Читать книгу Die Kreuzritter - Генрик Сенкевич, Henryk Sienkiewicz - Страница 9
Viertes Kapitel.
ОглавлениеEs war fast Mittag geworden, als die Fürstin mit ihrem zahlreichen Gefolge aus Tyniec aufbrach, um sich nach Krakau zu begeben. Gar häufig legten in damaliger Zeit die Ritter, welche in einer größeren Stadt oder auf einer Burg irgend eine bekannte Persönlichkeit aufsuchten, völlige Kriegsrüstung an. Der Sitte gemäß wurde diese freilich sofort nach Ueberschreitung der Thorschwelle wieder abgelegt, wozu gewöhnlich die Ankömmlinge von den Herren der Burgen mit den Worten aufgefordert wurden: »Legt die Rüstung ab, edle Gäste, denn Ihr seid bei Freunden!« Nichtsdestoweniger wurde großes Gewicht auf einen kriegerischen Einzug gelegt, der in aller Augen die Bedeutung des Rittertums hob. So erschienen denn auch jetzt Macko und Zbyszko, angethan mit wunderbaren Panzern und Armschienen, samt und sonders von friesischen Rittern erbeutet.
Mikolaj aus Dlugolas, der schon weit in der Welt herumgekommen war, der schon unzählige Ritter gesehen hatte und als Kenner von Kriegswaffen galt, sagte sich sofort, daß diese Panzer nur durch Mailänder geschmiedet sein konnten, die berühmtesten Panzerschmiede in der ganzen Welt. Nur die reichsten Ritter konnten sich derartige Rüstungen verschaffen, von denen eine jede als beträchtliches Erbgut angesehen wurde. Jene Friesen mußten daher namhafte Leute gewesen sein, und mit immer wachsender Bewunderung schaute Mikolaj auf Macko und Zbyszko, als deren Bezwinger. Die Helme, welche die beiden trugen, gehörten zwar nicht zu den schlechtesten, waren jedoch auch nichts Besonderes, dagegen erweckten ihre riesenhaften, schön aufgezäumten Hengste großes Staunen, ja vielfach Neid. Stolz saßen Macko und Zbyszko im Sattel und blickten kühn von ihrer Höhe aus den ganzen Hof herab. Jeder von ihnen hielt einen langen Spieß in der Hand, jeder hatte ein Schwert an der Seite und eine Streitaxt im Sattel. Der Bequemlichkeit wegen hatten sie die Schilde in den Wagen zurückgelassen, allein auch ohne sie sahen die beiden aus, als ob sie in die Schlacht, nicht aber in die Stadt zögen. Stets ritten sie in der Nähe der Kalesche, auf deren Vordersitz die Fürstin mit Danusia saß, auf deren Rücksitz die stattliche Hofdame Ofka, die Witwe von Christian aus Jarzabkow, und der alte Mikolaj aus Dlugolas Platz genommen hatten. Danusia schaute nur auf die gepanzerten Ritter, während die Fürstin immer wieder die Kapsel mit der Reliquie des heiligen Ptolemäus an die Lippen führte.
»Ich bin unendlich neugierig,« bemerkte sie schließlich, »was sich eigentlich darin befindet, allein ich wage nicht, die Kapsel selbst zu öffnen. Gar leicht könnte ich die Heiligen dadurch erzürnen. Der Bischof von Krakau soll sie öffnen.«
»Ei, besser ist es,« ließ sich aber jetzt Mikolaj von Dlugolas bedächtig vernehmen, »ein solch lockendes Kleinod nicht aus den Händen zu lassen.«
»Vielleicht habt Ihr recht,« erwiderte nach kurzem Schweigen die Fürstin, dann fügte sie hinzu: »Schon lange hat mir nichts solche Freude bereitet wie das Zusammentreffen mit dem trefflichen Abte. Allein noch größeres Vergnügen bereitet mir dies Geschenk, dient es doch zur Beruhigung meiner Angst vor den Reliquien der Kreuzritter.«
»Weise sprach der Abt und gerecht,« ließ sich nun Macko aus Bogdaniec vernehmen. »Gar viele Reliquien hatten sie bei Wilna bei sich, war es ihnen doch vor allem darum zu thun, den Fremden gegenüber zu zeigen, daß der Krieg gegen die Heiden geführt werde. Was aber folgte daraus? Die Unsrigen überzeugten sich nur zu bald, was hauptsächlich not that. In die flache Hand zu speien und mit dem Beile unter dem Ohre tüchtig zuzuhauen, das war nötig, dann fiel der Kopf mitsamt dem Helme. Wohl helfen auch die Heiligen – es wäre eine Sünde, dies zu bestreiten – allein nur den Gerechten stehen sie bei, nur denen, die einer guten Sache wegen und im Namen Gottes in die Schlacht ziehen. Wenn es daher auch zum Kriege mit den Kreuzrittern kommt, wenn alle Deutschen ihnen beistehen, so glaube ich deshalb doch, edle Frau, daß wir sie haufenweise schlagen, denn unser Volk ist größer, und der Herr Jesus verlieh uns stärkere Knochen. Was aber zudem die Reliquien anbelangt – nun, giebt es vielleicht in dem Kloster zum heiligen Kreuze nicht auch Holz vom heiligen Kreuze?«
»Das ist richtig, so wahr mir Gott lieb ist. Bei uns bleiben jedoch die Reliquien in den Klöstern, die Kreuzritter nehmen aber die ihrigen, sobald es nötig ist, in den Wagen mit sich.«
»Das ist alles einerlei! Für die Macht Gottes giebt es keine Entfernung.«
»Ist dies wirklich der Fall?« fragte die Fürstin, sich an den klugen Mikolaj von Dlugolas wendend, und dieser antwortete: »Das kann jeder Bischof bezeugen. Von Rom ist es auch weit, und der Papst regiert doch die Welt – geschweige denn erst Gott!«
Diese Worte wirkten beruhigend auf die Fürstin, die nun das Gespräch über Tyniec, über die ungewöhnliche Pracht der Abtei wieder aufnahm. Die Masuren bewunderten überhaupt die Schönheit des ganzen Landes, durch das sie jetzt kamen.
Rings umher lagen, dicht gedrängt, wohlhabende Dörfer, dabei Gärten mit Obstbäumen, Lindenhaine mit strohumhüllten Bienenstöcken und Storchennestern auf den Linden. Dann reihte sich wieder auf beiden Seiten der Landstraße ein Getreidefeld an das andere. Im Winde wogte das grüne Aehrenmeer hin und her, und gleich den Sternen am Firmamente schimmerten dunkelblaue Kornblumen und hellrote Mohnblumen daraus hervor. Ganz in der Ferne, hinter dem Ackerlande, zeigten sich finstere Wälder, aber in hellen Sonnenschein getauchte Eichen- und Erlenwäldchen erfreuten hier und dort das Ange, saftig grüne Wiesen, über denen Kibitze kreisten, lagen auf sanft ansteigenden Hügeln dazwischen. Ein fleißiges, arbeitsames Volk mußte dies Fleckchen Erde bewohnen, ein Volk, das die Feldarbeit liebte und friedlich, glücklich dahinlebte in diesem Lande, in dem Milch und Honig zu fließen schien.
»Hier merkt man Kasimirs segensreiches Walten,« rief die Fürstin, »hier möchte man leben und nicht sterben.«
»Auch der Herr Jesus freut sich über dieses Stückchen Erde,« warf Mikolaj von Dlugolas ein, »und der Segen Gottes ruht sichtlich darauf. Wie wird es aber erst dann werden, wenn auch hier erst einmal die Glocken läuten! Wo ist dann noch ein Winkel auf der Erde, in den ihr Widerhall nicht dringt. O, dann müssen die schlimmen Geister in die düsteren Wälder an der ungarischen Grenze weichen, weil sie den Glockenklang nicht hören können. Das weiß ich gewiß.«
»Ja, da ist es doch zu verwundern,« ließ sich Ofka, die Witwe des Christian aus Jarzabkow vernehmen, »daß der höllische Riese Walgierz Wlady, von dem die Mönche erzählt haben, noch immer in Tyniec auftaucht, wo doch siebenmal im Tage die Glocken läuten.«
Diese Erwägung versetzte natürlich den Mikolaj einen Augenblick in Staunen, nach kurzem Nachdenken erwiderte er jedoch: »Erstens sind die göttlichen Aussprüche unergründlich, und zweitens ist wohl vorauszusetzen, daß er für jedes Mal besonderen Befehl bekommt.«
»Mag das nun sein, wie es will, ich möchte nie dazu raten, in dem Kloster zu nächtigen. Vor Angst würde ich sterben, wenn sich mir ein solch höllischer Bewohner zeigte.«
»Ei, ei, das ist noch gar nicht so sicher, denn es wird behauptet, er sei sehr schön.«
»Selbst wenn er der anziehendste Mensch wäre, möchte ich mich von keinem Manne küssen lassen, dem Schwefel aus dem Munde kommt.«
»Ach, daß Ihr doch selbst dann ans Küssen denken müßt, wenn von Teufeln die Rede ist.«
Auf diese Worte der Fürstin hin brachen sowohl Herr Mikolaj wie die beiden Edelleute aus Bogdaniec in Lachen aus, Danusia lachte mit, und auch Anna Danuta wurde von dem Beispiele der Drei angesteckt. Ofka aus Jarzabkow aber wandte sich ärgerlich zu Mikolaj aus Dlugolas und sprach: »Er wäre mir jedenfalls lieber als Ihr.«
»Ei, malt den Teufel nicht an die Wand,« entgegnete noch immer lachend der Masur, »der Dämon zeigt sich häufig auf der Landstraße zwischen Krakau und Tyniec, und am häufigsten gegen Abend. Mit einem Male wird er Euch in Schrecken versetzen, mit einem Male wird der Riese vor Euch stehen.«
»Vor dem bösen Blick mögen wir bewahrt bleiben!« rief Ofka.
In diesem Augenblick indessen hielt Macko von Bogdaniec, der von seinem hohen Hengste aus einen weiteren Umblick hatte als die, welche in der Kalesche saßen, die Zügel an und sagte: »O, so wahr mir Gott lieb ist, was ist das?«
»Was denn?«
»Ein leibhafter Riese reitet dort auf der Höhe vor uns.«
»Ein Wort kann zur Wirklichkeit werden!« bemerkte die Fürstin. »Schwatzt keine Dummheiten!«
Nun aber hob sich Zbyszko in den Bügeln und sagte: »Leibhaftig der Riese Walgierz, kein anderer.«
Daraufhin faßte der Kutscher die Pferde vor Schrecken fest an und bekreuzigte sich, ohne die Zügel aus den Händen zu lassen, denn auch er sah nun von seinem Bocke aus auf der gegenüberliegenden Höhe einen hoch zu Rosse sitzenden Reiter daher traben.
Unwillkürlich stand die Fürstin von ihrem Sitze auf, setzte sich aber dann, wenn schon mit schreckensbleichem Antlitz, gleich wieder nieder, und ohne weiteres barg Danusia ihr Köpfchen in dem Gewande Anna Danutas. Um die Kalesche drängte sich aber nun auch das ganze Gefolge, die Hofherren und die Hofdamen, sowie alle fahrenden Schüler. Die Männer trugen zwar noch immer eine lächelnde Miene zur Schau, aber ihre unruhigen Blicke zeugten von der inneren Erregung, während die jungen, todbleichen Hoffräulein gar nicht versuchten, ihre Furcht zu verbergen. Nur Mikolaj aus Dlugolas bewahrte seinen Gleichmut und versuchte die Fürstin zu beruhigen, indem er sprach: »Fürchtet nichts, erlauchte Frau. Die Sonne ist ja noch nicht einmal untergegangen, und selbst wenn es Nacht wäre, würde Euch der heilige Ptolemäus vor Walgierz zu schützen wissen.«
Vorläufig hielt der unbekannte Reiter, als er den lange sich hinstreckenden Höhenrücken erreicht hatte, sein Pferd an und stand regungslos still. Da die Strahlen der untergehenden Sonne gerade auf ihn fielen, konnte man ihn deutlich sehen, und in der That, seine Gestalt schien das menschliche Durchschnittsmaß unendlich zu überragen. Der Zwischenraum zwischen ihm und der fürstlichen Kalesche konnte höchstens dreihundert Schritte betragen.
»Weshalb blieb er wohl stehen?« fragte einer der fahrenden Schüler.
»Weil auch wir angehalten haben!« entgegnete Macko.
»Seht nur, er blickt nach uns, als ob er sich einen heraussuchen wollte,« bemerkte ein zweiter fahrender Schüler. »Wenn ich sicher wäre, daß dies ein Mensch und kein böser Geist ist, würde ich mich ihm nähern und ihm mit der Laute über den Kopf schlagen.«
Die Frauen wurden immer hoffnungsloser und begannen laut zu beten. Zbyszko jedoch, der sich im Beisein der Fürstin und Danusias mutig erweisen wollte, erklärte: »Ich reite ihm entgegen. Was liegt mir an Walgierz!«
Umsonst rief Danusia schmerzlich und unter Thränen: »Zbyszko, Zbyszko!« – er ritt unentwegt davon mit dem festen Vorsatze, selbst den wahrhaftigen Walgierz zu durchbohren, wenn es sein müsse.
»Der fremde Reiter erscheint so riesengroß, weil er auf einer Anhöhe steht,« ergriff jetzt Macko das Wort, der sehr scharfe Augen hatte. »Er ist zwar ein etwas langer Kerl, aber ein ganz gewöhnlicher Mensch – nichts anderes. Topp, auch ich folge dem Zbyszko nach, damit es nicht zum Kampfe zwischen diesem und dem fremden Reiter kommt.«
Zbyszko war inzwischen im Trabe vorwärts geritten, wobei er überlegte, ob er sofort den Spieß anlegen oder zuerst in der Nähe beobachten solle, wie es sich eigentlich mit jenem auf der Höhe stehenden Reiter verhalte. Nach reiflichem Ueberlegen beschloß er, zuerst prüfend vorzugehen, und bald überzeugte er sich, wie recht er daran gethan, denn je näher er dem Unbekannten kam, desto mehr verlor dieser in seinen Augen von seiner ungewöhnlichen Größe. Wohl war der Fremde außerordentlich groß und saß auf einem riesigen Pferde, das sogar den Hengst Zbyszkos überragte – allein das menschliche Maß überschritt er nicht. Merkwürdigerweise war er ganz ohne Waffen; auf dem Haupte trug er eine glockenförmige Samtmütze, ein weißleinener, wallender Mantel, unter dem ein grünes Gewand hervorschaute, schützte ihn gegen den Staub. Regungslos verharrte er auf der Höhe mit gesenktem Haupte und betete inbrünstig. Augenscheinlich hatte er nur deshalb sein Pferd angehalten, weil er das Abendgebet sprechen wollte.
»Ei, das ist ja ein sonderbarer Kauz!« dachte der junge Bursche bei sich, »das ist doch nicht Walgierz.«
Und so nahe ritt nun Zbyszko zu dem Unbekannten heran, daß er ihn leicht mit dem Spieße hätte erreichen können, doch als jener den herrlich gewappneten, jungen Ritter vor sich sah, da lächelte er diesem wohlwollend zu und sprach: »Gelobt sei Jesus Christus!«
»In alle Ewigkeit!«
»Ist das dort unten nicht der Hof der masurischen Fürstin?«
»So ist's!«
»Habt Ihr in Tyniec gespeist?«
Darauf erhielt jedoch der Fragende keine Antwort, denn Zbyszko geriet in solches Staunen, daß er die Frage gar nicht hörte. Während einiger Minuten stand er wie versteinert da. Er glaubte, seinen eigenen Augen nicht trauen zu dürfen, denn mit einemmale erblickte er ungefähr vierhundert Schritte hinter dem Unbekannten mehrere berittene Krieger, die von einem Ritter in glänzender Rüstung und in einem weißseidenen Mantel mit schwarzem Kreuze angeführt wurden. Ein stählerner Helm mit einem Pfauenbusche gleich einem Kamme bedeckte dessen Haupt.
»Ein Kreuzritter!« flüsterte Zbyszko vor sich hin.
Keinen Augenblick zweifelte er jetzt mehr daran, daß sein Gebet erhört worden sei, daß Gott in seiner Barmherzigkeit ihm den Deutschen gesandt habe, um den er in Tyniec gefleht hatte, er sagte sich, er müsse Nutzen aus der göttlichen Gnade ziehen, keine Minute dürfe er länger schwanken, und ohne viel zu überlegen, beugte er sich im Sattel vor, legte dem Pferde den Spieß zwischen die Ohren und den Schlachtruf »Hagel, Hagel!« ausstoßend, sprengte er auf den Kreuzritter los.
Schon glaubte Zbyszko mit der Lanze die Brust des Gegners durchstoßen zu können, als die Zügel seines Hengstes so stramm angezogen wurden, daß sich das Roß mit allen vieren in die Erde eingrub.
Schon glaubte Zbyszko mit der Lanze die Brust des Gegners durchstoßen zu können, als die Zügel seines Hengstes so stramm angezogen wurden, daß sich das Roß mit allen vieren in die Erde eingrub.
Vollständig verblüfft hielt letzterer sein Pferd an. Doch er bückte sich nicht nach seiner Lanze, die im Steigbügel steckte, sondern er hielt Umschau, wie um sich zu vergewissern, ob der Angriff wirklich ihm gelte.
»Neige die Lanze!« schrie Zbyszko, indem er sein Roß antrieb, »Hagel, Hagel!«
Der Zwischenraum zwischen ihm und dem Kreuzritter verkleinerte sich zusehends. Als dieser indessen bemerkte, daß der Angriff ihm galt, da richtete auch er seine Waffe. Schon glaubte Zbyszko mit der Lanze die Brust des Gegners durchstoßen zu können, als sein Spieß am Schafte von einer kraftvollen Hand gleich dürrem Rohr genickt ward, als die Zügel seines Hengstes von der gleichen Hand so stramm angezogen wurden, daß sich das Roß mit allen vieren in die Erde eingrub und wie festgewurzelt dastand.
»Thörichtes Menschlein, was beginnst Du?« ließ sich eine tiefe, drohende Stimme vernehmen. »Auf die Gesandtschaft dringst Du ein, den König beschimpfst Du!«
Zbyszko blickte empor und erkannte den gleichen riesenhaften Mann, den man für Walgierz gehalten und der vor wenigen Minuten den Hof der fürstlichen Frau in Schrecken versetzt hatte.
»Los auf den Deutschen! Was wollt Ihr, und wer seid Ihr,« rief Zbyszko von neuem, indem er den Griff seines Schwertes faßte.
»Weg mit dem Schwerte! Bei Deiner Liebe für Gott, weg mit dem Schwerte – sage ich – denn sonst fliegst Du vom Pferde. Du beleidigst des Königs Majestät, dem Gerichte wirst Du überantwortet.«
Und sich den Leuten zuwendend, welche hinter dem Kreuzritter ritten, rief er mit donnernder Stimme: »Herbei! Herbei!«
Inzwischen kam auch Macko angeritten. Schlimmes ahnend, blickte er beunruhigt darein. Allein obwohl er einsah, daß Zbyszko geradezu wahnsinnig vorging, und daß ihm aus dieser Sache schlimme Folgen erwachsen konnten, war er doch fest entschlossen, nötigenfalls den Kampf aufzunehmen. Das ganze Gefolge des fremden Ritters und des Kreuzritters bestand ungefähr aus fünfzehn Mann, von denen ein jeder mit einem Spieße oder mit einer Armbrust bewaffnet war. Bei einem Zusammentreffen mit ihnen konnten daher zwei vollständig gewappnete Ritter leicht den Sieg davontragen. Macko überlegte daher auch bei sich, ob es nicht ratsamer sei, einem allenfallsigen Urteilsspruche des Gerichtes zuvorzukommen, indem man diese Leute überritt, um sich dann an irgend einem Orte so lange verborgen zu halten, bis der erste Sturm ausgetobt hatte. Mit einem Böses weissagenden Gesichte, das ihm das Aussehen eines zum Beißen bereiten Wolfes verlieh, hielt er sein Pferd zwischen Zbyszko und dem Fremden an, griff an sein Schwert und fragte: »Wer seid Ihr, und was verleiht Euch das Recht zu solchem Auftreten.«
»Mein Recht stammt daher,« entgegnete der Unbekannte, »daß der König mir befohlen hat, ein wachsames Auge über diese Gegend zu halten, und man nennt mich Powala aus Taczew.«
Auf diese Worte hin steckten Macko und Zbyszko die schon halb gezückten Schwerter wieder in die Scheiden und senkten das Haupt. Nicht Furcht überkam sie, nein, aber sie neigten das Haupt vor dem weithin bekannten, berühmten Namen, denn Powala aus Taczew, ein mächtiger Edelmann aus hervorragender Familie, der ausgedehnte Ländereien bei Radam besaß, gehörte zu den bekanntesten Rittern in dem Königreiche. Die fahrenden Schüler feierten ihn in ihren Gesängen, besangen ihn als ein Muster an Ehre und priesen seinen Namen zugleich mit den ersten des Landes. In diesem Augenblicke vertrat er zudem die geheiligte Person des Königs, wer sich daher gegen ihn kehrte, der lief Gefahr, seinen Kopf unter dem Beile des Scharfrichters zu verlieren.
Seinen Grimm unterdrückend, begann daher auch Macko in ehrfurchtsvollem Tone: »Ruhm und Ehre Euch, o Herr – Ruhm und Ehre Eurer Tapferkeit und Mannhaftigkeit.«
»Ruhm auch Euch, o Herr!« entgegnete Powala, »wenngleich ich gewünscht hätte, unter anderen, nicht so erschwerenden Umständen Eure Bekanntschaft zu machen.«
»Was meint Ihr damit?« fragte Macko.
Allein Powala erteilte keine Antwort, sondern wandte sich zu Zbyszko.
»Konntest Du, Menschlein, nichts Besseres beginnen?« rief er. »Auf der offenen Landstraße vergreifst Du Dich an der Gesandtschaft des Königs! Weißt Du, was Dich hierfür erwartet?«
»Er ist jung und thöricht, deshalb vermag er sich nicht im Zaume zu halten. Doch Ihr werdet nicht all zu strenge richten, wenn ich Euch die ganze Sache auseinandersetze.«
»Nicht ich werde ihn richten. Mir liegt nur ob, ihn in das Gefängnis einzuliefern.«
»Weshalb?« ließ sich nun Macko vernehmen, aufs neue finster dareinblickend.
»Kraft des königlichen Befehles.«
»Er ist ein Edelmann!« rief schließlich Macko nach längerem Schweigen.
»So möge er bei seiner ritterlichen Ehre geloben, sich freiwillig dem hohen Gerichte zu stellen.«
»Ich gelobe es bei meiner Ehre!« beteuerte Zbyszko.
»Es ist gut. Wie ist Dein Name?«
Macko nannte den Namen und das Geschlecht.
»Wofern Ihr zu dem Hofe der Gattin des Fürsten Janusz gehört, so bittet sie, daß sie Fürsprache für Euch bei dem Könige einlegt.«
»Wir gehören nicht zu dem Hofe. Aus Litauen, von dem Fürsten Witold kommen wir. Wollte Gott, wir wären niemals mit dem fürstlichen Hofe zusammengetroffen. Diese Begegnung ward zum Unglück für diesen Burschen.«
Und nun erzählte Macko, was sich in der Herberge ereignet hatte, er schilderte das Zusammentreffen mit der Fürstin und sprach von dem Gelübde Zbyszkos. Zuletzt übermannte ihn aber der Zorn über Zbyszkos thörichtes Gebaren, durch das sie in eine solch bedrängte Lage geraten waren, dermaßen, daß er diesem zurief: »Wollte Gott, Du wärest in Wilna geblieben. Was hast Du Dir denn bei Deinem Thun gedacht, Du Raufbold?«
»Bah!« entgegnete Zbyszko, »ich betete wegen meines Gelübdes zu dem Herrn Jesus und flehte ihn an, daß er mich auf Deutsche stoßen lassen möge. Reiche Gabe versprach ich ihm dafür. Wie ward mir daher, als ich einen Ritter mit einem Pfauenbusche und in einem Mantel mit schwarzem Kreuze vor mir sah! Eine innere Stimme rief mir zu: Schlag' los auf den Deutschen, ein Wunder ist geschehen. Kurz entschlossen, sprengte ich daher auf ihn ein – wer hätte dies an meiner Stelle nicht gethan?«
»Hört mich an,« ergriff nun Powala das Wort. »Ich wünsche Euch nichts Schlimmes, denn ich sehe klar, daß dieser junge Bursche weit eher durch den seinem Alter eigenen Leichtsinn, als durch Böswilligkeit gesündigt hat. Daher wäre ich sofort bereit, seine That nicht weiter zu beachten und ihn ziehen zu lassen, als ob nichts geschehen wäre. Allein ich könnte dies nur in der Voraussetzung thun, daß jener Komtur verspricht, sich nicht bei dem Könige zu beklagen. Stellt daher diese Bitte an ihn. Vielleicht fühlt auch er Mitleid mit dem Menschlein.«
»Weit eher stelle ich mich dem Gerichte, als daß ich mich vor dem Kreuzritter beuge!« rief jetzt Zbyszko. »Nein, das thue ich nicht! Es verträgt sich nicht mit meiner Herrenehre.«
Ernst schaute daraufhin Powala aus Taczew auf den Jüngling und sagte: »Du handelst unrecht. Es wäre wahrlich besser für Dich, Du wüßtest genauer, was sich für die ritterliche Ehre schickt, als im klaren darüber zu sein, was sich nicht für sie schickt. Mich kennt man allenthalben, allein ich sage Dir, daß wenn ich eine solche That vollführt hätte, ich mich nicht schämen würde, für meine Schuld um Verzeihung zu bitten.«
Zbyszko sah wohl die Wahrheit dieser Rede ein, allein nichtsdestoweniger rief er: »Wenn die Erde hier nur ein wenig niedergetreten wird, so ist sie völlig eben. Anstatt dem Deutschen Abbitte zu leisten, ziehe ich es vor, mit ihm zu Pferde oder zu Fuß um den Tod oder um die Knechtschaft zu kämpfen.«
»Narr!« warf hier Macko ein. »Mit dem Gesandten willst Du Dich schlagen? Glaubst Du denn, jener werde sich mit Dir armem Schlucker einlassen? – Edler Herr,« wandte er sich hierauf an Powala, »übt Nachsicht mit ihm. Der Bursche ist durch den Krieg völlig verwildert. Es ist daher weit ratsamer, er bleibt dem Deutschen fern, denn er würde ihn nur beleidigen. Ich werde sprechen, ich werde bitten, und sollte der Komtur nach Beendigung der Gesandtschaft mit seinem Beleidiger an irgend einem Platze kämpfen wollen, dann stelle ich mich ihm.«
»Das ist ein Ritter aus einem hohen Geschlechte, der sich nicht einem jeden stellt!« erklärte Powala.
