kirchhof . . .«

In diesem Augenblick legte Karl seine schwere Hand auf Jan's Schulter und sang zum Scherz mit trauriger Stimme:

»Gott, schöner Schatz, was ist das Herz mir schwer,

Ich soll jetzt fort von dir zum Militär,

Adieu, vergiß mein nicht!«


Das Mädchen wurde schamroth. Jan, der ihre Verlegenheit bemerkte, antwortete lachend auf den Scherz des Kameraden und faßte ihn beim Arm um mit ihm gegen das Dorf zu ziehen. Trien folgte schweigend.

Wie sie in das Dorf kommen, finden sie vor der Krone noch drei junge Leute mit dem Ranzen auf dem Rücken, die auf die Ankunft von Jan und Karl warteten.

Ein Jeder küßt seine Eltern und Freunde. Trien allein küßt Niemanden; aber in den verstohlenen Blick, den sie mit Jan austauscht, indem sie ihm das Festbrod giebt, liegt ein rührendes Einverständniß ihrer Seelen.

Die Rekruten ziehen nach der Stadt.

Trien verläßt das Dorf ohne zu weinen, doch am kleinen Gehölz geht ihr das Herz über, sie kehrt mit der Schürze vor den Augen zur Hütte zurück, wo jetzt Alles so leer ist und vom Sohn und Geliebten die Erinnerung des traurigen Abschiedes übrig bleibt.

Der Rekrut

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