Читать книгу Astralux - Wo bist du? - Henriette Pascher - Страница 4
2. Tante Elli
ОглавлениеElisabeth Rotrammel kam wie immer erschöpft von ihrer Arbeit nach Haus. Sie entleerte den Briefkasten, der hauptsächlich Rechnungen und meist ungewollte Werbung enthielt. Aber heute war auch ein Brief von einem gewissen Klaus Biedermann dabei. Moment, dieser Name sagte ihr doch etwas. War das nicht der neue Vormund von Manuel? Nachdem sie ja von ihrem feinen Neffen abgelehnt wurde, musste sie sich jetzt mit diesem Biedermann herumschlagen.
Offenbar reichte es nicht, dass sie seit Einführung der Überwachungs-kameras auf den Arbeitsplätzen im Staatsdienst tatsächlich für ihr Gehalt auch etwas leisten musste. Sie kam sich vor wie eine Strafgefangene ohne jegliche Privatsphäre.
Früher waren das halt noch paradiesische Zeiten. Ihren Arbeitsanteil machten meist irgendwelche karrieregeilen oder sonstige Strebertypen mit. Sie konnte dann im ganzen Haus Smalltalk mit Gleichgesinnten machen, mit Kaffee, Alkohol, Zigaretten, Partys, Feiern die Zeit sinnlos totschlagen. Besonders aufreizend waren ja die Quickes zwischen zwei ausrangierten Kästen am Gang oder am Tisch in einem wenig besuchten Aktenzimmer. Sie und viele andere lebten im Büro nach dem Motto: Fressen, Saufen, Sex. Sodom und Gomorrha ließ grüßen.
Tante Elli und einige ihrer ebenso primitiven Kollegen versuchten immer wieder in das alte Schema zurückzukehren, doch mit schwer-wiegenden Folgen. Die Kameras wurden in den Chefetagen regel-mäßig kontrolliert. Wenn in einem Monat weniger als achtzig Prozent an Arbeitsleistung erbracht wurde, erhielt dieser Bedienstete, egal ob Beamter oder Vertragsbediensteter einen Monat unbezahlten Zwangs-urlaub. Er hatte natürlich die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Sollte es sich um eine ernsthafte Krankheit handeln, egal ob physisch oder psychisch, bestätigt von einem Arzt, wurde dies durch weitere drei unabhängige Atteste der Dienstbehörde überprüft. Sollten alle vier zu dem Ergebnis gekommen sein, dass ein Krankenstand gerechtfertigt war, wurde das Gehalt für diesen Monat wieder angewiesen. Wenn nicht, was meistens der Fall war, musste dieser Bedienstete eben von Ersparnissen leben. Hatte er keine, war es natürlich sein Problem, wie er über die Runden kam. Das Ganze konnte sich bis auf drei Monate steigern. Wenn derjenige, dann wieder keine angemessene Arbeits-leistung erbrachte, wurde er fristlos gekündigt.
Es war ja schon schlimm genug, dass Pensionisten nicht nachgesetzt wurden. Aber dass für den Arbeitgeber sogenannte "faule" Kollegen keinen adäquaten Ersatz fanden, war noch weitaus schlimmer. Gerade mit diesen konnte man doch vor allem mit Alkohol so richtig Blödsinn machen. Langweiler, die nur arbeiten wollten, musste man doch ein bisschen "umorganisieren", damit man den Spaß, abgesehen von Einrichtung demolieren, noch optimieren konnte.
Selbst diese letzte "Unfuglücke" wurde einem verleidet, da ja heutzutage jeder schauen musste, dass er sein Arbeitssoll erfüllte, wenn er nicht in der Gosse landen wollte, oder sich einen neuen Job in der Privatwirtschaft suchen musste, der womöglich noch stressiger als der alte sein würde.
Da sie schon einen Monat Zwangsurlaub hinter sich gebracht hatte, war sie in letzter Zeit sehr vorsichtig geworden. Lust zum Arbeiten hatte sie ja noch nie gehabt. Aber seit die Korruption der Politiker immer mehr zunahm, wurde ihre Arbeitswelt zu einer sinnlosen Farce. Es war ja nur ein Glück, dass ihr Freund Detlef damals noch gearbeitet hat und ihr finanziell ein wenig aushelfen konnte. Aber im Moment wäre es eine mittelschwere Katastrophe, da er arbeitslos war und auch keine Anstalten machte, eine neue zu finden. Er lebte nach dem Motto: Hauptsache, die Frau ist gesund und hat eine Arbeit. Sie hoffte ja noch immer, dass das ein Scherz war.