»Wie? Trage ich vielleicht nicht Gürtel und Sporen? Mir könnte sich selbst ein Fürst stellen.«
»Das ist wahr. Laßt Euch aber ihm gegenüber nichts davon merken, daß ich Euch zu einer Fürbitte veranlaßt habe, denn sonst würde er sich nicht mit Euch versöhnen. Nun, möge Euch Gott seinen Schutz angedeihen lassen.«
»Ich gehe Dir als leuchtendes Vorbild voran!« rief Macko dem Bruderssohne zu, »aber warte, bis ich Dir winke.«
So sprechend näherte er sich dem Kreuzritter. Starr und unbeweglich, wie eine Bildsäule, saß dieser auf seinem, an Größe einem Kamele gleichenden Rosse und blickte voll Gleichgültigkeit umher. Macko hatte sich während seiner langen Kriegszeit im Deutschen geübt; er setzte daher nun den Komtur in dessen Muttersprache auseinander, was geschehen war, schob alle Schuld auf das jugendliche Alter und auf den unklugen Sinn des jungen Burschen, dem kein anderer Gedanke gekommen sei, als daß Gott selbst ihn den Ritter mit dem Pfauenbusche geschickt habe, und bat schließlich um Verzeihung für Zbyszkos Vergehen.
Keine Muskel regte sich in dem Gesichte des Komturs. Mit erhobenem Haupte saß er auf seinem Pferde. So starr, so nichtachtend blickte er über Macko hinweg, als ob er nicht einen Menschen, sondern einen Pfahl vor sich habe. Der Edelmann aus Bogdaniec bemerkte dies wohl, und wenn auch seine weiteren Worte immer gleich höflich blieben, bäumte sich doch sein ganzes Innere sichtlich auf. Nur mühsam redete er schließlich; die roten Flecken auf seinen gebräunten Wangen legten Zeugnis für seine Erregung ab. Immer deutlicher trat es zu Tage, wie er mit sich selbst kämpfte, um nicht mit den Zähnen zu knirschen, um nicht rückhaltlos vorzugehen.
Powala beobachtete all dies. Von seinem guten Herzen getrieben, beschloß er, ihm zu Hilfe zu kommen. Auch er hatte in jungen Jahren an den ungarischen, österreichischen, burgundischen und böhmischen Höfen gar manches Abenteuer bestanden, das seinen Namen weit und breit berühmt gemacht hatte, und so wandte er sich denn nun auch in deutscher Sprache in versöhnlichem Tone und mit vorsätzlicher Heiterkeit zu Macko und sprach: »Ihr seht, o Herr, daß der edle Komtur die ganze Sache auch nicht eines Wortes wert erachtet. Nicht nur in unserem Königreiche, sondern allenthalben pflegen die Kriegerlein mit Unverstand Streitigkeiten herbeizuführen. Doch solch ein Ritter greift Kindern gegenüber weder zu dem Schwerte, noch droht er ihnen mit dem Gesetze.«
Allein auch auf diese Ansprache erteilte Lichtenstein keine Antwort. Seinen fahlgelben Schnurrbart drehend, trieb er sein Pferd au, ohne Macko und Zbyszko weiter zu beachten.
In wahnsinnigem Zorne knirschten diese geradezu mit den Zähnen, während ihre Hände unwillkürlich an die Schwerter griffen.
»Sieh Dich vor, Hund von einem Kreuzritter,« murmelte der alte Edelmann aus Bogdaniec, »ein feierliches Gelübde will ich jetzt ablegen, und ich werde Dich zu finden wissen, wenn Du kein Gesandter mehr bist.«
»Laßt es gut sein,« warf nun Powala ein, trotzdem auch ihm alles Blut heiß zum Herzen schoß, »die Fürstin muß sich jetzt für den jungen Burschen verwenden, sonst steht es schlecht um ihn.«
Nach diesen Worten ritt er dem Kreuzritter nach, erreichte ihn und redete während einiger Zeit lebhaft auf ihn ein. Doch sowohl Macko, wie Zbyszko bemerkte, daß der deutsche Ritter eben so hochmütig auf Powala blickte, wie er dies zuvor bei ihnen gethan hatte, und ihr Grimm steigerte sich immer mehr. Schon nach wenigen Minuten kehrte übrigens Powala wieder zu ihnen zurück, allein erst, nachdem sich der Kreuzritter weit genug entfernt hatte, um völlig außer Hörweite zu sein, begann er: »Ich bat für Euch, allein dies ist ein unzugänglicher Mensch. Er erklärte, er werde sich nur dann nicht beschweren, wenn Ihr das erfüllt, was er verlangen wird.«
»Was will er?«
»Er sprach folgendermaßen: ›Ich halte mich noch kurze Zeit auf zur Begrüßung der masovischen Fürstin, und ich verlange, daß jene beiden absteigen, die Helme abnehmen und auf der Erde, mit entblößtem Haupte, mich um Verzeihung bitten.‹ Schwer ist dies für Männer aus edlem Geschlechte, das begreife ich sehr wohl,« fügte Powala hinzu, indem er prüfend auf Zbyszko blickte, »aber ich rate Euch, die gestellte Bedingung zu erfüllen. Wer weiß, was sonst des jungen Burschen harret: wohl gar das Schwert des Henkers.«
Ein peinvolles Schweigen trat ein. Die Gesichter von Macko und Zbyszko sahen mit einem Male wie versteinert aus.
»Nun, was gedenkt Ihr zu thun?« fragte Powala.
Da antwortete Zbyszko so ruhig und mit solcher Würde, als ob er in einem einzigen Augenblick um zwanzig Jahre gealtert wäre: »Wie dem nun auch sein mag, der Wille des Menschen ist auch eine Macht.«
»Was soll das heißen?«
»Selbst wenn ich zwei Köpfe hätte, könnte man sie nur von dem Henker abschlagen lassen – meine Ehre kann mir aber ohne meinen Willen niemand beschimpfen.«
»Nun, und was sagt Ihr?« wandte sich daraufhin Powala fragend an Macko.
»Ich sage,« erwiderte Macko finster, »daß ich diesen Burschen von klein an aufzog ... Auf ihm beruht unser Geschlecht, denn ich bin alt – aber das vermag er nicht zu thun, wenngleich er unrecht hatte.«
Und die Liebe zu seinem Bruderssohn brach nun bei ihm mit solcher Kraft hervor, daß er ihn mit seinen starken Armen umfing, während er mit bebenden Lippen fortwährend rief: »Zbyszko, Zbyszko!«
Staunen überkam den jungen Ritter bei dieser unerwarteten Liebesbezeugung, und sich der Umarmung des Ohms überlassend, meinte er: »Ei, fürwahr, ich wußte gar nicht, daß Ihr mich so sehr liebt!«
»Immer mehr sehe ich, daß Ihr echte Edelleute seid,« warf hier Powala bewegt ein, »und da mir der junge Bursche gelobt hat, sich selbst dem Gerichte zu stellen, werde ich ihn nicht gefangen nehmen. Solchen Rittern wie Euch kann man vertrauen. Seid übrigens guten Mutes. Der Deutsche beabsichtigt kurze Zeit in Tyniec zu verweilen, ich werde daher den König vor ihm sehen, und ich gedenke, diesem den Vorfall in einer Weise darzustellen, daß er nicht gar zu ausgebracht darüber sein wird. Ein Glück ist es indessen, daß es mir gelang, den Spieß zu zerbrechen – ein großes Glück ist es!«
»Ei, wenn ich schließlich doch den Kopf lassen muß,« bemerkte hier Zbyszko, »so wünschte ich wenigstens, ich hätte dem Kreuzritter die Knochen zerschlagen.«
»Wenn Du auch wohl im stande bist, Deine Ehre zu schützen,« warf hier Powala ungeduldig ein, »so verstehst Du doch nicht, Dich selbst und Deinen Mund im Zaume zu halten.«
»Einen Ausspruch zu thun, maße ich mir wohl an!« rief Zbyszko erregt, »die Knochen hätte ich ihm zerschlagen sollen.«
Und ohne ihn weiter zu beachten, richtete jetzt Powala wieder das Wort an Macko und sagte: »Glaubt mir, o Herr, Euch bleibt nichts anderes übrig, so sich dieses Menschlein aus der Schlinge herauszuziehen versteht, als ihm eine Haube über den Kopf zu stülpen, wie man es bei den Falken zu thun pflegt. Sonst endigt Euer Bruderssohn keines gewöhnlichen Todes.«
»Er könnte gerettet werden, wenn Ihr, o Herr, vor dem Könige verschweigen wollt, was sich ereignet hat.«
»Doch, was fangen wir mit dem Deutschen an? Die Zunge kann ich ihm doch nicht festbinden.«
»Das ist wahr, das ist wahr!«
Düsteren Blickes, fast zögernd, machten sich nun Macko und Zbyszko auf den Rückweg zu der Fürstin. Powala schloß sich ihnen an, und ihm folgten seine Leute, die bis jetzt mit den Mannen des Deutschen geritten waren. Deutlich war in der Ferne zwischen den masovischen Kopfbedeckungen des Kreuzritters glänzender Helm zu sehen, dessen Pfauenbusch vom Winde hin und her bewegt ward.
»Welch merkwürdige Natur doch ein solcher Kreuzritter besitzt!« begann schließlich nachdenklich der Ritter von Taczew. »Sobald es ihm schlecht geht, ist er so sanft wie ein Franziskaner. Demütig wie ein Lamm, süß wie Honig, zeigt er sich einem jeden gegenüber, als der nachsichtigste, beste Mensch erscheint er. Kaum ist er sich jedoch seiner Macht bewußt, tritt er aufs hochmütigste auf, erweist er sich erbarmungslos, so daß man glauben könnte, der Herr Jesus habe ihm einen Kieselstein, statt eines Herzens verliehen. Unter den verschiedensten Völkern habe ich doch schon Umschau gehalten, und stets überzeugte ich mich, daß der echte Ritter dessen schonte, welcher der Schwächere war, indem er sich sagte, es könne ihm nicht zur Ehre gereichen, den vor ihm Liegenden völlig darnieder zu treten. Starr und unbeugsam sind die Kreuzritter. Haltet Euere Faust über sie, sonst ergeht es Euch schlimm! Nicht nur Abbitte forderte der Gesandte von Euch, nein, Schimpf wollte er Euch anthun. Gar froh bin ich darüber, daß ihm dies nicht gelang.«
»Das wird ihm niemals gelingen!« rief Zbyszko.
»Laßt es ihn auch nicht merken, so Euch Sorge bedrückt, denn sonst würde er Euch rücksichtslos verlachen.«
Nunmehr waren die Drei wieder zu dem Hofstaate der Fürstin gestoßen. Kaum nahm jedoch der Kreuzritter die beiden Edelleute aus Bogdaniec wahr, so verfolgte er sie mit seinem hochmütigen, verächtlichen Blicke, sie aber thaten, als ob sie ihn nicht beachteten. Zbyszko hielt sich an der Seite Danusias, mit der er fröhlich über Krakau zu plaudern begann, das von der Höhe aus bereits zu sehen war, während Macko einem der fahrenden Schüler erzählte, daß der Herr von Taczew mit einer Hand Zbyszkos Spieß wie dürres Rohr am Schafte geknickt habe.
»Weshalb hat er denn dies gethan?« fragte der fahrende Schüler.
»Weil Zbyszko ihn, freilich nur zum Spaße, auf den Deutschen anlegte.«
Den Schüler dünkte zwar ein solcher Scherz nicht angemessen, doch da er sah, wie leichthin Macko darüber sprach, legte er ihm keine große Bedeutung bei. Die Stimmung des Kreuzritters ward eine immer gereiztere. In der Erwartung, daß ihm Macko und Zbyszko Abbitte leisten würden, sah er sich schmählich getäuscht, seine Augen blitzten mit einemmale zornig auf, und mit der Miene eines schwer Gekränkten verabschiedete er sich von der Fürstin.
Da vermochte der Herr von Taczew nicht länger an sich zu halten, sondern rief ihm zu: »Seid getrost, tapferer Ritter. Das Land ist ruhig und niemand wird Euch feindlich überfallen, wennschon ein gewisser junger Bursche zum Spaße ...«
»Seltsam sind zwar die Sitten in diesem Lande,« entgegnete Lichtenstein, »allein nicht Schutz suchte ich bei Euch, nein, mir war es um Eure Gesellschaft zu thun. Doch voraussichtlich werden wir uns noch einmal treffen, sei es an dem hiesigen Hofe oder an einem andern ...«
Die letzten Worte klangen wie eine unterdrückte Drohung, weshalb Powala feierlich erwiderte: »Das gebe Gott!«
So antwortend, neigte er sich leicht, wandte sich achselzuckend ab und sagte halblaut vor sich hin, doch so, daß die ihm Zunächststehenden es hören konnten: »Gelbschnabel! Am liebsten möchte ich Dich mit der Spitze meines Speeres aus dem Sattel heben und während dreier Vaterunser frei in der Luft halten.«
Unverweilt begann er hierauf eine Unterhaltung mit der Fürstin, die ihm wohl bekannt war. Anna Danuta fragte ihn, was denn seines Amtes sei, und er setzte ihr auseinander, daß er auf königlichen Befehl die Ordnung in der Umgegend aufrecht zu erhalten habe, die Sicherheit auf der Landstraße sei durch die große Zahl der Gäste gefährdet, die nach Krakau zogen. Gar leicht könnte sich unter ihnen ein Zwist erheben, erklärte er weiter, just eben sei er selbst Zeuge eines solchen gewesen. Er erzählte den ganzen Hergang, wennschon er aber anfänglich daran gedacht hatte, die Fürstin um Fürsprache für Zbyszko zu bitten, verschob er das nun schließlich doch auf eine spätere Zeit und vermied es, dem Streite irgend welche Bedeutung beizulegen, um die frohe Laune der Fürstin nicht zu trüben. Anna Danuta lachte sogar herzlich über den Eifer Zbyszkos, die Pfauenbüsche zu erlangen – die andern jedoch, welche der Erzählung lauschten, erkundigten sich eingehend über den Vorfall und äußerten laut ihre Bewunderung des Herrn von Taczew, der mit einer Hand den Spieß des Zbyszko zerbrochen hatte.
Der etwas prahlerisch angelegte Herr von Taczew freute sich jedoch in seinem Herzen über das Lob, das man ihm zollte, und wurde nicht müde, verschiedene seiner Thaten zu schildern, die seinen Namen bekannt gemacht hatten. So erzählte er, daß er einmal am Hofe Philipps des Kühnen von Burgund im Turniere mit einem ardennischen Ritter gekämpft habe. Nach Zertrümmerung der Speere habe er diesen umfaßt, ihn aus dem Sattel gehoben und ihn trotz seines eisernen Panzers auf Speerhöhe in die Luft geschleudert. Eine goldene Kette sei ihm dafür von Philipp dem Kühnen verliehen worden, von dessen Gemahlin aber ein Samtschuh, den er seit jener Zeit am Helme trage.
Noch größeres Staunen bemächtigte sich nun aller Hörer, nun Mikolaj von Dlugolas sagte: »In unserer heutigen verzärtelten Zeit giebt es wohl kaum Männer, wie ich sie in meiner Jugend gekannt habe, oder solche, von denen mein Vater mir erzählt hat. Wohl giebt es noch Edelleute, die einen Panzer zerbrechen, eine Armbrust ohne Schneller spannen oder ein eisernes Beil zwischen den Fingern biegen, aber die betrachten sich schon als Athleten und beehren sich über alle andern. Früher konnten dies jedoch auch Mägdlein thun ...«
»Ferne sei es mir, dem zu widersprechen, daß früher die Leute kräftiger waren,« warf jetzt Powala ein, »doch auch heute findet man noch manch strammen Burschen. Mir verlieh der Herr Jesus kräftige Knochen, doch nicht zu den kräftigsten rechne ich mich in diesem Königreiche. Kennt ihr einen gewissen Zawisza aus Garbow? Dieser würde mich bezwingen.«
»Ich kenne ihn. Seine Schultern sind so breit wie die Schutzwehr des Krakauer Glockenturmes.«
»Und Dobko aus Olesnica? Er streckte einmal auf einem Turniere, das die Kreuzritter in Thorn veranstalteten, zwölf Ritter nieder, zum großen Ruhme für uns und für unser Volk.«
»Aber einer der Unseren, der Masur Staszko Ciolek war stärker als Ihr und Zawisz und Dobek. Man erzählt von ihm, er habe mit der Hand einen frischen Stamm so zusammenzupressen vermocht, daß der Saft daraus gelaufen sei.«
»Das vermag ich auch!« rief Zbyszko. Und ohne daß ihn jemand um die Probe gebeten hätte, sprang er an den Rand des Weges, riß einen dicken Ast von einem Baume und drückte ihn nach und nach so kräftig vor den Augen der Fürstin und Danusias zusammen, daß der Saft thatsächlich tropfenweise auf den Weg träufelte.
»Oho! Jesus, Jesus!« rief bei diesem Anblick Ofka aus Jarzawkow, »laßt ihn nicht in den Krieg ziehen, denn es wäre schade, wenn ein solcher Bursche vor der Hochzeit zu Grunde ginge.«
»Ja, es wäre schade!« wiederholte Macko, plötzlich aufs neue finster dareinblickend.
Aber die Fürstin lächelte freudig, und selbst Mikolaj von Dlugolas gab seine Zufriedenheit kund, während die übrigen laut Zbyszko rühmten. Wurde doch zu damaliger Zeit die Kraft mehr als jede andere Gabe geschätzt. Fröhlich blickte Danusia, der die Frauen fortwährend »Freue Dich, freue Dich!« zuriefen, auf den Gefeierten. Den überaus stolz darein schauenden Zbyszko suchte indessen Mikolaj von Dlugolas sofort zu einem gewissen Maßhalten zu bringen, indem er also sprach:
»Sei nicht gar zu stolz, denn es giebt weit kräftigere Gesellen, als Du einer bist. Ich selbst war zwar nicht Augenzeuge, aber mein Vater hat mir von einem Vorgange erzählt, der sich an dem Hofe des römischen Kaisers Karl ereignet hat. Als einmal der König Kasimir zu Besuche kam mit größerem Gefolge, befand sich auch der starke Staszko Ciolek darunter, der Sohn des Wojwoden Andrzej. Der Kaiser rühmte sich seinem Gaste gegenüber, daß zu seinen Mannen ein Böhme gehöre, der jeden Bären um den Leib packe, um ihn dann mit einer Hand zu erwürgen, ja, er veranstaltete eine Vorstellung, in welcher der Böhme zwei Bären auf diese Weise tötete. Das ließ nun unsern König nicht ruhen, ihn grämte der Gedanke, man könne seine Leute geringer achten als die des Kaisers, und wenige Tage vor der Abreise sprach er daher: ›Wißt, mein Ciolek läßt sich von dem Böhmen nicht beschämen.‹ Daraufhin wurde festgesetzt, daß die beiden nach Verlauf von drei Tagen mit einander ringen sollten. Zur bestimmten Zeit versammelten sich gar viele Edelfrauen und Ritter in dem zum Kampfplatze ausersehenen Schloßhofe. Der Wettstreit dauerte jedoch nicht lange, denn binnen kurzem brach Ciolek dem Böhmen das Kreuz, zermalmte ihm alle Knochen und ließ ihn zum Ruhme des Königs erst als Toten aus den Händen. Doch nicht genug damit! Ciolek, der seit dem Kampfe auch ›Knochenbrecher‹ genannt wurde, trug einmal ganz allein von einem Turme die Glocke, welche so groß war, daß sie sonst kaum von zwanzig Männern von der Stelle gebracht werden konnte.«
»Stand er denn damals schon im vorgeschrittenen Mannesalter?« fragte Zbyszko.
»Nein, er war noch ganz jung.«
Inzwischen war Powala aus Taczew beständig an der Seite der Fürstin geritten. Jetzt neigte er sich zu ihr, schilderte ihr wahrheitsgetreu den schlimmen Vorgang zwischen dem Kreuzritter und Zbyszko und bat sie inständigst, Fürsprache für letzteren einzulegen, der vielleicht schwer für sein unüberlegtes Vorgehen büßen müsse. Die Fürstin, der Zbyszko sehr wohl gefiel, nahm die Mitteilung voll Kummer entgegen und zeigte sich äußerst beunruhigt.
»Bei dem Bischof von Krakau bin ich wohlgelitten,« ergriff Powala nach kurzem Schweigen wieder das Wort, »ich kann also bei ihm bitten und bei der Königin. Je mehr Fürsprecher jedoch da sind, desto besser ist es für den Milchbart ...«
»Wenn die Königin für ihn eintritt, wird ihm kein Haar auf dem Haupte gekrümmt werden,« erklärte Anna Danuta. »Der König stellt sie sehr hoch wegen ihrer Frömmigkeit und wegen ihrer großen Mitgift, jetzt aber verehrt er sie geradezu, da die Schmach der Unfruchtbarkeit von ihr genommen ist. In Krakau ist aber auch die Fürstin Ziemowit – eine Schwester des Königs, für die er große Liebe hegt, an sie wendet Euch. Selbstverständlich versuche auch ich alles, was in meiner Macht steht, allein jene ist ihm leiblich verwandt, und ich bin nur seine Base.«
»Der König ist aber doch sehr eingenommen für Euch, edle Frau.«
»Ach, nicht so sehr,« entgegnete in etwas schmerzlichem Tone die Fürstin. »Ich werde mit dem Gliede einer goldenen Kette abgefunden, während jene eine ganze Kette erhält, für mich wird ein Fuchspelz als ganz genügend erachtet, jene aber muß einen Zobelpelz haben. Für keinen Menschen in der Familie hegt der König eine solche Vorliebe, wie für Alexandra. Ich erinnere mich keines einzigen Tages, an dem er sie mit leeren Händen entlassen hätte ...«
Unter solchen Gesprächen näherten sich die Reisenden allgemach ihrem Ziele. Auf der Landstraße wurde es stündlich lebhafter. Zahllose Landedelleute, teils in Rüstungen, teils in sommerlichen Gewändern und in Strohhüten, zogen an der Spitze ihrer Knechte in die Stadt. Etliche davon waren beritten, andere fuhren in Wagen, von ihren Frauen und Töchtern begleitet, welche auch die längst angekündigten Turniere sehen wollten. An verschiedenen Stellen war die Landstraße geradezu von Wagen mit Salz, Wachs, Getreide, Fischen, Tierfellen und Holz gesperrt, da es der Abgaben wegen den Kaufleuten nicht gestattet wurde, die Stadt zu umgehen. Gar viele Wagen mit allerlei Stoffen, mit Bierfässern, kurz, mit den mannigfaltigsten Waren beladen, fuhren in die Stadt. Schon wurden die königlichen, die herrschaftlichen und die städtischen Gärten sichtbar, die von allen Seiten Krakau mit seinen Mauern und Kirchtürmen umschlossen. In der nächsten Nähe der Stadt erreichte der Lärm seinen Höhepunkt, und an den Thoren stauten sich Wagen, Reiter und Fußgänger in einer solchen Weise, daß kaum durchzukommen war.
»Welch eine Stadt!« rief Macko. »Ein zweites Krakau giebt es nicht mehr auf der Welt!«
»Es ist, als ob immer Jahrmarkt darin wäre!« meinte einer der fahrenden Schüler. »Seid Ihr schon einmal früher hier gewesen, Herr?«
»Vor langer Zeit. Jetzt aber überrascht mich der Anblick Krakaus dermaßen, daß mich dünkt, ich sähe die Städte zum erstenmal nach einem Aufenthalte in wilder Gegend.«
»Krakau soll sich unter König Jagiello unendlich entwickelt haben.«
»Das ist wahr. Seit der litauische Großfürst den Thron bestiegen hat, sind unermeßliche litauische und russische Länderstrecken dem krakauischen Handel eröffnet worden. Infolgedessen nahm die Stadt tagtäglich an Wohlhabenheit, an Bevölkerung zu – es entstanden eine Reihe neuer Bauten, und jetzt wird Krakau zu den bekanntesten Städten der Welt gerechnet.«
»Nun, nun, die Städte der Kreuzritter sind auch nicht zu verachten,« ließ sich aufs neue der auffällig dicke fahrende Schüler vernehmen.
»Ja, wer dahin kommen könnte!« entgegnete Macko. »Welch eine Beute wäre da zu gewinnen.«
Powala erwog noch immer in seinem Sinn das Schicksal Zbyszkos, der doch nur durch sein thörichtes Vorgehen eine Schuld auf sich geladen hatte und sich jetzt einfach in den Rachen des Wolfes begab. Der Herr von Taczew besaß, trotz seiner grimmigen und rauhen Außenseite, ein taubenfrommes Herz; er konnte sich des Mitleids mit dem jungen Gesellen nicht erwehren, wußte er doch am besten von allen, was den Schuldigen treffen werde.
»Ich sinne und sinne,« wandte er sich aufs neue zu Anna Danuta, »ob man der Königin von dem Geschehnis Kunde geben soll oder nicht. Wenn der Kreuzritter die Klage unterläßt, dann kommt es nicht zur Verhandlung, doch, angenommen, er beklagt sich, dann wäre es angemessener, durch die vorherige Auseinandersetzung einem plötzlichen Zornesausbruch vorzubeugen.«
»Sobald der Kreuzritter jemand ins Verderben stürzen kann, thut er es auch,« warf die Fürstin hier ein. »Doch ich werde sofort Zbyszko zu überreden suchen, an meinem Hofe zu bleiben. Vielleicht wird es sich der König doch überlegen, allzu streng gegen einen meiner Hofleute vorzugehen.«
Und ohne lange zu zögern, ließ sie Zbyszko zu sich entbieten. Als dieser hörte, um was es sich handle, sprang er sogleich vom Pferde und sich Anna Danuta zu Fuße nähernd, erklärte er sich mit der größten Freude bereit, fortan bei ihrem Hofe zu bleiben, wobei ihm aber seine persönliche Sicherheit weit weniger am Herzen lag, als die Gewißheit, dadurch in der Nähe Danusias verharren zu können.
Powala war inzwischen zu Macko geritten. »Wo wollt Ihr wohnen?« fragte er diesen.
