Читать книгу Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz - Страница 66
Viertes Kapitel.
ОглавлениеInmitten von Sturm und Regen ritten zwei Reiter der Grenze von Spychow zu: Zygfryd und Tolima. Letzterer geleitete den Deutschen deshalb selbst, weil die Furcht nicht unbegründet war, dieser könnte sonst von den wegelagernden Bauern oder von den Knechten von Spychow aus Haß und Rachgier erschlagen werden. Waffenlos, doch ohne Fesseln zog Zygfryd dahin. Von dem Sturmwinde gejagt, hielt sich das Unwetter stets über den beiden. Dann und wann, wenn ein außergewöhnlich heftiger Donnerschlag erfolgte, bäumten sich die Pferde hoch auf. In tiefem Schweigen ritten der Kreuzritter und Tolima durch ein enges Thal, in dem der Weg häufig so schmal ward, daß die Reiter dicht neben einander, Steigbügel an Steigbügel gedrängt, dahin ziehen mußten. Tolima, der seit Jahren daran gewöhnt war. Gefangene zu geleiten, schaute jeden Augenblick mit wachsamem Auge auf Zygfryd, als ob es sich darum handle, daß der Komtur nicht unerwartet entweiche, und sobald sein Blick auf diesem ruhte, überkam ihn ein Zittern, dünkte ihm dann doch, daß des Kreuzritters Augen in der Dunkelheit funkelten, wie die Augen eines bösen Geistes, eines Vampyrs. Mehr als einmal dachte er daran, das Zeichen des Kreuzes über seinen Begleiter zu machen, doch stets unterließ er es wieder, aus Furcht, jener könne sich dadurch in ein Entsetzen erregendes, heulendes und zähnefletschendes Geschöpf verwandeln. Gleich dem Habichte, welcher sich auf eine ganze Schar Rebhühner herabstürzt, hätte es der alte Krieger jederzeit allein mit einem Haufen Deutscher aufgenommen, vor bösen Geistern aber empfand er eine unbezwingliche Furcht und wollte daher nichts mit ihnen zu thun haben. Am liebsten hätte er deshalb Zygfryd den Weg gewiesen und wäre wieder nach Spychow zurückgekehrt, allein er schämte sich dieses Gedankens, er geleitete den Kreuzritter bis zu der Grenze.
Gerade als sie das Ende des Waldes erreicht hatten, ließ der Sturm etwas nach. Ein seltsamer, gelblicher Schimmer lag über den Wolken, es wurde heller, und Zygfryds Augen verloren ihren früheren stechenden Blick. Jetzt aber trat an Tolima eine neue Versuchung heran. »Man befahl mir,« so sprach er zu sich selbst, »diesen verdammten Hund sicher an die Grenze zu geleiten. Diesen Befehl habe ich erfüllt. Soll aber der Peiniger meines Herrn und dessen Kindes ungestraft ausgehen, soll keine Rache an ihm geübt werden, wäre es nicht eine lobenswerte, eine gottgefällige That, ihn aus der Welt zu schaffen? Ei, könnte ich ihn nicht auf Leben und Tod fordern? Wohl trägt er keine Waffen, allein eine Meile von hier liegt Marcimow, ein altes Hofgut meines Gebieters, wo leicht ein Schwert oder eine Streitaxt zu bekommen sein wird – dann kann ich mit dem Hunde kämpfen! Und wenn mir Gott den Sieg verleiht, werde ich ihm die Kehle durchschneiden und sein Haupt in Mist vergraben!« Von solchen Gedanken erfüllt, warf Tolima gierige Blicke auf den Deutschen, während er die Nasenlöcher in einer Weise zusammenzog, als ob er schon frisches Blut rieche. Einen schweren, harten Kampf mußte er mit sich selbst kämpfen, bis er sich überwunden hatte, bis er sich wieder zu der Erkenntnis durchrang, daß Jurand dem Gefangenen über die Grenze hinaus das Leben und die Freiheit geschenkt habe und daß, wenn er jetzt den Kreuzritter erschlage, nicht nur die fromme That seines Herrn verringert, sondern daß seinem Gebieter auch im Himmel eine kleinere Belohnung zu teil werde. So hielt er denn schließlich sein Pferd an und sagte: »Hier ist unsere Grenze, und Ihr habt nun nicht mehr weit in Eure Heimat. Ihr seid frei, zieht dahin! Wenn Dich das eigene Gewissen nicht verdammt, wenn unser Herrgott Dich nicht durch einen Donnerschlag darniederschmettern läßt, dann ist’s gut, denn von den Menschen hast Du nichts mehr zu fürchten.«
So sprechend, wendete Tolima sein Roß, während Zygfryd ohne ein Wort der Erwiderung, gerade als ob er nichts gehört habe, den Weg fortsetzte und dabei so starr aussah, daß er einem Bilde von Stein glich.
