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Epsilon

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»Widerlich, das alles...«

Burkhard biss die Zähne zusammen, während mit Geisterlicht durchwirkte Handschuhe ihn abtasteten. Genervt ließ der Kleinganove mit seiner auffälligen Hasenscharte die Prozedur der Einlasskontrolle über sich ergehen.

In dieses Etablissement der etwas anderen Art sollte keiner hinein, der dort nicht hingehörte. »Das Haus der tausend Lichter« war ein sogenanntes Schattenhaus, ein geheimer Treffpunkt für all jene, die ihrer verpönten und gesellschaftlich geächteten Sucht frönten. Das alte Gutshaus glich inzwischen mehr einem heruntergekommenen Schuppen; kaum noch etwas an der zugewucherten, maroden Fassade erinnerte an die vornehmen Villa, die es einst war. Wie eine finstere, verlorene Ruine lag das Haus am Rand der Stadt hinter Fabriken und Metallwerken, wo der Gestank von verschmutztem Dampf und industriellen Abfällen alles durchdrang. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt, und man konnte kaum sehen, wo man auf dem morschen Boden hintrat. Abgestandene Luft schlug dem Besucher entgegen, und die Feuchtigkeit hatte Putz und Tapeten schon lange von den Wänden gelöst.

Ein zerlegter Stuhl, der achtlos im Gang liegen gelassen worden war, wurde Burkhard zur Stolperfalle. Fluchend stieß er sich den Knöchel. Er wollte nicht unnötig auffallen und biss sich daher sofort auf die Lippen. Doch anscheinend kümmerte es hier niemanden. Gedämpfte Stimmen, Unterhaltungen, Stöhnen, Kichern — aus allen Ecken des Hauses und hinter den zahlreichen Türen hervor drangen Geräusche zu ihm. Ein Geist huschte quer über den Flur durch die Wände von einem Raum zum anderen und erleuchtete dabei kurz den Weg. Ein wenig beklommen humpelte der Besucher die Treppe zum Keller hinab. Dort war es noch düsterer, noch muffiger, noch dreckiger. Die letzte der acht Türen auf der linken Seite am Ende des Ganges — das war sein Ziel.

Den Kopf voran lugte er vorsichtig durch die Tür. Unentschlossen zuckte er mehrmals vor und zurück. Sollte er da wirklich hineingehen? Wollte er das? Burkhard war nicht gerade jemand, den man einen Menschen mit Moral nennen konnte, doch dieses Milieu gruselte ihn regelrecht. »Ach, was soll’s«, murmelte er, spähte noch einmal kurz ins Zimmer und schob endlich die Tür leise knarrend auf.

Die anwesenden Geister tauchten das fensterlose Zimmer in einen blassen Lichtschimmer und erhellten eine seltsame Szenerie. Burkhard kniff die Augen zusammen und verzog den Mund. »Wie vulgär...«, entfuhr es ihm.

In der Mitte des Raumes stand ein altes Sofa und der Mann, der sich darauf räkelte, schien in höchstem Sinne zufrieden. Er wand sich voller Wonne auf dem zerschlissenen Möbelstück und streckte die Beine weit von sich. Berauscht lachte er auf und gluckste dabei, trunken von den Berührungen der beiden hübschen Geister-Frauen, die ihn vergnügt kichernd umschwebten. Wann immer sie ihre Hände in seinen Körper tauchten, zuckte er zusammen, zappelte mit den Beinen und quiekte auf.

»Mehr, meine Holde, meeeehr«, stöhnte er. »Das Herz, nimm nochmal das Herz.«

Der Geist zu seiner Linken schwebte über ihn und drang mit beiden Händen in den Brustkorb des Mannes ein. Seinen tiefen Seufzern konnte man entnehmen, dass er die geisterhafte Massage seines Herzens genoss.

Angewidert wand Burkhard seinen Blick zur Decke und betrachtete die noch sichtbaren Reste eines Rankenmusters, das auf das Holz gemalt war.

