Читать книгу Sintflut - Henryk Sienkiewicz, Henryk Sienkiewicz, R. Ettlinger - Страница 11
7. Kapitel
ОглавлениеPan Wolodyjowski, der berühmte Soldat, wohnte noch immer in Pacunele bei Pakosz Gasztowt. Man überhäufte den jungen Oberst von allen Seiten mit Beweisen der größten Achtung. Man sandte ihm Fische, Wild, Pilze, Heu für seine Pferde, Teer für seine Wagen, kurz alles, was er irgend brauchen konnte, damit es ihm und seiner Dienerschaft an nichts fehle.
Nach Kmicic' Niederlage und Flucht faßte die in Wolodyjowski vernarrte Laudaer Schlachta den Plan, ihn mit Alexandra zu vermählen. Die älteren Herren fuhren daher zu Wolodyjowski, der, ohne viel zu überlegen, sich mit allem einverstanden erklärte. Dann teilten sie auch Alexandra ihren Beschluß mit, die ihrerseits, ohne zu überlegen, mit nichts einverstanden war.
»Über Lubicz konnte nur der Verstorbene verfügen,« erklärte sie, »und das Gut kann dem Pan Kmicic nur auf Gerichtsbeschluß weggenommen werden. Was meine Verheiratung betrifft, so bitte ich Sie, davon überhaupt nicht zu reden. Ich habe jetzt zu viel Kummer, als daß ich an Ähnliches denken mag. Jenen habe ich aus meinem Herzen verbannt, und einen anderen, wer es auch sein mag, bringt nicht her zu mir: Ich werde ihn nicht heiraten.«
Bei dieser entschlossenen Ablehnung war nichts zu machen, und traurig kehrten die Edelleute zurück. Pan Wolodyjowski war nur wenig betrübt bei dieser Nachricht, und die drei jüngeren Töchter Gasztowts gar nicht. Es waren dies große, kräftige, breitschulterige Mädchen mit frischen Farben und blondem Flachshaar. Der Organist aus Mitruni hatte sie das Lesen und Singen von Kirchenliedern gelehrt; die älteste spielte sogar die Laute.
An den langen Winterabenden pflegte Pan Wolodyjowski mit den drei Töchtern Gasztowts am Kamin zusammen zu sitzen. Die Mädchen spannen oder schleißten Federn, und Wolodyjowski erzählte ihnen von den Kriegen, an denen er teilgenommen, und von den Wunderdingen, die er in den Schlössern der Magnaten gesehen hatte.
Einmal, als Pan Michail Wolodyjowski sich über die Schönheiten des königlichen Schlosses zu Warschau verbreitete, vernahm man im Flur heftigen Lärm.
»He! Um Gottes willen! Öffnet schnell!« schrie eine verzweifelte Stimme.
Die Mädchen erschraken sehr, Pan Wolodyjowski lief seinen Säbel zu holen, kehrte aber um, als in die Tür ein unbekannter Mann eintrat.
»Helfen Sie uns, Pan Oberst! – Die Panna hat man entführt.«
»Welche Panna?«
»Die Panna in Wodokty.«
»Kmicic?« fragte Pan Wolodyjowski.
»Ja, Kmicic.«
»Und wer bist du denn?«
»Der Verwalter aus Wodokty.«
»Wir kennen ihn,« sagten die Mädchen. »Er hat immer für Sie Theriak gebracht!«
In diesem Augenblicke erschien Gasztowt und zwei Diener Wolodyjowskis, die der Lärm herbeigeführt hatte.
»Sattelt mein Pferd!« befahl Wolodyjowski. »Einer von euch fährt gleich zu den Butryms.«
»Bei den Butryms war ich schon,« sagte der Verwalter.
»Wann hat man die Panna geraubt?«
»Eben jetzt. – Man metzelt noch die Dienerschaft dort nieder. – Ich bin mit Mühe und Not entkommen.«
Der alte Gasztowt rieb sich die Augen.