Und weiter und weiter ritt er auf dem allmählich breiter gewordenen Pfade dahin. Die Pause, die in dem Sturme eingetreten war, hielt jedoch nicht lange an, die lichten Wölkchen an dem Firmamente verschwanden bald wieder. Aufs neue wurde es so finster, daß man hätte glauben können, die ganze Welt sei in Dunkelheit gehüllt. Die Wolken wurden schwerer und schwerer und senkten sich nahezu auf den Wald herab. Aus der Höhe aber ertönte ein dumpfes Getöse, das teils wie ein unheilverkündendes Zischen, teils wie das Grollen eines nahenden, von dem Engel des Sturmes mit Gewalt zurückgehaltenen Ungewitters klang. In immer kürzeren Zwischenräumen fuhren zackige Blitze am Himmel dahin, und wenn sie die erschreckte Erde erhellten, dann wurde ein einsamer Reiter sichtbar, welcher den breiten, zwei dichte Wälder trennenden Pfad verfolgte. Von Fieber verzehrt, befand sich Zygfryd nicht mehr recht bei Bewußtsein. Seit Rotgiers Tod fraß ihm ein nagender Kummer am Herzen, die Missethaten, welche er aus Rache begangen, die Gewissensbisse darüber, die entsetzlichen Gesichte, die Seelenqualen hatten seinen Geist seit geraumer Zeit in solcher Weise gestört, daß er nur mit Aufbietung all seiner Kräfte den Wahnsinn von sich fern hielt, ja, daß er zeitweise demselben völlig verfiel. Nun waren auch noch die Beschwerden der unter Hlawas strenger Hand zurückgelegten Reise, die in dem Kerker von Spychow verbrachte Nacht, die Ungewißheit über sein Geschick, vor allem aber jene unerhörte, fast übermenschliche und deshalb ihn geradezu erschreckende That von Barmherzigkeit und Mitleid hinzugekommen – was Wunder also, daß dies zusammen ihn ins tiefste Innere traf? Häufig verwirrten sich seine Gedanken in solchem Maße, daß er nicht mehr wußte, was mit ihm vorging, sobald sich indessen das Fieber steigerte, regte sich in ihm ein unbestimmtes Gefühl von Verzweiflung, das Ahnen einer Gefahr, des vollständigen Unterganges – die Empfindung, daß nun alles vorüber, verloren, zu Ende sei, daß er die ihm gesteckte Grenze erreicht habe, und daß er einem Abgrunde zugetrieben werde, dem er nicht mehr entrinnen konnte.
»Vorwärts, vorwärts!« flüsterte ihm plötzlich eine seltsame Stimme ins Ohr.
Und er blickte umher, und er erschaute den Tod. Der bleiche Knochenmann aber, der auf dem Gerippe eines Pferdes saß, kam, mit den Gebeinen klappernd, dicht zu ihm heran.
»Bist Du es?« fragte der Komtur.