»In einer mir bekannten Herberge.«
»In den Herbergen giebt es längst keinen Platz mehr.«
»Dann gehen wir zu einem mir befreundeten Kaufmann, Amylej mit Namen. Vielleicht nimmt er uns auf.«
»Hört jetzt meinen Vorschlag: Kommt zu mir als meine Gäste. Euer Bruderssohn könnte zwar mit dem Gefolge der Fürstin im Schlosse wohnen, allein ich halte es für besser, wenn er dem Könige nicht gleich unter die Hände kommt. Gar häufig thut man im ersten Zornesausbruch manches, was man später unterlassen würde. Ihr müßtet ja auch dann alles teilen, was Euch gemeinsam gehört – die Wagen und die Knechte, und dazu ist Zeit nötig. Bei mir jedoch, das dürft Ihr glauben, seid Ihr gut und sicher aufgehoben.«
Obwohl beunruhigt darüber, daß Powala die Sicherheit Zbyszkos dermaßen gefährdet erachtete, willigte Macko doch mit großer Freude in den Vorschlag ein, und so ritten sie gemeinsam in die Stadt. Bei dem wunderbaren Anblick aber, der sich ihnen hier bot, vergaßen sowohl sie wie Zbyszko aufs neue für einige Zeit aller Sorgen. Denn was hatten sie bis jetzt in Litauen und an der Grenze gesehen? Einzelne Burgen, und von bedeutenderen Städten nur Wilna, das wohl teilweise schlecht aufgebaut worden war, größtenteils aber noch in Trümmern lag. Hier hingegen reihte sich ein steinernes Handelshaus an das andere, und alle konnten an Pracht mit den litauischen großfürstlichen Burgen wetteifern. Wohl gab es auch zahlreiche Häuser aus Holz in Krakau, allein selbst diese Gebäude erregten Bewunderung durch ihre Höhe und durch ihre aus kleinen, in Blei gefaßten Glasstückchen bestehenden Fenster, auf denen sich die untergehende Sonne in solch roter Glut spiegelte, daß man glauben konnte, es sei Feuer in den Häusern ausgebrochen. In den in der Nähe des Marktes liegenden Straßen standen gleichfalls ganze Reihen von hohen, teils schmalen, teils breiten Bauten, entweder aus Ziegeln oder aus Stein aufgeführt, alle mit gewölbtem Hausflur, Erkern und mit kreuzartigen Verzierungen, sowie häufig mit den Merkmalen der Leiden Christi oder mit dem Bilde der Jungfrau Maria über dem Thorbogen geschmückt. Auf beiden Seiten dieser mit Stein gepflasterten Straßen befanden sich in tiefen Gewölben die prächtigsten, wunderbarsten Warenlager, auf die Macko, gewöhnt an reiche Kriegsbeute, manch gierigen Blick warf. Unendliches Staunen riefen aber bei ihm und Zbyszko die öffentlichen Gebäude hervor, so die Kirche der Jungfrau Maria auf dem Ringe, das Rathaus mit seinem Riesenkeller, wo das Swidnicer Bier verzapft wurde, die anderen Kirchen, das geräumige mercatorium, das für ausländische Kaufleute bestimmt war, der Bau, in dem die städtische Wage stand, die Badehäuser, die Haarschneidekabinette, die Kupfer-, Gold- und Silberschmelze, die Bierbrauereien mit ihren zahllosen Fässern neben dem sogenannten Schrotamte, kurz, all diese Sehenswürdigkeiten, von denen ein der Stadt ungewohnter Mensch, selbst wenn er der wohlhabende Besitzer einer kleinen Burg sein mochte, keine Ahnung haben konnte.
Powala führte Macko und Zbyszko in sein, in der Straße Sankt Maria gelegenes Heim, befahl, ihnen eine große Stube herzurichten, übergab sie der Obhut seiner Pagen und eilte sofort in das Schloß, von wo er erst in später Nacht zurückkehrte. Trotzdem brachte er aber noch einige Freunde zum Mahle mit, die sich Trank und Speise wohl schmecken ließen. Der Wirt selbst aber zeigte eine sehr bekümmerte Miene, und als er endlich mit den beiden Edelleuten aus Bogdaniec allein war, sagte er zu Macko: »Ich habe Rücksprache mit einem Kanonikus genommen, der des Schreibens und des Rechtes kundig ist. Und wißt Ihr, was er behauptet: die Beleidigung eines Gesandten fordere ein Halsgericht. Betet daher zu Gott, damit sich der Kreuzritter nicht beschwere.«
Wenn nun auch Macko und Zbyszko dem Mahle frohgemut beigewohnt und sogar im Trinken das Maß etwas überschritten hatten, legten sie sich doch jetzt mit kummervollen Herzen zur Ruhe. Macko vermochte nicht einzuschlafen und rief schließlich: »Zbyszko!«
»Was wollt Ihr.«
»Siehst Du, wenn ich mir so alles überlege, fürchte ich immer mehr, daß es Dir Deinen Kopf kosten wird.«
»Glaubt Ihr?« fragte Zbyszko mit der Schlaftrunkenheit der Jugend und schlummerte, vom Ritte ermüdet, sich der Wand zukehrend, ruhig ein.
Am nächsten Tage begaben sich die beiden Edelleute aus Bogdaniec gemeinschaftlich mit Powala zur Frühmesse in den Dom, einesteils der Andacht wegen, andernteils aber auch, um den königlichen Hof und die Gäste zu sehen, die sich im Schlosse zusammengefunden hatten. Auf dem Wege traf Powala gar viele Menschen, die ihm bekannt waren, und unter ihnen eine große Anzahl von Rittern, weithin berühmt im In- und im Auslande. Zbyszko schaute voll Bewunderung auf alle, insgeheim das Gelübde ablegend, daß wenn seine Angelegenheit mit Lichtenstein glücklich ablaufen werde, er sich Mühe geben wolle, diesen an Tapferkeit und an allen andern Tugenden gleichzukommen. Einer von diesen Rittern, ein Verwandter des Kastellans von Krakau, kündigte ihnen die Neuigkeit an, daß ein Domherr, der zum Papste Bonifacius IX. mit einem königlichen Schreiben abgesandt worden war, um denselben zur Taufe nach Krakau einzuladen, von Rom mit der Kunde zurückgekehrt sei, der Papst wisse zwar noch nicht, ob er persönlich der Feier beiwohnen könne, doch werde er jedenfalls einen Gesandten bevollmächtigen, in seinem Namen das Kind, welches das Licht der Welt erblicken sollte, über die Taufe zu halten. Der Ritter habe auch dem Wunsche des Papstes Ausdruck verliehen, daß als Beweis von dessen besonderen Liebe für die königlichen Eltern dem Kinde der Name »Bonifacius« gegeben werde. Die baldige Ankunft des Königs Sigismund wurde auch besprochen. Man erwartete ihn mit Bestimmtheit, denn Sigismund kam stets geladen oder ungeladen an, sobald sich ihm die Gelegenheit zu einem Besuche, zu einem Gastmahle oder zu einem Turniere bot, da er in der Welt nicht nur als Herrscher, sondern auch als Sänger und Ritter bekannt sein wollte.
Powala, Zawisza aus Garbow, Dobko aus Olesnica, Naszam und noch viele andere erinnerten sich gegenseitig mit Lächeln daran, wie bei den früheren Besuchen des Sigismund der König Wladislaw sie im Geheimen gebeten hatte, im Turniere nicht gar zu heftig anzugreifen, sondern Rücksicht zu nehmen auf den Gast aus Ungarn, dessen in der ganzen Welt bekannte Eitelkeit so groß war, daß ihm jede Niederlage Thränen in die Augen trieb. Voll Interesse unterhielten sich auch die Ritter über Witold. Man erzählte sich Wunder von der Pracht der aus reinem Silber getriebenen Wiege, die von Witold und seiner Frau Anna durch die litauischen Fürsten und Bojaren zum Geschenk überbracht worden war. Es bildeten sich nach und nach, wie gewöhnlich vor der Messe, einzelne Gruppen, die sich allerlei Neuigkeiten mitteilten, und auch Macko schilderte den ihn Umstehenden die Kostbarkeit des Geschenkes und erzählte ausführlich von dem geplanten Kriegszuge Witolds gegen die Tataren, da er von allen Seiten mit Fragen bestürmt wurde. Wie er berichtete, hatten sich die Heere schon gegen den Osten von Rußland gewendet, und wenn der Plan Witolds gelingen sollte, so trug er dazu bei, die Herrschaft des Königs Jagiello fast über die halbe Welt bis zu den Grenzen Persiens und bis zu den Ufern des Arals auszudehnen. Macko, der ja bei Witold gewesen war und daher dessen Absichten genau kannte, wußte alles so beredt auseinanderzusetzen, daß sich der Kreis der Neugierigen um ihn vor der Treppe des Doms immer mehr vergrößerte. Es handelt sich hier, erklärte Macko, einfach um einen Kreuzzug. Witold selbst regiert, obwohl er sich Großfürst nennt, doch Litauen nur im Namen Jagiellos und ist nur Statthalter. Das Verdienst um den Kreuzzug wird also dem König zufallen. Welch ein Lob wird es aber dem kurz getauften Litauer eintragen, und wie förderlich wird es für die Macht Polens sein, wenn die vereinten Heere das Kreuz in solche Gegenden tragen werden, wo der Name des Erlösers nur zum Spotte genannt wird, und wo bis jetzt der Fuß des Polen und des Litauers noch nicht hingekommen ist. Der verjagte Tochtamysz, den die vereinten polnischen und litauischen Heere von neuem auf den verlorenen Thron zu setzen gedenken, wird sich als »Sohn« des Königs Wladislaw bekennen und seinem Versprechen gemäß mit der ganzen Goldenen Horde dem Kreuze huldigen.
Voll Spannung lauschten die Hörer diesen Worten, viele aber, die nicht genau wußten, um was es sich handelte, wem Witold helfen, gegen wen der Krieg geführt werden solle, fingen zu fragen an: »Sagt uns erst, gegen wen der Krieg geführt werden soll.«
»Gegen Timur den Lahmen!« antwortete Macko.
Jetzt trat einen Augenblick Schweigen ein. Wohl hatten die Ritter aus dem Westen schon die Namen der Goldenen, der Blauen und der Assowischen Horden vernommen, aber was wußten sie von den tatarischen Angelegenheiten, von den Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Horden? Dagegen gab es kaum einen Menschen in Europa, der nichts von dem schrecklichen Timur dem Lahmen oder Tamerlan gehört hatte, dessen Namen mit nicht geringerem Schrecken genannt wurde wie seiner Zeit der Name Attilas. War doch Tamerlan der »Herr der Welt« und der »Herr der Zeiten« – ein Herrscher über siebenundzwanzig unterjochte Reiche, der Herrscher über das Moskauische Rußland, der Herrscher von Sibirien, der Herrscher von China und Indien, der über Ispahan, über Haleb und über Damaskus regierte, dessen mächtige Hand über die Arabische Wüste bis nach Aegypten reichte und über den Bosporus bis an das Griechische Kaiserreich – war doch Tamerlan – der Zerstörer des Menschengeschlechtes – der Erbauer ungeheurer Pyramiden aus Menschenschädeln – ein Sieger in allen Schlachten, der niemals besiegte »Herr über Seele und Körper«.
Als sich Tochtamysz, der von ihm auf den Thron der Goldenen und der Blauen Horde erhoben und als »Sohn« anerkannt worden war, seiner Macht bewußt, sich unabhängig zu machen gesucht hatte, wurde er durch eine einzige Handbewegung des schrecklichen »Vaters« vom Throne gestürzt, und hatte sich, um Hilfe flehend, zu dem litauischen Statthalter geflüchtet. Witold beabsichtigte auch, ihm wieder zu dem Throne zu verhelfen; um dies zu ermöglichen, war es indessen vor allem nötig, sich mit dem weltbeherrschenden Lahmen zu messen.
Das war auch der Grund, weshalb sich alle so sehr für den geplanten Kriegszug interessierten, und nach kurzem Schweigen sagte einer der ältesten Ritter, Kazko aus Jaglow: »Ei, wir werden nicht mit dem ersten besten zu thun bekommen.«
»Und doch kommt bei uns nicht viel heraus,« bemerkte in weisem Tone Mikolaj aus Dlugolas, »denn ist es für uns nicht gleichgiltig, ob am Ende der Welt ein Tochtamisz oder irgend ein Kutluk über die Söhne des Belial herrschen wird?«
»Tochtamisz würde sicherlich Christ werden,« antwortete Macko.
»Das ist noch fraglich. Kann man denn den Hundsseelen trauen, die nicht an Christus glauben?«
»Um des Namens Christi willen lohnt es sich indessen schon zu sterben,« sagte Powala.
»Und der Ritterehre wegen,« fügte ein anderer Ritter hinzu; »ich kenne gar manche unter uns, die mitziehen werden. Herr Zbytko aus Mielsztyn hat eine junge und vielgeliebte Frau, und ist doch schon zu Witold gegangen.«
»Daran ist gar nichts Wunderbares,« bemerkte nun Jasko Naszam. »Denn wenn einer auch die größte Sünde auf dem Gewissen hat, so ist doch der Ablaß sicher vor einem solchen Kriege und somit die Rettung jedes Sünders.«
»Geschweige des Ruhmes in der Ewigkeit,« ergriff Powala aus Taczew wieder das Wort. »Mir soll es recht sein, wenn der Kriegszug ausgeführt wird, denn, in der That, es ist nicht der erste beste, gegen den wir ziehen werden. Timur besiegte die ganze Welt und herrscht über siebenundzwanzig Königreiche. Welch ein Lob wäre es für unser Volk, wenn wir seine Macht vernichten würden.«
»Das will ich meinen!« rief einer der Ritter. »Wenn er auch hundert Königreiche besäße, wir fürchteten ihn nicht. Mögen dies andere thun! Ihr könnt mir glauben, wenn wir nur zehntausend Bogenschützen zusammenbringen, können wir es mit der ganzen Welt aufnehmen.«
»Welches Volk soll denn den Lahmen besiegen, wenn nicht das unsrige!«
So sprachen die Ritter untereinander, und Zbyszko war jetzt ganz verwundert darüber, daß ihn niemals zuvor die Lust angewandelt hatte, mit Witold in die wilden Steppen zu ziehen. Als er in Wilna gewesen war, da hatte er sich darnach gesehnt, Krakau mit seinem königlichen Hofe zu sehen und an den ritterlichen Spielen teilzunehmen, jetzt aber dünkte es ihn, er könne dabei wenig Ruhm gewinnen. Ihm drohte außerdem ein strenger Urteilsspruch, bei Witold hätte er dagegen vielleicht einen ruhmreichen Tod gefunden.
Da mit einemmale ließ der vor Alter mit dem Kopfe zitternde, hundertjährige Kazko aus Jaklow, der jedoch nicht mehr immer Herr seiner Sinne war, sich also vernehmen: »Was überlegt Ihr lange? Ihr seid wirklich thöricht. Hat denn keiner von Euch gehört, daß die Königin ein Wunder erlebte, daß das Bild Christi zu ihr gesprochen hat? Und wenn selbst der Erlöser sich zu solchen Vertraulichkeiten herbeiläßt, weshalb sollte ihr der heilige Geist, die dritte Person der Dreieinigkeit, nicht gewogen sein? Der heilige Geist aber hat ihr die Gabe verliehen, in die Zukunft zu sehen und alles gerade so im voraus zu bestimmen, als ob es vor ihr stattfände. Und die Königin hat sich also vernehmen lassen ...«
Hier hielt der Hochbetagte plötzlich inne, griff sich an die Stirn und fuhr dann fort: »Ja, ja, ich vergaß, was sie sagte, aber ich werde mich dessen bald wieder erinnern ...«
Mit sichtlicher Anstrengung begann er zu überlegen, die andern aber warteten andächtig, denn es war allgemein die Ansicht verbreitet, daß die Königin die Zukunft voraussehen könne.
»Ja, ja,« bemerkte er endlich, »jetzt habe ich es! Die Königin erklärte, daß wenn alle Ritter samt und sonders mit dem Fürsten Witold gegen den Lahmen auszögen, die heidnische Macht zerstört würde. Man könne aber nicht alle Ritter entbehren wegen der Verderbtheit der christlichen Fürsten. Es sei nötig, die Grenzen zu schützen vor den Böhmen, vor den Ungarn und vor den Kreuzrittern, denn man dürfe niemand trauen. So aber nur ein Teil der Polen mit Witold auszieht, wird ihn Tamerlan oder einer von dessen Heerführern besiegen, da der Lahme über eine ungeheure Heeresmacht verfügt.«
»Jetzt herrscht aber doch Frieden an den Grenzen,« bemerkte einer der Ritter, »und der Orden selbst will dem Witold Heeresfolge leisten. Die Kreuzritter müssen dies ja thun, denn erstens wäre es eine Schmach für sie, wenn sie anders handelten, und zweitens liegt ihnen auch daran, dem heiligen Vater zu beweisen, daß sie zum Kampfe gegen die Heiden bereit sind. Wie allgemein behauptet wird, soll ja Kuno von Lichtenstein nicht nur der Taufe wegen, sondern auch um dieser Beratungen willen, hier weilen.«
»Da ist er!« rief plötzlich Macko aus.
»Fürwahr er ist's!« stimmte Powala, sich umschauend, bei, »fürwahr er ist's. Er weilte nur kurz bei dem Abte in Tyniec.«
»Es hat ihm wohl keine Ruhe dort gelassen,« bemerkte Macko finster.
Mittlerweile kam Kuno von Lichtenstein an den Sprechenden vorüber. Er erkannte jedoch weder Macko noch Zbyszko, da er sie zuvor bloß im Helme gesehen hatte, der selbst beim offenen Visiere nur einen kleinen Teil des Gesichtes freiließ. Im Vorbeigehen nickte der Kreuzritter dem Powala aus Taczew zu, um dann, von seinen Pagen gefolgt, die Treppen des Domes mit langsamen, majestätischen Schritten zu ersteigen.
Den Beginn der Messe verkündigend, ertönten nun laut die Glocken, deren Klang eine Schar von Dohlen und Tauben emporscheuchte, die in den Türmen nisteten. Macko und Zbyszko traten gemeinsam mit den andern in die Kirche, beide nicht wenig beunruhigt durch die rasche Wiederkehr Lichtensteins.
Doch während der ältere Edelmann seine Erregung nur schwer bemeistern konnte, wurde die Aufmerksamkeit des jüngeren bald vollständig durch den königlichen Hof in Anspruch genommen. Nie im Leben hatte er etwas Glänzenderes als diese Kirche und diese Versammlung gesehen, die bedeutendsten Männer des Königreiches, berühmt im Rate und im Kriege, waren hier versammelt. Ein Teil derer freilich, durch deren Weisheit die Ehe des Großfürsten von Litauen mit der wunderbar schönen und jugendlichen, polnischen Königin zu stande gekommen war, hatte schon das Zeitliche gesegnet, aber gar mancher von ihnen lebte noch und wurde mit ganz besonderer Ehrfurcht betrachtet. Der junge Ritter konnte sich nicht satt sehen an der imponierenden Erscheinung des Jasko aus Teczyn, des Krakauer Kastellans, der kraftvolle Strenge mit Milde und Gerechtigkeit zu vereinigen wußte; er bewunderte den klugen und ernsten Blick anderer Räte oder die charakteristischen Gesichtszüge der Rittersleute mit den über der Stirn gerade geschnittenen Haaren, welche dann in langen Locken auf Schultern und Rücken herabfielen. Etliche von ihnen trugen Netze, etliche nur Bänder, welche die Haare zusammenhielten. Die ausländischen Gäste – die Gesandten des römischen Königs, die böhmischen, ungarischen und rakuser Gesandten und ihr Gefolge erregten das größte Aufsehen durch die Pracht ihrer Gewänder. Die litauischen Knäse und Bojaren hatten trotz der sommerlichen Hitze ihre pelzverbrämten Röcke angethan. Die russischen Knäse in weiten, aber steifen, goldgestickten Gewändern, nahmen sich mit den Kirchenmauern als Hintergrund wie byzantinische Bilder aus. Aber mit der größten Spannung erwartete Zbyszko den Eintritt des Königs und der Königin, und er drängte sich so weit wie möglich zu der Stalla vor, hinter welcher, in der Nähe des Altars, zwei Kissen aus rotem Samt zu sehen waren, weil das Königspaar gewöhnlich die Messe auf den Knien zu hören pflegte. Die Versammlung mußte nicht lange warten. Durch die Thüre der Sakristei erschien zuerst der König, allen genau sichtbar. Seine schwarzen Haare, von denen einige etwas verwirrt über die Stirn hingen, fielen zu beiden Seiten lang herab, waren aber hinter die Ohren geschoben. Die dunkle Farbe seines glatt rasierten Gesichtes mußte auffallen, ebenso seine gebogene, spitze Nase. Um die Mundwinkel zogen sich tiefe Falten; mit seinen kleinen, schwarzen und glänzenden Augen blickte er lebhaft umher, als ob er sich, bevor er den Altar erreichte, über die Zahl der in der Kirche Anwesenden vergewissern wolle. Seine Züge hatten einen gutmütigen Ausdruck, aber gleichzeitig auch etwas Gespanntes, und seine hastigen, unsicheren Bewegungen bezeugten, daß er sich vor boshaften Bemerkungen fürchte. Er war daher sichtlich bemüht, stets auf seiner Hut zu sein und der Würde Rechnung zu tragen, die ihm ein unverhofftes Glück hatte zu teil werden lassen. Daß ihn indessen die geringfügigste Ursache zum Aufbrausen bringen könnte, das war nicht schwer zu erraten, und niemand mochte daran zweifeln, daß dieser Fürst, seinerzeit durch die Hinterlist der Kreuzritter aufs höchste erbost, ihrem Gesandten hatte zurufen können: »Du kommst zu mir mit dem Pergamente, und ich zu Dir mit dem Speere.«
Durch seine tiefe und wahre Frömmigkeit ward indessen jetzt seine angeborene Heftigkeit in Schranken gehalten. Nicht nur die neu getauften litauischen Fürsten, sondern auch die seit Generationen christlichen, polnischen Edelleute wurden immer erbaut durch den Anblick des Königs in der Kirche. Stets schob er von Zeit zu Zeit das Kissen hinweg, um, der größeren Buße wegen, auf den nackten Steinen zu knien; gar häufig hob er die Hände flehend empor und hielt sie so lange nach oben, bis sie von selbst vor Ermüdung zurückfielen. Er hörte wenigstens drei Messen täglich und hörte sie alle voll Inbrunst. Das Ertönen des Glöckchens bei der Wandlung erfüllte seine Seele mit Wonne. Nach Beendigung der Messe verließ er gewöhnlich die Kirche, wie vom Schlafe erquickt, beruhigt und besänftigt, und nur zu bald hatten es die Hofleute herausgefunden, daß diese Zeit die geeignetste war, wenn man seine Verzeihung erlangen oder ein Geschenk erhalten wollte.
Auch Jadwiga trat durch die Thüre der Sakristei ein. Als die in der Nähe der Stalla stehenden Ritter ihrer ansichtig wurden, knieten sie unwillkürlich nieder, ihr die Ehren wie einer Heiligen zollend. Zbyszko folgte dem Beispiele, denn niemand in der ganzen Versammlung zweifelte daran, daß Jadwiga, die seit Jahren das strengste Bußleben führte, eine Heilige sei, daß mit deren Bildern zukünftig die Kirchenaltäre geschmückt werden würden. Von Mund zu Mund ging unter den Edlen und unter dem Volke der Ruf von ihren Wunderthaten. Allgemein wurde behauptet, die Berührung ihrer Hand heile die Kranken. Menschen, welche des Gebrauches ihrer Glieder beraubt gewesen waren, hatten ihre Gesundheit wieder gewonnen, nachdem die Königin ihre Hand auf sie gelegt. Glaubwürdige Zeugen berichteten, daß sie mit eigenen Ohren gehört hatten, wie einmal Christus am Altare zu ihr gesprochen habe. Die auswärtigen Monarchen verehrten sie auf den Knien, selbst die trotzigen Kreuzritter beugten sich vor ihr und fürchteten sich, sie zu kränken, ja, Papst Bonifacius IX. nannte sie eine Heilige und eine auserwählte Tochter der Kirche. In der ganzen Welt bewunderte man ihre Thaten und dachte mit Staunen daran, wie dies wunderbar schöne Kind des angiovinischen Hauses und der polnischen Piasten, wie die Tochter des mächtigen Ludwig, welche an dem glänzendsten Hofe erzogen worden war, auf ihr persönliches Glück verzichtet hatte, verzichtet hatte auf ihre erste, jungfräuliche Liebe, um als Königin sich mit einem »wilden« litauischen Fürsten zu vermählen, damit sie in Gemeinschaft mit ihm das letzte heidnische Volk Europas dem Kreuze zugänglich mache. Was die vereinigten Kräfte der Deutschen, was die Macht der Orden, was die Kreuzzüge, was all das vergossene Blut lange nicht zu stande hatten bringen können, dazu genügte ein einziges Wort von ihr. Niemals hatte der apostolische Titel ein jüngeres, schöneres Haupt umstrahlt, niemals war bis jetzt in einer Person solche Frömmigkeit und solche Aufopferung vereinigt, niemals noch war Frauenschönheit mit solcher Engelsgüte und ruhigen Ergebenheit gepaart gewesen.
Von Sängern an allen Höfen Europas wurde Jadwiga gepriesen. Aus den fernliegendsten Ländern pilgerten die Ritter nach Krakau, um die polnische Königin zu sehen. Ihr eigenes Volk, dem sie durch ihre Vermählung mit Jagiello so viel Macht und Ruhm verliehen hatte, liebte sie wie seinen Augapfel. Nur eine große Sorge hatte sie und ihr Volk bis jetzt darnieder gedrückt. Dieser von ihm Auserwählten war von Gott Jahre hindurch die Nachkommenschaft versagt geblieben. Als aber auch endlich dieser Fluch von ihr genommen war, verbreitete sich die Nachricht wie ein Blitz vom Baltischen bis an das Schwarze Meer und bis an die Karpathen und erfüllte alle Völker des großen Reiches mit Dankbarkeit. Selbst an den auswärtigen Höfen, den Hof der Kreuzritter ausgenommen, wurde die Kunde mit Freude begrüßt. In Rom ward ein Tedeum gesungen. In den polnischen Ländern aber wurzelte die Ansicht immer fester, daß alles unverzüglich geschehe, um was die heilige Frau Gott bitte.
So wallfahrte man immer häufiger zu ihr. Kranke flehten sie an, für ihr Gesunden zu beten, Abordnungen aus den verschiedensten Ländern und Kreisen stellten sich bei ihr ein, um sie zu veranlassen, ihnen beizustehen, und je nach Bedarf für sie Regen bei Trockenheit, schönes Wetter zur Ernte, glückliche Heueinfuhr, reichliches Ergebnis beim Honigsammeln, gute Beute beim Fischen, erfolgreiche Jagd zu erbitten. Die gefürchtetsten Ritter auf den Grenzschlössern und Burgen, die, nach damaliger Sitte, dem Raube und dem Kriege oblagen, schoben auf eine Mahnung von ihr die gezückten Schwerter wieder in die Scheiden, ließen ihre Kriegsgefangenen ohne Lösegeld frei, gaben die erbeuteten Herden zurück und reichten sich die Hände zur Versöhnung. Alle Unglücklichen, alle Armen drängten sich an den Pforten des königlichen Schlosses. Mit ihrer reinen, unschuldsvollen Seele übte sie einen ungeheuren Einfluß auf die Herzen der Menschen aus; stets war sie darauf bedacht, das Los ihrer Unterthanen zu erleichtern, den Stolz und Hochmut der Ritter und Herren zu vermindern, die Strenge der Richter zu mildern. Gleich der Verkündigerin des Glückes, gleich einem Engel der Gerechtigkeit und des Friedens waltete sie über das ganze Land. Und deshalb erwarteten auch alle, klopfenden Herzens, den Tag des Segens.