»Was? Die Panna hat man geraubt?«
»Ja, Kmicic hat es getan!« sagte Pan Michail. »Wir müssen schnell zu Hilfe eilen!« und er wandte sich zum Verwalter: »Fahr zu den Domaszewicz'. Sie möchten mit den Gewehren kommen.«
»He, ihr Ziegen,« rief plötzlich der alte Gasztowt seinen Töchtern zu, »geht schnell ins Dorf, die Schlachta zu wecken. Kmicic hat die Panna geraubt! – Ach, dieser Raubmörder, dieser Windhund!«
»Gehen wir lieber,« sagte Wolodyjowski. »Es wird schneller gehen; die Pferde sind schon gesattelt.«
Einige Minuten später waren sie schon zu Pferde, sie ritten vor die Häuser des Dorfes und klopften und schrien:
»An die Waffen! An die Waffen! Die Panna aus Wodokty hat man entführt! Kmicic ist in der Nähe!«
Bald waren alle die Edelleute beisammen. Teils zu Pferde, teils zu Fuß, bewaffnet mit Säbeln, Lanzen, Jagdspießen und eisernen Heugabeln zogen sie nach Wolmontowicze, wo sie sich mit den Butryms und Domaszewicz' trafen.
»Habt ihr was Neues erfahren?« fragte Pan Wolodyiowski.
»Er hat sie nach Lubicz entführt.«
»Nach Lubicz?!« wunderte sich Wolodyjowski. »Denkt er sich dort verteidigen zu können? Lubicz ist doch keine Festung!«
»Er vertraut seiner Kraft. Zweihundert Mann hat er wieder um sich gesammelt. Und Wagen und Pferde – gute Pferde hat er mit sich; wird wohl aus Lubicz Proviant holen wollen. Auch scheint er nicht zu ahnen, daß wir aus dem Feldzuge zurück sind; das ist sehr gut für uns.«
»Habt ihr genügend Gewehre bei euch?« fragte Pan Wolodyjowski.
»Wir Butryms haben dreißig und die Domaszewicz' sechzig Gewehre mit.«
»Gut! Fünfzig Gewehre gehen die Sümpfe zu überwachen; die anderen folgen mir. Vergeßt die Äxte nicht!«
Die kleinere Gruppe mit Juzwa Butrym an der Spitze setzte sich nach der Richtung der Sümpfe zu in Bewegung. Pan Wolodyjowski zog mit seinen Soldaten nach Lubicz. Sein Herz hüpfte vor Vergnügen, als er so viele geübte Landwehrkämpfer unter seinen Kameraden fand. Man erzählte sich, daß Kmicic vor der Ausführung seines Anschlages als Bettler verkleidete Spione nach Wodokty geschickt hätte, daß unter seinen Soldaten Kosaken wären, die früher wahrscheinlich dem Heere Chowanskis angehört hatten.
Kmicic hatte wirklich bei seinem verwegenen Plan nicht bedacht oder auch nicht gewußt, daß viele Edelleute soeben vom Kriegsschauplatz zurückgekehrt waren. Er hatte die Dörfer und Gehöfte noch so verlassen und leer geglaubt wie früher, während ihm Pan Wolodyjowski jetzt mit dreihundert kriegsgeübten Männern entgegenziehen konnte.
In Lubicz waren alle Fenster hell erleuchtet. Im Hofe wimmelte es von bewaffneten Leuten; aber nirgend hatte man einen Wachtposten aufgestellt. Überall auf dem Hofe herrschte eine fürchterliche Unordnung. Leute mit Fackeln gingen zum Hause aus und ein, Sachen wurden in Wagen verpackt. Befehle kreuzten sich hin und her.
Wolodyjowski befahl seinen Leuten abzusteigen und den Hof zu umzingeln. Er selbst mit seiner Hauptmacht näherte sich dem Hoftor.
»Das Kommando abwarten! Nicht ohne Befehl schießen,« sagte er leise.
Plötzlich bemerkte man im Hofe die Angekommenen.
»Wer da?« erschollen drohende Rufe.
»Schießt!« befahl Pan Wolodyjowski.
Es erfolgte eine Salve, aber noch bevor der Pulverdampf sich zerstreute, kommandierte Pan Wolodyjowski:
»Laufschritt! Marsch, marsch!«
»Mord und Totschlag!« schrien die Laudaer, sich wie eine Lawine vorwärtsschiebend.