»Ich bin es. Vorwärts! Vorwärts!«
In diesem Augenblick war es Zygfryd, als ob sich ihm auf der andern Seite ein zweiter Gefährte zugesellt habe. Steigbügel an Steigbügel mit ihm ritt irgend ein Wesen, das wohl einen menschenähnlichen Körper aber kein menschliches Gesicht besaß, denn das Geschöpf hatte einen Tierkopf, dessen lange, spitze, aufrechtstehende Ohren mit schwarzen, rauhen Haaren bedeckt waren.
»Wer bist Du?« schrie Zygfryd auf.
Doch der neue Begleiter erteilte keine Antwort, sondern knurrte, die Zähne fletschend, wild und drohend.
Unwillkürlich schloß der Kreuzritter die Augen, da ward abermals ein lautes Geklapper hörbar und eine Stimme rief ihm deutlich zu: »Es ist Zeit, es ist Zeit! Beeile Dich! Vorwärts!« – Und Zygfryd antwortete: »Ich komme!«
Doch diese Antwort entrang sich seiner Brust, als ob sie ihm von jemand anderm eingeflüstert worden sei.
Dann stieg er, wie von einer unbezwinglichen äußeren Gewalt getrieben, von seinem Rosse und nahm diesem den bei den Rittern gebräuchlichen hohen Sattel, sowie die Zügel ab. Seine Begleiter glitten nun auch langsam von ihren Pferden. Sich dicht an seine Fersen haltend, geleiteten sie ihn hierauf von der Mitte des Weges an den Waldessaum. Dort bog der fürchterliche Vampyr einen Ast herab und half dem Komtur die Riemen der Zügel daran zu befestigen.
»Beeile Dich!« flüsterte der Tod.
»Beeile Dich!« flüsterten verschiedene Stimmen aus den Wipfeln der Bäume herab.
Wie in einem Traume befangen, zog Zygfryd den zweiten Riemen durch die Schnalle, machte eine Schlinge und legte dieselbe, sich auf den unter den Bäumen befindlichen Sattel stellend, um seinen Hals.
»Stoße den Sattel hinweg! So ist’s recht! A-a-ah!«
Der mit dem Fuße fortgestoßene Sattel rollte einige Schritt weit – der Körper des unglückseligen Kreuzritters aber hing schwer herab.
Einige Sekunden dünkte es dem Komtur, er höre ein halb ersticktes, heiseres Geheul, ihm schien, jener grauenhafte Vampyr stürze sich auf ihn und reiße mit den Zähnen seine Brust auf, um ihm das Herz zu zerfleischen. Gleich darauf erschauten jedoch seine fast schon gebrochenen Augen etwas ganz anderes: der Tod löste sich gleichsam in eine weiße Wolke auf, die auf ihn zuschwebte, ihn umgab, umfaßte, einhüllte und schließlich all das Schreckenerregende mit einem undurchdringlichen Schleier bedeckte.
Jetzt mit einem Male brach der Sturm mit erneuter Gewalt los. Blitze fuhren darnieder, ein Donnerschlag folgte dem andern, die Bäume des Waldes bogen sich unter dem Wirbelwinde, das Heulen, das Sausen, das Gezische des Unwetters, das Krachen der berstenden Stämme, der geknickten Aeste, all dies Getöse erfüllte den ganzen Wald. Dichte, vom Winde gepeitschte Regengüsse verminderten die Helle noch mehr, und nur wenn ein blutigroter Blitz ausleuchtete, wurde der vom Sturme wild hin und her bewegte Leichnam Zygfryds sichtbar.
