Читать книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen - Henryk Sienkiewicz, Henryk Sienkiewicz, R. Ettlinger - Страница 79

14. Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Das unter Barabasch und Krschetschowski den Dniepr herabschwimmende Heer hatte ebenfalls den Kanonendonner von Kudak vernommen. Es bestand aus sechstausend Linienkosaken und einem Regiment auserlesenen deutschen Fußvolkes unter dem Hauptmann Hans Flick.

Herr Nikolaus Potozki hatte lange geschwankt, ob er die Kosaken dem Chmielnizki entgegenschicken solle oder nicht. Aber da Krschetschowski einen großen Einfluß auf diese hatte, und der Hetman dem Krschetschowski ein grenzenloses Vertrauen schenkte, so nahm er nur den Mannschaften den Fahneneid ab – und ließ sie in Gottes Namen ziehen. Krschetschowski war ein sehr erfahrener Soldat. Die Potozkis hatten ihn immer protegiert; er verdankte ihnen alles, die Erhebung in den Adelsstand, die Hauptmannswürde und sogar seine ausgebreiteten Besitzungen am Dniestr und der Ladawa. Ihn verknüpften so viele Bande mit den Potozkis und der Republik, daß auch nicht ein Schein von Mißtrauen gegen ihn in der Brust des Hetmans aufsteigen konnte. Er war im besten Mannesalter, kaum fünfzig Jahre alt, und im Dienste des Vaterlandes eröffnete sich ihm eine große Zukunft. Einige wollten in ihm einen Nachfolger Stephan Chmielnizkis sehen, welcher vom einfachen Steppenritter bis zum Wojewoden von Kiew und Senator der Republik emporgestiegen war. Nur von Krschetschowski selbst hing es ab, den Weg weiter zu schreiten, auf welchen Mut, Energie und ein unbändiger Stolz ihn geführt. Infolge dieses Stolzes hatte er sich unlängst um die Starostei von Litynia bemüht, und als Herr Korbut ihm dort vorgezogen wurde, vergrub er tief im Herzen die Enttäuschung, war aber vor Ärger und Neid fast krank geworden. Jetzt schien ihm das Schicksal zu lächeln, da er vom Großhetman einen so wichtigen Auftrag bekommen hatte, und sein Name deswegen bis zum Ohre des Königs dringen mußte. Das eine nur wurmte Herrn Krschetschowski, daß er seine hiesigen Funktionen mit Barabasch teilen sollte. Aber diese Teilung war nur nominell. In Wirklichkeit war der alte Tscherkessierhauptmann in der letzten Zeit so gealtert, daß nur sein Leib noch dieser Welt hier angehörte, während der Geist schon in jenen Zustand der Stumpfheit und Teilnahmlosigkeit übergegangen war, welcher dem wirklichen Tode voranzugehen pflegt. Im Anfange der Expedition war er lebendiger geworden, das alte Soldatenblut floß noch einmal reger in ihm, denn er war seinerzeit ein berühmter Ritter gewesen, aber bald nach dem Ausmarsch schläferte ihn der Ruderschlag ein, er vergaß die Welt. Krschetschowski dirigierte alles.

Die Verbindung mit dem Heere zu Lande war, wie gesagt, von Anfang an zerrissen. Krschetschowski klagte, daß die Reiterei zu langsam vorgehe, daß sie beim Übersetzen der Flüsse zu lange verweile, daß der junge Führer keine Erfahrung habe, aber bei alledem trieb er vorwärts. So entfernten sie sich immer mehr voneinander. Endlich hörten sie eines Nachts Kanonendonner. Barabasch schlief und wachte nicht auf. Dafür setzte sich Flick, der etwas voraus war, in ein Boot und begab sich zu Krschetschowski.

»Herr Hauptmann!« sagte er, »das sind die Kanonen von Kudak! Was soll ich tun?«

»Haltet die Fahrzeuge an. Wir bleiben die Nacht über im Rohr.«

»Chmielnizki belagert jedenfalls das Schloß. Meine Ansicht wäre, so schnell als möglich Entsatz zu bringen.«

»Ich habe nicht nach Eurer Meinung gefragt; ich befehle nur, denn ich kommandiere.«

»Herr Hauptmann!«

»Wartet!« sagte Krschetschowski.

