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Wohnen

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Die dritte Reaktion auf die Einladung ist die, bei Jesus zu wohnen. „Sie gingen also mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war ungefähr die zehnte Stunde“ (vier Uhr nachmittags, Johannes 1,39).

Um Jesus nachzufolgen, muss man bereit sein, sich zu sagen: „Diese halbe Stunde will ich jetzt bei Jesus wohnen. Ich weiß, dass ich zerstreut sein werde. Ich weiß, dass mir hundert Gedanken kommen und unzählige Einfälle, was ich alles tun müsste. Aber ich weiß, dass du mich liebst und einlädst, auch wenn ich zerstreut und ängstlich bin. Ich will jetzt einfach bei dir wohnen.“

Sei bei ihm und horche auf ihn. Höre den Einen, der dich einlädt. Sei still. Sei wie ein Kind, das mit seiner Mutter und seinem Vater im Haus wohnt. Wohne einfach. Spiele herum. Sei da. Jeden Tag eine halbe Stunde. Sei einfach bloß da. Sitze da und tu nichts. Vergeude Zeit mit Jesus. So verhält sich Liebe. Die Liebe möchte immer bei dem sein, der sie liebt und den sie liebt. Da möchtest du sein. Genieße es. „Jesus, es tut so gut, hier bei dir zu sein“ (vgl. Markus 9,5).

Wir merken dann langsam, dass wir uns im Herrn ein Haus einrichten und in seinem Haus nicht nur während einer halben Stunde sind, sondern den ganzen Tag lang. Wir sind immer im Haus des Herrn. Wo immer wir sind und was immer wir tun – wir sind da, wo der Herr ist. Wir sind bereits bei ihm daheim.

Sogar wenn wir auf dem Weg zu unserem Haus sind, sind wir daheim.

Sag nicht: „Ich habe zu viel zu tun“, sondern: „Ich habe Besseres zu tun.“ Bete und entdecke, was kommt. Wir können in dieser feindseligen, dem ständigen Wettbewerb ausgelieferten Welt leben und daheim sein.

Horche, frage und wohne – und du wirst langsam in Jesus hineinwachsen.

Jesus nachzufolgen ist etwas anderes, als sich einer bekannten Persönlichkeit oder einer Bewegung anzuschließen.

Was ich damit sagen will?

Recht viele Menschen fühlen sich „angezogen von“, „verführt von“ oder „einbezogen in“ Dinge oder Menschen. Genau das ist Heldenverehrung. Wir fühlen uns von Sängern und Filmstars angezogen. Diese Menschen haben die Macht, uns zu einer anderen Welt hin zu verführen, und wir werden dabei in gewisser Hinsicht passiv zu all dem hingezogen. Das hat nichts mit Nachfolge zu tun. Die Menschen mögen der Meinung sein, das sei Nachfolge – so wie man einem Volkshelden nachfolgt –, aber das ist nicht die Art von Nachfolge, von der Jesus spricht.

Wir werden auch nicht dadurch Nachfolger, dass wir uns von Bewegungen anziehen lassen, und seien es gute. Ich werde oft gefragt: „Was bietest du derzeit an? Bist du als Berater tätig, machst du Urschrei-Therapie, Psychosynthese, außersinnliche Wahrnehmung, intellektuelle Analyse? Oder was sonst?“ Von diesen Bewegungen können wir etwas lernen und wir fühlen uns zu ihnen hingezogen, aber das, wovon das Evangelium spricht, ist etwas völlig anderes. Der Weg des geistlichen Lebens unterscheidet sich grundlegend davon, sich von der Verehrung irgendeines Helden „anziehen“ zu lassen oder sich einer recht guten Bewegung anzuschließen.

Es gibt ja alle möglichen Arten von interessanten Bewegungen: Heilungs-Bewegungen, therapeutische Bewegungen und so weiter. Ich habe mich vielen von ihnen schon einmal angeschlossen. Aber typisch für alle diese anderen Formen der Anhängerschaft ist, dass sie gewöhnlich auf „mich“ konzentriert sind. Wenn man von einer Heldenverehrung angezogen wird, merkt man, dass man sich nach einem Ersatz-Ich umsieht.

Ich habe mich einmal mit Freunden unterhalten, die vor Jahren zu einem Konzert der Beatles gegangen waren, und sie erzählten mir, wie leicht es da gewesen sei, seine eigene Identität an diese Jungs aus Liverpool zu verlieren. Meine Freunde wurden damals total mitgerissen. Sie waren nicht mehr hier, sondern sich selbst entrückt. Sie waren auf gewisse Weise mit der Musik und diesen jungen Leuten verschmolzen.

Wenn wir uns diesen Bewegungen anschließen, sind wir gewöhnlich auf eine innere Harmonie aus, auf die heilsame Lösung irgendeines Schmerzes. Wir erhoffen uns von dieser oder jener Bewegung mehr emotionale Ausgewogenheit oder ein neues innerliches Einssein.

Aber wenn Jesus sagt: „Folgt mir nach“, passiert etwas ganz anderes. Wir lassen uns dann auf eine ganz andere Art der Anhängerschaft ein, denn sie beruht auf einem Ruf weg vom „Ich“ und hin zu Gott. Das ist ein Aufruf, Gott in unsere eigene Wesensmitte herein einzuladen. Er ist Ausdruck der Bereitschaft, das eigene „Ich“ loszulassen und nach und nach sprechen zu können: „Einzig du, o Herr, bist mir wichtig.“

Hier geht es überhaupt nicht darum, das eigene Ich zu erkunden, sondern um das Leerwerden und Loslassen des eigenen Ichs, um Raum für eine ganz neue Seinsweise zu schaffen, die von Gott her kommt. Das Leben Jesu war ein zunehmendes Aufgeben seiner selbst, so dass ganz und gar Gott in die Mitte kommen konnte. Darum ging es bei seiner Kreuzigung. Wenn Jesus sagt: „Folge mir nach“, will er sagen: „Verlass diesen Platz deines Ichs. Verlass Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Haus, familiäre Besitztümer. Verlass die ‚Ich‘-Welt – meine Mutter, meinen Bruder, meine Schwester, meine Besitztümer, meine Welt – und folge mir nach.“

Jesus sagt: „Verlass all das.“ Verlass es, damit Gott in die Mitte kommen kann.

Wir werden eingeladen, unseren vertrauten Platz zu verlassen und Gott zu finden. Wir werden eingeladen, Gott zu finden und darauf zu vertrauen, dass wir in Gott entdecken, wer wir in Wirklichkeit sind. Die Betonung liegt nicht auf dem „Ich“, sondern auf Gott.

Jesus nachzufolgen heißt, sich auf den Einen zu konzentrieren, der uns ruft, und nach und nach im Vertrauen zu wachsen, dass wir unsere uns vertraute Welt loslassen können und etwas Neues kommen wird.

Wir werden neue Menschen werden!

Wir werden einen neuen Namen bekommen!

Abram ließ sich auf Gottes Ruf ein und wurde zu Abraham. Saul folgte Jesus nach und wurde zu Paulus. Simon folgte Jesus nach und wurde Petrus. Petrus verließ seine eigene alte Welt, trat in Gottes Welt ein und fand heraus, wer er in Gott wirklich war.

Wie lautet dein neuer Name? Wie meiner?

Herr Jesus,

hilf mir in diesem Augenblick, alles beiseite zu lassen, was mich heute beschäftigt hat. Nimm mir die vielen Ängste, die um mich toben. Nimm mir meine vielen Gefühle der Unsicherheit und des schwachen Selbstvertrauens und forme du mich, du Lamm Gottes. Hilf mir, tiefer in dein Schweigen einzutauchen, worin ich darauf hören kann, wie du mich rufst, und die Kraft und den Mut finden kann, dir nachzufolgen. Ich bitte dich, bei mir zu sein, wenn ich auf dein Wort höre und ein tieferes Verständnis des Geheimnisses finde, dass du mich berufst, dir nachzufolgen.

Sei jetzt und immer bei mir.

Amen.

Jesus nachfolgen

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