– – – – – –
Am nächsten Morgen zog eine namhafte Schar den gleichen Weg entlang. An ihrer Spitze ritt Jagienka mit der Tochter der Sieciechowa und mit dem Böhmen, hinter ihr kamen die Wagen, von vier mit Schwertern und Bogen bewaffneten Knechten bewacht. Selbst ein jeder der Wagenlenker hatte einen Speer und eine Streitaxt neben sich, ganz abgesehen von den eisernen Heugabeln und andern für eine solche Fahrt tauglichen Waffen. Derartige Vorsichtsmaßregeln waren durchaus nötig, sowohl zum Schutze vor wilden Tieren, wie auch zur Verteidigung gegen die Räuberbanden, welche sich beständig an der Grenze des Ordenslandes umhertrieben, ein Unwesen, gegen das Jagiello bei dem Großmeister nicht nur in Briefen, sondern auch bei einer persönlichen Zusammenkunft in Naciaz ernstliche Beschwerde eingelegt hatte.
Mit tüchtigen, wohlausgerüsteten Mannen konnte man indessen getrost der Gefahr trotzen, und so zog denn auch die Schar voll Selbstvertrauen und furchtlos dahin. Nach dem Sturme war ein herrlicher, prächtiger Tag angebrochen, so licht und klar, daß an schattenlosen Stellen die Augen der Reisenden von der glänzenden Helle geblendet wurden. Kein Blatt rührte sich an den Zweigen, auf allen Blättern aber hingen große Regentropfen, die, von der Sonne bestrahlt, in den Regenbogenfarben glitzerten. Auf den Fichtennadeln jedoch glänzten die Tropfen gleich funkelnden Diamanten. Infolge der Regengüsse schossen allenthalben Bächlein hervor, die, in fröhlichem Gemurmel dahinfließend, an den niedrig gelegenen Stellen kleine Seen bildeten. Allein trotz Feuchte und Nässe blickte die ganze Erde lachend dem klaren Morgen entgegen. Von Freude und Lust wird in solchen Stunden auch das Menschenherz ergriffen, und so sangen denn Wagenlenker und Knechte leise vor sich hin, indem sie sich über die Stille wunderten, die unter den vor ihnen Reitenden herrschte.
Und in der That, schweigsam ritten diese weiter, denn schwerer Schmerz bedrückte Jagienka. Eine tiefgreifende Aenderung hatte sich in ihrem Leben vollzogen, eine Saite war zerrissen, und die Maid, der es stets fern gelegen, sich in Betrachtungen zu ergehen und die es sich nicht klar zum Bewußtsein bringen konnte, was in ihr vorging, was sie bewegte, empfand doch, daß alles, was ihr das Leben wert gemacht hatte, auf einen Schlag vernichtet und für immer dahin war, daß jede Hoffnung entschwand, wie der morgendliche Nebel auf den Gefilden entschwindet, daß sie auf alles verzichten, alles aufgeben, alles vergessen und ein neues Leben beginnen müsse. Sie sagte sich, daß, wie sich auch durch Gottes Wille ihre Zukunft gestalten werde, sie doch niemals wieder ein Glück wie in den früheren Zeiten finden könne.
Und ihr Herz krampfte sich zusammen aus unermeßlichem Grame über das verlorene Glück, und heiße Thränen traten ihr in die Augen. Doch um nichts in der Welt wollte sie diesen Thränen freien Lauf lassen, denn neben dem bedrückenden Kummer, der auf ihr lastete, fühlte sie sich auch tief beschämt. Sie hätte jetzt viel darum gegeben, wenn sie in Zgorzelic geblieben wäre, denn kehrte sie jetzt nicht gezwungen aus Spychow zurück? Nicht allein um den drohenden Einfällen von Wilk und Cztan in Zgorzelic Einhalt zu thun, war sie in die Ferne gezogen, nein, über den Hauptgrund hierfür täuschte sie sich nicht. Der gleiche Grund war aber auch für Macko maßgebend gewesen, und sie bezweifelte es keinen Augenblick, daß ihn auch Zbyszko erfahren werde. Heiß brannten ihr die Wangen bei diesem Gedanken, Bitternis erfüllte ihre Seele. »Ich bin nicht stolz genug gewesen,« dachte sie bei sich, »und nun ist mir zu teil geworden, was ich verdiene.« Zu der bangen Angst vor dem, was kommen werde, zu der nagenden Reue über das, was geschehen, gesellte sich nun auch noch das bedrückende Gefühl der Demütigung.
Bald wurde sie indessen aus ihrem grüblerischen Sinnen gerissen, da plötzlich in geringer Entfernung eine Männergestalt auftauchte. Hlawa, der auf alles ein wachsames Auge hatte, spornte sein Roß an und ritt auf den Fremdling zu, in welchem er sofort einen Waldhüter erkannte, an dem Bogen, der jenem über der Schulter hing, an der Tasche aus Dachsfell und an der mit Federn geschmückten Mütze.
»Hei! Wer bist Du? Halt!« rief er jedoch trotzdem, um ganz sicher zu gehen.
Der Angerufene näherte sich rasch. Auf seinem Gesichte spiegelte sich die Erregung eines Menschen, der eine ungewöhnliche Kunde zu überbringen hat.
»Dort, an einem am Wege stehenden Baume,« schrie er, »hängt ein Mann.«
Von dem Gedanken erfüllt, hier könnten Räuber die Hand im Spiele gehabt haben, fragte der Böhme rasch: »Ist es noch weit von hier?«
»Einen Bogenschuß weit – auf diesem Wege.«
»Ist niemand bei ihm?«
»Nein, kein Mensch. Ich scheuchte einen Wolf hinweg, der ihn beschnüffelte.«
Durch diese Antwort fühlte sich Hlawa einigermaßen beruhigt, denn das Erscheinen eines Wolfes bürgte dafür, daß sich weder in der Nähe, noch in einem Hinterhalte Leute befanden. Nunmehr sagte Jagienka:
»Sieh’ was geschehen ist!«
Hlawa sprengte vorwärts, kehrte aber in ganz kurzer Zeit noch rascher zurück.
»Zygfryd ist’s, der dort hängt!« rief er, sein Roß vor Jagienka anhaltend.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Zygfryd? der Kreuzritter?«
»Der Kreuzritter. Er hat sich selbst mit einem Zügel erhängt.«
»Selbst hat er sich erhängt?«
»Allem Anschein nach, denn der Sattel liegt nicht weit von ihm. Wenn Räuber die That vollbracht hätten, würden sie den Komtur einfach getötet und sich des Sattels bemächtigt haben, der von großem Werte ist.«
»Werden wir vorüberkommen?«
»Nein, nein, wir wollen nicht diesen Weg, wir wollen einen andern Weg einschlagen!« ließ sich jetzt die furchtsame Tochter der Sieciechowa vernehmen, »sonst wird es uns schlimm ergehen.«
Jagienka ängstigte sich auch ein wenig, glaubte sie doch fest, daß sich um den Leichnam von Selbstmördern böse Geister ansammelten, allein der verwegene und kühne Hlawa erklärte: »Traun, ich war nicht nur ganz nahe bei ihm, sondern ich habe ihn sogar mit dem Speere berührt, und doch sitzt mir noch kein Teufel auf dem Nacken.«
»Lästere nicht!« rief Jagienka.
»Ich lästere nicht!« entgegnete der Böhme, »allein ich vertraue auf die Macht Gottes. Wenn Ihr Euch übrigens fürchtet, können wir ebensogut einen Umweg machen.«
Anielka stimmte sofort dafür, nach kurzem Nachdenken meinte jedoch Jagienka: »Wahrlich, es ziemt sich nicht, einen Toten unbegraben zu lassen. Wir müssen dies thun als Christen, denn so will es unser Herr Jesus. Zygfryd war doch auch ein Mensch.«
»Bei meiner Treu! Doch zu gleicher Zeit war er auch ein Kreuzritter, ein Henkersknecht, der sich selbst den Tod gegeben hat. Ueberlaßt ihn nur den Wölfen und den Raben.«
»Sprich nicht auf solche Weise. Gott wird ihn seiner Sünden halber richten, wir aber wollen ausführen, was uns zu thun obliegt. Nichts Schlimmes kann uns widerfahren, wenn wir ein frommes Werk verrichten.«
»Wohl, Euer Wille geschehe!« antwortete Hlawa.