Die Kosaken antworteten ihnen mit Schüssen, sie hatten aber keine Zeit zum zweitenmal zu laden. Die Tore hielten den Sturm der Schlachta nicht aus, und auf dem Hofe, inmitten der Wagen, Pferde, Gepäckstücke entbrannte ein furchtbarer Kampf. Kmicic' Soldaten verteidigten sich tapfer, und aus den Fenstern des Herrenhauses wurde auch mehrmals geschossen. Dann aber erloschen plötzlich die Fackeln. Die Dunkelheit erschwerte den Angreifern das Vordringen. Schließlich aber wurden die Kosaken bis zu dem Wohnhaus und zu den Ställen zurückgedrängt. Die Edelleute triumphierten.
Nun begann das Feuern aus den Fenstern von neuem. Aus allen Fenstern sahen Mündungen von Musketen heraus, die einen gewaltigen Kugelregen entsandten.
»Stürmt die Türen!« befahl Pan Wolodyjowski.
Die Türen waren jedoch aus äußerst starkem Eichenholz, und wie besät mit eisernen Nägeln beschlagen, an denen die Äxte sich abstumpften. Nach einer Stunde angestrengtester Arbeit fielen endlich mehrere Planken heraus, durch diese Öffnung wurde von innen sofort mit Musketen gefeuert. Zwei Butryms fielen mit durchschossener Brust zur Erde. Die anderen fuhren fort, mit der größten Erbitterung die Türen zu bearbeiten. Inzwischen kam auch eine neue Gruppe bewaffneter Bauern aus Wodokty an.
Die Ankunft dieser Hilfstruppen beunruhigte augenscheinlich die Belagerten. Hinter der Tür erscholl eine laute Stimme:
»Halt! Schlagt nicht weiter! Hört! – Halt doch zum Teufel! – Laßt uns unterhandeln!«
Wolodyjowski befahl mit der Arbeit einzuhalten.
»Wer spricht da?« fragte er.
»Kmicic, der Bannerträger von Orsza. Und mit wem rede ich?«
»Oberst Michail Wolodyjowski.«
»Ich begrüße Sie.«
»Hier ist jetzt keine Zeit zu Begrüßungen. – Was wollen Sie?«
»Das will ich Sie fragen. – Was wollen Sie? Sie kennen mich nicht, ich kenne Sie nicht. – Warum also überfallen Sie mich?«
»Verräter!« schrie Pan Michail, »mit mir sind die Laudaer Edelleute gekommen, um mit Ihnen abzurechnen: Ihren verräterischen Überfall, das unschuldig vergossene Blut, die Entführung des Fräuleins aus Wodokty.«
Es entstand eine Pause.
»Sie würden mich nicht noch einmal Verräter heißen,« sagte schließlich Kmicic, »wenn uns nicht diese Tür trennte.«
»So öffnen Sie doch! – Ich verbiete Ihnen das nicht!«
»Vorher wird noch mehr als ein Laudaer Hund fallen. Lebend sollt Ihr mich nicht fangen!«
»Dann werden wir Sie krepiert herausschleppen! Das kommt alles auf eins 'raus!«
»Hört mal, und gebt acht auf das, was ich Euch sage. Wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, so sprenge ich dies Haus und alles, was drinnen ist, in die Luft. Das schwöre ich bei Gott! – Jetzt könnt Ihr kommen, mich holen!«
Es entstand eine längere Pause. Vergebens suchte Pan Wolodyjowski eine Antwort. Die bestürzte Schlachta sah sich einander an. In Kmicic' Worten lag so viel wilde Energie, daß niemand an ihnen zweifelte. Ein Funke, und Panna Alexandra ist verloren! – –
Plötzlich kam Pan Wolodyjowski ein glücklicher Gedanke.
»Es gibt ein anderes Mittel,« rief er. »Komm heraus, Verräter, wir wollen uns auf Säbel schlagen. – Tötest du mich, so kannst du frei abziehen.«
Einige Minuten kam keine Antwort. Die Herzen der Laudaleute schlugen unruhig. »Auf Säbel?« fragte endlich Kmicic. »Ist denn das möglich?«
»Wenn Sie kein Feigling sind, so ist es möglich!«
»Ihr Ritterwort, daß ich ungehindert abziehen kann?«
»Mein Ritterwort.«
»Das darf nicht sein!« hörte man aus der Mitte der Butryms.
»Still doch! zu tausend Teufeln!« donnerte Pan Wolodyjowski. »Soll er sich und euch in die Luft sprengen?«
Die Butryms wurden still.