Da er sah, daß der energische Deutsche seinen blonden Bart ärgerlich zauste und ihm nicht recht geben wollte, setzte er milder hinzu:

»Der Burgvogt kann mit der Reiterei bis morgen früh hier sein, und über Nacht nehmen sie die Festung nicht.«

»Und wenn er nicht da ist?«

»So werden wir warten, bis er da ist und dauerte es zwei Tage. Ihr kennt Kudak nicht. Sie beißen sich die Zähne an seinen Mauern aus. Ich habe gar kein Recht, ohne den Burgvogt Entsatz zu bringen. Das ist seine Sache!«

Alles Recht schien auf seiten Krschetschowskis, und so drängte auch Flick nicht mehr und ging zu seinen Deutschen. Bald bogen die Fahrzeuge dem rechten Ufer zu und schlüpften zwischen das hohe Rohr, welches fast ein Gewende breit in den ausgetretenen Fluß hineinreichte. Das Klatschen der Ruder verstummte, die Fahrzeuge lagen alle im Versteck, der Fluß war ganz leer. Überall herrschte tiefste Stille.

Auf einmal wurde die Stille durch eigentümliche, aber sehr zahlreiche, aus dem Steppengrase, dem Rohr, dem Kalmusdickicht und dem Buschwerk in der Nähe sich ausbreitende Rufe unterbrochen.

»Pugu! Pugu! ...« rief es.

Jetzt wieder Stille.

»Pugu! Pugu! ...«

Und wieder wurde es still, als warteten die an den Ufern rufenden Stimmen auf Antwort.

Aber es kam keine Antwort. Der Ruf ertönte zum dritten Male, aber schneller und ungeduldiger:

»Pugu! Pugu!«

Jetzt hörte man von der Seite der Kähne her aus dem Nebel heraus, die Stimme Krschetschowskis:

»Wer ist dort?«

»Ein Kosak aus den Sümpfen!«

Den versteckten Mannschaften klopften die Herzen laut und unruhig. Sie kannten jene geheimnisvollen Rufe nur zu gut. In dieser Weise verständigten sich die Saporogen untereinander in ihren Winterquartieren; in eben dieser Weise forderten sie in Kriegszeiten ihre Brüder, die Linien- und angesiedelten Kosaken, unter denen viele im geheimen zu ihrer Brüderschaft gehörten, zu den Waffen.

Die Stimme Krschetschowskis ertönte wieder:

»Was wollt ihr?«

»Bogdan Chmielnizki, der Hetman der Saporogen, tut Euch kund, daß seine Geschütze auf die Bucht gerichtet sind.«

»Sagt dem Hetman, daß die unsrigen dem Ufer zugewendet sind.«

»Pugu! Pugu!«

»Was wollt ihr sonst noch?«

»Bogdan Chmielnizki, der Hetman der Saporogen, bittet seinen Freund, den Herrn Hauptmann Krschetschowski, zu einer Unterredung.«

»Er soll zuvor Geiseln herüberschicken.«

»Zehn Lagerhauptleute sind bereit zu kommen.«

»Einverstanden!«

Im Augenblick waren die Ufer der Bucht wie besäet mit Saporogen, welche in den Gräsern versteckt gelegen hatten. Von ferne aus der Steppe kam ihre Reiterei herbeigezogen, Hunderte von Fahnen, Roßschweifen und anderen Abzeichen tauchten auf. Sie kamen mit Gesang und Paukenschlag daher. Alles das sah eher einem frohen Willkommen ähnlich, als einem Zusammenstoß feindlicher Mächte.

Die Kosaken in den Kähnen antworteten mit Geschrei und Zurufen. Unterdes näherten sich die Boote, welche die Lagerhauptleute brachten. Krschetschowski stieg in eins derselben und fuhr an das Ufer. Dort führte man ihm ein Pferd vor und geleitete ihn sofort zu Chmielnizki.

Chmielnizki entblößte sein Haupt, als er ihn sah, dann begrüßte er ihn herzlich.

»Herr Hauptmann,« sagte er, »alter Freund und Kamerad. Als der Herr Kronenhetman Euch befahl, mich zu fangen und in das Lager abzuliefern, so wolltet Ihr das nicht tun, sondern warntet mich, durch Flucht mich zu retten. Dafür schulde ich Euch Dankbarkeit und Bruderliebe.«

Indem er dies sagte, streckte er ihm artig die Hand entgegen, aber das dunkle Gesicht Krschetschowskis blieb eiskalt.

»Jetzt aber, nachdem Ihr Euch gerettet, Herr Hauptmann, habt Ihr den Aufstand erregt,« sagte er.

»Mit den Privilegien des Königs in der Hand, und mit der Hoffnung, daß unser allergnädigster Herr es mir nicht übelnimmt, gehe ich für mein, Euer und der ganzen Ukraine erlittenes Unrecht Rechenschaft zu fordern.«

»Was wollt Ihr endlich von mir?«

»Reitet mit mir ein wenig in die Steppe, dort können wir uns verständigen.«

Sie gaben den Pferden die Sporen und ritten fort. Etwa eine Stunde blieben sie dort. Nach der Rückkehr war das Gesicht Krschetschowskis bleich und verzerrt; er verabschiedete sich auch bald von Chmielnizki, welcher ihm die Worte mit auf den Weg gab:

»Nur wir zweie werden Herren sein in der Ukraine, über uns nur der König, niemand weiter.«

Krschetschowski kehrte zu den Kähnen zurück. Der alte Barabasch, Flick und die Offiziere erwarteten ihn ungeduldig.

»Was gibt es? Was gibt es?« fragte man von allen Seiten.

»Steigt aus, ans Ufer!« antwortete Krschetschowski mit befehlender Stimme.

Barabasch erhob die schläfrigen Lider; ein eigentümliches Feuer blitzte ihm in den Augen.

»Was soll das heißen?« fragte er.

»Steigt ans Land! Wir ergeben uns.«

Eine Blutwelle stieg in das wachsbleiche Gesicht des Barabasch. Er erhob sich von der Pauke, auf welcher er gesessen hatte, richtete sich hoch auf, und plötzlich verwandelte sich dieser gebeugte, zusammengeschrumpfte Greis in einen Riesen voll Kraft und Leben.

»Verrat!« brüllte er.

»Verrat!« wiederholten Flick, indem er nach dem Griff seines Rapieres langte. Aber ehe er dasselbe noch ziehen konnte, schwang Herr Krschetschowski den Säbel und streckte ihn mit einem Hieb auf die Landungsbrücke hin. Hierauf sprang er aus dem Kahne in ein Boot, welches dicht dabeilag, und von vier Saporogen mit Rudern besetzt war – und rief:

»Zwischen die Kähne!«

Das Boot flog pfeilschnell dahin. Krschetschowski stand mitten darin. Die Mütze auf den blutigen Säbel gestützt, schrie er blitzenden Auges mit mächtiger Stimme:

»Kinder! Wir wollen nicht die Mörder der Unsrigen werden! Es lebe Bogdan Chmielnizki, der Hetman der Saporogen!«

»Er lebe!« wiederholten hundert und tausend Stimmen.

»Tod den Lechen!«

»Tod und Verderben!«

Das Geschrei auf den Kähnen wurde durch Rufe vom Ufer her erwidert. Doch viele der in den entfernter liegenden Kähnen stehenden Leute wußten noch nicht, um was es sich handelte; erst als die Nachricht vom Übergange Krschetschowskis zu den Saporogen überallhin gedrungen war, entstand ein wahrer Freudentaumel unter den Mannschaften. Sechstausend Mützen flogen in die Höhe, aus sechstausend Gewehren knallten Schüsse, die Kähne schwankten unter den Tritten der Krieger, ein ungeheurer Tumult und eine riesige Verwirrung entstand.

Diese Freude jedoch mußte mit Blut begossen werden, denn der alte Barabasch wollte lieber sterben, als Verrat an der Fahne begehen, unter welcher er ein ganzes Menschenalter gedient hatte. Eine Anzahl Tscherkessier stand zu ihm, es entspann sich ein kurzer, aber schrecklicher Kampf, in dem der Barabasch und seine Anhänger mutig das Leben lassen mußten.

Es blieben nur noch die Deutschen übrig, mit welchen schwer fertig zu werden war, da das Regiment aus tausend alten, in verschiedenen Kriegen ausgebildeten Soldaten bestand. Zwar war der wackere Flick von der Hand Krschetschowskis gefallen, aber an der Spitze des Regiments blieb der Unterhauptmann Johann Werner, ein Veteran aus dem Dreißigjährigen Kriege.

Krschetschowski war des Sieges gewiß, denn die deutschen Kähne waren ringsum von Kosaken umgeben; er wollte jedoch diese bedeutende und unvergleichlich gut bewaffnete Heeresabteilung für Chmielnizki gewinnen; deshalb fing er an, mit ihnen zu unterhandeln. Eine Zeitlang schien es auch, als ob Werner darauf einginge; er unterhielt sich ruhig mit Krschetschowski und hörte aufmerksam auf alle Versprechungen, die der ungetreue Hauptmann ihm machte.