Sofort erteilte er hierauf den Knechten die nötigen Befehle, welche indessen nur zögernd und ungern gehorchten. Da sie aber wußten, daß Hlawa keinen Widerstand dulde, griffen sie in Ermanglung von Spaten zu den Heugabeln und Streitäxten, um das Grab zu graben, und gingen schließlich ans Werk. Um ein gutes Beispiel zu geben, schloß sich der Böhme ihnen an, ja, er schnitt mit eigener Hand, nachdem er das Zeichen des Kreuzes gemacht hatte, die Riemen entzwei, an denen der Leichnam hing.
Zygfryds Gesicht war in der Luft ganz bläulich geworden und brachte mit den offenstehenden, starren Augen und mit dem wie zu einem letzten Atemzuge geöffneten Munde einen entsetzlichen Eindruck hervor. Das Grab war rasch gegraben. Mit den Stielen der Heugabeln wurde der Leichnam, das Gesicht nach unten gekehrt, hineingeschoben. Nachdem er mit Erde bedeckt worden war, suchten die Knechte Steine zusammen, weil nach althergebrachter Sitte auf den Gräbern von Selbstmördern Steine aufgehäuft werden mußten, damit jene nicht in der Nacht denselben entsteigen und die Vorüberziehenden belästigen konnten. An Steinen mangelte es aber weder auf dem Wege, noch zwischen dem Moose im Walde, und so türmte sich über dem Kreuzritter in kürzester Zeit ein ansehnlicher Hügel auf. Hlawa schnitt hierauf mit dem Beile ein Kreuz in den Stamm einer Fichte – freilich nicht Zygfryds wegen, sondern um dadurch die Ansammlung böser Geister an dieser Stelle zu verhüten, dann kehrte er zu seiner Herrin zurück.
»Seine Seele ist in der Hölle, seinen Körper birgt die Erde,« sagte er zu Jagienka, »laßt uns nun weiter ziehen.«
Sie setzten ihren Weg fort. Als aber Jagienka an dem Grabhügel vorüberritt, brach sie einen Zweig von dem Fichtenbaume und warf ihn auf die Steine. Unverzüglich ahmten nun all die andern, dem herkömmlichen Gebrauche zufolge, ihrem Beispiele nach.
Dann ritten sie, lange Zeit in tiefes Schweigen versunken, weiter, denn ihre Gedanken weilten noch immer bei dem verruchten Komtur, den endlich die Strafe für all seine Vergehen ereilt hatte. Schließlich hub Jagienka also an: »Gottes Gerechtigkeit wird stets offenbar. Fern sei es daher von uns, das Gebet für die ewige Ruhe des Kreuzritters zu sprechen, denn niemals wird ihm die ewige Ruhe zu teil werde«.«
»Ihr habt ein mitleidiges Herz, befahlt Ihr doch, daß ihm ein Grab bereitet werde,« warf Hlawa ein.
Dann fügte er einigermaßen zaudernd hinzu: »Wißt Ihr, was die Leute behaupten? Nein, eigentlich nicht die Leute, sondern nur die Zauberer und die Hexen – die behaupten, der Besitz eines Riemens oder eines Strickes, mit dem sich ein Mensch erhängt habe, bringe in allem Glück, trotzdem bemächtigte ich mich nicht des Riemens, mit dem Zygfryd die That vollbracht hat, denn nicht durch Zauberkünste, nein, nur durch die Macht des Herrn Jesus werdet Ihr das Glück finden.«
Jagienka antwortete nicht sogleich. Tiefe Seufzer entrangen sich ihrer Brust, bevor sie, jedoch wie zu sich selbst, sagte: »Hinter mir, nicht vor mir liegt das Glück.«