Detlef, seine Füße am Couchtisch hoch gelagert, rechts und links von ihm Cola- und Bierdosen im Vorrat, am Tisch und Boden Chips verstreut, lebte nur noch mit seinen Fernsehfiguren.
"He, Mann geht's noch? Ich denke, du bist auf Arbeitssuche. Bist du eigentlich noch zu was anderes fähig, als faul auf Bettbank herum zu lümmeln?"
"Alte, nerv doch net in aner Tour, du siechst do, das i beschäftigt bin!"
Knopf auf den Fernseher. Unterhaltung beendet.
"Meine Fresse, ich hab wirklich andere Sorgen, als mich ständig um dich Looser zu kümmern. Du glaubst doch nicht im Ernst, das ich die Kohle anschaffe, und dann noch den Haushalt und deine Swinger-Kumpels versorge."
"Mausibärli, i hab den ganzen Tag im Internet nach Arbeit gsuacht. Was kann i denn dafür, wann für mi nix dabei is."
"Erspar ma deine depperten Ausreden. Mir reichts, ein für allemal. Pass auf, wir machen jetzt folgendes: Solange du keine Arbeit hast, wirst du dich um den gesamten Haushalt kümmern. Wenn du dazu nicht bereit bist, dann wirst du dieses Haus für immer verlassen, ist das klar?"
"Nein, Elli, das kannst du nicht machen. Du weißt doch, dass ich dann wieder auf der Straße leben muss.“
"Das ist mir scheißegal. Sei froh, dass ich dich von dort geholt hab und dir ein Leben wie im Paradies ermögliche.“
"Ja, das weiß ich ja, Mausibärli. Ich will ja auch alles tun, damit es so bleibt. Aber Frauen kennen sich da halt besser aus."
"Gut, das klingt schon wesentlich besser. Du kannst gleich damit anfangen, das Geschirr in den Spüler einzuräumen."
Detlef merkte jetzt, dass seinen ewigen Versprechungen endlich Taten folgen mussten. Und wenn es auch nur für kurze Zeit war. Danach würde sie sich sicher wieder umstimmen lassen.
Während nun das Geschirr der langersehnten Reinigung zugeführt wurde, setzte sich Elisabeth an den Küchentisch, um den Brief von Klaus Biedermann zu lesen.
Sehr geehrte Frau Rotrammel!
In der Eigenschaft als Vormund ihres Neffen Manuel möchte ich Ihnen in seinem Namen folgenden Sachverhalt mitteilen:
Aufgrund von Anrainerbeschwerden, die nackte Personen beiderlei Geschlechts des öfteren im Garten beobachten konnten, werden Sie aufgefordert, den Swinger-Klub unverzüglich zu schließen.
Sollten Sie dieser Aufforderung innerhalb eines Monats nicht nachkommen, wird ihr Mietvertrag nach weiteren drei Monaten gekündigt.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Biedermann
Tante Elli war wie von den Socken. Zuerst glaubte sie ja, ihr feiner Neffe hat wieder Schwierigkeiten gemacht. Aber dass es sie persönlich betraf und noch dazu ihre Existenz bedroht war, an das hätte sie nicht einmal im Traum gedacht. Und überhaupt, wieso wusste Manuel von dem Swinger-Klub? Sie hatte ihm bestimmt nichts davon erzählt. Detlef konnte es auch nicht gewesen sein. Wer gab sich schließlich freiwillig mit mordlustigen Jugendlichen ab? Dann blieb nur noch Sabine. Aber die Wahrheit würde sie ihr ja sowieso nicht sagen. Eigentlich war sie ja froh, dass sie diese rotzfreche Göre losgeworden ist. So konnte sie wenigstens ein weiteres Zimmer an ein Pärchen vermieten.
Nachdem der Geschirrspüler eingeräumt war, hatte es sich Detlef wieder auf der Couch gemütlich gemacht.
"Nur, dass wir uns richtig verstehen, dein Arbeitseinsatz ist heute noch nicht zu Ende."
"Was soll ich denn noch alles machen? Sei doch froh, dass das Geschirr verschwunden ist.“
"Siehst du keine Arbeit oder bist du nur faul? Du kannst gleich mit der Wäsche weitermachen, die sich nicht nur im Wäschekorb befindet, sondern auch im ganzen Haus am Boden verstreut liegt. Aber vorher hätte ich gerne noch gewusst, ob du mit deinen Kumpanen auch schon einen Nudisten-Klub eröffnet hast."
"Wie kommst du denn darauf?"
"Da lies mal. Wie haben jetzt ein Mega-Problem."
"Das meint dieser Biedermann doch nicht im Ernst!"
Glaubst du, der schickt mir zum Spaß diesen Brief? Und lenk jetzt nicht ab. Ward ihr nackt im Garten oder nicht?"
"Ja, aber ich weiß wirklich nicht, was da dran so arg sein soll."
"Mensch, Detlef, bist du so blöd, oder stellst du dich nur so? Du kannst dir doch denken, dass die Nachbarn von oben runterschauen und das Ganze dann als öffentliches Ärgernis anprangern können. Aber noch viel schlimmer ist die Kündigung. Du weißt genau, wir brauchen diese Einnahmen, um die Abgaben für das Haus zu finanzieren."
"Ja, ich weiß, ich verspreche dir, wir werden in Zukunft auch angezogen nicht mehr in den Garten gehen. Und innerhalb der nächsten vier Monate werde ich auch eine Arbeit gefunden haben."
"Das hört sich schon etwas besser an. Ich hoffe, ihr haltet euch auch daran. Ich hab wirklich keine Lust, weitere Beanstandungen und schon gar nicht einen Kontrollbesuch von diesem Biedermann zu bekommen. Und jetzt mach di wieder an die Arbeit, hast verstanden?"
Detlef sah ein, er musste sich für die nächste Zeit wohl etwas mit der Hausarbeit anfreunden, wenn die Situation nicht eskalieren sollte. Er hatte zwar keine Ahnung, aber es wird sicher schnell zu erlernen sein. Er stand gerade vor der Waschmaschine und versuchte sich zu orientieren. Aha, da gab es also mehrere Waschprogramme und dann noch Zusatzoptionen wie Vorwäsche, Flecken, Dampfglätten usw. Offenbar war die Wäsche zu sortieren. Aber nach welchen Kriterien? Was war der Unterschied zwischen Baumwolle, Fein-, Bunt- und Kochwäsche? Zu fragen traute er sich nicht und so wichtig fand er das auch nicht. So stopfte er den ersten Schwung Schmutzwäsche in die Trommel. Waschmittel musste er noch einfüllen. Aber warum bei drei Behälter? Wahrscheinlich, weil sich die Maschine das zu unter-schiedlichen Zeiten nahm. Am besten, er verteilte eine Verschlusskappe gleichmäßig auf alle drei. Jetzt noch den Einschaltknopf drücken und dann müsste es losgehen. Aber es blieb ruhig. Vielleicht war das Kabel nicht angesteckt. Ein Blick hinter die Waschmaschine belehrte ihn jedoch, dass Strom fließen musste. Dann konnte es nur am Wasser liegen. Er verfolgte den Schlauch bis zum Waschbecken. Und dort fand er auch das geschlossene Ventil. Er drehte es auf und schon hörte er den Wassereinlauf. Na also, das war doch gar nicht so schwierig. Was die Frauen bloß immer für ein Drama wegen dieser Scheiß-Haus-Arbeit machten. Aber sein Stolz währte nicht lange.
Elisabeth war im Anmarsch mit einem weiteren Berg von Schmutzwäsche.
"Ah, ich sehe, du bist gerade beim Wäschewaschen. Ich hoffe, du hast sie auch richtig
sortiert."
Sie beobachtete eine Weile das Bullauge und wusste sofort, dass es nicht der Fall war.
"Mann, wenn du dich schon nicht auskennst, dann frag wenigstens."
"Wieso, was hab ich denn falsch gemacht? Ich hab doch getrennt nach Jeans, Hemden und Sonstiges."
Detlef versuchte zu retten, was noch möglich war, aber seine Freundin hatte halt doch mehr Erfahrung.
"Das ist aber nur eine oberflächliche Trennung. Und außerdem muss man auch noch Weißes und Schwarzes extra waschen. Das heißt, wir haben jetzt noch mehr Arbeit. Ich unterbreche den Waschvorgang, und du wirst sie unter meiner Anleitung richtig sortieren."
Detlef kam sich gerade vor wie ein kleines Kind, das von seiner Mutter wegen einer falschen Tat getadelt wurde. Es war einfach demütigend. Aber wart nur, wenn du wieder geil auf Sex bist, dann kommt die Retourkutsche, dachte sich Detlef.
Und die ließ nicht lange auf sich warten. Als Elisabeth ihre Lehrstunde beendet hatte - Detlef hatte vorsichtshalber gut aufgepasst, man wusste ja nie, ob man es nicht noch brauchen konnte - kam wieder das sanfte Kätzchen hervor.
Wie zufällig begann sie ganz sanft seine Lenden zu massieren.
"Hasi, heut san doch die Betten frisch überzogen. Was manst, die könnt ma ja mit a paar Quickes neu einweihen?"
"Mausibärli, i bin so miad von der vülen Arbeit."
"Na geh, so vül war des do gar net."
Und schon zog ihn Mausibärli an seinem bestem Stück Richtung Schlafzimmer. Er musste zugeben, sie leistete exzellente Handarbeit, aber trotzdem wollte es mit einer richtig coolen Erektion nicht so recht klappen. Er wusste selbst nicht so genau, woran das lag. Entweder seine Alte wurde ihm schon zu langweilig oder es war die Nerverei mit der Hausarbeit. Aber vielleicht lag es ja auch an der immer sich wechselnden Auswahl an neuen, geilen Sexpartnerinnen. Aber das, was ihn am meisten irritierte, war, dass er seit neuestem auch Gefallen an einem ganz bestimmten Mann eines Swinger-Pärchen hatte. War er jetzt bisexuell oder ging die Tendenz schon in Richtung schwul?
"He, was ist los mit dir? Du bist doch sonst immer gleich auf Touren."
"Mausibärli, nicht bös sein, aber ich glaub, das wird heute nichts mehr."
"Was glaubst du denn eigentlich? Da bietet man einem Obdachlosen Wohnung und einen gefüllten Kühlschrank und dann bist du nicht einmal fähig, meine sexuellen Wünsche zu erfüllen. Wenn du dich noch erinnerst, war das die Grundbedingung für die Aufnahme in dieses Luxushaus."
"Ja, ich weiß ja, Mausibärli. Ich versprech dir, morgen holen wir alles nach. Wahrscheinlich wars nur die ungewohnte Anstrengung im Haushalt."
"Du erlaubst dir das Wort Anstrengung in den Mund zu nehmen? Ich muss täglich durchschnittlich acht Stunden geistig hochstehende Arbeit verrichten, damit ich mir die Miete leisten kann. Wenn ich nach Hause komme, soll ich auch noch die Unordnung, die du und deine Kumpels verursachen, wegputzen. Und dich Faulpelz muss ich auch noch durchfüttern. Und was bietest du als Gegenleistung? Nicht einmal die Minimalanforderung meiner sexuellen Wünsche schaffst du. Deine halbherzigen Ansätze reichen mir ein für allemal. Ich stelle dir jetzt ein Ultimatum. Du hast eine Woche Zeit, um dich in deine neuen Pflichten
einzuarbeiten, das heißt, du musst im Haus Ordnung halten, wenn ich nach Hause komme, muss das Essen fertig sein und danach beginnen unsere Sexorgien! Ist das klar?"
Tja, jetzt war es bei Detlef angekommen. Zuerst hatte er ja geglaubt, die Tatsache, dass er ein Mann war, genügte, um eine Frau zufrieden zu stellen. Zumindest reichte es bei den meisten Weibern mit fall-weisen sexuellen Glanzleistungen. Aber sein Mausibärli war halt ein besonders Exemplar. Während andere Frauen höchstens Zweizimmer-wohnungen boten und wesentlich länger mit dem endgültigen Hinaus-wurf warteten, stand hier wesentlich mehr auf dem Spiel. Eine luxuriöse Villa mit Jacuzzi, Sauna und Schwimmbad im Freien wollte er auf keinen Fall verlieren. So ein Glück würde er wahrscheinlich nie wieder in seinem Leben haben.
"Ja, Mausibärli, ich mach alles, was du willst. Am Anfang wirst du halt ein bisschen Geduld haben müssen, weil ich halt noch nicht alles so gut kann wie du. Aber ich versprech dir, ich werde mich zu einem treu sorgendem Hausmann entwickeln."
"Jö, Hasi, das hast du jetzt aber schön gesagt. Ich hoffe nur für dich, dass dein anfänglicher Eifer nicht wieder in Laxheit übergeht. Du weißt, was dir dann blüht. Und ich mache Ernst. Wenn du nach einer Woche nicht dauerhaft funktionierst, sitzt du wieder auf der Straße."
Da ihr an diesem Abend ihre gewöhnliche Sexdosis nicht gewährt wurde, schlief sie nur sehr schlecht und kurz. Und selbst diese Zeit war mit Alpträumen durchsetzt.
Am nächsten Tag musste sie wieder in ihr ungeliebtes Büro. Es ist fast nicht zu glauben, aber sie hatte eine Kollegin, die tatsächlich gerne arbeitete. Und seit den Überwachungskameras hatte sie den Eindruck, dass sie noch freudiger bei der Arbeit war. Außerdem dürfte sie auch ein zufriedenes und ausgeglichenes Privatleben haben. Sie erzählte zwar jetzt nicht mehr viel davon, aber von Kollegen hatte sie gehört, dass diese Frau schon fast die ganze Welt bereist haben soll. Wenn das der Wahrheit entsprach, warum konnte sie sich das nicht leisten? Sie hatten doch alle ungefähr das selbe Nettogehalt. Vielleicht hatte sie eine reiche Erbschaft gemacht oder sie war eventuell durch krumme Touren zu so viel Geld gekommen. Oder sie hat einen reichen Freund, der ihr alles finanziert. Aber nein, das konnte nicht sein. So hübsch und begehrenswert war die sicher nicht für einen vermögenden und attraktiven Mann. Aber warum bekomm ich nicht so einen Typen ab, ich würde das viel eher verdienen. Ständig muss ich mich mit diesem Loser herumplagen.
Der wahre Grund, warum diese Jetsetterin sich das leisten konnte, war eine vernünftige Geldeinteilung. Sie verschwendete keinen einzigen Cent dafür, um z.B. irgendwelche Leute umzuerziehen, wie Tante Elli das gerne tat. Die Globetrottern wusste, dass das nicht möglich war. Entweder man akzeptierte, wie dieser Mensch war, oder man trennte sich sofort. Jeder Aufschub bedeutete nur Zeit- Energie- und Geldverlust. Aber um das zu begreifen, war der IQ von Frau Rotrammel wohl etwas zu niedrig.
Das Einzige, was Frau Rotrammel interessierte war, wie konnte man diese ständig Glückliche etwas aus ihrer Zufriedenheit aufscheuchen. Getreu dem Motto, wenn man selber ein verpfuschtes Leben hatte, und für sich selber keine Möglichkeit sieht, es zum Positiven zu verändern, kann man sich Spaß und Freude nur dadurch verschaffen, indem man solche Typen zumindest in der Dienstzeit etwas aus der Fassung brachte.
"Weißt du, Karin, wenn ich schon so viel Geld wie du hätte, würde ich sicher nicht so primitive und schmutzige Länder wie z.B. Indien bereisen. Da würde ich mir doch einen tollen Wellness- und Verwöhn-urlaub gönnen."
"Du, aber nicht ich!"
Elisabeth blies ihr den Rauch ihrer Zigarette direkt ins Gesicht.
"Aber du weißt schon, dass rauchen in den Büroräumen verboten ist. Wenn du unbedingt eine Rauchpause brauchst, in Zukunft bitte nicht bei mir."
Beleidigt zog sich Elli in die Raucherinsel zurück. Sie hatte noch nie erlebt, dass Karin ausrastete, weder in einer explosiven Aggression noch in einem weinerlichen Verhalten, was bei den meisten Leuten der Fall war, wenn man sie provozierte. Es war eigentlich eine Riesenfrechheit, ihr diese Genugtuung und freudige Befriedigung einfach mit ein paar lapidaren Bemerkungen zu versagen. Immer freundlich, höflich, distanziert. Irgendwann aber werde ich es schaffen, sie aus der Reserve zu locken. Ich muss nur etwas finden, was für sie von großer Bedeutung ist. Die Urlaube sind es offenbar nicht.
Elli täuschte sich jedoch gewaltig. Karin legte sehr wohl großen Wert auf ihre Reisen, aber sie zeigte nicht, wie verletzt sie über die Bemerkung ihrer Kollegin war. Das war bewusste Taktik. So gönnte sie ihrer degenerierten, perversen Zwangsgenossin keine abartige Freude, sondern zwang sie, sich eine neue Gemeinheit ausdenken zu müssen, die jedoch mit der bewährten, meist zynischen Mindest- Kommunikation wieder wie ein Bumerang zu ihr zurückkehrte. Und da Karin meist den längeren Atem hatte, waren ihre Peiniger immer gezwungen, sich ein anderes Mobbing-Opfer auszusuchen. Mit dieser Methode hatte sie am wenigsten Kraft- und Energieverlust und mutete ihren Tätern mehr Frust zu, als ursprünglich ihr zugedacht war.
Elli hatte jedenfalls im Moment keine Lust, weiter darüber nachzudenken, mit was sie diese resistente Karin noch beleidigen könnte. Da wandte sie sich lieber dem Herrn Nachtnebel zu. Der war offenbar das Gegenteil von Karin. Da er offenbar mit seinem Gehalt nicht auskam, hatte er einen Nebenjob als Nachtwächter. Naturgemäß war er daher tagsüber nicht ausgeschlafen. Er schlief daher öfters während der Arbeit ein. Sie hatte ihn schon einmal dabei beobachtet. Zuerst flackerten die Augenlider mit immer größerer Geschwindigkeit auf und zu, bis sie ganz geschlossen blieben. Dann wanderte der Kopf cm für cm immer weiter Richtung Tischplatte bis es schließlich dort landete. Das Endstadium war dann ein Schnarchkonzert, das fallweise so laut war, dass man es bisweilen durch mehrere Zimmer hören konnte.
Als Elisabeth Rotrammel wieder in ihr Büro zurückgekehrt war, hörte sie bereits das typische Schnarchen. Ja, jetzt war der richtige Augen-blick, um sich ihre hoffentlich nicht einzige berechtigte Freude - oder sollte man sagen Schadenfreude? - abzuholen. Sie klopfte zuerst sehr vorsichtig. Als keine Reaktion erfolgte, wurde sie etwas fordernder, und riss gleichzeitig die Tür auf.
Mit einem Mal war Herr Nachtnebel aufgewacht, nahm mit seinem Stempel Anlauf und erschlug damit fast das Stempelkissen. Als er jedoch Frau Rotrammel bemerkte, war Schluss mit lustig.
"Frau Rotrammel, sind Sie sich eigentlich dessen bewusst, dass sie mich wahrscheinlich völlig unnötigerweise aus meinem ersten Tiefschlaf geholt haben?"
"Oh, das tut mir aber leid. Das wollte ich bestimmt nicht."
"Es ist schon schlimm genug, wenn man von Kunden gestört wird, aber
Sie als Kollegin könnten doch etwas Rücksicht nehmen. Also, was wollen Sie?"
"Eigentlich wollte ich Sie nur an die Überwachungskamera erinnern, damit Sie durch Schlafperioden nicht zu viel an Arbeitszeit verlieren. Sie wissen ja, dass dann ein Monat Zwangsurlaub droht. Und Sie werden sich damit noch schwerer als andere tun."
"Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß! Sonst noch was?"
"Ich wollte Ihnen ja nur einen guten Ratschlag geben um Ihnen damit zu helfen."
"Raus!"
Und ehe sie sein Büro noch verlassen konnte, traf sie am Rücken der Gesetzes-Kodex. Aber das war ihr die Sache wert. Endlich konnte sie einen Kollegen so richtig schön ärgern. Aber wenn sie es sich recht überlegte, hatte er ihr mit dem Buch die Möglichkeit geboten, "Rache" an ihm zu nehmen. Und so konnte man das Spielchen endlos in die Länge ziehen. Irgendwo musste man sich ja eine dauerhafte „Freude“ sichern.