Nach der Aussage des Fürstbischofs Wysz von Krakau, welcher als der erfahrenste Arzt im ganzen Reiche und als der berühmteste im Ausland galt, stand die Niederkunft noch nicht so bald bevor, und wenn schon Vorbereitungen getroffen wurden, so geschah dies nur, weil es eine althergebrachte Sitte war, mit den Feierlichkeiten so zeitig wie möglich zu beginnen. Noch hatte die Königin ihre frühere Schlankheit bewahrt, doch stand sie etwas vorgebeugt da. Ihre Kleidung war fast allzu einfach. An einem glänzenden Hof erzogen und die schönste von allen Fürstinnen jener Epoche, hatte sie sich ehemals gerne mit kostbaren Stoffen, Perlen, goldenen Spangen und Ringen geschmückt, aber seit einigen Jahren schon kleidete sie sich in Nonnengewänder, und während einiger Zeit verschleierte sie sogar ihr Gesicht, aus Furcht, die eigene Schönheit könne weltliche Gedanken in ihr erwecken. Als Jagiello, voll Freude über ihren Zustand, das Schlafgemach mit Goldstoff, Byssus und Kleinodien zieren lassen wollte, erklärte sie, sie habe ja längst allem Glanz entsagt, denke nur daran, daß sie bei der Entbindung vielleicht dem Tode nahe sei und daß sie in stiller Demut, fern von allem Prunk, die Gnade hinnehmen müsse, welche ihr Gott zu teil werden lasse. Die Ersparnisse an Gold und Kleinodien wurden nun für die Akademie verwendet, und auch dazu, einige neugetaufte litauische Jünglinge an ausländische Universitäten zu schicken.
Die Königin willigte schließlich darein, ihr Nonnenkleid abzulegen, und von der Zeit an, da ihre Hoffnungen zur Gewißheit wurden, verschleierte sie auch ihr Gesicht nicht mehr, weil sie glaubte, daß sich ein Bußgewand jetzt nicht für sie eigne. Und nun blickten aller Augen voll Liebe auf dies wundervolle Antlitz, das keiner Zieraten von Gold oder von Edelsteinen bedurfte. Langsam schritt die königliche Frau von der Thüre der Sakristei zum Altar hin, den Blick emporgerichtet, in der einen Hand das Gebetbuch, in der andern den Rosenkranz haltend. Zbyszko schaute auf dies lilienweiße Gesicht, die blauen Augen, die engelreinen Züge, in denen sich süßer Frieden, unendliche Güte ausdrückten, und sein Herz fing an, heftig zu klopfen. Er wußte, daß er nach dem Gebot Gottes verpflichtet war, sowohl seinen König als auch seine Königin zu lieben, und er liebte sie in seiner Weise, aber jetzt überkam ihn plötzlich eine Liebe, die nicht auf Befehl, sondern von selbst entsteht und Ehrfurcht, Demut und Opfermut in sich schließt. Jung und heißblütig wie er war, ergriff ihn auch das Verlangen, seine Verehrung, seine Treue irgendwie zu betätigen, irgendwohin zu eilen, den Kampf mit jemand aufzunehmen, etwas zu erobern und seinen eigenen Hals dabei zu Markt zu tragen.
»Langsam schritt die königliche Frau von der Thüre der Sakristei zum Altare hin, den Blick emporgerichtet ...«
»Ich werde mit Fürst Witold in den Krieg ziehen,« sagte er sich, »denn wie kann ich der heiligen Herrin dienen, wenn es in der Nähe keine Gelegenheit zum Kampfe giebt?« Daß er ihr auch auf andere Art dienen könne, als mit dem Schwerte, der Lanze oder dem Beile, kam ihm gar nicht in den Sinn, dagegen war er bereit, mit aller Macht auf Timur den Lahmen loszugehen. Sogleich nach der Messe wollte er sich zu Pferde setzen, wollte er seine Kraft erproben. Auf welche Weise, wußte er aber selbst nicht. Er fühlte nur, daß seine Hände zuckten, und daß es ihn von ganzer Seele darnach verlangte, etwas Großes zu vollbringen.
Er vergaß auch wieder vollständig der Gefahr, die ihm drohte, sogar Danusias vergaß er, und als sie ihm durch die Kinderchöre, welche plötzlich ertönten, wieder in den Sinn kam, sagte er sich unwillkürlich, seine Neigung für sie sei etwas ganz anderes. Danusia hatte er Treue gelobt, ihretwegen sollten drei Deutsche mit dem Leben büßen, und sein Wort wollte er halten, aber die Königin stand ja hoch über allen andern Frauen, und als er darüber nachdachte, wie viele Tote er ihr wohl zu Füßen legen müsse, sah er ein ganzes Heer von Panzern, Helmen, Strauß- und Pfauenfedern vor sich, ja, ihn überkam die Ueberzeugung, daß er nicht genug thun könne.
»Langsam schritt die königliche Frau von der Thüre der Sakristei zum Altare hin, den Blick emporgerichtet ...«
Indessen wendete er die Augen nicht von ihr, und in überströmender Empfindung fragte er sich, wie er sie durch ein besonderes Gebet ehren könne, da er glaubte, für eine Königin müsse man anders beten als sonst. Er war im stande, die Worte: Pater noster, qui es in coelis, sanctificetur nomen tuum« herzusagen, denn dies hatte ihn ein Franziskaner in Wilna gelehrt, aber das ganze Vaterunser konnte er nicht mehr auswendig. Und nun wiederholte er unablässig die Worte: »Gieb unserer geliebten Herrin Gesundheit und Glück, erhalte sie am Leben und wache sorgsamer über sie als über alle andern Wesen.« Inbrünstiger wurde wohl in der ganzen Kirche nicht gebetet, und doch kam dies Gebet von den Lippen eines Jünglings, über den vielleicht bald ein harter Urteilsspruch und Strafe verhängt werden sollte.
Nach Beendigung der Messe sagte sich Zbyszko, wenn es ihm vergönnt wäre, der Königin zu nahen, müsse er vor ihr niedersinken und ihre Knie umfassen, wenn auch er und die ganze Welt darüber zu Grunde ginge, doch nach der ersten Messe kam die zweite, dann die dritte, worauf sich die Herrin in ihre Kemenate begab, denn gewöhnlich fastete sie bis zum Mittag und nahm absichtlich nicht teil an den fröhlichen Mahlzeiten, bei denen man zur Belustigung des Königs und der Gäste Hofnarren und Gaukler aller Art auftreten ließ.
Jetzt kam der alte Edelmann aus Dlugolas zu Zbyszko und berief ihn vor die Fürstin.
»Du wirst bei dem Frühstück mir und Danusia aufwarten, als mein Hofkavalier,« sprach die Fürstin. »Möge es Dir nun gelingen, durch irgend einen Scherz des Königs Wohlgefallen zu erringen. Und falls der Kreuzritter Dich erkennt, wird er Dich vielleicht nicht anklagen, wenn er sieht, daß Du mich am Tische des Königs bedienst.«
Zbyszko küßte der Fürstin die Hand, dann wendete er sich zu Danusia, und wiewohl mehr an Krieg und Schlachten, als an höfische Sitten gewöhnt, wußte er offenbar dennoch, was einem Ritter geziemt, wenn er in der Frühe die Dame seines Herzens erblickt; denn er wich etwas zurück, auf seinem Gesichte malte sich der Ausdruck der Verwunderung und er rief, ein Kreuz schlagend: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«
Und die blauen Augen zu ihm erhebend, fragte Danusia: »Weshalb schlägt Zbyszko ein Kreuz? Die Messe ist ja schon vorüber.«
»Weil Deine Anmut, schöne Herrin, während der Nacht so groß geworden ist, daß sie mir wunderbar erscheint.«
Doch Mikolaj aus Dlugolas, der als bejahrter Mann keinen Gefallen an den neuen ritterlichen Sitten fand, zuckte die Achseln und sagte: »Unnütz verlierst Du Deine Zeit und schwatzest ihr etwas von Schönheit vor! Einer kleinen Kröte, die noch nicht einmal erwachsen ist.«
Ergrimmt schaute ihn Zbyszko an.
»Hütet Euch, sie ›Kröte‹ zu nennen,« rief er, vor Zorn erbleichend, »und wisset dies: wenn Ihr weniger Jahre zähltet, ließe ich sofort die Erde hinter der Burg gleichtreten und dann müßte Euer oder mein Blut fließen.«
»Stille, Du Hitzkopf! Einen Rat möchte ich Dir heute noch geben!«
»Stille!« sagte auch die Fürstin. »Statt an die eigene Sicherheit zu denken, willst Du noch Streit suchen? Mir wäre lieber, ich hätte für Danusia einen gesetzteren Ritter gefunden. Aber hiermit erkläre ich Dir: wenn Du Unruhe stiften willst, gehst Du fehl. Solcher Leute bedarf man hier nicht.«
Nun schämte sich Zbyszko, daß er sich vor der Fürstin derart hatte hinreißen lassen, und er bat sie um Verzeihung. Insgeheim nahm er sich jedoch vor, falls Herr Mikolaj aus Dlugolas einen erwachsenen Sohn habe, diesen zum Zweikampf herauszufordern, denn die Strafe für die »Kröte« durfte jenem, seiner Ansicht nach, nicht erlassen werden. In den königlichen Gemächern wollte er sich mittlerweile benehmen, wie die liebe Unschuld, und niemand wollte er herausfordern, ausgenommen, daß seine Ritterehre es erheischte.
Trompetenschall verkündigte, daß das Frühstück bereit war, und Danusia an der Hand führend, begab sich die Fürstin Anna in die königlichen Zimmer, vor denen die weltlichen Würdenträger und die Ritter, ihrer harrend, standen. Die Gattin des Fürsten Ziemowit war schon zuvor eingetreten, da ihr, als der leiblichen Schwester der Königin, einer der ersten Plätze am Tische gebührte. Bald wimmelte es in den Gemächern von fremden Gästen und den geladenen einheimischen Würdenträgern und Rittern. Der König saß am obersten Ende des Tisches, neben sich hatte er den Bischof von Krakau und auf der andern Seite den Abgesandten des Papstes. Die folgenden Plätze wurden von den beiden Fürstinnen eingenommen. Neben Anna Danuta machte sich in einem großen Lehnstuhl der ehemalige Erzbischof Jan von Gnesen breit, ein von den schlesischen Piasten abstammender Fürst, der Sohn Boleslaws III., des Fürsten von Oppeln. Zbyszko hatte von diesem schon am Hofe Witolds gehört, und als er jetzt hinter der Fürstin und Danusia stand, erkannte er ihn sofort an seinen Haaren, die, in dichten Ringeln herabfallend, seinen Kopf einem Weihwedel ähnlich machten. An den Höfen der polnischen Fürsten hatte er auch den Uebernamen »Weihwedel« und sogar die Kreuzritter nannten ihn »Kropidlo«. Er war bekannt wegen seines heiteren Temperamentes und seiner leichten Sitten. Nachdem er gegen den Willen des Königs das Pallium für das Erzbistum Gnesen erlangt hatte, wollte er mit bewaffneter Hand Besitz davon ergreifen, ward aber seiner Würde entsetzt und verjagt, worauf er sich mit den Kreuzrittern verband, welche ihm das elende Bistum Kamenz in Pommern verliehen. Als er dann schließlich einsah, daß es vorteilhaft ist, mit einem mächtigen König in gutem Einvernehmen zu stehen, suchte er den Herrscher zu versöhnen und kehrte in die Heimat zurück, um es hier ruhig abzuwarten, bis ein Bischofsitz frei und ihm von der Hand des gütigen Herrn übertragen werde. In späterer Zeit wurden seine Hoffnungen denn auch erfüllt, und mittlerweile bemühte er sich, durch allerlei Kurzweil das Herz des Königs zu gewinnen: zu den Kreuzrittern fühlte er sich aber stets hingezogen. Und da er am Hofe Jagiellos von den Würdenträgern und Rittern nicht gerne gesehen ward, suchte er meist die Gesellschaft Lichtensteins und setzte sich mit Vorliebe bei Tische neben ihn.
Dies war auch jetzt geschehen. Der hinter dem Lehnstuhl der Fürstin stehende Zbyszko befand sich daher so nahe bei dem Kreuzritter, daß er ihn mit der Hand hätte berühren können. Auch zuckten unwillkürlich seine Finger, aber er suchte sich zu beherrschen und ließ keine schlimmen Gedanken aufkommen. Trotzdem konnte er sich nicht enthalten, von Zeit zu Zeit forschende Blicke auf den etwas kahlen, blonden Kopf Lichtensteins zu werfen, auf dessen Hals, Schultern und Arme, um zu ermessen, ob er bei einem Zusammentreffen in der Schlacht oder im Zweikampfe viel Arbeit und Mühe mit ihm hätte. Und ihn dünkte, er könne es mit ihm aufnehmen; denn wiewohl die Schultern des Kreuzritters mächtig genug unter dem enganliegenden dunkelgrauen Tuchgewande hervortraten, war dieser gleichwohl nur ein Schwächling im Vergleich zu einem Powala, zu einem Paszko Zlodziej aus Biskupice, im Vergleich zu den beiden berühmten Sulimczyki, zu Kazon aus Kozichglowy und zu vielen andern Rittern, die am königlichen Tische saßen.
Auf all diese schaute Zbyszko mit staunender Bewunderung und mit Neid, doch seine Hauptaufmerksamkeit wendete sich dem Könige zu, welcher die Blicke nach allen Seiten umherschweifen ließ, während er unablässig seine Haare hinter die Ohren strich, wie wenn er ungeduldig darüber wäre, daß das Frühstück noch nicht begonnen hatte. Während eines kurzen Momentes weilten seine Augen auch auf Zbyszko, und dann überkam den jungen Ritter ein gewisses Angstgefühl, ja, bei dem Gedanken allein schon, daß er wohl einmal dem erzürnten Antlitz des Königs gegenüberstehen und sich verantworten müsse, empfand er eine furchtbare Erregung. Jetzt zum erstenmal dachte er daran, daß man ihn zur Verantwortung ziehen und strafen könne, denn bisher war ihm alles wie in weite Ferne entrückt und so unbestimmt erschienen, daß er sich keine Sorgen darüber gemacht hatte.
Aber der Deutsche ließ sich auch nicht träumen, daß jener Ritter, welcher ihn auf der Landstraße so verwegen angegriffen hatte, ganz nahe war.
Indessen hatte das Mahl begonnen. Man trug eine Weinsuppe auf, die mit Eiern, Zimt, Gewürznelken, Ingwer und Safran bereitet war und deren Duft das ganze Zimmer erfüllte. Zugleich fing der an der Thüre sitzende Hofnarr Charuszek an, den Gesang der Nachtigall nachzuahmen, was den König sichtlich erheiterte. Ein anderer ging dann zugleich mit der aufwartenden Dienerschaft um den Tisch herum, blieb unbemerkt hinter den Gästen stehen und ahmte das Summen der Bienen so trefflich nach, daß mancher den Löffel aus der Hand legte und sich der Fliegen zu erwehren suchte. Bei diesem Anblick brachen die andern in lautes Gelächter aus. Zbyszko bediente emsig die Fürstin sowie Danusia, und als nun auch Lichtenstein sich auf den kahlen Kopf schlug, vergaß er wiederum der Gefahr und lachte derart, daß ihm die Thränen über die Wangen liefen. Und der neben ihm stehende junge litauische Fürst Jamont, der Sohn des Statthalters von Smolensk, stimmte so herzlich mit ein, daß er beinahe die Speisen aus den Schüsseln verschüttet hätte.
Seinen Irrtum schließlich einsehend, zog der Kreuzritter seinen Geldbeutel hervor und sagte zu dem Bischof Kropidlo auf deutsch einige Worte, welche dieser, zu dem Narren gewendet, übersetzte: »Der edle Herr spricht so zu Dir: ›Du bekommst zwei Geldstücke, aber summe nicht so nahe, denn man verjagt die Bienen und schlägt auf die Drohnen los‹.«
Rasch verbarg der Narr die ihm dargereichten Geldstücke, und sich die den Hofnarren eingeräumte Freiheit zu Nutzen machend, entgegnete er: »Die Drohnen haben sich in der Gegend von Dobrzyn angesiedelt, weil es dort viel Honig giebt. Schlage Du auf sie los, König Wladislaw.«
»Da hast Du auch von mir einen Groschen, denn Du hast gut geantwortet,« sagte Kropidlo, »doch vergißt Du, daß der Bienenwärter immer den Hals bricht, wenn die Strickleiter zerreißt. Auch haben sie Stacheln, diese Marienburger Drohnen, welche Dobrzyn besetzten, und gefährlich ist's, sich ihrem Bienenstock zu nähern.«
»Ach was!« rief Zindram aus Maszkowice, der Krakauer Schwertträger, »man kann sie dennoch vertreiben!«
»Womit?«
»Mit Pulver!«
»Oder man kann mit dem Beile den Bienenstock zerhauen!« sagte der riesenhafte Paszko Zlodziej aus Biskupice.
Zbyszkos Herz zog sich krampfhaft zusammen, denn er glaubte, diese Worte müßten den Krieg verkündigen. Und Kuno Lichtenstein verstand sie ganz wohl, da er sich lange in Thorn und in Chelin aufgehalten, die polnische Sprache dort vollständig erlernt hatte und sich ihrer nur aus Hochmut nicht bediente. Jetzt aber, gereizt durch die Worte Zindrams aus Maszkowice, sah er diesen mit seinen grauen Augen durchdringend an und sagte: »Wir werden sehen!«
»Bei Plowce haben unsre Vorfahren manches gesehen und wir bei Wilna,« erwiderte Zindram.
» Pax vobiscum!« rief Kropidlo. » Pax! Pax! Sobald der Priester Mikolaj aus Kurow dem kujawischen Bistum entsagt und unserer huldreicher König es mir verleiht, halte ich Euch so schöne Predigten von der Liebe zwischen den christlichen Völkern, daß Ihr ganz tugendhaft und zerknirscht sein werdet. Was ist denn dieser Haß, wenn nicht ignis, und zudem ignis infernalis ... ein furchtbares Feuer, das man nicht mit Wasser, sondern nur mit Wein löschen kann. Gebt Wein her! Und gehen wir zum Höllengott, wie der hochselige Bischof Zawisza aus Kurozwek zu sagen pflegte.«
»Und mit dem Höllengott zur Hölle, wie der Teufel sagte,« fügte der Hofnarr Charuszek hinzu.
»Der Teufel soll Dich holen!«
»Wunderschön wäre es, wenn er Euch holte! Zwar hat man bis heute noch keinen Teufel mit einem Weihwedel gesehen, aber ich glaube, daß wir noch alle diese Freude haben werden.«
»Zuerst muß ich Dich aber noch besprengen. Gebt Wein her, es lebe die Christenliebe!«
»Die wahre Christenliebe!« wiederholte mit Nachdruck Kuno Lichtenstein.
»Wie?« rief hier der Krakauer Bischof Wysz, sich stolz emporrichtend. »Leben wir denn nicht seit Ewigkeit in einem christlichen Staate? Sind denn hier die Kirchen nicht älter als in Marienburg?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte der Kreuzritter.
Der König war immer besonders gereizt, wenn sein Christentum in Frage gezogen ward, und da er glaubte, der Kreuzritter habe vornehmlich auf ihn angespielt, bedeckten sich seine hervortretenden Backenknochen mit roten Flecken und seine Augen blitzten.
»Was meint Ihr denn?« erwiderte er in barschem Tone. »Bin ich etwa kein christlicher König?«
»Wohl, das Königreich wird ein christliches genannt, aber die Sitten sind heidnisch geblieben,« antwortete der Kreuzritter kalt.
Nun erhoben sich drohend die Ritter: Marcin aus Wrocimowice, der das Abbild einer halben Ziege im Wappen trug, Florian aus Korytnica, Bartosz aus Wodziuka, Domarat aus Kobylany, Powala aus Taczew, Paszko Zlodziej aus Biskupice, Zindram aus Maszkowice, Jasca aus Targowisko, Krzon aus Kozichglowy, Zygmunt aus Bobowa und Staszko aus Charbimowice, lauter mächtige Fürsten, die sich schon in vielen Schlachten und Turnieren ausgezeichnet hatten. Die einen waren bleich, die andern rot vor Zorn geworden, und zähneknirschend schrien sie wirr durcheinander.
»Wehe uns! Denn er ist unser Gast und kann nicht zum Zweikampfe herausgefordert werden.«
Und Zawisza Sulimczyki, der Berühmteste unter den Berühmten, das wahre Urbild eines Ritters, wandte sich mit finsterer Miene zu Lichtenstein und sagte: »Ich erkenne Dich nicht wieder, Kuno! Wie magst Du, als Ritter, ein herrliches Volk verhöhnen, zumal Du weißt, daß Dich, den Abgesandten, keine Strafe treffen kann?«
Doch Kuno kümmerte sich wenig um die drohenden Blicke und erwiderte in bedächtigem, eindringlichem Tone: »Ehe unser Orden nach Preußen kam, führte er Krieg in Palästina, aber sogar auch dort, bei den Sarazenen, wurden die Gesandten geehrt. Ihr allein ehrt sie nicht – und darum nannte ich Eure Sitten heidnische.«
Auf diese Worte hin wurde der Tumult nur noch größer. Rings um den Tisch ließen sich wieder die Rufe vernehmen: »Wehe! Wehe!« Doch ward alles still, als der König, auf dessen Antlitz sich Zorn und Aerger malten, nach litauischer Sitte einige Male in die Hände klatschte. Und nun erhob sich der alte Jasko Topor aus Teczyn, der ernste, grauhaarige Kastellan von Krakau, der vermöge seines Amtes und seiner Würde allein schon Schrecken erweckte, und sprach: »Edler Ritter von Lichtenstein, wenn Euch als Abgesandter irgend eine Schmach widerfahren ist, so sprecht, und es soll strenge Gerechtigkeit geübt werden.«
»In keinem andern christlichen Lande wäre mir Derartiges geschehen,« entgegnete Kuno. »Gestern auf dem Wege nach Tyniec überfiel mich einer von Euern Rittern, und wennschon er an dem Kreuz auf meinem Mantel leicht hätte erkennen können, wer ich bin, trachtete er mir doch nach dem Leben.«
Als Zbyszko diese Worte vernahm, ward er totenbleich. Unwillkürlich richtete sich sein Blick auf den König, dessen Gesicht einen furchtbaren Ausdruck angenommen hatte.
Jasko aus Teczyn aber sagte in höchster Verwunderung: »Kann dies möglich sein?«
»Fragt nur den Herrn aus Taczew, welcher Zeuge des ganzen Vorfalls gewesen ist.«
Aller Augen richteten sich nun auf Powala, welcher während eines kurzen Momentes mit gesenktem Haupte, düster vor sich hinschauend, dastand und dann sprach: »Es ist so, wie er sagt!«
Als die Ritter dies hörten, riefen sie: »O der Schande! Wenn doch die Erde sich unter einem solchen Menschen aufthun würde!« Und vor Scham schlugen sie sich mit den Fäusten an die Brust und an die Schenkel, wieder andere aber schoben die Zinnschüsseln auf dem Tische hin und her, ohne zu wissen, wohin sie die Blicke wenden sollten.
»Warum hast Du ihn denn nicht erschlagen?« wütete der König.
»Weil sein Haupt dem Gerichte verfallen ist,« antwortete Powala.
»Habt Ihr ihn gefangen genommen?« fragte der Kastellan Topor aus Teczyn.
»Nein, er ist ein Edelmann und gab sein Ritterwort, daß er sich stellen werde.«
»Aber er wird sich nicht stellen,« rief Kuno, spöttisch den Kopf zurückwerfend.
In diesem Augenblick rief eine jugendliche Stimme in tieftraurigem Tone dicht hinter dem Kreuzritter: »Verhüte Gott, daß ich die Schande dem Tode vorzöge! Ich habe es gethan, ich, Zbyszko aus Bogdaniec!«
Bei diesen Worten erhoben sich die Ritter und wollten auf den unglücklichen Zbyszko zustürzen, sie wurden aber durch das grimmige Kopfschütteln des Königs zurückgehalten, der aufsprang und mit vor Wut erstickter, heiserer Stimme schrie: »Schneidet ihm den Hals ab, schneidet ihm den Hals ab! Der Kreuzritter mag dann den Kopf des jungen Mannes seinem Herrn, dem Meister zu Marienburg schicken!«
Und dem neben Zbyszko stehenden litauischen Ritter, dem Sohne des Statthalters von Smolensk, rief der König laut zu: »Halte ihn fest, Jamont!«
Voll Schrecken über den Zorn des Königs legte Jamont die zitternde Hand auf Zbyszkos Schulter. Aber dieser wandte ihm sein bleiches Antlitz zu und sagte: »Ich fliehe nicht!«
Da erhob der weißhaarige Kastellan von Krakau, Topor von Teczyn, die Hand zum Zeichen, daß er zu sprechen wünsche, und als nun eine tiefe Stille eintrat, sagte er: »Allergnädigster König! Möge sich der Komtur überzeugen, daß nicht Dein Wille, sondern unser Gesetz den mit dem Tode bestraft, der sich an der Person des Gesandten vergreift. Sonst könnte man ja glauben, daß es kein christliches Gesetz in diesem Reiche gebe. Morgen soll Gericht über den Schuldigen gehalten werden!«
Die letzten Worte sprach er mit erhobener Stimme, und offenbar nicht einmal dem Gedanken Raum gebend, daß man ihm nicht Gehör schenken könne, gebot er Jamont: »Führt ihn ins Gefängnis! Und Ihr werdet Zeugnis ablegen, Ihr, der Herr aus Taczew,« fügte er zu diesem gewendet hinzu.
»Ich will genau berichten, worin die ganze Schuld des Jünglings besteht. Wahrlich kein reifer Mann unter uns hätte sich jemals zu einer solchen That hinreißen lassen,« erwiderte Powala, düster auf Lichtenstein schauend.
»Ihr sprecht wahr!« bekräftigte sogleich ein anderer Ritter – »er ist ja noch ein Knabe! Weshalb also hat man uns alle beschimpft?«
Ein tiefes Schweigen folgte, und unwillige Blicke richteten sich auf den Kreuzritter.