»Nun, wie ist es?« fragte höhnisch Kmicic. »Sind die Bastschuhträger einverstanden?«
»Ja, sie werden es auf ihr Schwert beschwören, wenn Sie es wollen.«
»So laßt sie schwören.«
»Kommt her alle!« rief Wolodyjowski den Edelleuten zu, die rings an den Wänden das ganze Haus umzingelten. Bald hatten sich alle vor der Tür versammelt. Die Absicht Kmicic', das ganze Haus in die Luft zu sprengen, hatten alle gehört. Sie standen stumm und starr wie versteinert. Es herrschte eine Grabesstille, und Pan Wolodyjowski rief mit erhobener Stimme:
»Alle hier Versammelten rufe ich zu Zeugen, daß ich Pan Kmicic, den Bannerträger von Orsza, zum Duell aufgefordert habe. Ich habe ihm zugeschworen, daß er, wenn er mich besiegt, frei, ohne jedes Hindernis von unserer Seite, abziehen kann. Das alles sollt ihr durch einen Schwur auf euren Säbelgriff bestätigen.«
»Wartet!« rief Kmicic, »schwört, ich werde ungehindert mit allen Leuten und der Panna abziehen.«
»Die Panna bleibt hier!« erwiderte Wolodyjowski, »und Eure Leute werden zu Gefangenen der Edelleute gemacht.«
»Das kann nicht sein.«
»So sprenge das Haus! Die Panna haben wir sowieso schon betrauert!«
Wieder erfolgte ein längeres Schweigen.
»Mag es so sein,« meinte dann Kmicic. »Wenn ich sie nicht heute entführe, so hole ich sie in einem Monat. Ihr werdet sie vor mir nicht verstecken, und wenn ihr sie unter der Erde verbergt. – Schwört also!«
»Schwört!« wiederholte Pan Wolodyjowski.
»Wir schwören im Namen Gottes und des heiligen Kreuzes. Amen!«
»Nun, kommen Sie heraus! Kommen Sie!« rief Pan Michail.
»Ihnen gelüstet es Wohl, sehr schnell ins Jenseits befördert zu werden?«
»Schon gut! schon gut! Nur macht schnell!«
Der eiserne Riegel der Tür knarrte. Pan Wolodyjowski und die Edelleute traten zurück, um Platz zu machen. Plötzlich tat sich die Tür auf, und in ihr erschien Pan Andreas, groß und schlank gewachsen wie eine Pappel. Die ersten Strahlen des anbrechenden Tages fielen auf sein schönes, stolzes Gesicht. Er blieb stehen, ließ mutig seine Augen über die Reihen der Schlachta gleiten und sagte:
»Ich habe euch vertraut, – Gott weiß, ob ich recht daran getan habe. – Doch schon gut. – Wer von euch ist Pan Wolodyjowski?«
Der kleine Oberst trat vor.
»Ich bin es,« sagte er.
»Oho! wie ein Riese sehen Sie nicht aus,« lächelte Kmicic. »Ich habe erwartet, einen ganz anderen zu sehen, obgleich man, ich muß es bekennen, in Ihnen gleich den erfahrenen Soldaten sieht.«
»Von Ihnen kann ich ein gleiches nicht behaupten. Sie haben sogar vergessen, Wachen aufzustellen. Wenn Sie ebenso geschickt mit dem Säbel sind wie mit dem Kommando, so werde ich nicht viel Arbeit mit Ihnen haben.«
»Wo wollen wir uns aufstellen?« fragte Kmicic.
»Hier, – der Hof ist eben wie ein Tisch.«
»Einverstanden, – bereiten Sie sich zum Tode vor.«
»Sind Sie Ihrer Sache so sicher?«
»Ich bin meiner Sache nicht nur sicher, ich bemitleide Sie sogar. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, von Ihnen viel Gutes zu hören. Deshalb sage ich Ihnen, lassen Sie mich in Ruhe. Wozu wollen wir, die wir uns gegenseitig nicht kennen, uns schlagen? Warum verfolgen Sie mich? – Das Mädchen gehört mir kraft des Testamentes, ich strecke meine Hand nur aus nach dem, was mir zukommt. Es ist wahr, ich habe die Wolmontowiczer Edelleute niedergemetzelt, aber Gott wird darüber zu Gericht sitzen, wer der Schuldige ist, ich oder sie? – Wes Geistes Kinder meine Offiziere waren, das tut hier nichts zur Sache; es genügt, daß sie hier niemandem Böses getan haben, aber sie haben sie wie tolle Hunde niedergeschlagen. Blut für Blut! – Ich schwöre zu Gott, ich bin hierher gekommen ohne jede böse Absicht. Wie aber hat man mich empfangen? Gewalt gegen Gewalt! – Ich werde euch alles heimzahlen, schuldig bleibe ich nichts!«
»Und was sind das für Leute, mit denen Sie hierher gekommen sind? Woher haben Sie solche Gehilfen genommen?« fragte Pan Wolodyjowski.