Dies war ein weiterer Grund, warum Menschen die Gesellschaft Verblichener mieden. Es fühlte sich jedes Mal sonderbar fremdartig an und kribbelte auf eine widerwärtige Weise, wenn ein Geist durch den lebenden Körper eines Menschen drang. Dauerte die Berührung allerdings an, dann schmerzte es mehr und mehr. Man konnte sich jedoch daran gewöhnen. Tauchte ein Geist länger in einen lebenden Körper ein, so wurde das ekelhaft kalte Gefühl intensiver und qualvoller, brachte das berührte Organ zum Vibrieren und verursachte letzten Endes einen kurzen Schock. Wer diesen schwindelerregenden Ohnmachtsgefühlen verfiel, den versetzten die peinvollen Anfälle in eine Art Rauschzustand. Der Schmerz wurde zur Abhängigkeit, der Adrenalinschock zur Ekstase.

Ein lautes Räuspern. »Ähem... Reinhold?«

»Was?« Völlig irritiert hob der Mann seinen Kopf. Die Geister wichen zur Seite und betrachteten den Eindringling mit abfälligen Blicken. Als Reinhold seinen Besucher erkannte, richtete er sich benommen auf. »Du sollst mich doch nicht bei meinem echten Namen nennen.«

Burkhard versuchte sein Unwohlsein zu überspielen, doch ihm war genau anzusehen, wie er sich fühlte. »Kann ich dich mal kurz sprech’n? ...bitte.«

»Hmm...« Der Mann schien nicht sehr begeistert von der Bitte und erhob sich nur widerwillig vom Sofa. Ein leichtes Schwanken zeichnete seinen Gang aus, als er sich Richtung Flur bewegte. Kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um und zwinkerte den beiden Geistern zu. »Nicht weggehen, hört ihr?«

Auf dem Flur war niemand, doch der Besucher lauschte noch einmal mit angestrengtem Gesichtsausdruck, um ganz sicherzugehen, dass sie weitgehend ungestört waren. Der ›flotte Burkhard‹, wie er oft genannt wurde, war ein stets aufgeregter, nervöser Mann, der sehr schnell sprach und gerne mal den ein oder anderen Wortteil verschluckte.

»Wieso kannste nich’ einfach Pilze nehmen oder Rauschkraut rauchen, wie jeder and’re auch? Das is’ ja... abartig.« Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Ekels.

»Was willst du?« Reinhold versuchte, die Fassung zu bewahren, obwohl er verärgert war. Zuerst die unschöne Unterbrechung, und nun äußerte sich sein Gegenüber auch noch abfällig.

»Sag’ mal, womit bezahlste die eigentlich? Vielleicht... mit Geisterlicht-Waffen?« Ein breites Grinsen zog sich über Burkhards Gesicht. Er ähnelte dabei einem Karnickel, nicht zuletzt aufgrund seiner Hasenscharte.

»Wofür hältst du mich?« Reinhold wurde nun doch ungehalten und verschränkte die Arme, was keine gute Idee war. Er schwankte und musste sich sofort wieder an der Wand abstützen.

»Ich lasse mich nicht mit Mördern in einen Topf werfen.«

Die Bezeichnung »Mörder« war hierfür ziemlich treffend, vor allem im juristischen Sinne. Messer, Dolche und andere Waffen, deren Griffe mit Geisterlicht überzogen waren, erfreuten sich bei verblichenen Verbrechern recht großer Beliebtheit. Der Besitz, die Herstellung und der Handel mit Geisterlicht-Waffen waren den Lebenden daher bei Strafe verboten und wurden als Beihilfe zum Mord geahndet. Denn auf diese Weise wurde Geistern schließlich die Möglichkeit gegeben, eine tödliche Waffe zur Hand nehmen und gegen einen Lebenden erheben zu können.

Burkhard zog eine Schnute und schaute nervös über seine Schulter zur Treppe. »Naja, die ›Wachhunde‹ hier tragen alle eine.«

»Das ist nicht mein Bier.«

»Ach komm’... Ich kenn’ dich schon zu lange, alter Schnüffler, und weiß, dass du gerne tust, als hätteste ’ne reine Weste. Aber das hier is’ irgendwie... Drogen sind nich’ gut, das weißte, oder?«

»Das sagt genau der Richtige!«, erwiderte Reinhold und verdrehte die Augen. »Willst du mich jetzt belehren oder erpressen?«

»Erpressen? Ach was, das kann dem Besten von uns passier’n. Da haste eben auch einfach nur ’ne Leiche im Keller, wa?« Burkhard prustete los und klopfte sich ungehalten auf die Schenkel. »Im wahrsten Sinne des Wortes.« Er konnte kaum an sich halten über seinen eigenen Witz und hielt sich den Bauch vor Lachen. »Leiche im Keller! Verstehste?«

Reinhold konnte daran so gar nichts Lustiges finden. Verständnislos schüttelte er den Kopf. »Was? Was willst du?«

Der Mann mit dem unauffälligen, schwarzen Cape und seiner eingedellten Melone wurde schlagartig ernst. »Na gut. Ich hab’ ’nen Auftrag. Du musst deine Schnüffelnase mal in was reinstecken und mir was organisieren.« Er schob ihm einen Zettel zu. »Dieses Mädchen hier. ’Ne Tänzerin. Meine Maus. Naja, nich’ mehr nach dieser Sache. Sie hat mir was genommen, was mir gehört.«

Reinhold blickte ungläubig auf den Zettel. »Ein Schmuckkästchen? Du hast ’n Schmuckkästchen?«

»Lach nich’, das gehört meiner Mama.«

»Teurer Schmuck?« wollte der Beauftragte wissen.

»Keine Ahnung. Der Schmuck ist mir schnurzpiep. Da is’ aber noch ’n Schlüssel drin, den brauch’ ich dringend zurück.«

»Der Schmuck ist dir was? Ach egal...«

»Kennste nich’? Neee?« feixte Burkhard. »Ich bin halt erfinderisch.«

»Naja... Was ist mit Polizei?«

»Spinnste? Wenn ich zu denen gehe, dann is’ der Ofen aus. Die haben mich doch sowieso auf’m Kieker. Das schöne Märchen von der geklauten Warenlieferung ham die mir nie abgenommen. Die warten nur drauf, dass ich se hinführe ins Versteck. Weißte eigentlich, wie viel das Opium wert is’? Ich bin erledigt. Wenn ich zur Polente gehe, genauso wie wenn ich den Schlüssel nich’ wiederkriege«!

»Pst«, seufzte ein Geist, der hinter ihm den Flur entlang huschte.

»Burkhard, du brüllst. Und deine Geschäfte will niemand mitkriegen.«

»Ja, ’tschuldige.« Er drehte sich zu dem Geist um und hob beschwichtigend die Hände, nicht ohne eine deutlich erkennbare Spur von Sarkasmus. »’Tschuldigt.« Aus seiner Abneigung Geistern gegenüber machte er nie einen Hehl, er zeigte sie deutlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Reinhold überflog die Informationen auf dem Zettel mit einem flüchtigen Blick. Dort waren in schludriger Handschrift Details zu dem Mädchen hingekritzelt sowie die Beschreibung der gestohlenen Objekte, eine Adresse und der Name eines Mannes. »He, der hat ja den gleichen Vornamen wie du«, rief er amüsiert aus.

»Was?« Burkhard riss ihm beinah den Zettel aus der Hand und starrte auf das Papier, um noch einmal zu kontrollieren, was er dort eigentlich aufgeschrieben hatte. »Ach quatsch. Neee. Johannes is’ nur mein zweiter Vorname. Niemand nennt mich so, also heißt der nich’ wie ich.«

»Und was ist jetzt mit diesem Johannes hier auf’m Zettel?«

»Das is’ so ’n Schlauermeier, ’n Gelehrter. Weiß auch nich’, was Magda an so ’nem findet, ich bin doch viel schlauer.«

»Ah... aha...« Der flotte Burkhard erntete nur einen überraschten Blick. Dieser Witz war fast besser als der vorherige. »Na, wenn du meinst. In Ordnung, meine üblichen Konditionen.«

Die Hasenscharte grinste wieder. Endlich schien er zufrieden. »Na also. Du alter Fuchs wirst deinem Decknam’n sicher wieder alles Ehre mach’n und mein Zeug schon finden. Und dann holste es und bringst’s zu mir zurück.«


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