Mittlerweile hatte Jamont den Angeklagten weggeführt, um ihn den Händen der Bogenschützen zu übergeben, welche am Burgthore die Wache hielten. Sein inniges Mitleid mit dem Jüngling ward noch verstärkt durch den ihm angeborenen Haß gegen die Kreuzritter. Aber als Litauer gewöhnt, dem Willen des Großfürsten blindlings zu gehorchen und selbst bestürzt über dessen Zorn, begann er unterwegs in seiner Weise, dem jungen Ritter freundschaftlich zuzureden und sagte: »Weißt Du, was ich Dir rate? Hänge Dich sofort auf. Der König ist erbost – also wird man Dir den Kopf abhauen. Warum solltest Du ihn nicht wieder guten Mutes machen? Hänge Dich auf, Kamerad! Bei uns ist dies Sitte!«
Noch halb betäubt vor Scham und Schrecken, schien Zbyszko anfangs die Worte des Knäs nicht recht zu begreifen, aber schließlich verstand er sie und blieb voll Verwunderung stehen.
»Was sagst Du?«
»Hänge Du Dich auf. Wozu solltest Du Dich erst aburteilen lassen? Den König machst Du dadurch wieder guten Mutes,« wiederholte Jamont.
»Hänge Du Dich auf!« rief der junge Ritter. »Im Grunde bist Du noch ein Heide, obwohl Du getauft bist, denn Du weißt nicht einmal, daß es bei den Christen Sünde ist, so etwas zu thun.«
Der Knäs zuckte die Achseln.
»Es würde ja nicht aus freiem Willen geschehen. Also lasse Dir den Kopf abschlagen, wenn Du dies vorziehst.«
Wohl fuhr es Zbyszko durch den Sinn, daß er den Bojaren für solche Worte zum Zweikampfe, zu Fuß oder zu Pferd, mit dem Schwerte oder mit dem Beile herausfordern müsse, doch unterdrückte er dies Verlangen sofort wieder. Sagte er sich doch, daß ihm schwerlich Zeit dafür bleibe. Daher senkte er traurig das Haupt und schweigend ließ er sich den Händen der Bogenschützen übergeben.
Im Saale wurde indessen die allgemeine Aufmerksamkeit von andern Ereignissen in Anspruch genommen. Als Danusia sah, was vorging, erschrak sie dermaßen, daß ihr der Atem in der Brust stockte. Ihr Antlitz war totenbleich, ihre Augen traten vor Entsetzen weit hervor, regungslos wie ein Wachsbild in der Kirche schaute sie auf den König. Und als sie schließlich hörte, ihrem Zbyszko solle der Kopf abgehauen werden, als er festgenommen und fortgeführt wurde, da ergriff sie unendliches Leid. Ihr ganzes Gesicht und ihre Lippen begannen zu zucken, nichts half, weder die Furcht vor dem König, noch daß sie sich mit den Zähnchen in die Lippen biß – zuletzt brach sie in so lautes, schmerzliches Schluchzen aus, daß aller Augen sich auf sie richteten, und selbst der König sagte: »Wer ist das?«
»Allergnädigster König!« rief die Fürstin Anna, »das ist die Tochter Jurands aus Spychow, die Herrin jenes unseligen Ritters. Er versprach ihr drei Pfauenbüsche von den Helmen der Deutschen, und da der Komtur eine derartige Helmzier trug, glaubte er, dieser werde ihm von Gott selbst gesandt. Nicht aus Böswilligkeit hat er dies gethan, o Herr, sondern nur aus Unverstand, deshalb sei ihm gnädig und strafe ihn nicht, auf den Knien bitten wir Dich darum!«
Bei diesen Worten erhob sie sich, und Danusia an der Hand nehmend, eilte sie mit ihr auf den König zu. Er wich etwas zurück, aber beide knieten vor ihm nieder und Danusia rief, während sie mit den Händchen die Füße des Herrschers umschlang: »Gnade für Zbyszko, König, Gnade!«
Und in leidenschaftlicher Erregung, in der höchsten Angst, verbarg sie ihr helles Köpfchen in dem weiten grauen Gewande des Königs, indem sie dessen Knie küßte und dabei zitterte wie Espenlaub. Die Fürstin Anna Zicmowit kniete auf der andern Seite und hielt die gefalteten Hände demütig zum König empor, in dessen Antlitz sich Sorge und Verwirrung ausdrückten. Zwar schob er seinen Lehnstuhl etwas zurück, doch stieß er Danusia nicht gewaltsam von sich, sondern bewegte nur beide Hände, als ob er eine Fliege von sich abwehren wolle.
»Laßt mich in Frieden!« rief er. »Der Jüngling hat eine große Schuld auf sich geladen, denn der Schimpf trifft das ganze Königreich. Sein Haupt muß fallen!«
Doch die kleinen Hände schlangen sich immer fester um seine Knie, und die kindliche Stimme klang immer trauriger: »Gnade für Zbyszko, König, Gnade für Zbyszko.«
Alsdann ließen sich auch die Ritter vernehmen:
»Des Mädchens Vater, Jurand aus Spychow, der berühmte Ritter, ist ein Schrecken für die Kreuzritter.«
»Und jener Jüngling hat sich schon bei Wilna sehr verdient gemacht,« fügte Powala hinzu.
Aber der König blieb unerschütterlich, obgleich er selbst durch Danusias Bitten gerührt war.
»Laßt mich in Frieden!« sagte er abermals. »Nicht mir hat er Böses angethan, und nicht ich kann ihn begnadigen. Mag ihm der Gesandte des Ordens verzeihen, dann verzeihe auch ich ihm, wenn nicht, so falle sein Haupt.«
»Verzeiht ihm, Kuno!« rief Zawisza Sulimczyki, der Schwarze. »Sogar der Meister wird Euch nicht darob tadeln!«
»Gnade für ihn, Herr,« riefen beide Fürstinnen.
Kuno drückte die Augen zu und erhob stolz sein Haupt, wie wenn er darüber frohlocke, daß sowohl die beiden Fürstinnen als auch so namhafte Ritter sich zu einer Bitte an ihn verstanden. Im nächsten Augenblick jedoch veränderte sich sein Gesichtsausdruck vollständig, er senkte den Kopf, faltete die Hände auf der Brust, sein Stolz verwandelte sich in Demut und in gedämpftem, sanftem Tone sprach er: »Christus, unser Erlöser, vergab dem Sünder am Kreuze und seinen Feinden ...«
»So spricht ein wahrer Ritter!« rief Bischof Wysz.
»Ja, ein wahrer Ritter!«
»Weshalb sollte ich ihm nicht verzeihen, da ich nicht nur ein Christ, sondern mich ein Ordensbruder bin?« fuhr Kuno fort. »Ich verzeihe ihm von ganzem Herzen als Diener Christi und als Ordensbruder.«
»Ehre sei ihm!« rief Powala von Taczew.
»Ehre und Ruhm!« stimmten die andern bei.
»Aber,« begann der Kreuzritter wieder, »ich bin ja Gesandter hier bei Euch, und in mir ist die hohe Würde des ganzen Ordens verkörpert. Wer daher mich, den Gesandten, beleidigt, der beleidigt den Orden, und wer den Orden beleidigt, der beleidigt Christus selbst. Deshalb kann ich die Kränkung, Gott und den Menschen gegenüber, nicht verzeihen – wenn aber Eure Gesetze sie ungestraft hingehen lassen, soll es allen christlichen Magnaten kund gethan werden.«
Nach diesen Worten trat ein dumpfes Schweigen ein. Man vernahm nur Zähneknirschen, die schweren Atemzüge unterdrückter Wut und das Schluchzen Danusias.
Als der Abend anbrach, waren alle Herzen Zbyszko zugeneigt. Sogar diejenigen Ritter, welche des Morgens bereit gewesen waren, ihn auf einen Wink des Königs hin mit dem Schwerte zu durchbohren, suchten jetzt ein Mittel ausfindig zu machen, wodurch sie ihm helfen könnten. Die beiden Fürstinnen beschlossen, sich mit der Bitte an die Königin zu wenden, sie möge Lichtenstein veranlassen, von der Klage abzustehen, oder sie möge im Notfalle an den Großmeister des Ordens schreiben, auf daß er Kuno befehle, die Sache fallen zu lassen. Dieser Weg schien umso sicherer zu sein, als Jadwiga eine solche Verehrung gezollt ward, daß der Großmeister sich den Zorn des Papstes und den Tadel aller christlichen Fürsten zugezogen hätte, wenn er nicht auf ihre Bitte eingegangen wäre. Auch durfte man dies kaum annehmen, da Konrad von Jungingen ein friedliebender Mensch und weit milder war als seine Vorgänger. Unglücklicherweise aber verbot Wysz, der Bischof von Krakau, welcher der Leibarzt der Königin war, aufs strengste, die Sache auch nur mit einem Worte vor ihr zu erwähnen.
»Jedes Todesurteil macht ihr Kummer,« sagte er, »sogar wenn ein Straßenräuber der gerechten Strafe verfällt, nimmt sie es sich zu Herzen, wie wäre es also erst jetzt, da es einem Jüngling an das Leben geht, welcher sicherlich ihr Mitleid verdient. Jede Sorge könnte ihr schaden, ihre Gesundheit ist jedoch von größerer Bedeutung für das Königreich, als die Häupter von zehn Rittern zusammengenommen.« Schließlich erklärte der Bischof, wer es wage, seinen Worten entgegenzuhandeln und die Herrin zu beunruhigen, der ziehe sich den Zorn des Königs zu.
Durch diese Erklärung erschreckt, standen die beiden Fürstinnen von ihrem Vorhaben ab und beschlossen, den König so lange anzuflehen, bis er Gnade ergehen lasse. Jetzt waren auch alle Hofleute und Ritter auf Zbyszkos Seite. Powala von Taczew verkündete, er werde offen die ganze Wahrheit bekennen, doch sei er bereit, Zeugnis für den Jüngling abzulegen und dessen That als knabenhafte Unbesonnenheit darzustellen. Nichtsdestoweniger stimmten alle mit dem Kastellan Jasko aus Teczyn überein, welcher die Meinung kundgab, man müsse die Gesetze walten lassen, falls der Kreuzritter auf seinem Willen beharre. Im tiefsten Innern waren aber die Ritter um so mehr empört gegen Lichtenstein, und manche sagten ganz unverhohlen: »Gesandter ist er, und vor die Schranken kann er nicht gefordert werden, aber bei Gott, er soll keines natürlichen Todes sterben, wenn er dereinst nach Marienburg zurückkehrt.«
Und dies war keine eitle Drohung, denn nach ihrer Gürtung durften die Ritter keine leeren Versprechungen machen, und wer ein Gelöbnis gethan, mußte es vollbringen oder dabei zu Grunde gehen.
Erbitterter als alle andern zeigte sich aber der grimmige Powala. Hatte er doch ein geliebtes Töchterchen im Alter Danusias und schnitten ihm doch deren Thränen besonders ins Herz. Er besuchte den Angeklagten noch am nämlichen Tage im unterirdischen Gefängnisse, hieß ihn guten Mutes sein und erzählte ihm, wie die beiden Fürstinnen für ihn gefleht, und Danusia um ihn geweint habe. Als Zbyszko hörte, daß das junge Mädchen seinetwegen einen Fußfall vor dem König gethan hatte, ward er bis zu Thränen gerührt. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und kaum wissend, wie er seine Dankbarkeit ausdrücken sollte, sagte er: »O möge Gott sie dafür segnen und mir bald gestatten, gegen ihre Feinde zu kämpfen. Zu wenig habe ich ihr versprochen, ich hätte ihr geloben sollen, so viele Pfauenbüsche zu erobern als sie Jahre zählt. Und wenn nur unser Herr Jesus mich aus dieser Bedrängnis erlöst, will ich ihr gegenüber nicht kargen ...«
Voll Dankbarkeit richtete er bei diesen Worten den Blick gen Himmel.
»Dein Oheim,« sagte der Herr von Taczew, »ist zu Lichtenstein gegangen, und ich will es auch thun. Ihn um Verzeihung zu bitten, wäre keine Schande für Dich, denn Du hast Dich schwer versündigt. Und nicht Lichtenstein, sondern den Gesandten bittest Du ja um Verzeihung. Bist Du bereit dazu?«
»Ja; ich bin bereit dazu, weil ein solcher Ritter wie Euer Gnaden mir sagt, daß sich dies gezieme. Aber falls er erwartet, daß ich ihm kniend Abbitte leiste, wie er es auf dem Wege von Tyniec verlangte, so möge man mir das Haupt abschlagen. Der Oheim bleibt am Leben, und der Oheim wird es meinen Feind entgelten lassen, sobald dieser nicht mehr Gesandter ist.«
»Wir wollen abwarten, was er Macko antwortet,« sagte Powala.
Doch als Macko den Kreuzritter verließ, befand er sich in der düstersten Stimmung. Er begab sich unverzüglich zum König, zu dem ihn der Kastellan geleitete. Jagiello, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte, empfing ihn gütig, und da Macko niederkniete, befahl er ihm aufzustehen, indem er fragte, was sein Begehr sei.
»Allergnädigster Herr,« sagte Macko, »wo Schuld ist, da muß auch Strafe sein, denn sonst gäbe es keine Gerechtigkeit auf der Welt. Doch ist es meine Schuld, daß ich die angeborene Heftigkeit des Jünglings nicht zu unterdrücken suchte, sondern auch noch lobte. So habe ich ihn erzogen, und im Krieg ist er aufgewachsen von Kindheit an. Ich allein trage die Schuld, denn zuweilen sagte ich ihm: ›Zuerst schlage recht darein, und dann sieh' zu, wen Du getroffen hast.‹ Für den Krieg war es am besten so, in das Hofleben dagegen kann er sich nun nicht schicken. Aber der Junge ist wie lauteres Gold, er ist der letzte seines Stammes, und ich beklage ihn unendlich ...«
»Mich selbst hat er beschimpft, das Reich hat er beschimpft, soll ich ihn dafür mit Honig einschmieren?« rief der König.
Macko schwieg. Irgend etwas schnürte ihm plötzlich die Kehle zusammen, und erst nach einer Weile hub er mit bewegter Stimme und in abgerissenen Tönen wieder an: »Wie sehr ich ihn liebe, wußte ich bisher nicht einmal – erst jetzt bin ich mir klar darüber geworden – seit das Unglück über uns hereingebrochen ist. Aber ich bin alt – und er ist der Letzte unseres Stammes. Wenn er stirbt, wird auch unser Geschlecht erlöschen. Gnädigster Herr und König! Erbarme Dich unserer!«
Hier kniete Macko abermals nieder, und seine im Krieg so oft erprobten Hände emporstreckend, rief er unter Thränen: »Wir verteidigten Wilna, und Gott gab uns reichliche Beute, doch wem soll ich sie nun hinterlassen? Wenn der Kreuzritter verlangt, daß eine Strafe über den Schuldigen verhängt werde, so mag es denn so sein, aber gestattet, daß ich mein Haupt für den Bruderssohn hingebe. Was ist mir das Leben ohne ihn? Er ist noch jung, er kann sein Erbgut einlösen und für eine Nachkommenschaft sorgen, wie Gott dem Menschen geboten hat. Der Kreuzritter frägt auch nicht einmal darnach, wessen Haupt fällt, wenn mir eines fällt. Und wenn meines fällt, dann wird nicht das ganze Geschlecht von der Schande getroffen werden. Freiwillig in den Tod zu gehen wird jedem schwer, aber wenn man es recht erwägt, ist es besser, daß ein Einzelner zu Grunde geht, als daß ein ganzes Geschlecht zu Grunde geht.«
Bei diesen Worten umschlang er die Knie des Königs. Dieser aber blinzelte mit den Augen, was stets bei ihm ein Zeichen von Rührung war, und schließlich sagte er: »Es ziemt mir nicht, daß ich einen gegürteten Ritter verurteile. Dies darf nicht sein! Dies darf nicht sein!«
»Es hieße der Gerechtigkeit Hohn sprechen,« warf der Kastellan ein. »Der Schuldige ist dem Gesetze verfallen, und das Gesetz ist kein Ungeheuer, das nicht weiß, wessen Blut es leckt. Bedenkt auch, daß Euer Geschlecht sich mit Schmach bedecken würde, wenn Euer Brudersohn das Opfer annähme, denn nicht nur ihn, sondern auch seine Nachkommen würde man dann für ehrlos halten.«
Darauf entgegnete Macko: »Er würde mein Opfer nicht annehmen. Könnte ich aber meine Absicht ohne sein Wissen durchsetzen, dann würde er mich rächen, wie auch ich ihn rächen will.«
»Sucht auf den Kreuzritter einzuwirken, damit er die Klage fallen läßt,« bemerkte der Herr aus Teczyn.
»Ich bin schon bei ihm gewesen.«
»Nun,« fragte der König, sich neugierig vorbeugend, »was sagte er?«
»Er sagte mir folgendes: ›Auf der Landstraße von Tyniec hättet Ihr mich um Verzeihung bitten sollen, aber damals habt Ihr nicht gewollt, und jetzt will ich nicht‹.«
»Und weshalb thatet Ihr es nicht?«
»Weil er uns gebot, vom Pferde zu steigen und auf den Knien um Vergebung zu bitten.«
Der König strich seine Haare hinter die Ohren und wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblicke trat ein Hofkavalier mit der Meldung ein, daß der Ritter von Lichtenstein um Gehör bitte.
Als er dies hörte, schaute Jagiello zuerst auf Jasko aus Teczyn, dann auf Macko, befahl ihnen jedoch zu bleiben, wohl in der Hoffnung, daß es ihm bei dieser Gelegenheit gelingen werde, die Angelegenheit durch sein königliches Ansehen gütlich beizulegen.
Mittlerweile trat der Kreuzritter ein, verneigte sich vor dem König und sprach: »Allergnädigster Herr! Hier ist die Anklageschrift über die Beschimpfung, welche mir in Eurem Reiche zugefügt ward.«
»Vor dem Kastellan mögt Ihr offen Klage führen,« erwiderte der König, auf Jasko aus Teczyn zeigend.
Der Kreuzritter aber erwiderte, indem er dem König gerade ins Gesicht blickte: »Ich kenne weder Euere Gesetze noch Euere Gerichtsbarkeit, das eine weiß ich aber, daß der Abgesandte des Ordens nur vor dem König selbst Klage führen darf.«
Die kleinen Augen Jagiellos funkelten. Voll Ungeduld ergriff er die Klageschrift und übergab sie Jasko aus Teczyn. Dieser entfaltete sie und begann zu lesen, aber je länger er las, desto kummervoller und trauriger ward sein Gesicht.
»Herr,« sagte er schließlich: »Ihr setzt diesem Jüngling derart zu, wie wenn er Euerm ganzen Orden gefährlich wäre. Ihr Kreuzritter fürchtet Euch wohl gar schon vor den Kindern?«
»Wir Kreuzritter fürchten niemand,« entgegnete der Komtur hochmütig.
Da fügte der alte Kastellan leise hinzu: »Selbst Gott nicht!«
Powala aus Taczew versuchte am nächsten Tage vor dem Kastellangericht alles, was in seiner Macht stand, um die Schuld Zbyszkos zu mildern. Aber vergebens schützte er dessen Jugend und Unerfahrenheit vor, vergebens behauptete er, sogar ein reifer Mann, welcher das Gelübde gethan, seiner Herrin drei Pfauenbüsche zu Füßen zu legen und Gott um Beistand angefleht hatte, würde es als göttliche Fügung ansehen, wenn er plötzlich eine solche Helmzier erblicke. Die eine Thatsache konnte der edle Ritter jedoch nicht leugnen, daß ohne sein Dazwischentreten Zbyszkos Lanze die Brust des Kreuzritters unfehlbar getroffen hätte. Auf Kunos Geheiß war nämlich der Panzer vorgezeigt worden, den er an jenem Tage getragen, und es zeigte sich, daß er aus dünnem, schmiegsamem Eisenblech war, sonst nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt wurde, und daß Zbyszko in Anbetracht seiner außerordentlichen Kraft ihn durchbohrt und den Gesandten ums Leben gebracht hätte, wenn er nicht daran verhindert worden wäre. Darüber befragt, ob er die Absicht gehabt, den Kreuzritter zu töten, leugnete Zbyszko dies nicht.
»Ich rief ihm von weitem zu,« sagte er, »er möge die Lanze vorhalten, denn selbstverständlich hätte er sich nicht lebend den Helm vom Kopfe reißen lassen, und hätte er mir von weitem zugerufen, daß er Gesandter ist, wäre er unbehelligt geblieben.«
Diese Worte gefielen den Rittern, welche sich aus Mitgefühl für den Jüngling zahlreich versammelt hatten.
»Das ist wahr!« sagten viele, »weshalb hat er nicht gerufen?«
Aber das Antlitz des Kastellans blieb düster und ernst. Nachdem er den Anwesenden Schweigen geboten hatte, verstummte er selbst einen Augenblick, dann heftete er die durchdringenden Augen auf Zbyszko und fragte: »Vielleicht schwörst Du beim Kruzifix, daß Du den Mantel und das Kreuz nicht sahst?«
»Durchaus nicht,« antwortete Zbyszko, »hätte ich das Kreuz nicht gesehen, so würde ich gedacht haben, es sei einer unserer Ritter, und einen der Unserigen hätte ich ja nicht angegriffen.«
»Und wie könnte sich ein anderer Kreuzritter in der Nähe Krakaus aufhalten, wenn er nicht Gesandter oder im gesandtschaftlichen Gefolge wäre?«
Darauf schwieg Zbyszko, weil er nichts zu sagen wußte. Für alle war es nur allzu klar, daß ohne das Dazwischentreten des Herrn von Taczew jetzt vor dem Richter statt des Panzers des Gesandten zur ewigen Schmach des polnischen Volkes der Gesandte selbst mit durchbohrter Brust läge. Sogar die, welche Zbyszko von ganzem Herzen zugethan waren, begriffen daher, daß der Urteilsspruch nicht günstig für ihn lauten könne. In der That sagte denn auch der Kastellan nach kurzem Schweigen: »Dieweil Du in jugendlichem Ungestüm nicht erwogen hast, wen Du angreifst und es sonder Arglist thatest, wird unser Erlöser dies erwägen und Dir verzeihen, aber empfiehl Dich der heiligen Jungfrau, Unglücklicher, denn vor dem Gesetze bist Du schuldig.«
Als Zbyszko diese Worte vernahm, erbleichte er, obgleich er Aehnliches erwartet hatte, aber gleich darauf schob er seine langen Haare zurück, bekreuzte sich und sagte: »Der Wille Gottes geschehe! Wenn ich auch Schweres zu tragen habe!«
Hierauf wendete er sich zu Macko und zeigte mit den Augen auf Lichtenstein, als ob er ihn an etwas mahnen wolle, und Macko nickte mit dem Kopfe zum Zeichen, daß er ihn verstehe. Auch Lichtenstein verstand diesen Blick und diese Bewegung, und trotzdem er ein ebenso mutiges wie rachsüchtiges Herz hatte, überlief ihn doch während eines kurzen Augenblicks ein Schauder vom Kopf bis zu den Füßen, so furchtbar und Unheil verkündend sah das Antlitz des alten Kriegers in diesem Moment aus. Der Kreuzritter sah ein, daß es sich nun zwischen ihm und diesem Ritter um Leben und Tod handle, er sah ein, daß er ihm nicht entrinnen könne, daß sie miteinander kämpfen mußten, sobald er nicht mehr Gesandter war, und wenn es auch in Marienburg sein sollte.
Mittlerweile begab sich der Kastellan in das anstoßende Zimmer, um dem in der Schrift geübten Gerichtsschreiber den Urteilsspruch über Zbyszko zu diktieren.
Manche von den Rittern näherten sich unterdessen dem Kreuzritter mit den Worten: »So mag das jüngste Gericht dem Verurteilten gnädig sein.«
Aber Lichtenstein kümmerte sich nur um Zawisza, weil dieser wegen seiner Kriegsthaten, wegen seiner Kenntnisse der Rittergesetze und wegen der Strenge, womit er diese aufrecht zu erhalten suchte, in der ganzen Welt bekannt war. In Betreff der verwickeltsten Angelegenheiten, bei denen es sich um die Ritterehre handelte, kam man aus fernen Gegenden zu ihm, und niemand wagte, sich ihm zu widersetzen, nicht allein darum, weil ein Zweikampf mit ihm ein Ding der Unmöglichkeit war, sondern auch darum, weil er als »Spiegel der Ehre« betrachtet ward. Ein Wort des Lobes oder des Tadels aus seinem Munde verbreitete sich rasch unter den polnischen, ungarischen, böhmischen und deutschen Rittern und genügte, um den guten oder schlechten Ruf eines Ritters zu begründen.
Ihm nun näherte sich Lichtenstein, und wie wenn er sich wegen seiner Rachsucht rechtfertigen wolle, sagte er: »Allein nur der Großmeister samt dem Kapitel könnte ihm Gnade erweisen – ich aber vermag dies nicht.«
»Wo unsere Gesetze Kraft haben, steht Euerem Meister keine Macht zu, einzig nur unser König kann den Schuldigen begnadigen,« erwiderte Zawisza.
»Als Gesandter mußte ich die Strafe beantragen.«
»Wurdest Du nicht zuerst Ritter und dann erst Gesandter, Lichtenstein?«
»Willst Du damit sagen, daß ich nicht ehrenhaft gehandelt habe?«
»Du kennst unsere Rittergesetze und weißt, daß sie dem Ritter gebieten zwei Tieren nachzuahmen: dem Löwen und dem Lamm. Welchem von diesen Tieren hast aber Du in diesem Handel nachgeahmt?«
»Nicht Du bist mein Richter.«
»Du fragst, ob Du nicht ehrenhaft gehandelt hast, deshalb sage ich Dir, was ich denke.«
»Schlimmes sagst Du mir, und das kann ich nicht hinunterwürgen.«
»An Deiner eigenen Bosheit wirst Du dann ersticken, nicht an der meinen.«
»Aber Christus wird es mir anrechnen, daß die Würde des Ordens mir mehr am Herzen liegt, als Dein Lob.«
»Er wird richten über uns alle.«
Hier ward das Gespräch durch den Eintritt des Kastellans und des Gerichtsschreibers unterbrochen. Obwohl alle schon im voraus gewußt hatten, daß das Urteil ungünstig lauten werde, trat dennoch plötzlich eine angstvolle Stille ein. Der Kastellan ließ sich an dem Tische nieder, und nachdem er das Kruzifix in die Hand genommen hatte, befahl er Zbyszko niederzuknieen. Der Gerichtsschreiber begann das in lateinischer Sprache abgefaßte Urteil vorzulesen. Weder Zbyszko noch die anwesenden Ritter verstanden es, aber alle errieten, daß es ein Todesurteil war. Als der Gerichtsschreiber geendigt hatte, schlug sich Zbyszko an die Brust: »Gott sei mir armen Sünder gnädig!« rief er aus.
Dann erhob er sich und fiel Macko um den Hals. Schweigend küßte dieser die Stirne des Jünglings.
Am Abend desselben Tages verkündete der Herold unter lautem Trompetenschall an den vier Ecken des Marktplatzes den Rittern, Gästen und Bürgern, daß der edelgeborene Zbyszko aus Bogdaniec von dem Kastellangericht zur Enthauptung verurteilt worden war.