»Woher ich sie auch genommen habe, ich führe sie nicht gegen das Vaterland; ich brauche sie für meine eigenen Zwecke.«
»Und Ihrer persönlichen Angelegenheiten wegen haben Sie sich mit dem Feinde verbunden! Und womit anders wollen Sie ihm den Dienst zahlen als mit Verrat? – Ich hätte Sie nicht gehindert, mit den Edelleuten zu verhandeln, aber daß Sie den Feind gerufen, das ist eine andere Sache. Zögern Sie nicht, sich zu stellen, sonst werde ich Sie einen Feigling nennen!«
»Es sei, wie Sie wollen,« sagte Kmicic und stellte sich in Position.
Auf Pan Wolodyjowskis Befehl brachte man gegen fünfzig angezündete Fackeln. Wolodyjowski zeigte auf sie mit dem Säbel.
»Sehen Sie, eine förmliche Beisetzungsfeierlichkeit.«
»Nun wohl! einen Oberst trägt man zu Grabe, das geht nicht ohne Feierlichkeit,« erwiderte Kmicic lebhaft.
Die Laudaer Schlachta umringte die beiden Ritter. Die vorderen hoben ihre Fackeln hoch, die hinten Stehenden warteten gespannt auf den Ausgang. Es entstand eine tiefe Stille; nur dann und wann fielen knisternd Stückchen der glimmenden Holzkohle zu Boden.
Pan Wolodyjowski war heiter.
»Fangen Sie an!« sagte Kmicic.
Das erste Klirren der Waffen fand in den Herzen der Zusehenden einen Widerhall. Pan Wolodyjowski begann wie unwillig. Pan Kmicic parierte und machte seinerseits einen Ausfall. Pan Wolodyjowski parierte. Die Hiebe wurden immer heftiger; Kmicic attackierte wütend. Wolodyjowski, der seinen Arm auf den Rücken gelegt hatte, stand ruhig und parierte nachlässig mit seinem Säbel. Es schien, er wollte sich selbst nur decken und den Gegner zu gleicher Zeit verschonen. Von Zeit zu Zeit trat er einen Schritt zurück, ging aber bald wieder vor, augenscheinlich studierte er die Geschicklichkeit Kmicic'. Dieser ereiferte sich zusehends; der Oberst blieb kühl, wie ein Lehrer, der seinen Schüler unterrichtet. Schließlich fing er zum größten Staunen der Schlachta an zu sprechen:
»Laßt uns ein bißchen plaudern! Die Zeit wird uns dann nicht so lang. – Aha! das also ist Orszaer Methode! So werden Sie bald ermüden! – Dieser Stoß ist bei den Gerichtsschreibern Mode. – Dieser ist ein kurländischer – mit ihm kann man gut Hunde zurückschlagen, – Achten Sie auf die Säbelspitze! Biegen Sie die Hand nicht so stark, sonst – sehen Sie zu, was erfolgen wird. – Hebt auf!« –
Diese letzten Worte sprach Pan Michail mit besonderer Deutlichkeit. Dann zog er einen Halbkreis, und, ehe die Zuschauer begriffen hatten, was das »Hebt auf!« bedeutete, schoß Pan Kmicic' Säbel über Wolodyjowskis Kopf und fiel hinter seinem Rücken zu Boden. »Das nennt man einen Säbel ausschälen!« sagte er.
Kmicic stand bleich, mit wütenden Augen da. Er war selbst nicht weniger erstaunt als die Laudaer Schlachta. Der kleine Oberst trat zur Seite und auf den Säbel zeigend, wiederholte er: »Hebt auf!«
Einen Augenblick schien es, als ob Kmicic sich mit bloßen Händen auf ihn stürzen wollte. – Er machte sich schon sprungbereit, und Pan Wolodyjowski hielt ihm seine Säbelspitze entgegen. – Aber Pan Kmicic hob den Säbel auf und ging wieder auf den schrecklichen Gegner los.
Der Zuschauerkreis drängte sich fester zusammen, und hinter ihm bildete sich noch ein zweiter und dritter. Kmicic' Kosaken steckten ihre Köpfe zwischen die Schultern der Edelleute, als ob sie ihr Lebenlang mit ihnen in größter Einigkeit gelebt hätten. Alle erkannten in Pan Wolodyjowski den Meister aller Fechtmeister.
Er aber spielte wie die Katze mit der Maus und schlug immer nachlässiger mit seinem Säbel die Angriffe ab. Die linke Hand hatte er sogar in seine Hosentasche gesteckt. – Kmicic raste vor Wut; er war kreidebleich. Endlich sprudelten aus seiner ausgetrockneten Kehle heiser die Worte:
»Machen Sie ein Ende! Es ist ja beschämend! Schonen Sie doch mein Ehrgefühl!«
»Gut,« sagte Wolodyjowski.
Man vernahm ein kurzes, scharfes Sausen, dann einen erstickten Aufschrei. Kmicic machte eine schnelle Bewegung mit den Armen; sein Säbel fiel zu den Füßen des Oberst, und er stürzte mit dem Gesicht zu Boden.
»Er lebt!« sagte Wolodyiowski, »er ist nicht auf den Rücken gefallen.« Dann trocknete er an Kmicic' Rockschoß seinen Säbel ab.
Plötzlich schrieen die Edelleute los:
»Schlagt den Verräter tot! – Zerhackt ihn in Stücke!«
Die Butryms stürzten mit gezückten Säbeln auf Kmicic zu. – Da ereignete sich etwas Ungewöhnliches. Es war, als ob der kleine Pan Wolodyjowski plötzlich vor den Augen der ganzen Schlachta gewachsen sei. Der Säbel des zunächst stehenden Butrym flog aus dessen Hand wie vorher Kmicic' Säbel, und Pan Wolodyjowski rief mit vor Zorn funkelnden Augen:
»Schande über euch! – Weg! – Jetzt gehört er mir, nicht euch! Fort!«
Alle schwiegen, den Zorn des Ritters fürchtend. Pan Michail fuhr fort: »Wo sind wir? – Ihr, Edelleute solltet die Rittersitten kennen; einen Verwundeten schlägt man nicht tot! Das tut man selbst dem Feinde nicht, wieviel weniger einem Gegner, den man im ehrlichen Zweikampf besiegt hat.«
»Er ist ein Verräter!« brummte einer der Butryms, »er muß niedergestochen werden.«
»Ist er ein Verräter, so liefert ihn dem Hetman aus, daß er seiner gerechten Strafe nicht entgehe, anderen zum warnenden Beispiel. – Wer von euch versteht, Wunden zu verbinden?«
»Christof Domaszewicz. Er verbindet alle im Laudagebiet.«
»So soll er ihn gleich untersuchen und auf ein Ruhebett legen. – Ich werde inzwischen gehen, die unglückliche Panna zu beruhigen.«
Pan Wolodyjowski steckte seinen Säbel in die Scheide und trat durch die zerschlagene Tür ins Herrenhaus. Die Edelleute begannen Kmicic' Leute zu fangen und zu binden, die von nun an gezwungen wurden, die Felder der Schlachta zu bestellen. Sie ergaben sich, ohne viel zu kämpfen. Dann plünderte die Schlachta die Wagen, in denen sie reiche Beute fand.
Wolodyjowski suchte inzwischen die Panna im ganzen Hause; endlich fand er sie in einer Vorratskammer, in die eine kleine eiserne Tür aus dem Schlafzimmer führte. Es war ein kleiner, mit schmalen, vergitterten Fenstern versehener Raum, der so festgemauert war, daß selbst für den Fall, daß Kmicic das Haus in die Luft gesprengt hätte, er unversehrt geblieben wäre. Diese Beobachtung nötigte den Oberst, etwas besser über Kmicic zu denken. –
Panna Alexandra saß auf einer Truhe, mit gesenktem Haupte, das sie selbst beim Herannahen des Ritters nicht erhob. Wahrscheinlich wähnte sie, Kmicic oder einer seiner Leute sei gekommen. Pan Wolodyjowski blieb an der Tür stehen, er nahm die Mütze ab und hustete zweimal. