Читать книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen - Henryk Sienkiewicz, Henryk Sienkiewicz, R. Ettlinger - Страница 86

5. Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Der Fürst-Wojewode von Ruthenen hatte, noch ehe er Skrzetuski auf den Trümmern von Roslogi sitzend gefunden, die Niederlage von Korsun erfahren, denn Herr Polanowski, ein Kriegskamerad des Fürsten, hatte ihm von Sabotyn her die Nachricht gebracht. Vorher hatte sich der Fürst in Prschyluk aufgehalten und von dort aus Herrn Boguslaw Maskiewitsch mit einem Briefe an die Hetmane gesandt, in dem er anfragte, wo er mit seiner ganzen Heeresmacht Aufstellung nehmen solle. Als jedoch Maskiewitsch lange Zeit nicht mit der Antwort heimkehrte, rückte der Fürst gegen Perejeslaw vor und schickte nach allen Seiten Vorposten und Befehle aus, die Regimenter, welche noch hier und da im Dnieprlande zerstreut lagen, so schnell wie möglich in Lubnie zusammenzuziehen.

Da trafen Nachrichten ein, daß etliche Kosaken-Fähnlein, die an den Grenzen in den Feldwarten gegen die Tataren lagen, sich zerstreut haben oder zu den Empörern übergegangen sein sollten. So sah also der Fürst seine Streitkräfte plötzlich vermindert, und er grämte sich darüber sehr, denn er hatte es nicht für möglich gehalten, daß dieselben Menschen, die er so oft schon zum Siege geführt, ihn je verlassen könnten. Doch verheimlichte er nach dem Zusammentreffen mit Herrn Polanowski und nachdem er die Nachricht von der unerhörten Niederlage erhalten hatte, diese Kunde vor dem Heere und zog vorwärts dem Dniepr zu in der Absicht, blindlings mitten in den Sturm und die Empörung hineinzutreten, und entweder die Niederlage zu rächen, die Schmach der Heere wieder gut zu machen oder sein eigenes Blut zu vergießen. Er glaubte überdies, daß ein kleiner Teil und vielleicht auch eine beträchtliche Anzahl des Kronheeres der Niederlage entgangen sein müsse, und wenn diese seine sechstausend Mann zählende Division verstärkten, konnte er sich in der Hoffnung auf Sieg mit Chmielnizki messen.

Sobald er daher in Perejeslaw angekommen war, trug der Fürst dem kleinen Wolydyjowski und Kuschel auf, ihre Dragoner nach allen Seiten hin auszuschicken, nach Tscherkassy, Moschna, Sokirna, Butschaz, Staiki, bis nach Trechtymirow, um alle Kähne und Prahme heranzubringen, die sich in der Gegend finden ließen. Dann sollte das Heer von dem linken Ufer nach Ryschtschow übersetzen.

Die ausgesandten Boten erfuhren von den hier und da angetroffenen Flüchtlingen die Niederlage, fanden aber in allen jenen Orten auch nicht einen Kahn, denn, wie schon erwähnt, hatte der Großkronshetman die eine Hälfte längst für Krschywonos und Barabasch genommen, den Rest hatte der empörte Pöbel vom rechten Ufer aus Furcht vor dem Fürsten vernichtet. Dennoch gelangte Wolodyjowski mit zehn Mann ans rechte Ufer auf einem Floß, das er in der Eile aus Baumstämmen hatte zusammenschlagen lassen. Dort griff er einige Kosaken auf, die er dem Fürsten einbrachte. Von ihnen erfuhr der Fürst von der ungeheuren Ausbreitung des Aufstandes, und von den fürchterlichen Früchten, welche die Niederlage bei Korsun schon getragen hatte. Die ganze Ukraine bis auf den letzten Mann war aufgestanden, die Empörung ergoß sich wie eine Flut über das Land, die über die Ebene hinströmend immer größere Flächen überschwemmt. Der Adel verteidigte sich in seinen Schlössern und Schlößchen, aber viele von ihnen waren bereits in den Händen der Rebellen.

Chmielnizkis Macht wuchs mit jeder Stunde. Die aufgegriffenen Kosaken gaben die Zahl seines Heeres schon auf zweimalhunderttausend Mann an, und in wenigen Tagen konnte sich die Macht leicht verdoppeln, darum blieb er nach der Schlacht noch in Korsun und nützte die Zeit der Ruhe aus, um das Volk in seine zahlreichen Heerscharen einzureihen. Er teilte die Masse in Regimenter, machte die Attamane und die kriegserfahrenen Esauls der Saporogen zu Hauptleuten – schickte Vorposten oder ganze Divisionen zur Erstürmung der näher gelegenen Schlösser aus. Fürst Jeremias erwog das alles und sah ein, daß man bei dem Mangel an Kähnen, deren Herstellung für sechstausend Mann einige Wochen Zeit brauchen würde, und bei der über alles Maß hinausgewachsenen Macht des Feindes in keiner Weise in der Gegend, in der er sich gegenwärtig befand, würde über den Dniepr setzen können. Im Kriegsrate waren: Polanowski, der Hauptmann Baranowski, der Wachtmann Alexander Baranowski, Wolodyjowski und Wurzel der Ansicht, man müsse nach Norden gen Tschernigow rücken, das hinter öden Wäldern lag, von dort über Lubetz gehen und hier erst nach Brahin übersetzen. Es war dies ein langer und gefahrvoller Weg, denn hinter den Wäldern von Tschernigow lagen auf Brahin zu unermeßliche Sümpfe, welche kaum von den Fußsoldaten überschritten werden konnten, geschweige denn von der schweren Reiterei, den Wagen und der Artillerie. Dem Fürsten aber gefiel der Rat, er wollte nur noch einmal vor dem Beginn dieses Marsches, der lang und, wie er vermutete, nicht wieder zurückzumachen war, sich von Zeit zu Zeit in seinem Dnieprlande zeigen, um den Ausbruch der Empörung noch niederzuhalten, den Adel unter seinen Fittichen zu vereinigen, Schrecken zu verbreiten und die Erinnerung an den Schrecken im Volke zurückzulassen; er allein sollte in Abwesenheit des Herrn der Wächter des Landes und der Beschützer aller derjenigen sein, die nicht mit dem Heere ziehen konnten. Außerdem waren die Fürstin Grisildis, die Fräuleins Sbaraski, die Hofdamen, der ganze Hof und besonders einige Regimenter Fußvolk, noch in Lubnie. Der Fürst beschloß also, zu einem letzten Abschied nach Lubnie zu gehen.

Noch an demselben Tage rückten die Heere, an der Spitze Wolodyjowski mit seinen Dragonern, die, obwohl ausnahmslos Ruthenen, doch in feste Disziplin genommen und in reguläre Truppen verwandelt, fast alle anderen Fähnlein an Treue übertrafen, aus. Das Land war noch ruhig, hier und da hatten sich Banden von Strolchen gebildet, welche Herrenhöfe und Bauern beraubten. Von ihnen wurde auf dem Marsche eine beträchtliche Anzahl aufgegriffen und an Pfähle geschlagen. Aber die Bauern hatten sich nirgends erhoben. Das fürstliche Heer zog gerade durch Nieporent, der Fürst selbst aber hatte in Philippowka Halt gemacht, um auszuruhen, als man ihm ankündigte, es seien Boten Chmielnizkis mit einem Briefe da und bäten um Audienz. Der Fürst befahl, sie sofort vorzulassen. Es traten dann sechs Saporogen in das Haus des Vizestarosten, in welchem der Fürst wohnte.

Der Brief war voll Unterwürfigkeit geschrieben. In Chmielnizki hatte trotz Korsun der Fuchs über den Löwen, die Schlange über den Adler gesiegt, denn er vergaß, nicht, daß er an Wischniowiezki schrieb. Er tat freundlich, vielleicht nur, um den Gegner zu täuschen und dann desto leichter zu beißen, er heuchelte. Er schrieb: was geschehen, sei durch die Schuld Tschaplinskis geschehen, auch daß, wenn die Hetmane von der Veränderlichkeit des Geschickes betroffen, dies nicht seine, Chmielnizkis Schuld, sondern die Schuld des Mißgeschickes und der Bedrückungen sei, welche die Kosaken in der Ukraine erduldeten. Er bitte jedoch den Fürsten, darum nicht zu zürnen und ihm gütigst zu verzeihen, wofür er stets der gefügige Diener des Fürsten sein wolle; um aber die Gunst des Fürsten für seine Boten zu erlangen und sie vor der Grausamkeit des fürstlichen Zornes zu schützen, kündige er an, daß er den Ritter Skrzetuski, welcher in der Sitsch gefangen worden sei, lebendig herausgeben wolle.

Hier folgten laute Klagen über Skrzetuskis Stolz, der die Briefe von Chmielnizki an den Fürsten nicht habe mitnehmen wollen, wodurch er Chmielnizkis Hauptmannswürde und des ganzen saporogischen Heeres Stolz aufs höchste verletzt habe. Diesem Stolz und der Mißachtung, welcher die Kosaken beständig bei den Lechen begegneten, schrieb Chmielnizki alles zu, was geschehen sei, von den Gelben Wassern angefangen bis nach Korsun. Übrigens schloß der Brief mit den Versicherungen des Bedauerns und der Treue für die Republik und seiner Ergebenheit in den Willen des Fürsten.

Als Maskiewitsch fertig war, befahl der Fürst Wolodyjowski nur, die Boten fortzubringen und unter Bewachung zu halten, dann wandte er sich an die Hauptleute:

»Die Schlauheit dieses Feindes ist groß,« sprach er. »Entweder will Chmielnizki mich mit diesem Briefe in Sicherheit wiegen, um mich plötzlich unvorbereitet zu überfallen, oder mich mitten in die Republik hineinlocken, mit den leichtgläubigen Ständen einen Vertrag schließen, die Verzeihung des Königs erlangen und sich so seine Stellung sichern. Denn – wollte ich ihn dann noch bekriegen, so würde nicht er, sondern ich gegen die Republik handeln und für einen Rebellen gelten.«

Wurzel griff sich an die Stirn.

» O vulpes astutae!!«

»Was also ratet ihr, werte Herren?« fragte der Fürst. »Sprecht frei, dann will ich euch meinen Willen ankündigen.«

Der alte Sazwilichowski, der schon lange Tschechryn verlassen und sich mit dem Fürsten verbunden hatte, sagte:

»Es geschehe nach Eurem fürstlichen Willen, aber wenn ich raten darf, so sage ich: Eure Hoheit hat mit gewohntem Scharfsinn Chmielnizkis heimtückische Absichten erraten, denn das sind sie, nichts anderes; ich meine daher, daß wir seinen Brief nicht berücksichtigen, sondern die Fürstin zunächst in Sicherheit bringen, den Dniepr überschreiten und den Krieg beginnen, ehe Chmielnizki irgend welchen Vertrag abschließt; es wäre eine Schmach und eine Ehrlosigkeit für die Republik, wenn sie solche Insulten ungestraft wollte hingehen lassen. Im übrigen (hier wandte er sich an die Hauptleute) halte ich meine Ansicht nicht für unfehlbar und harre der euren.«

Der Lagerwachtmann Alexander Samojski schlug an sein Schwert und sprach:

»Herr Fähnrich, die senectus spricht aus Euch und die sapientia. Man muß dieser Hydra den Kopf zertreten, ehe sie groß wird und uns auffrißt.«

»Amen!« sagte der Priester Muchowiezki.

Die anderen Hauptleute sprachen nicht, sie folgten dem Beispiel des Wachmanns, schlugen an die Schwerter und knirschten mit den Zähnen – Wurzel aber nahm das Wort und sprach:

»Mein Fürst, es ist eine Nichtachtung des Namens Eurer Fürstlichen Hoheit, daß dieser Schurke an Eure Fürstliche Hoheit zu schreiben gewagt hat, denn ein Lagerattaman trägt in sich eine von der Republik bestätigte und anerkannte Präminenz, ja selbst die Lagerführer können sich dessen rühmen. Aber er hat sich selbst zum Hetman gemacht und kann nicht anders betrachtet werden, denn als ein Räuber, und darum hat Skrzetuski löblich gehandelt, als er seine Briefe an Eure Fürstliche Hoheit nicht übernehmen wollte.«

»So denke auch ich,« sagte der Fürst, »und da ich ihn selbst nicht erreichen kann, so soll er in der Person seiner Boten bestraft werden.«

Bei diesen Worten wandte er sich an den Hauptmann des tatarischen Leibfähnleins:

»Herr Wierschul, gebt euren Tataren den Befehl, diese Kosaken zu töten, für den Führer aber einen Pfahl zuzuschneiden und ihn unverzüglich aufzupflanzen. Ich sehe,« sprach der Fürst weiter, sich an die Hauptleute wendend, »daß ihr alle eure Stimme für den Krieg erhebt; dies ist auch mein Wille. Wir ziehen also nach Tschernigow, nehmen den Adel unterwegs mit, setzen bei Brahin über den Fluß und ziehen dann gegen Süden. Jetzt auf nach Lubnie!«

»So helfe uns Gott,« sagten die Hauptleute.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür, und Rostworowski, der Führer des walachischen Fähnleins, der vor zwei Tagen mit dreihundert Reitern auf Vorposten ausgeschickt worden war, erschien.

»Mein Fürst,« rief er, »die Empörung wächst! Roslogi ist verbrannt, in Wassilowka ist die Besatzung bis auf den letzten Mann niedergehauen!«

»Wie? Was? Wo?« fragte man von allen Seiten.

Aber der Fürst winkte mit der Hand und fragte selbst:

»Wer hat das getan? Waren es Banditen oder Soldaten?«

»Man sagt, es war Bohun.«

»Bohun?«

»So ist's.«

»Wann ist das geschehen?«

»Vor drei Tagen.«

»Habt Ihr seine Spuren verfolgt? Habt Ihr ihn eingeholt? Habt Ihr Nachrichten erlangt?«

»Ich habe seine Spur verfolgt, erreichen konnte ich ihn nicht, denn nach drei Tagen war es zu spät. Nachrichten habe ich unterwegs eingezogen: sie sind nach Tschechryn zurückgeflohen, und dort haben sie sich geteilt, die eine Hälfte ging auf Tscherkassy zu, die andere auf Slotonosch und Prohorowka.«

Plötzlich griff der Fürst sich an den Kopf.

»Allmächtiger Gott!« rief «r, »ich erinnere mich, was mir Skrzetuski erzählt hat, daß Bohun der Unschuld, der jungen Kurzewitsch, nachstellt; jetzt begreife ich, warum Roslogi niedergebrannt ist, das Mädchen muß entführt sein; her, Wolodyjowski, kommt her, nehmt fünfhundert Reiter und zieht noch einmal nach Tscherkassy; Bychowiez soll mit fünfhundert Walachen über Slotonosch nach Prohorowka gehen. Schont mir die Pferde nicht; wer mir das Mädchen befreit, soll Jeremiowka als Leibgedinge haben. Nun eilt, eilt!!«

Dann sagte er zu den Hauptleuten:

»Und wir, Herren, gehen über Roslogi nach Lubnie!«

Die Hauptleute verließen eilig das Haus des Vizestarosten und stürzten zu ihren Fähnlein. Die Freiwilligen stiegen schleunigst zu Rosse – man führte dem Fürsten seinen braunen Hengst vor, den er gewöhnlich auf Märschen ritt. Nach wenigen Minuten rückten die Fähnlein ab und zogen sich wie eine lange, bunte, glänzende Schlange über die Heerstraße von Philippowka.

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