Doch Macko bat um Aufschub der Exekution, und dies ward ihm um so leichter, als den Verurteilten jener Epoche stets eine gewisse Zeit bewilligt ward, ihre Angelegenheiten zu ordnen, sich mit ihren Familien ins Einvernehmen zu setzen und mit Gott zu versöhnen. Selbst Lichtenstein drang nicht auf rasche Urteilsvollstreckung, weil er sich sagte, nun dem beleidigten Orden Genüge geschehen sei, dürfe er den mächtigen Monarchen nicht reizen, zudem man ihn auch als Vertreter des Bezirkes von Dobrzyn, nicht nur als Teilnehmer an den Tauffeierlichkeiten gesandt hatte. Die Rücksicht auf die Gesundheit der Königin gab indessen vor allem den Ausschlag. Von einer Exekution vor der Entbindung wollte der Bischof Wysz nichts hören, weil er die Unmöglichkeit einsah, etwas Derartiges vor der Herrin zu verheimlichen, und wußte, daß diese dadurch allzu sehr erregt, ja schwer geschädigt werden könne. Auf diese Weise ward des Zbyszko Leben um einige Wochen, vielleicht auch um etwas mehr, verlängert, so daß er seine letzten Anordnungen zu treffen und Abschied von den ihm Befreundeten zu nehmen vermochte.
Macko besuchte ihn täglich und tröstete ihn, so gut er es verstand. Gar häufig sprachen die beiden voll Betrübnis von dem unvermeidlichen Tode Zbyszkos, und ihre Betrübnis ward noch größer, wenn die Rede darauf kam, daß ihr Geschlecht wohl aussterben werde.
»Es geht nicht anders, Ihr müßt Euch ein Weib nehmen,« sagte Zbyszko eines Tages.
»Viel lieber möchte ich unsere Blutsverwandten aus der Ferne herbeirufen,« entgegnete Macko niedergeschlagen. »Wie kann ich jetzt, da man Dir den Hals abschneiden will, an eine Vermählung denken? Und wenn ich mich auch schließlich dazu verstünde, würde ich es doch nicht thun, bevor ich Lichtenstein meine Forderung geschickt und meiner Rache Genüge gethan habe, dessen kannst Du sicher sein.«
»Gott lohne Euch dafür! So habe ich wenigstens diese Genugthuung! Aber ich wußte, daß Ihr mich nicht verlassen werdet. Wie wollt Ihr gegen ihn vorgehen?«
»Sobald er nicht mehr Gesandter ist, wird es Krieg oder Frieden bei uns geben – verstehst Du? Falls es zum Kriege kommt, fordere ich ihn noch vor der Schlacht zum Zweikampfe heraus.«
»Auf festgetretener Erde?«
»Auf festgetretener Erde, zu Pferde oder zu Fuß. Um Leben oder Tod, nicht um Gefangenschaft wird es sich da handeln. Kommt es aber nicht zum Kriege, dann reite ich nach Marienburg, schlage die Burgthore mit der Lanze ein, und lasse den Trompeter durch Trompetenschall verkünden, daß ich Lichtenstein zum Kampfe auf Leben und Tod fordere. Da kann er sich nicht verstecken.«
»Das ist sicher, daß er sich dann nicht verstecken kann. Und Ihr werdet ihm etwas zu raten aufgeben. Wie gerne möchte ich dabei sein!«
»Ihm etwas zu raten aufgeben? Ja! Zawisza gegenüber würde ich es nicht wagen, Paszko und Powala gegenüber ebenso wenig, aber ohne mich selbst zu loben, mit zweien wie der, nehme ich es vollständig auf. Mag des Kreuzritters Mutter sich vorsehen! Ist jener Friesenritter vielleicht nicht stärker gewesen? Und habe ich ihm nicht den Helm von oben bis unten durchhauen, bis das Beil stecken blieb? In seinem Kiefer blieb es stecken – oder ist es nicht so gewesen?«
Zbyszko atmete erleichtert auf und sagte: »So wird der Tod mir leichter werden.«
Und beide seufzten tief. Mit zitternder Stimme hub dann der alte Edelmann wieder an: »Härme Dich nicht zu sehr. Fürs jüngste Gericht wird man Deine Knochen nicht zusammenlesen müssen. Einen Sarg aus Eichenholz habe ich Dir machen lassen. Nein, wie ein Bauer oder wie ein Neugeadelter wirst Du nicht zu Grunde gehen. Und in einem Rocke wie ihn die Bürger tragen, sollst Du nicht enthauptet werden. Das gebe ich nicht zu. Mit Amylej habe ich schon verabredet, daß Du einen ganz neuen und so kostbaren Rock haben sollst, daß er sogar dem König als Pelzfutter genügen würde. Und auf eine Messe für Dich soll es mir auch nicht ankommen. Nein, fürchte nichts.«
Darob freute sich Zbyszko und sich auf die Hand seines Oheims herabneigend, sagte er abermals: »Möge Euch Gott dafür lohnen.«
Trotz dieses tröstlichen Zuspruches überkam ihn aber zuweilen eine schmerzliche Sehnsucht, und als Macko ihn wieder besuchte, fragte er sogleich, ohne sich und ihm Zeit zur Begrüßung zu lassen, während er durch das Gitterfenster in der Mauer blickte: »Und wie ist es draußen im Freien?«
»Golden leuchtet die Sonne und erwärmt so, daß die ganze Welt darüber erfreut ist.« Daraufhin hob Zbyszko beide Arme empor, und den Kopf zurückwerfend rief er: »Ach, allmächtiger Gott! Nun ein Pferd unter mir zu haben und über die weiten Felder reiten zu können! Weh thut es doch, wenn man so jung zu Grunde gehen muß. Furchtbar weh!«
»Wie oft gehen die Leute samt ihren Pferden zu Grunde,« entgegnete Macko.
»Ja, wenn sie selbst schon viele umgebracht haben.«
Nun fragte er nach den Rittern, welche er am Hofe des Königs gesehen hatte, nach Zawisza, nach Farnrej, nach Powala aus Taczew, nach Lis aus Targowisko und nach allen andern. Er wollte wissen, wie sie sich die Zeit vertrieben, mit welchen Waffenspielen sie sich beschäftigten. Dann hörte er aufmerksam den Bericht Mackos an, welcher erzählte, wie sie sich schon in der Frühe in voller Rüstung zu Pferde setzten, wie sie Stricke zerrissen, wie sie sich mit dem Messer, mit dem Beile und mit Bleigeschossen übten und schließlich auch, welche Schmausereien sie veranstalteten, welche Gesänge sie sangen.
Mit ganzer Seele und ganzem Herzen wünschte nun Zbyszko, an all dem teilnehmen zu können, und als er erfahren hatte, daß Zawisza sich gleich nach der Taufe hinunter ins Ungarland und zu den Türken aufmachen wolle, rief er unwillkürlich aus: »Daß ich doch mit ihm mein Glück versuchen dürfte! Ginge ich dann zu Grunde, so wäre es wenigstens im Kampfe gegen die Heiden.«
Doch des Gefangenen Wünsche konnten nicht erfüllt werden und mittlerweile traten neue Ereignisse ein. Von Zbyszkos Jugend und Schönheit gerührt, hatten die beiden masovischen Fürstinnen dessen traurige Lage nicht vergessen. Endlich beschloß die Fürstin Alexandra Giemowitow einen Brief mit einer Fürbitte an den Großmeister zu schicken. Zwar konnte dieser das vom Kastellan gesprochene Urteil nicht umstoßen, aber er konnte sich wenigstens selbst beim König für den Jüngling verwenden. Und selbst wenn Jagiello nicht Gnade für Recht ergehen ließ, weil es sich um einen Angriff auf den Gesandten handelte, war es gleichwohl nicht zu bezweifeln, daß die Vermittlung des Meisters ihm lieb sein werde. So zog denn neue Hoffnung in das Herz der beiden Frauen ein. Die Fürstin Alexandra, welche eine Vorliebe für die verfeinerten Ordensritter hatte, ward von diesen ungewöhnlich geschätzt. Aus Marienburg kamen häufig reiche Gaben und Briefe an sie, worin sie der Meister eine verehrungswürdige, gottselige Wohlthäterin und vortreffliche Fürsprecherin des Ordens nannte. Ihr Wort galt viel, und es war große Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie keine abschlägige Antwort erhalten werde. Es handelte sich nur darum, den geeigneten Boten zu finden. Mußte dieser doch alles aufbieten, um den Brief so rasch wie möglich abzuliefern und die Antwort zu überbringen. Der alte Macko übernahm den Auftrag ohne langes Bedenken, und der Kastellan erklärte sich bereit, die Urteilsvollstreckung bis zu einem bestimmten Termin hinauszuschieben.
Von neuem Mut erfüllt, war Macko noch den nämlichen Tag geschäftig, sich zur Abreise zu rüsten, dann begab er sich zu Zbyszko und teilte ihm die frohe Nachricht mit.
Im ersten Augenblick bezeigte dieser tatsächlich eine solche Freude, wie wenn die Thüre seines Gefängnisses schon offen stünde. Plötzlich aber ward er nachdenklich, sein Gesicht verfinsterte sich und er sagte: »Wie kann man von jenen Deutschen etwas Gutes erwarten! Auch Lichtenstein hätte den König um Gnade bitten können, – denn er hätte dabei nur gewonnen und sich vor unserer Rache geschützt, – aber gerade deshalb that er es nicht.«
»Er ist ergrimmt darüber, daß wir ihn auf der Landstraße von Tyniec nicht um Verzeihung baten. Doch von dem Ordensmeister Kondrad sprechen die Leute nur Gutes. Und gesetzt auch, wir erreichen nichts, was verlierst Du dann dabei?«
»Ihr habt recht!« entgegnete Zbyszko, »aber beugt Euch nur nicht zu tief vor ihm.«
»Weshalb sollte ich mich vor ihm beugen? Den Brief der Fürstin Alexandra trage ich hin – das ist alles.«
»Da Ihr so gut seid, möge Euch Gott dort beistehen!«
Plötzlich schaute er den Oheim scharf an und sagte: »Und wenn mir der König verzeiht, dann ist Lichtenstein mein, nicht Euer. Nicht Ihr dürft ihn dann fordern. Vergeßt das nicht!«
»So lange Dir der Kopf nicht fest auf dem Nacken sitzt, ist eine Herausforderung unnütz. Und thörichte Gelübde hast Du schon genug abgelegt,« versetzte der Alte erregt.
Dann umarmten sie sich, und Zbyszko blieb allein. Sein Herz war bald von Furcht, bald von Hoffnung erfüllt, als aber die Nacht kam, und ein furchtbarer Sturm losbrach, als das vergitterte Fenster von den grellen Strahlen des Blitzes erleuchtet ward, und die Mauern unter den heftigen Donnerschlägen erzitterten, als schließlich ein starker Windstoß die schwach leuchtende Kerze an seinem Lager auslöschte und tiefe Dunkelheit ihn umgab, da verlor Zbyszko wieder allen Mut, und die ganze Nacht konnte er kein Auge schließen.
»Ich werde dem Tode nicht entgehen, und alles ist vergeblich,« dachte er.
Am folgenden Tage besuchte ihn die edle Fürstin Anna, Janusz's Gattin; Danusia, die ihre Laute am Gürtel trug, kam mit ihr. Zbyszko kniete zu ihren Füßen nieder und trotz seiner Erschöpfung nach der schlaflosen in Angst und Unruhe verbrachten Nacht hätte er nicht um alles seiner Ritterpflicht vergessen, hätte er nicht um alles verschwiegen, welche Bewunderung er für Danusias Schönheit empfand.
Aber die Fürstin schaute ihn traurig an und sagte: »Spare Deine Bewunderung, denn wenn Macko keine günstige Antwort bringt oder gar nicht zurückkehrt, wirst Du, Armer, binnen kurzem weit Schöneres im Himmel bewundern.«
Heiße Thränen flossen über ihre Wangen, während sie an das unsichere Los des Ritters dachte, und auch Danusia weinte bitterlich. Zbyszko beugte abermals das Knie vor ihnen, denn auch sein Herz ward weich beim Anblick dieser Thränen. Zwar war sein Gefühl für Danusia nicht das eines Ehemannes für sein Weib, doch empfand er, daß er sie von ganzer Seele liebte, und daß sich in seinem Herzen etwas rege, das ihn zu einem andern, weniger heftigen, weniger gewalttätigen und kampflustigen Menschen mache, zu einem Menschen, den eine tiefe Sehnsucht zu der anmutigen Geliebten hinzog. Auch ihn überkam jetzt unendliches Leid darüber, daß er sie verlassen mußte, und unwillkürlich drückte er aus, was er ihr insgeheim gelobt hatte.
»Die Pfauenbüsche lege ich nicht zu Deinen Füßen nieder, Du Arme! – Aber wenn ich vor dem Angesicht Gottes stehe, dann will ich folgendermaßen sprechen: ›Erlaß mir, Herr, meine Sünden und gieb alles Gute, das auf der ganzen Welt vorhanden ist, keinem andern menschlichen Wesen, als der Jungfrau Danusia aus Spychow‹!«
»Nur wenig Zeit ist vergangen, seit Ihr Euch kennen lerntet und jetzt – gebe Gott, daß wir nicht vergeblich hoffen,« sagte die Fürstin.
Nun gedachte Zbyszko all dessen, was sich in der Gaststube zu Tyniec zugetragen hatte, und seine Erschütterung ward immer größer. Schließlich bat er Danusia, ihm das nämliche Lied zu singen, daß sie damals gesungen hatte. Dann hob er sie samt der Bank, auf die sie sich gestellt hatte, empor und trug sie zur Fürstin.
Und obwohl Danusia nicht zum Gesang aufgelegt war, richtete sie sofort das Köpfchen in die Höhe, drückte die Aeuglein zu, gleich einem Vögelchen, und begann:
»Wie wär' ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög' in die Ferne
Zu Jasio mein.«
»In Schlesien flög' ich nieder
Auf grünen Rain,
Die Waise sieh' wieder ...«
Doch plötzlich flossen große Thränen unter ihren Lidern hervor – und sie konnte nicht weitersingen. Da nahm Zbyszko sie in seine Arme wie ehemals im Gasthaus zu Tyniec und mit ihr in der Zelle umhergehend, sagte er unablässig voll Entzücken: »Nicht nur die Herrin seh' ich in Dir – wenn Gott mich rettet, wenn Du herangewachsen bist, und wenn Dein Vater es gestattet, dann nehme ich Dich, Mädchen, zur Frau! Heisa ...«
Die Arme um seinen Hals schlingend, verbarg Danusia das verweinte Gesicht an seiner Schulter. Sein wilder Schmerz aber ward größer und größer. Aus dem tiefsten Innern des jungen Slaven brach dies Gefühl unaufhaltsam hervor und äußerte sich in dem ungefügen Gesang:
»Ja, Dich nehme ich, Mädchen,
Dich nur wähl' ich allein.«
Zu derselben Zeit trat ein Ereignis ein, dem gegenüber alles andere ohne Bedeutung war. Am Abend des 21. Juni verbreitete sich in der Burg die Nachricht von der plötzlichen Erkrankung der Königin. Die herbeigerufenen Aerzte blieben mit dem Bischof Wysz während der ganzen Nacht in ihrer Kemenate, und mittlerweile ward von den dienenden Frauen verkündet, daß der Herrin Zustand eine vorzeitige Niederkunft befürchten lasse. Der Krakauer Kastellan Jasko Topor aus Teczyn sandte noch in derselben Nacht Eilboten an den abwesenden König. Am frühen Morgen schon drang die Kunde in die Stadt und Umgegend. Es war ein Sonntag, ein Schwarm von Andächtigen füllte die Kirchen, in denen die Priester Gebete für die Königin anordneten. Nach dem Gottesdienst begaben sich die fremden Ritter, welche zu den bevorstehenden Festlichkeiten gekommen waren, und die Edelleute zugleich mit einer Deputation von Kaufleuten nach der Burg. Auch die Zünfte und Bruderschaften zogen mit ihren Fahnen herbei. Vom Mittag an umringten unzählige Volksscharen den Wawel-Berg, unter denen die königlichen Bogenschützen die Ordnung aufrecht erhielten, indem sie allen Ruhe und Stille anempfahlen. Die Stadt war fast gänzlich verödet, durch die leeren Straßen zogen nur von Zeit zu Zeit einige Bauern aus der Umgegend, die gleichfalls von der Krankheit der verehrten Herrin gehört hatten und sich nun der Burg zuwendeten. Am Hauptthore erschienen schließlich der Bischof und der Kastellan, neben ihnen die Domherren der Kathedrale, die königlichen Räte und Ritter. Letztere eilten hin und her, mischten sich unter das Volk und mit geheimnisvollen Mienen wiederholten sie noch einmal den strengen Befehl, daß man sich jeden Ausrufes enthalte, weil dies der Leidenden schaden könne. Darauf verkündeten sie allen und jedem, daß die Königin von einer Tochter genesen sei. Diese Nachricht erfüllte die Herzen mit Freude, vornehmlich da man zugleich auch erfuhr, daß trotz der vorzeitigen Entbindung weder für die Mutter noch für das Kind irgend eine Gefahr vorhanden sei. Die Menge zerstreute sich allmählich, weil vor der Burg jede laute Aeußerung untersagt war, sich aber jeder sehnte, seinem Herzen Luft zu machen. Froher Gesang und Freudengeschrei erscholl denn auch bald auf den zum Markte führenden Straßen. Daß ein Mädchen zur Welt gekommen war, darob grämte man sich nicht. »Ist es etwa ein Unglück gewesen,« sagten manche, »daß der König Louis keinen Sohn hatte und daß Jadwiga auf den Thron gelangte? Durch ihre Heirat mit Jagiello ist die herrschaftliche Gewalt verstärkt worden. So wird es auch jetzt sein. Eine solche Erbin, wie unsere Königstochter, kann man weit suchen, da weder der römische Cäsar, noch einer der anderen Herrscher sich eines solchen Reiches rühmen dürfen, und da sie weder über so viel Grund und Boden noch über eine solche Ritterschaft gebieten. Um die Hand der Prinzessin werden sich die mächtigsten Monarchen der Erde bewerben, vor ihr werden sich Könige und Königinnen beugen, sie werden nach Krakau kommen, der Kaufmannschaft wird Nutzen daraus erwachsen, und dabei wollen wir nicht einmal davon reden, daß irgend ein neues Reich, das böhmische oder ungarische mit unserem Königreich vereinigt werden kann.« Besonders die Kaufleute äußerten sich so, und mit jedem Augenblick ward der Jubel allgemeiner. In den Privatwohnungen und Gasthäusern wurden Schmausereien veranstaltet. Auf dem Markte wimmelte es von Laternen- und Fackelträgern. Die Landleute aus der Umgegend, von denen immer mehr nach der Stadt zogen, schlugen ihr Lager bei ihren Wagen auf. Die Juden standen lebhaft gestikulierend vor der Synagoge von Kasimierz. Bis spät in die Nacht, fast bis zum Morgengrauen war es so laut auf dem Markte, besonders beim Rathause und bei den Lagerfeuern, wie zur Zeit der großen Jahrmärkte. Man teilte sich gegenseitig die Nachrichten mit, sandte deshalb in die Burg und drängte sich dann dicht um die mit frischer Kunde Zurückkehrenden.
Daß der Bischof Peter das Kind noch in derselben Nacht getauft habe, war eine schlimme Nachricht, denn daraus ging hervor, daß es sehr schwach sein mußte. Erfahrene Frauen jedoch berichteten von Fällen, in denen Kinder, die bei der Geburt halbtot gewesen, erst nach der Taufe zum Leben erwacht seien. So erfüllte wieder neue Hoffnung die Herzen, zumal der Name, den man der Neugeborenen gegeben, ein glückverheißender war. Man sagte sich, weder ein Bonifacius noch eine Bonifacia könne sofort nach der Geburt sterben, da sie dazu bestimmt seien, Gutes zu stiften. Welches Kind sei aber im stande, in der ersten Zeit Gutes oder Schlimmes zu thun?
Am folgenden Tage kamen indessen ungünstige Nachrichten über das Befinden von Mutter und Kind aus der Burg und die ganze Stadt geriet in Bestürzung. Die Kirchen waren so gedrängt voll wie im Ablaßjahre. Allerlei feierliche Gelübde wurden abgelegt. Man sah Landleute, welche ein Viertel Getreide, ein Lamm oder einen Hahn, getrocknete Schwämme oder Nüsse zum Opfer herbeibrachten. Auch die Ritter, Kaufleute und Handwerker spendeten Opfergaben. Zu den wunderthätigen Heiligen wurden Boten geschickt. Die Astrologen forschten eifrig in den Sternen. In Krakau wurde eine feierliche Prozession angeordnet, woran sich alle Zünfte und Brüderschaften beteiligten. Die ganze Stadt war mit Fahnen geschmückt. Auch eine Prozession von Kindern ward feierlich abgehalten, denn man glaubte, daß Gott die Fürbitte dieser unschuldigen Wesen zuerst erhören werde. Und immer neue Scharen aus der Umgegend strömten durch die Thore herein.
So verging ein Tag nach dem andern, während die Glocken beständig läuteten, die Kirchen gedrängt voll waren, Prozessionen und Andachten rasch aufeinander folgten. Als nun eine Woche vorüber war und die hohe Kranke sowie das Kind noch lebten, zog neuer Mut in aller Herzen ein. Es erschien den Leuten wie ein Ding der Unmöglichkeit, daß Gott so frühzeitig die Herrin zu sich nehmen sollte, welche schon so viel zu seiner Ehre gethan hatte, und deren großes Werk dann unvollendet geblieben wäre, daß er jetzt schon die Glaubensbotin zu sich nehmen sollte, welche ihr eigenes Glück zum Opfer gebracht hatte, um das letzte Heidenvolk in Europa zum Christentum zu bekehren. Die Gelehrten erinnerten sich, daß sie unendlich viel für die Akademien gethan, die Geistlichen gedachten ihrer Frömmigkeit, die Staatsmänner sagten sich, wie sehr sie für den Frieden zwischen den christlichen Monarchen, die Rechtsgelehrten wie sehr sie für die Gerechtigkeit gewirkt hatte. Die Armen erinnerten sich, wie barmherzig sie gewesen, und allen wollte es nicht in den Sinn, daß ein Leben, das dem Königreiche, ja der ganzen Welt so nötig war, vor der Zeit dahingerafft werden könne.
Am 13. Juli verkündete die Totenglocke, daß das Kind gestorben war. Wieder war die Stadt gedrängt voll. Angst und Unruhe ergriff die Leute, und abermals umringten sie die Burg, um nach dem Befinden der Königin zu fragen. Doch diesmal kehrte niemand mit guten Nachrichten zurück. Im Gegenteil, der Gesichtsausdruck der im Schlosse ein und ausgehenden Herren ward mit jedem Tage düsterer. Man erzählte sich auch, daß der Priester Stanislaus aus Skarbimierz, Magister der freien Künste in Krakau, die Königin nicht mehr verlasse, und daß diese täglich kommuniziere. Weiter erzählte man sich, bei jeder Kommunion sei ihre Kemenate von einem himmlischen Scheine erfüllt. Manche sahen den Schein sogar durch das Fenster, doch der Anblick erfüllte die der Herrin treuergebenen Herzen mit Schrecken. Betrachteten sie es doch als ein Zeichen, daß die Kranke dem irdischen Leben schon entrückt war.
Wieder andere hingegen glaubten nicht an einen so furchtbaren Ausgang, und trösteten sich mit der Hoffnung, daß der gerechte Gott es mit einem Opfer bewenden lasse.
Am Freitag den 17. Juli, in der Frühe, verbreitete sich das Gerücht, daß die Königin ihrem Ende entgegen gehe. Wer nur konnte, begab sich so rasch wie möglich zur Burg. Wieder war die Stadt vollständig verödet, nur die Gebrechlichen und Krüppel blieben zurück, denn sogar die Mütter mit den kleinen Kindern eilten den Thoren zu. Die Kaufgewölbe wurden nach einander geschlossen, niemand dachte an eine Mahlzeit, alle Geschäfte hatten aufgehört. Den Wawel umringte eine dichte Menschenmenge, voll Bestürzung und Angst, aber in düsterem Schweigen.
Um 1 Uhr des Nachmittags ertönte die Glocke auf dem Turme der Kathedrale. Was dies zu bedeuten hatte, wußten die harrenden nicht, und das Haar sträubte sich auf ihrem Haupte. Aller Augen richteten sich gegen den Turm, auf die immer stärker anschlagende Glocke, deren wehmütige Klänge bald durch das Geläute der Franziskanerkirche, der heiligen Dreifaltigkeitskirche und der Marienkirche nachgeahmt wurden. Schließlich begriff man, was diese klagenden Töne bedeuteten, und Schrecken und Bestürzung erfüllten nun die Seelen dieser Menschen. Schien doch die eherne Stimme tief in ihr Innerstes zu dringen.
Plötzlich zeigte sich auf dem Turm eine schwarze Fahne mit einem Totenkopfe in der Mitte, unter dem zwei kreuzweise übereinandergelegte Knochen zu sehen waren. Jeder Zweifel schwand nun dahin. Die Königin hatte ihre Seele Gott empfohlen. Vor der Burg erscholl lautes Weinen, und die Klagen von hunderttausend Menschen vermischten sich mit den wehmütigen Klängen der Glocken. Einige der Trauernden warfen sich zur Erde, wieder andere zerrissen ihre Kleider oder zerfleischten ihre Gesichter, manche schauten wie erstarrt auf die Burgmauern, viele ließen nur ein dumpfes Stöhnen hören, unzählige aber streckten die Arme gegen die Kirche und die Kemenate der Königin aus, indem sie Gott um Barmherzigkeit und um ein Wunder anflehten. Doch ließen sich auch Stimmen von Leuten vernehmen, welche durch die Verzweiflung sogar zur Gotteslästerung hingerissen wurden. »Weshalb ist uns die geliebte Herrin entrissen worden? Wozu dienten dann unsere Prozessionen, unsere inbrünstigen Gebete? Unsere Gelübde, unsere Opfergaben aus Silber und Gold waren willkommen, und all dies soll für nichts gewesen sein? Wieviel hast Du uns genommen und nichts dafür gegeben!«
Und Jesu! Jesu! Jesu! stöhnten gar manche, deren Augen fortwährend von Thränen überflossen. All' diese Menschen wollten in die Burg eindringen, um noch einmal in das geliebte Antlitz der Herrin zu blicken. Man gestattete es nicht, versprach ihnen aber, daß der Leichnam binnen kurzem in der Kirche aufgebahrt werde, und daß dann jeder ihn sehen und am Sarge beten könne. Voll Trauer kehrten sie nun in die Stadt zurück, indem sie untereinander von den letzten Augenblicken der Königin, von dem bevorstehenden Leichenbegängnisse und den Wundern sprachen, welche an ihrer Leiche, sowie an ihrer Grabstätte geschehen würden, und die von allen mit Sicherheit erwartet wurden. Auch war vielfach die Rede davon, daß die Königin wohl heilig gesprochen werde, denen aber, welche daran zweifelten, drohte man voll Zorn mit dem Papste.
Die Stadt und das ganze Land waren in tiefe Trauer versenkt, und jedermann, nicht nur das gemeine Volk, sagte sich, mit dem Tode der Königin sei der günstige Stern für das Reich erloschen. Sogar unter den vornehmen Herren zu Krakau gab es solche, welche düster in die Zukunft blickten. Sich selbst und andern begann man die Frage vorzulegen, was nun geschehen werde. Ob Jagiello jetzt noch ein Anrecht auf die Herrschaft über das Königreich habe oder zurückkehre in sein Litauen und sich mit dem großfürstlichen Throne begnüge? Manche behaupteten im voraus – und wie es sich später zeigte, nicht ohne Grund, – daß er zurücktreten werde, daß die Krone in diesem Falle große Ländereien einbüßen müsse, daß dann die Litauer neue Einfälle machen und die ergrimmten Einwohner des Königreiches blutige Vergeltung üben würden. Der Orden, der römische Cäsar, der ungarische König würden dann an Macht gewinnen und dem Reiche, das jetzt noch eines der mächtigsten auf der ganzen Welt war, würde Untergang, Schmach und Schande drohen.
Die Kaufleute, denen das weite litauische und russische Land offen stand, legten aus Angst vor dem drohenden Verluste fromme Gelübde ab, damit Jagiello im Reiche bleibe, aber in dem Falle wurde ein baldiger Krieg mit dem Orden prophezeit. War es doch eine bekannte Thatsache, daß nur die Königin bis jetzt einen solchen Krieg verhindert hatte. Und die Leute erinnerten sich, daß sogar Jadwiga einst voll Entrüstung über die Geldgier und Habsucht der Kreuzritter, gleich einer Seherin verkündet hatte: »So lange ich lebe, so lange halte ich die Hand und den gerechten Zorn meines Gatten von Euch ab, aber bedenkt, daß Euch nach meinem Tode die Strafe für Euere Sünden treffen wird!«
In ihrem Hochmut, ihrer Verblendung, fürchteten die Ordensritter den Krieg zwar nicht, weil sie darauf rechneten, daß nach dem Tode der Königin der Ruf von deren Heiligkeit den Zuzug von Kriegern aus den westlichen Gebieten nicht verhindern werde, und ihnen dann Tausende aus Deutschland, Burgund, aus dem Frankenlande und aus anderen fernen Ländern zu Hilfe kommen würden. Immerhin war aber der Tod Jadwigas ein so weittragendes Ereignis, daß der Gesandte des Ordens, ohne die Rückkunft des abwesenden Königs abzuwarten, sich eilig nach Marienburg begab, um dem Großmeister und dem Kapitel zuerst die wichtige, ja, in gewisser Hinsicht unheilverkündende Nachricht mitzuteilen. Von den übrigen Gesandten brachen einige gleich nach Ritter Lichtenstein auf, während andere Boten zu ihren Monarchen schickten.
In dumpfer Verzweiflung langte Jagiello in Krakau au. Im ersten Schmerze erklärte er den Herren vom Hofe, ohne die Königin wolle er das Herrscheramt nicht länger ausüben, sondern sich nach seinem Erbgut in Litauen zurückziehen. Dann verfiel er in eine Art Erstarrung, er wollte keinerlei Entscheidung treffen, er beantwortete keine Frage, zuweilen aber wütete er gegen sich selbst, weil er abgereist und bei dem Tode der Königin fern gewesen war, weil er sich nicht von ihr verabschieden, ihre letzten Worte und Wünsche nicht hatte hören können. Vergebens stellten ihm Stanislaw von Skarbimierz und Bischof Wysz vor, daß die Erkrankung der Königin ganz unerwartet gekommen sei, und daß er aller menschlichen Berechnung nach Zeit genug gehabt hätte, zurückzukehren, wenn die Entbindung nicht verfrüht gewesen wäre. Dies gewährte ihm keine Beruhigung und linderte seinen Schmerz auch nicht. »Ohne sie bin ich nicht mehr der König, der Herrscher,« erwiderte er, »sondern nur ein reuiger Sünder, der keinen Trost kennt.« Dann warf er sich mit dem Gesicht zu Boden und niemand vermochte mehr ein Wort aus ihm herauszubringen.
Unterdessen beschäftigte man sich eifrig mit den Vorbereitungen zum Leichenbegängnisse der Königin. Neue Menschenscharen strömten aus allen Teilen des Königreiches herbei, Edle und Leute aus dem Volke, vornehmlich aber Arme, welche auf reiche Spenden während der, einen ganzen Monat andauernden Feierlichkeiten hofften. Der in der Kathedrale ausgestellte Leichnam der Königin war derart aufgebahrt, daß der obere Teil des Sarges erhöht stand. Man hatte dies absichtlich so eingerichtet, damit das Volk in das Antlitz der Königin schauen konnte. In der Kathedrale wurde beständig Gottesdienst abgehalten. Tausende von Wachskerzen brannten am Katafalke, und mitten in diesem Schimmer, zwischen Blumen, lag » Sie«, friedlich lächelnd, einer weißen Rose gleich, die Hände fromm über dem lorbeergeschmückten Gewande gefaltet. Das Volk sah eine Heilige in ihr, Besessene, Krüppel, kranke Kinder wurden zu ihr geführt, und plötzlich ließ sich im Mittelpunkte der Kirche der Aufschrei einer Mutter vernehmen, welche in dem Gesichte ihres Kindes eine schwache Röte, das Zeichen wiederkehrender Gesundheit gewahrte, dann der eines Paralytikers, der seine gelähmten Glieder wieder gebrauchen konnte. Ein ehrfurchtsvoller Schauer erfüllte alle Herzen, die Kunde von diesen Wunderthaten verbreitete sich durch die Kathedrale, die Burg, die Stadt, und zog immer größere Scharen siecher Menschen herbei, welche sich hier Hilfe und Rettung versprachen.
Zbyszko war jetzt vollständig vergessen, denn wer hätte bei einem so furchtbaren Unglück an einen einfachen Jüngling und an dessen Gefangenschaft in der Schloßbastei denken können. Er war durch den Gefangenwärter von der Krankheit der Königin in Kenntnis gesetzt worden, er hatte auch das Getümmel des Volkes vor der Burg vernommen, und als er dann die lauten Klagen, das Geläute hörte, warf er sich auf die Knie nieder, und seines eigenen Schicksals eingedenk, beweinte er von ganzer Seele den Tod der vergötterten Herrin. Ihn dünkte, mit ihrem Dahinscheiden sei auch für ihn alles zu Ende, ihn dünkte, die ganze Welt müsse nun zu Grunde gehen.
Der Lärm, den die Vorbereitungen zur Leichenfeier hervorbrachten, das Geläute der Glocken, der Gesang der Prozessionen und das Getümmel der Menge drang bis in seine Zelle. Acht Tage währte dies. Während dieser Zeit ward er immer trauriger, verlor er die Lust zu essen, zu schlafen und ging in seinem Gefängnisse umher wie ein wildes Tier in seinem Käfig. Auch die Einsamkeit lastete schwer auf ihm, da oftmals ein Tag verging, ohne daß der Gefangenwärter ihm Speise und frisches Wasser brachte, so sehr waren alle mit der Leichenfeier der Königin beschäftigt. Seit dem Tode Jadwigas hatte ihn niemand besucht, weder die Fürstin, noch Danusia, noch Powala aus Taczew, welcher ihm ehemals so viel Mitgefühl bezeigt hatte, noch der Kaufmann Amylej, der Bekannte Mackos. Voll Bitterkeit sagte sich Zbyszko, nun, da Macko abwesend sei, denke niemand mehr an ihn. Zuweilen ging ihm der Gedanke durch den Kopf, daß man ihn und Recht und Gerechtigkeit vergessen habe, und daß er elend in diesem Gefängnisse verschmachten müsse. Dann betete er inbrünstig um den Tod.
Schließlich, als seit der Leichenfeier ein Monat und mehr vergangen war, begann er an der Rückkehr Mackos zu zweifeln. Hatte dieser doch versprochen, sich zu sputen und sein Pferd nicht zu schonen. Marienburg lag ja auch nicht am Ende der Welt. In drei Monaten konnte man hingelangen und wieder zurücksein – vornehmlich wenn man sich beeilte. »Aber vielleicht beeilte er sich nicht!« sagte sich Zbyszko voll Kummer, »vielleicht hat er sich unterwegs ein Weib gesucht und geleitet sie voll Freude nach Bogdaniec, ich aber muß in meinen jungen Jahren alles der Barmherzigkeit Gottes anheimstellen.
Zuletzt verlor er jedes Maß für Zeitberechnung, er sprach auch nicht mehr mit seinem Wärter, und mir die Sommerfäden an dem Eisengitter seines Fensters ließen ihn erkennen, daß der Herbst herangekommen war. Stundenlang saß er nun auf seinem Lager, die Ellenbogen auf den Knien, die Finger in den ihm jetzt weit über die Schultern herabhängenden Haaren vergraben, und im Halbschlafe in einer gewissen Erstarrung, hob er sogar auch dann das Haupt nicht mehr, wenn der Wärter, der ihm Speise brachte, eine Frage an ihn richtete.
Doch eines Tages drehte sich knirschend die Thüre in ihren Angeln, und von der Schwelle her ertönte eine wohlbekannte Stimme.
»Zbyszko!«
»Oheim!« schrie Zbyszko von seiner Pritsche aufspringend.
Macko umarmte ihn, dann nahm er das blonde Haupt des Jünglings in seine Hände und küßte ihn. Zbyszkos Herz aber war so voll von Leid, Bitterkeit und Sehnsucht, daß er an der Brust des Oheims weinte wie ein kleines Kind. »Ich glaubte schon, Ihr würdet nicht zurückkehren,« sagte er schluchzend.
Macko umarmte ihn, dann nahm er das blonde Haupt des Jünglings in seine Hände und küßte ihn.
»Dazu hätte auch nicht viel gefehlt!« versetzte Macko.
Erst jetzt erhob Zbyszko das Haupt und nachdem er den Oheim aufmerksam betrachtet hatte, rief er aus: »Was ist mit Euch vorgegangen?« Und voll Verwunderung schaute er auf das abgemagerte, eingesunkene, totenbleiche Antlitz des alten Kriegers, auf dessen gebeugte Gestalt, aus die ergrauten Haare. »Was ist mit Euch vorgegangen?« wiederholte er.
Macko ließ sich auf die Pritsche nieder und seufzte schwer. »Was mit mir vorgegangen ist?« fragte er schließlich. Kaum war ich über die Grenze gelangt, als die Deutschen im Walde mit Pfeilen auf mich schossen. Es waren Raubritter, verstehst Du? Noch jetzt kann ich kaum zu Atem kommen, wenn ich daran denke. Aber Gott sandte mir Hülfe, sonst würdest Du mich jetzt nicht vor Dir sehen.«
»Wer ist Euch zu Hülfe gekommen?«
»Jurand aus Spychow,« entgegnete Macko.
Ein kurzes Schweigen folgte.
»Zuerst überfielen sie mich« – berichtete dann Macko – »dann überfiel er sie. Nur die Hälfte von ihnen entkam. Er nahm mich dann in seine Burg, und dort, in Spychow, rang ich drei ganze Wochen mit dem Tode. Aber Gott ließ mich nicht sterben, und wenn es mir auch noch schwer ward, bin ich doch zurückgekehrt.«
»So seid Ihr gar nicht in Marienburg gewesen?«
»Wie hätte ich dort hingelangen können? Sie rissen mir alles weg und nahmen nur den Brief samt den anderen Sachen. Ich kehrte zurück und wollte die Fürstin Alexandra um einen zweiten bitten, aber ich verfehlte sie – und ob ich sie jetzt noch treffe, weiß ich nicht – denn bald mache ich mich nach jener Welt auf.« Bei diesen Worten spie er in die Hand und sie gegen Zbyszko ausstreckend zeigte er ihm dunkle Blutspuren. »Siehst Du?« sagte er und nach einer Weile fügte er hinzu: »Der Finger Gottes ist hierin zu sehen!«
Tief bedrückt schwiegen beide einige Zeit, dann fragte Zbyszko: »Also speist Du häufig Blut?«
»Wie sollte dies anders sein, wenn mir eine Pfeilspitze eine halbe Spanne weit zwischen den Rippen stecken geblieben ist. Da würdest Du auch Blut speien, dessen kannst Du sicher sein! Bei Jurand befand ich mich schon besser, aber jetzt bin ich wieder furchtbar ermattet, denn der Weg war lang, und ich ritt schnell.«
»Warum habt Ihr Euch auch so beeilt?«
»Ich wollte ja die Fürstin Alexandra aufsuchen und um einen zweiten Brief bitten. Jurand von Spychow sprach folgendermaßen zu mir: ›Macht Euch auf den Weg,‹ sagte er, ›und kehret dann mit dem Briefe nach Spychow zurück. Ich halte einige Deutsche bei mir gefangen,‹ sagte er weiter, ›einen von diesen gebe ich auf sein Ritterwort frei, damit er den Brief zum Meister bringe.‹ Um sich wegen seines Weibes Tod an den Deutschen zu rächen, hält Jurand immer einige bei sich im Burgverließ, und er freut sich dann, wenn er des Nachts hört, wie sie stöhnen und wie ihre Kette klirren, denn er ist von Haß und Wut gegen sie erfüllt. Verstehst Du?«
»Ich verstehe; mich wundert nur, daß Ihr den ersten Brief verlort, denn da Jurand die noch erwischt hat, welche Euch überfielen, muß sich doch der Brief bei ihnen gefunden haben.«
»Alle hat er aber nicht erwischt. Ungefähr fünf von ihnen entkamen. So hat es nun einmal unser Schicksal gefügt.«
Macko hustete, spie abermals Blut und stöhnte vor Schmerz.
»Ihr seid schwer getroffen,« sagte Zbyszko, »wie kam dies? Schossen sie denn aus dem Hinterhalt?«
»Die Pfeile fielen so dicht, daß man auf einen Schritt weit nichts zu sehen vermochte. Und ich trug keine Rüstung, weil einige Kaufleute mir gesagt hatten, die Gegend sei ganz sicher, und es war furchtbar heiß.«
»Welcher Straßenräuber führte sie denn an? Ein Kreuzritter?«
»Kein Ordensritter, aber ein Deutscher, Chelminezyk aus Lentz, der als Wegelagerer und Räuber bekannt ist!«
»Was ist mit ihm geschehen?«
»Bei Jurand liegt er in Ketten. Aber er selbst hält auch zwei edle Masuren gefangen, an denen er sich rächen will.«
Wieder verfiel Macko in Schweigen.
»Ach, Du lieber Jesu!« sagte schließlich Zbyszko, »Lichtenstein wird am Leben bleiben und der aus Lentz ebenfalls, wir aber müssen elendiglich zu Grunde gehen, ohne uns gerächt zu haben. Mein Kopf wird fallen, und Ihr werdet sicherlich den Winter nicht überleben.«
»Bah! Nicht einmal bis zum Winter wird es währen. Wenn ich nur Dich retten könnte!«
»Habt Ihr hier schon jemand gesprochen?«
»Bei dem Kastellan von Krakau bin ich gewesen, denn als ich erfuhr, daß Lichtenstein abgereist ist, dachte ich, dies käme Dir zu gut.«
»So ist Lichtenstein abgereist?«
»Gleich nach dem Tode der Königin begab er sich nach Marienburg. Bei dem Kastellan bin ich also gewesen, aber er sagte folgendes: ›Nicht darum soll Euer Bruderssohn gerichtet werden, weil wir uns bei Lichtenstein in Gunst setzen wollen, sondern einzig nur darum, weil der Urteilsspruch so lautet, und ob Lichtenstein hier ist oder nicht, kommt gar nicht in Frage. Selbst wenn er stürbe, würde dies nichts ändern, denn – sagt der Kastellan – das Gesetz muß Gerechtigkeit walten lassen, das Gesetz ist nicht wie ein Oberrock, bei dem man das Oberste zu unterst wenden kann. Der König – sagt der Kastellan – hat die Macht, den Schuldigen zu begnadigen, aber sonst niemand.‹«
»Und wo ist der König?«
»Nach der Leichenfeier reiste er bis ins Russische hinein.«
»Dann giebt es keinen Rat!«
»Nein, keinen! Der Kastellan sagte auch: ›Die Fürstin Anna bittet für ihn und er jammert mich, doch was ich nicht kann, das kann ich nicht‹!«
»Die Fürstin Anna ist also noch hier?«
»Möge Gott ihr für ihre Fürsprache lohnen! Das ist eine gute Frau! Sie befindet sich noch hier, weil Jurands Tochter erkrankte, und die Fürstin sie liebt wie ihr eigenes Kind.«
»Ach, gerechter Gott! Danusia ist erkrankt? Was ist ihr zugestoßen?«
»Weiß ich es denn? Die Fürstin sagt, jemand müsse sie berufen haben.«
»Gewiß Lichtenstein! Niemand anders als Lichtenstein!«
»Mag sein! Aber was kannst Du ihm thun? – Nichts!«
»Deshalb also hatten alle meiner vergessen – sie ist krank!«
Bei diesen Worten ging Zbyszko mit großen Schritten in seiner Zelle umher, schließlich ergriff er Mackos Hand, küßte sie und sagte: »Möge Gott Euch für alles lohnen, denn ich bin schuld, wenn Ihr bald die Augen schließt, aber da Ihr nun doch einmal so weit in die preußischen Lande geritten seid, thut auch noch dies eine für mich, falls Ihr noch nicht vollständig von Kräften gekommen seid. Geht zum Kastellan und bittet ihn, er möge mich auf mein Ritterwort für zwölf Wochen wenigstens freigeben – dann kehre ich zurück, dann soll man mich richten. Aber daß wir ungerächt zu Grunde gehen, das darf nicht sein. Wisset also – nach Marienburg reite ich, und Lichtenstein, den Gesandten, fordere ich zum Zweikampfe heraus. Einer von uns, er oder ich muß fallen.«
Macko rieb sich die Stirn.
»Hingehen soll ich? Ja, ich gehe. Doch wird der Kastellan Deinen Wunsch erfüllen?«
»Mein Ritterwort gebe ich. Zwölf Wochen nur, mehr Zeit ist nicht vonnöten.«
»Wie Du schwatzest! Zwölf Wochen! Wie aber, wenn Du verwundet wirst und nicht zurückkehrst? Was werden sie denken?«
»Und sollte ich auch an vielen Wunden bluten, ich würde doch zurückkehren. Aber fürchtet nichts. Und wißt Ihr, vielleicht kommt während dieser Zeit der König aus Rußland zurück, und vielleicht ist er dann geneigt, Barmherzigkeit an mir zu üben.«
»Das ist wahr,« entgegnete Macko. Doch gleich darauf fügte er hinzu: »Der Kastellan hat mir noch weiter gesagt: ›Wir vergaßen Eures Bruderssohnes durch den Tod der Königin, aber jetzt müssen wir ein Ende machen‹.«
»Ei, erlaubt mir,« erwiderte Zbyszko guten Mutes, »er weiß doch, daß ein Edelmann sein Wort hält, und ob man mir jetzt den Kopf abschlägt oder nach Michaeli, wird ihm ganz einerlei sein.«
»Gut, noch heute gehe ich zu ihm.«
»Heute geht zu Amylej und gönnt Euch ein wenig Rast. Er soll Euch irgend einen Balsam auf die Wunde legen, und morgen begebt Euch dann zum Kastellan. Nun also mit Gott!«
»Mit Gott!«
Sie umarmten sich, und Macko wandte sich der Thüre zu, aber an der Schwelle blieb er stehen und runzelte die Stirn, wie wenn ihm Plötzlich ein Gedanke käme.
»Du trägst den Rittergürtel ja noch nicht; wenn Dir nun Lichtenstein sagt, mit einem Ungegürteten wolle er nicht kämpfen – was thust Du dann?«
Zbyszko sah plötzlich finster darein, aber nur für einen Augenblick, dann sagte er: »Und wie ist es denn im Kriege? Wählt sich da ein Gegürteter nur Gegürtete aus?«
»Krieg ist Krieg, und ein Zweikampf ist wieder etwas anderes.«
»Das ist wahr – aber wartet – da muß Rat geschafft werden. Seht Ihr, nun weiß ich auch, wie: der Fürst Janusz wird mich gürten. Wenn die Fürstin und Danusia ihn darum bitten, wird er es thun. Und unterwegs, in Masovien, will ich dann auch den Sohn Mikolajs aus Dlugolas herausfordern.«
»Weshalb denn?«
»Wißt Ihr denn nicht, daß Mikolaj, welcher am Hofe der Fürstin ist, Danusia ›Kröte‹ genannt hat?«
Voll Verwunderung blickte ihn Macko an, und in dem Bestreben, die Sache deutlicher zu erklären, fuhr Zbyszko fort: »Das kann ich nicht verzeihen, und Mikolaj würde ich doch nicht herausfordern, weil er wohl schon achtzig Jahre zählt.«
Darauf entgegnete Macko: »Höre, Bursche! Um Deinen Kopf ist es mir leid, aber nicht um Deinen Verstand, denn Du bist so dumm wie ein Schaf!«
»Worüber seid Ihr nun erzürnt?«
Macko gab keine Antwort und wollte sich entfernen, doch Zbyszko eilte auf ihn zu: »Wie befindet sich Danusia jetzt? Ist sie wieder gesund? Ereifert Euch doch nicht um nichts. Ihr habt wahrlich keinen Grund dazu.«
Und abermals neigte er sich auf des alten Mannes Hand herab. Dieser zuckte die Achseln, entgegnete jedoch etwas besänftigt: »Die Tochter Jurands befindet sich besser, verläßt aber ihre Kemenate noch nicht. Leb' wohl!«
Zbyszko blieb allein. Er fühlte sich wie neugeboren an Seele und Körper. Daß er nun vielleicht noch drei Monate vor sich haben werde, daß er ins weite Land hinaus reiten, seinen Feind aufsuchen und mit ihm um Leben und Tod kämpfen könne, war ihm ein angenehmer Gedanke und erfüllte sein Herz mit Freude. Wie herrlich mußte es sein, auf einem Rosse in die Welt hinaus zu jagen, sich im Kampfe hervorzuthun, und so nicht ungerächt zu Grunde zu gehen. Dann mochte kommen, was da wollte – jetzt blieb ihm doch noch eine lange Zeit. Und wenn die Frist abgelaufen war, kehrte der König vielleicht aus Rußland zurück und vergab ihm die Schuld, vielleicht brach der Krieg aus, von dem schon längst die Rede gewesen – vielleicht sagte auch der Kastellan selbst, wenn er nach drei Monaten den Sieger des stolzen Lichtenstein erblickte: »Wandere nur frei in den Wäldern umher.«
Denn Zbyszko fühlte klar, daß außer dem Kreuzritter niemand Haß gegen ihn hegte, und daß sogar der strenge Burgvogt ihn gewissermaßen nur aus Zwang zum Tode verurteilt hatte.
So ward er denn immer hoffnungsfreudiger, da er nicht daran zweifelte, daß ihm die Frist von drei Monaten bewilligt werde. Im Gegenteile, er rechnete darauf, daß man sie noch verlängern werde, weil er überzeugt war, der alte Herr aus Teczyn könne auch nicht einmal dem Gedanken Raum geben, daß ein Edelmann sein Wort nicht halte.
Als nun Macko am folgenden Tage in die Abenddämmerung ins Gefängnis kam, stürzte Zbyszko, welcher ihn voll Ungeduld erwartet hatte, ihm entgegen und fragte: »Ist's bewilligt.«
Macko sank ermattet auf die Pritsche, holte tief Atem und sagte dann: »Der Kastellan sprach so zu mir: »Wenn es sich um Hab und Gut handelt, gebe ich Eurem Bruderssohn acht oder vierzehn Tage auf sein Ritterwort frei, länger aber nicht.«
Zbyszko war so überrascht, daß er einige Zeit kein Wort hervorbringen konnte.
»Zwei Wochen nur!« rief er dann. »In einer Woche kann ich ja nicht einmal zur Grenze gelangen. Was soll das heißen? Ihr habt wohl dem Kastellan nicht gesagt, weshalb ich nach Marienburg will?«
»Nicht ich allein, auch die Fürstin Anna hat für Dich gebeten.«
»Nun, und was geschah?«
»Was geschah? Der Alte sagte ihr, daß er Dein Haupt nicht gerne fallen sehe, und daß er Dich beklage. ›Ich wünschte,‹ sagte er, ›ich hätte irgend ein Gesetz ausfindig gemacht – bah – irgend einen Vorwand meine ich, um ihn freilassen zu können, aber was ich nicht kann, kann ich nicht. Es wäre schlimm für das Königreich – sagte er weiter – wenn die Leute anfangen würden, der Gerechtigkeit ins Gesicht zu schlagen, um ihre Freunde zu schonen, und ich würde es nicht thun, wenn es sich auch um einen Blutsverwandten – oder sogar um meinen Bruder handelte.‹ Solche Menschen sind nicht zu erweichen. Und weiter sprach der Kastellan: ›Wir haben nicht nötig, besondere Rücksicht auf die Kreuzritter zu nehmen, doch fern sei es von uns, Schmach und Schande auf uns zu laden. Was würden sie und ihre Gäste denken, welche ihnen uns der ganzen Welt zuströmen, wenn ich einen zum Tode verurteilten Edelmann freiließe, weil er Lust bezeigt, in die Weite zu reiten, um jemand zum Kampfe herauszufordern? Würden sie nicht glauben, daß man ihm die Strafe erlassen habe, und daß keine Gerechtigkeit in unserem Lande herrsche? Lieber sehe ich ein Haupt fallen, als daß ich den König und das Reich dem Untergange weihe. Darauf entgegnete die Fürstin, ihr komme eine solche Gerechtigkeit seltsam vor, wenn selbst die Blutsverwandte des Königs nicht im stande sei, einen bedauernswerten Menschen freizubitten, allein der Alte versetzte: ›Der König selbst kann Gnade üben, doch auch er kann nicht gegen das Gesetz verstoßen.‹ Nun entzweiten sie sich ernstlich, denn die Fürstin ließ sich vom Zorne hinreißen. ›Laßt ihn wenigstens nicht im Gefängnisse verschmachten!‹ sagte sie. Und der Kastellan erklärte: ›Gut! morgen lasse ich das Schafott auf dem Marktplatze aufschlagen.‹ Hierauf trennten sie sich. Und Dich, Unglücklicher, kann nur unser Herr Jesus retten!«
Ein langes Schweigen folgte.