Lange stand Werner mit der blanken Klinge in der Hand in der vordersten Reihe, in Gedanken versunken. Endlich erhob er den Kopf:

»Herr Hauptmann!« sagte er, »wir werden einig!«

»Ihr verliert nichts im neuen Dienst,« rief Krschetschowski erfreut.

»Aber unter einer Bedingung ...«

»Ich gehe im voraus darauf ein.«

»Wenn es so ist, dann ist es gut. Unser Dienst in der Republik endet im Juni. Vom Juni ab kommen wir zu Euch.«

Ein Fluch entriß sich dem Munde Krschetschowskis. Er bezähmte jedoch seinen Zorn.

»Ihr scherzt, Herr Hauptmann?« sagte er.

»Nein!« entgegnete Werner phlegmatisch. »Unsere Soldatenehre gebietet uns, den Vertrag zu halten. Der Dienst geht im Juni zu Ende. Wir dienen für Geld, aber wir sind keine Verräter.«

»Was wollt Ihr also?«

»Daß Ihr uns ziehen lasset.«

»Daraus wird nichts, wahnsinniger Mensch!« schrie Krschetschowski. »Ich lasse euch bis auf den letzten Mann niederhauen. Bedenkt Euch, ehe die Sonne über der Bucht zu scheinen aufhört; nachher lasse ich die Hähne spannen!«

Und er eilte hastig mit seinem Boot von dannen, um mit Chmielnizki Rat zu halten. Es folgte eine Pause, eine Zeit der Erwartung. Die Kähne der Kosaken schlossen einen engeren Kreis um die Deutschen, welche eine so kühle Haltung bewahrten, wie sie nur alte und erfahrene Soldaten angesichts der Gefahr an den Tag zu legen vermögen. Sie beantworteten die immer lauter werdenden Drohungen und Schimpfreden der Kosaken mit verächtlichem Schweigen.

Unterdessen hatte die Sonne von ihrer Mittagshöhe sich der Abendseite zugeneigt, die goldenen Strahlen schwanden allmählich, und die Bucht hüllte sich stückweise in Abendschatten.

Zu dieser Zeit erklang der Ton einer Trompete, und gleich darauf wurde die Stimme Krschetschowskis hörbar.

»Die Sonne geht unter! Habt Ihr Euch bedacht?«

»Ich habe es getan!« entgegnete Werner. Und – indem er sich seinen Soldaten zuwandte, gab er mit der blanken Klinge das Zeichen zum Angriff.

»Feuer!« kommandierte er ruhig und phlegmatisch.

Es knallte! Das Geräusch von in das Wasser fallenden Körpern, hitziges Gewehrfeuer und Wutgeschrei antwortete den deutschen Musketen. Die an das Ufer geschleppten Kanonen ließen ihren Baß hören und schickten einen Kugelregen auf die deutschen Kähne. Der Rauch hüllte die Bucht ganz ein. Man konnte nur an den regelmäßigen Musketensalven, welche dieses Getöse und Geschrei, das Zischen der tatarischen Pfeile und Geknatter der Gewehre übertönten, erkennen, daß die Deutschen sich noch verteidigten. Mit Sonnenuntergang dauerte die Schlacht noch fort, aber der Widerstand schien immer schwächer zu werden. Die Schüsse wurden seltener; dafür schallten laute Triumphschreie der Kosaken wieder.

»Tuhaj-Bey!« sagte Chmielnizki, »das ist der erste siegreiche Tag.«

»Es gibt keine Gefangenen!« erwiderte der Mohr barsch, »ich mag solche Siege nicht!«

»Du bekommst sie in der Ukraine. Ganz Stambul und Galati sollst du mit deinen Sklaven bevölkern.«

»Wenn es keine anderen Gefangenen geben sollte, so nehme ich dich!«

Bei diesen Worten lachte der wilde Tuhaj unheimlich. Nach einer Weile setzte er hinzu: »Ich hätte doch gern diese »Franken« in die Sklaverei geführt.«

Jetzt war die Schlacht zu Ende. Tuhaj-Bey wandte sein Pferd dem Lager zu, die anderen folgten ihm.

»Nun auf nach den »Gelben Wassern«!« rief Chmielnizki.

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