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Delta

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»Also, was haben wir denn hier?«, fragte der Mediziner mit nasaler Stimme und setzte sich den Nasenzwicker auf.

»Tja...« Horatio hatte sich beide Hemdsärmel hochgekrempelt und stützte sich auf dem Untersuchungstisch auf. »Eine Leiche... oder so etwas Ähnliches.«

Der Doktor hob beide Augenbrauen bei dem eher ungewöhnlichen Anblick, der sich vor ihm auf dem Tisch ausbreitete. Während seiner Untersuchungsarbeit für die Polizei hatte Magister Theodoros Archibald von Nussdorf-Ebner schon so einiges zu Gesicht bekommen, und auch viele Tote waren auf seinem Tisch gelandet. Aber solch ein Fall war ihm noch nicht unter die Augen gekommen. Zwar verschlang der Millionenerbe, der lediglich zum Vergnügen arbeitete, jede Literatur und Prosa zum Thema Mord, die ihm in die Finger kam — doch bisher war eine derartige Möglichkeit noch nicht einmal erdacht worden.

»M-hm! Oder so etwas Ähnliches ...«, murmelte er, als seine Finger vorsichtig den golden leuchtenden Strick betasteten.

Die Leiche des Geistes Elsa war fast vollständig vergangen. Gräuliche unförmige Schemen, wie eine dunkle diffuse Wolke. Das Seil lag schlaff auf dem Geistergebilde und durchdrang an einigen Stellen die Gestalt bereits.

»Das sieht aus wie etwas, das abends, wenn meine Frau den Ofen anmacht, heraus dampft und zur Decke wabert. Verzeihen Sie mir meine geschmacklose und unsensible Direktheit, aber etwas anderes fällt mir dazu nun wirklich nicht ein.«

»Das war einmal ein junges Mädchen, oder vielmehr der Geist eines jungen Mädchens.«

»Werter Horatio, wir kennen uns nun bereits seit vielen Jahren, aber wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde, dann würde ich es Ihnen nicht glauben. Und wenn Sie mir nicht gesagt hätten, wer oder was dieses Ding hier einmal war, dann hätte ich es nicht zu erkennen vermocht.«

Ein trauriges Nicken. Horatio wurde bewusst, dass er noch nicht einmal wusste, wie das Mädchen eigentlich ausgesehen hatte. Er kannte nur eine verwischte, schemenhafte Verzerrung ihres Gesichtes. »Tja... Werden Sie es schaffen, anhand der Überreste etwas herauszufinden?«

»Nun, es wird eine Herausforderung werden.« Der Doktor griff nach einem Paar weißer Stoffhandschuhe, die am Rand des Untersuchungstisches bereit lagen. »Sehen Sie das? Da ist etwas. Dort unten, am Seil unter der Toten. Sieht aus wie ein Stofffetzen, der an dem Seil hängen geblieben ist. Ich werde mal sehen, was es damit auf sich hat. Ist das dann vorerst alles?«

»Nicht ganz, ich habe noch das hier gefunden.«

Horatio griff in seine Tasche, zog das Tuch mit der Probe aus dem Ofen hervor und legte es vor dem Doktor auf den Tisch. Dieser schlug das Tuch vorsichtig beiseite und besah den Inhalt.

»Ah....« Er rümpfte die Nase und legte seine Stirn in Falten. »Asche. Was soll daran nun besonders sein? So etwas haben wir auch in unserem Ofen. Wo haben Sie das her?«

»Was meinen Sie? Aus dem Ofen in dem Raum, wo der tote Geist lag. Haben Sie in Ihrem Ofen etwa auch zu Pulver zerstoßenes Geisterlicht, werter Theo?«

Von Nussdorf-Ebner sah ihn mit großen Augen an und fast wäre sein Zwicker von der Nase gefallen. »Geisterlicht? Aber hier ist kein Geisterlicht. Das ist nur ganz gewöhnliche Asche.«

Horatio stutzte und blickte auf das Häufchen. Tatsächlich — Asche. Ganz normale Asche, wie sie in jedem Ofen zu finden war.

»Das kann nicht sein!«, rief Horatio aus und schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich habe es doch genau gesehen. Dieses goldene Glimmen, wie zerstoßenes Geisterlicht. Es war überall im Ofen.«

»Nun, dann haben Sie vielleicht...«

»Nein! Ich habe ganz bestimmt keinen Fehler gemacht. Weder haben mich meine Sinne getäuscht, noch habe ich an der falschen Stelle zugegriffen. Das Zeug hat geleuchtet!«

Zaghaft reichte der Doktor das offene Taschentuch mit der Asche zurück und klopfte die Handschuhe an seinem Kittel sauber. »Ich glaube Ihnen ja, dass Sie glauben, was Sie gesehen haben. Aber an Ihrer Stelle würde ich die Asche in meinen Laboratorien trotzdem mal genauer untersuchen lassen. Wer kann schon ahnen, was sich darin noch so alles verbirgt.«

Horatio nickte. Das schien ihm eine gute Idee zu sein. Er legte das Bündel auf den Untersuchungstisch neben Elsas Leiche.

»Was soll mit den... Resten geschehen, nachdem ich fertig bin?«, unterbrach der Doktor Horatios Gedanken.

»Hm? Ach so, ja. Die... äh... die sterblichen Überreste sollten an die Mutter zurückgegeben werden. Ist das irgendwie möglich?«

»Nun, es gibt Gefäße, die mit Geisterlicht überzogen sind. Man könnte so eins als Urne gebrauchen, auch wenn es keine Garantie gibt, dass diese diffuse Masse nicht nach einer Weile das Gefäß durchdringt und sich auflöst. Aber so könnte die Tote ihr Kind wenigstens hier abholen.«

»Bitte, tun Sie mir den Gefallen und seien Sie meiner Klientin gegenüber korrekt und benutzen das Wort ›Verblichene‹. Sie ist eine sehr anständige, nette Dame.«

»Nun ja...« Von Nussdorf-Ebner setzte einen blasierten Gesichtsausdruck auf. »Wussten Sie, dass es bereits Bestrebungen gibt, das Material Geisterlicht neu zu benennen, weil sich einige Tote von dem Wort ›Geist‹ beleidigt fühlen? Es wird immer schlimmer mit dem Pöbel in dieser Welt.«

Horatio nickte, aber nicht unbedingt, weil er dem Magister zustimmte, sondern weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte.

Hier und da ließ sich die elitäre Erziehung und hoch-adlige Gesinnung des Mediziners nur allzu deutlich erkennen. Und mochte er auch in Horatios Augen bei den meisten Dingen recht haben — er wollte unter keinen Umständen, dass seine Klientin noch mehr Unannehmlichkeiten ertragen musste.


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