»Wie,« ließ sich endlich Zbyszko mit dumpfer Stimme vernehmen, »so bald soll es sein?«
»In zwei oder drei Tagen. Da giebt es keinen Rat, keinen. Was, ich konnte, habe ich gethan. Ich fiel zu den Füßen des Kastellans nieder, ich bat um Erbarmen, doch er beharrte auf seiner Meinung. ›Macht irgend ein Gesetz, einen Vorwand ausfindig!‹ wiederholte er. Ich bin auch bei dem Priester Stanislaw aus Skarbimierz gewesen, damit er mit dem Sakrament zu Dir komme. Die Ehre soll Dir wenigstens zu teil werden, daß Dir der Beichtvater der Königin die Beichte abnimmt. Doch traf ich ihn nicht zu Hause, er befand sich bei der Fürstin Anna.«
»Vielleicht war er auch bei Danusia?«
»Ach was! Dem Mädchen geht es ja besser. Morgen vor Tagesanbruch gehe ich nochmals zu ihm.«
Zbyszko setzte sich nieder, stützte die Ellbogen auf die Knie und neigte den Kopf so tief herab, daß sein Gesicht vollständig von den Haaren verhüllt war. Der alte Mann betrachtete ihn lange Zeit schweigend, dann aber rief er leise: »Zbyszko, Zbyszko!«
Der Jüngling erhob das Haupt, doch drückte sich in seinem Antlitz mehr Bitterkeit und Ingrimm als Schmerz aus.
»Nun?«
»Höre mich an, denn vielleicht kann ich doch noch ein Rettungsmittel ausfindig machen.«
Bei diesen Worten rückte er näher zu Zbyszko heran und begann fast im Flüstertone: »Du hörtest doch, daß einst Fürst Witold von unserem jetzigen König festgenommen, zu Krewo im Gefängnisse saß und in Frauenkleidern daraus entkam. Eine Frau steht uns zwar nicht hilfsbereit zur Seite, aber nimm meinen Rock, meine Kapuze, und fort mit Dir – verstehst Du? Daß Du nicht hinfällig aussiehst, werden sie gar nicht bemerken. Das ist gewiß! Draußen ist es dunkel, und ins Gesicht werden sie Dir auch nicht leuchten. Sie sahen mich wohl, als ich kam, aber genau betrachtete mich niemand. Sei nur still und höre mich an: morgen werden sie mich dann finden – doch was thut das?
Rasch riß Danusia von ihren blonden Haaren unter dem Rautenkranze hervor den weißen Schleier und umhüllte damit fast das ganze Haupt Zbyszkos.
Mögen sie mir den Kopf abschlagen! Dir kann es dann zum Troste dienen, daß ich doch in zwei oder drei Wochen dem Tode verfallen bin. Und sobald Du draußen bist, setzest Du Dich aufs Pferd und reitest geradewegs zum Fürsten Witold. Du sagst ihm, wer Du bist, und bezeugst ihm Deine Verehrung. Dann wird er Dich freundlich aufnehmen, und Dir wird es sein, als ob Du zu den Füßen Gottes säßest. Die Leute sagen, das Kriegsheer des Fürsten sei durch die Tataren vernichtet worden. Ob das richtig ist, weiß ich nicht, aber es kann sein, denn die hochselige Königin hat dies prophezeit. Wenn es wahr ist, wird der Knäs Ritter nötig haben und Dich gerne sehen. Und bleibe nur bei ihm, denn auf der ganzen Welt giebt es keinen besseren Dienst. Verliert ein anderer König eine Schlacht, dann ist's aus mit ihm, aber der Fürst Witold ist so klug und gewandt, daß er nach einer verlorenen Schlacht nur noch mächtiger dasteht. Auch ist er freigebig und ist uns außerordentlich zugethan. Sage ihm alles genau, wie es war. Sage ihm, Du hättest gegen die Tataren mit ihm ausziehen wollen, wärest aber nicht im stande dazu gewesen, weil Du im Gefängnisse saßest. Gott wird geben, daß Du Grund und Boden und daß Du Bauern von ihm bekommst – dann wird er Dich wohl als Ritter gürten und sich beim König für Dich verwenden. Er wäre ein guter Fürsprecher – oder nicht?«
Zbyszko hörte schweigend zu, während Macko, gleichsam von seinen eigenen Worten hingerissen, fortfuhr: »Nein, es ist Dir nicht bestimmt, jetzt schon zu sterben! Du wirst nach Bogdaniec zurückkehren. Und bist Du dort, so mußt Du sogleich ein Weib nehmen, damit unser Geschlecht nicht untergehe. Erst wenn Du Nachkommenschaft hast, magst Du Lichtenstein zum Kampfe herausfordern, doch zuvor hüte Dich Deiner Rache Genüge zu thun, sonst könntest Du irgendwo in Preußen überfallen werden, gerade wie ich. – Nicht mehr zu helfen wußte ich mir – nimm jetzt meinen Rock, meine Kapuze und gehe mit Gott!«
Macko erhob sich bei diesen Worten und stand im Begriffe, sich auszukleiden, doch Zbyszko sprang auf und hinderte ihn daran, indem er sagte: »Das, was Ihr von mir verlangt, thue ich nicht, so wahr mir Gott helfe und das heilige Kreuz!«
»Warum?« fragte Macko voll Verwunderung.
»Weil ich es nicht thue!«
Macko ward bleich vor Erregung und Zorn.
»Wollte Gott, Du wärst nie geboren!«
»Auch dem Kastellan habt Ihr schon gesagt, daß Ihr bereit seid, Euch für mich zu opfern.«
»Woher weißt Du das?«
»Der Herr aus Taczew erzählte es mir.«
»Und was folgt daraus?«
»Was daraus folgt? Hat Euch nicht der Kastellan gesagt, daß dann die Schande auf mich und das ganze Geschlecht fiele? Und würde ich nicht noch mehr Schande auf mich laden, wenn ich von hier entwiche und Euch der Rache des Gesetzes überließe?«
»Welche Rache? Welche Strafe kann mich noch treffen, da ich ohnedies sterben muß? Um Gottes willen nimm doch Vernunft an!«
»Um so weniger kann ich thun, was Ihr wünscht! Möge Gott mich züchtigen, wenn ich Euch jetzt verlasse, da Ihr alt und krank seid. Pfui! der Schande! ...«
Wieder folgte ein tiefes Schweigen. Nichts war zu hören, als die schweren pfeifenden Atemzüge Mackos, sowie die Rufe der Bogenschützen, welche an den Thoren Wache hielten. Draußen senkte sich schon die Nacht hernieder.
»Höre,« begann schließlich Macko mit gebrochener Stimme wieder, »es war keine Schande für den Fürsten Witold, auf diese Weise aus Krewo zu fliehen – es wird auch für Dich keine sein.«
»Ja, seht Ihr,« entgegnete Zbyszko in traurigem Tone, »der Fürst Witold ist ein großer Fürst, er hat die Krone aus der Hand des Königs empfangen, er ist ein reicher Herrscher – ich aber bin nur ein armer Edelmann – ich habe nichts als meine Ehre.«
Und wie von seiner Erregung übermannt, rief er dann aus: »Begreift Ihr denn nicht? Ich liebe Euch so sehr, daß ich Euer Haupt nicht für das meine hingebe.«
Da erhob sich Macko; unsicheren, schwankenden Schrittes ging er mit ausgebreiteten Armen auf Zbyszko zu, und wenn schon die Leute jener Zeit nicht weichherzig, ja, hart wie Stahl waren, rief er plötzlich mit herzzerreißender Stimme: »Zbyszko!« ...
Am folgenden Tage sah man, wie die Gerichtsschergen auf dem Marktplatze die Balken für das Schafott zusammentrugen, welches dem Hauptthore des Rathauses gegenüber errichtet werden sollte.
Die Fürstin aber berief Stanislaw aus Skarbimierz und andere gelehrte Domherren, welche sowohl das geschriebene Recht, wie das übliche Recht inne hatten, zu einer Beratung. Durch einen Ausspruch des Kastellans war sie dazu angeregt worden, hatte dieser doch erklärt, er sei bereit, Zbyszko freizugeben, wenn sich ein Rechtsspruch finden lasse, auf den er sich stützen könne. Lange, bis zum Anbruch des Tages, währte diese Beratung, zu der sich schließlich auch der Priester Stanislaw einfand, obschon er Zbyszko schon zum Tode vorbereitet und ihn mit den Sterbesakramenten versehen hatte.
Die Stunde der Exekution rückte immer näher. Schon am frühen Morgen zog eine große Menschenmenge auf den Markt. Daß der Kopf eines Edelmannes fallen sollte, das erregte die Neugierde noch weit mehr, als wenn es sich um die Hinrichtung eines gewöhnlichen Menschen gehandelt hätte. Zudem herrschte prächtiges Wetter. Das Gerücht von der Jugend und der Schönheit des Verurteilten erregte ganz besonders das Interesse der Frauen. So sah denn auch der Weg, der zu der Burg führte, durch die große Anzahl geputzter Bürgerinnen wie mit Blumen besät aus. An allen Fenstern auf dem Markte, in den Häusern und in den vorspringenden Gewölben sah man Frauenköpfe mit Hauben, mit goldnen und samtnen Stirnbändern geschmückt, sah man junge Mädchen, deren frei herabwallende Haare Rosen und Lilienkränze zierten. Auch die Räte der Stadt fehlten nicht, obwohl sie die Sache ganz und gar nichts anging. Wohl um sich ein gewisses Ansehen zu geben, kamen sie und stellten sich hinter den Rittern, in der nächsten Nähe des Schafottes auf. In voller Zahl hatten sich letztere eingefunden, war es ihnen doch darum zu thun, ihr Mitgefühl für den Jüngling an den Tag zu legen. Immer wieder drängte die Menge vor, welche hauptsächlich aus kleinen Kaufleuten bestand, sowie aus Handwerkern, in den Farben ihrer Zünfte gekleidet. Unzählige junge Burschen und Kinder trieben sich fortwährend unter der Menschenmenge umher, wurden, unerträglichen Fliegen gleich, von den Erwachsenen zurückgestoßen, pflanzten sich aber stets aufs neue auf jedem freien Plätzchen auf. Weit aber über die Häupter all dieser Versammelten ragte das mit neuem Tuch ausgeschlagene Schafott empor. Drei Personen standen darauf. Der Scharfrichter, breitschulterig und Schrecken erregend in seinem roten Gewande mit gleichfarbiger Kapuze, das scharfe, doppelt geschliffene Schwert in der Hand, und seine zwei Gehilfen mit entblößten Armen und Stricken im Gürtel. Zu ihren Füßen standen ein Pflock, sowie ein ebenfalls mit Tuch ausgeschlagener Sarg. Von den Türmen der Marienkirche ertönten die Glocken. Die ganze Stadt erfüllten sie mit ihrem metallnen Klange, Schwärme von Dohlen und Tauben scheuchten sie auf. Abwechselnd schweiften die neugierigen Blicke der Schaulustigen von dem zur Burg führenden Wege zu dem Schafott mit dem Scharfrichter, dessen glänzendes Schwert in der Sonne blinkte, oder zu den Rittern, welche den Bürgern stets großen Respekt, unendliches Interesse einflößten. Diesmal gab es aber auch viel zu sehen, denn die berühmtesten Kämpen umstanden das Gerüst. Man bewunderte die Breite der Schultern und den Ernst von Zawisza, dessen krause Haare lang herabwallten, man bewunderte die stämmige, vierschrötige Gestalt und die krummen Beine von Zindram aus Maszkowice, sowie den riesigen, fast übermenschlichen Wuchs von Paszko Zlodziej aus Biskupice, man staunte das Furcht erregende Antlitz von Wojciech aus Wodzinek ebenso an wie die Schönheit von Dobek aus Olesnica, welcher bei einem Turniere in Thorn über zwölf deutsche Ritter als Sieger hervorgegangen war, man zeigte sich Sygmund aus Bobawa, der sich in gleicher Weise gegen die Ungarn in Koszyce behauptet hatte, man zeigte sich Krzona aus Kozichglow und den in allen Waffenkünsten erfahrenen Lis aus Dargowisko, nicht zu vergessen Staszko aus Charbimowice, welcher zu Fuß ein Pferd einholen konnte. Allgemeines Aufsehen erregte auch Macko aus Bogdaniec, der, bleich wie der Tod, von Florian aus Korytrica und Marcin aus Wrocimowice gestützt ward und für den Vater des Verurteilten galt. Die größte Neugierde erregte jedoch Powala aus Taczew. In der ersten Reihe der Ritter stehend, hielt er auf seinen mächtigen Armen Danusia empor, ganz weiß gekleidet, einen grünen Rautenkranz auf dem hellen Haare. Keines der Umherstehenden konnte begreifen, was das bedeuten, weshalb dies junge Geschöpf die Hinrichtung mit anschauen sollte. Einige erklärten es sich damit, daß dies wohl die Schwester des Verurteilten sei, andere glaubten in ihr die Gebieterin seines Herzens zu sehen. Doch auch diese staunten über die weiße Gewandung, über die Anwesenheit des holden Kindes in nächster Nähe des Schafottes. Wie schön war das kleine Mädchen mit seinem jugendfrischen Antlitz, über dessen Wangen aber jetzt große Thränen rannen. Mitleid und Rührung regten sich in aller Herzen. In der dicht gedrängten Menge fing man über die Halsstarrigkeit des Kastellans, über die Strenge des Gesetzes zu murren an, und dieses Murren wurde immer lauter, immer drohender. Da und dort erhoben sich schon Stimmen, die verlangten, man solle das Blutgerüst niederreißen, dann müsse die Hinrichtung verschoben werden.
Immer lebhafter, immer lärmender wurde es unter der erregt hin und herwogenden Menschenmenge. Die Rede ging von Mund zu Mund, daß wenn der König anwesend wäre, er sicherlich den Jüngling begnadigen würde, der kein Verbrechen begangen habe.
Doch plötzlich trat tiefe Ruhe ein. Laute Rufe verkündigten das Herannahen der Bogenschützen und der königlichen Hellebardiere, von denen der Verurteilte zum Schafott geführt werden sollte. Bald ward auch der Zug auf dem Markte sichtbar. Ihn eröffneten die barmherzigen Brüder, welche schwarze, bis zur Erde wallende Kutten und schwarze Kapuzen mit Ausschnitten für die Augen trugen. Das Erscheinen dieser düsteren Gestalten machte einen solchen Eindruck auf das Volk, daß alles rings umher verstummte. Ihnen folgte eine Abteilung Bogenschützen, auserwählte Litauer, die zur königlichen Leibwache gehörten, mit Wamsen aus ungegerbtem Elentierleder bekleidet. Die Hellebardiere bildeten den Schluß des Zuges. Zwischen dem Gerichtsschreiber, welcher das Urteil verlesen sollte, und dein Geistlichen Stanislaw aus Skarbimierz, der ein Kruzifix in den Händen hielt, schritt Zbyszko. Aller Augen richteten sich auf ihn, aus allen Fenstern beugten sich Frauengestalten weit vor. Zbyszko war angethan mit seiner erbeuteten weißen Jacke, reich mit goldenen Greifen bestickt, reich mit goldenen Fransen geziert, und als ihn die Menge in diesem prächtigen Gewände dahinschreiten sah, dünkte es ihr, sie sehe einen jungen Fürsten oder den Abkömmling eines großen Geschlechtes. Seinem hohen Wuchse, der Breite der Schultern und der Brust, den kräftig ausgebildeten Gliedern nach hätte man ihn für einen reifen Mann halten können, auf dieser Mannesgestalt aber saß der Kopf eines Kindes. Der erste Flaum sproßte auf den Lippen des Jünglings, der einem schönen, königlichen Pagen glich, dessen goldblonde, über der Stirn geradegeschnittene Haare weit über den Nacken herabfielen. Bleichen Antlitzes, aber gleichmäßig, elastisch schritt er dahin. Zuweilen blickte er wie traumverloren auf die Menge, zuweilen erhob er die Augen zu den Kirchtürmen, zu dem Dohlenschwarme und zu den schwingenden Glocken, die ihm die letzte Stunde einläuteten. Zeitweise malte sich auf seinem Gesichte Staunen darüber, daß diese Feierlichkeiten ihm galten, daß die Glocken seinetwegen ertönten, daß die Frauen um seinetwillen schluchzten. Auf dem Markte angelangt, fiel sein Blick auf das Schafott, auf die in Rot gekleidete Gestalt des Scharfrichters. Er zuckte zusammen und machte das Zeichen des Kreuzes, der Geistliche aber reichte ihm das Kruzifix zum Kusse. In diesem Augenblicke fiel ihm ein Strauß Mohnblumen zu Füßen. Zbyszko beugte sich nieder, hob ihn auf und lächelte der Spenderin, einem jungen Mädchen zu, das nun in lautes Weinen ausbrach. Der Jüngling jedoch richtete sich hoch auf. Zweifellos bestrebte er sich angesichts dieser Menschenmenge, angesichts dieser Frauen und Mädchen, welche ihm aus den Fenstern mit ihren Tüchern zuwinkten, mutig in den Tod zu gehen, den Eindruck eines tapfern Ritters zu hinterlassen. Mit einer raschen Bewegung warf er seine Haare zurück, hob das Haupt und schritt stolz wie ein Sieger dahin, dem nach beendigtem Turniere der Preis zuerkannt ist. Nur langsam kam indessen der Zug vorwärts, weil die stets anwachsende Menge den Weg versperrte. Umsonst ließen die litauischen Bogenschützen stets von neuem den Ruf ertönen »Platz, Platz«, die Ermahnung verhallte ungehört, das Gedränge wurde immer dichter. Obwohl die damalige Krakauer Bürgerschaft aus zwei Drittel Deutschen bestand, wurden doch fortwährend wilde Flüche über die Kreuzritter laut. »Eine Schmach ist's, eine Schmach! Die Erde möge diese Kreuzritter verschlingen, denn ihretwegen werden Kinder zum Richtplatze geführt. Schimpflich ist dies für den König, für das ganze Königreich!« Als die Litauer die drohende Haltung des Volkes bemerkten, nahmen sie die straff gespannten Bogen von den Schultern und harrten des Befehles, um auf die Menge zu zielen. Der Hauptmann ließ jedoch die Hellebardiere, die mit ihren Waffen leichter den Weg bahnen konnten, an die Spitze des Zuges treten, der auf diese Weise schließlich Ort und Stelle erreichte. Die das Blutgerüst umstehenden Ritter wichen zurück, ohne Widerstand zu leisten. Schon waren die Hellebardiere bis zu dem Schafotte vorgedrungen, schon wollte Zbyszko mit dem Geistlichen und dem Ratsschreiber das Gerüst ersteigen, da geschah etwas ganz Unerwartetes, der Kreis der Ritter teilte sich, Powala schritt, mit Danusia auf dem Arme hervor, und schrie mit solch donnernder Stimme »Halt«, daß der ganze Zug, wie in die Erde gewurzelt, stille hielt. Weder der Hauptmann, noch einer der Söldner wagte es, diesem edlen, gegürteten Ritter Widerpart zu leisten, der täglich im Schlosse verweilte und gar häufig in vertraulichem Gespräche mit dem König gesehen ward. Schließlich ließen auch andere, nicht minder angesehene Ritter den Ruf »Halt, Halt!« ertönen, der Herr von Taczew aber näherte sich Zbyszko und übergab ihm die liebliche Danusia.
Der Jüngling, mutmaßend, daß dies der Abschied sein sollte, nahm das holde Geschöpf in seine Arme und preßte es an die Brust – Danusia aber schmiegte sich nicht an ihn, umschlang nicht mit ihren Händchen seinen Hals, nein, rasch riß sie von ihren blonden Haaren, unter dem Rautenkranze hervor den weißen Schleier und umhüllte damit fast das ganze Haupt Zbyszkos, indem sie gleichzeitig mit der ganzen Kraft ihrer kindlichen Stimme schluchzend rief: »Mein ist er, mein ist er!«
»Dein ist er!« bestätigten die Ritter in lautem Tone. »Zum Kastellan!« Und von allen Seiten erklang aus der Menge der Ruf: »Zum Kastellan! Zum Kastellan!« Der Beichtvater richtete die Augen gen Himmel, der Ratschreiber wich zur Seite, der Hauptmann und die Hellebardiere senkten die Waffen, sie alle, alle begriffen, um was es sich handelte.
Es existierte eine alte Sitte, mächtig wie das Gesetz, bekannt und verbreitet in Podhale und bei den Krakauern, daß, wenn auf einen zum Tode Verurteilten ein unschuldiges Mädchen ihren Schleier warf, zum Zeichen, daß sie ihn zu ihrem Gatten erkiese, dieser freigegeben werden mußte. Den Gebrauch kannten die Ritter, es kannten ihn die Bauern, es kannten ihn die Polen unter den Städtern – und es wußten auch von ihm die Deutschen, die seit längerer Zeit in den polnischen Burgen und Städten wohnten. Der alte Macko, den die Rührung zu übermannen drohte, die Ritter, die ohne weiteres die Bogenschützen zurückstießen, umringten Zbyszko und Danusia, die bewegte, frohe Menge rief unaufhörlich: »Zum Kastellan, zum Kastellan!« Der Menschenschwarm wälzte sich plötzlich vorwärts gleich einer riesigen Meereswelle. Der Scharfrichter und seine Gehilfen stiegen bald darauf von dem Gerüste herab. Dies steigerte noch die Erregung. Bei allen stand es fest, daß in der Stadt ein drohender Aufruhr ausbrechen werde, wenn Jasko aus Teczyn sich jetzt dem altherkömmlichen, geheiligten Gebrauche widersetzen würde. Gleich einem Lavastrome stürzte sich das Volk auf das Blutgerüst. In einem Nu war alles Tuch abgerissen und in Fetzen umhergestreut. Bretter und Balken vermochten den starken Armen, den Beilschlägen nicht zu widerstehen. Das Gerüst schwankte, krachte, stürzte zusammen, so daß alsbald keine Spur mehr davon auf dem Markte zu sehen war.
Und Zbyszko, noch immer Danusia in den Armen haltend, kehrte zu dem Schlosse zurück – dieses Mal jedoch in der That wie ein siegreicher Triumphator. Denn ihm zur Seite schritten, strahlend vor Freude, die ersten Ritter des Königreiches, vor ihm und hinter ihm hunderte von Frauen, Männern und Kindern, rufend, singend, die Hände gegen Danusia ausstreckend, die Tapferkeit, die Schönheit preisend. An den Fenstern klatschten die reichen Bürgersfrauen mit ihren weißen Händen laut Beifall, in aller Augen glänzten Freudenthränen. Ein wahrer Regen von Rosen- und Lilienkränzen, ein wahrer Regen von Bändern, ja, sogar von vergoldeten Gürteln und netzartigen Hauben fiel zu den Füßen der seligen jungen Menschenkinder nieder. Zbyszko, strahlend wie die Sonne, das Herz überquellend von Dank, hob jeden Augenblick seine weiß gekleidete Herrin empor, zuweilen küßte er leidenschaftlich deren Hände. Und jedesmal bei diesem Anblick wurde die Menge derart gerührt, daß sich gar viele Liebende in die Arme fielen und sich gegenseitig beteuerten, sie würden sich auch befreien, so eines von ihnen zum Tode verurteilt wäre. Wie zwei geliebte Kinder wurden Zbyszko und Danusia von den Rittern, von den Bürgern, überhaupt von der ganzen Menge geleitet. Der alte Macko, der stets von zwei Rittern gestützt ward, kam fast von Sinnen vor Freude und wunderte sich nur darüber, daß ihm das Rettungsmittel für seinen Bruderssohn nicht in den Sinn gekommen war. Powala aus Taczew erzählte inmitten des allgemeinen Lärmes mit seiner mächtigen Stimme den Rittern, wieso man auf dieses Mittel gekommen sei, oder, richtiger gesagt, daß man sich bei der Beratung der Fürstin mit Stanislaw aus Skarbimierz und anderen Kundigen des geschriebenen und des üblichen Rechtes, der alten Sitte erinnert habe. Die Ritter staunten über die Einfachheit des Mittels und versicherten sich gegenseitig, daß gewiß deshalb keiner von ihnen an diesen Gebrauch gedacht habe, weil er in der von vielen Deutschen bewohnten Stadt lange nicht ausgeübt worden war.
Alles hing jedoch von dem Kastellan ab. Die Ritter und das Volk zogen daher weiter zum Schlosse, in welchem in der Abwesenheit des Königs der Krakauer Herr wohnte. Der Gerichtsschreiber, der Priester Stanislaw aus Skarbimierz, Zawisza Farurej, Zindram aus Maszkowice und Powala aus Taczew begaben sich zu ihm, um ihm über den Vorgang zu berichten, um ihn an seinen Ausspruch zu erinnern, er würde ohne weiteres den Verurteilten freisprechen, wenn er diese Handlungsweise durch ein Gesetz oder durch das übliche Recht begründen könne. Jetzt dürfe er Zbyszko begnadigen, erklärten die Bittstellenden, die altherkömmliche Sitte müsse berücksichtigt werden. Der Herr von Taczew antwortete darauf, diese Sitte sei zwar weit mehr für das gemeine Volk oder für die Räuber aus Podhale als für Edelleute geeignet, allein er hege zu viel Achtung vor dem Gesetze, als daß er die Macht der uralten Gebräuche nicht anerkennen sollte. Rasch bedeckte er hierauf mit der Rechten den silberweißen Bart, um das zufriedene Lächeln zu verbergen, das seine Lippen umspielte, und begab sich mit der Fürstin Anna Danuta auf die untere Terrasse. Einige Priester und Ritter folgten ihnen.
Als Zbyszko den Kastellan erblickte, hob er Danusia empor. Der Krakauer Herr legte seine runzlige Hand auf deren goldblondes Köpfchen, ließ sie eine Weile darauf ruhen und neigte dann ernst und voll Güte sein ehrwürdiges Haupt. Die Menge verstand dieses Zeichen. Die Mauern des Schlosses erzitterten von den Rufen: »Gott schütze Dich! Gott gebe Dir ein langes Leben! Du bist ein gerechter Herr! Bleibe uns erhalten und richte uns!« Auch zum Heile Zbyszkos und Danusias erklangen laute Rufe. Die beiden eilten auf die Terrasse und warfen sich zu den Füßen der guten Fürstin Anna Danuta nieder. Ihr verdankte Zbyszko das Leben, denn sie hatte bei der Beratung mit dem Gelehrten den alten Gebrauch zu Sprache gebracht, sie hatte Danusia angewiesen, was sie zu thun habe.
»Es lebe das junge Paar!« rief mit einem Male Powala aus Taczew, auf die Knieenden schauend.
»Es lebe!« ertönte der hundertstimmige Ruf der Menge.
Da wandte sich der ehrwürdige Kastellan zu der Fürstin und sagte: »Jetzt gleich, hochwerte Frau, muß die Verlobung stattfinden, denn so heischt es die Sitte.«
»Gegen die Verlobung habe ich nichts einzuwenden,« antwortete die Fürstin, »allein die Hochzeit darf ohne die Zustimmung des Vaters, Jurand aus Spychow, nicht gefeiert werden.«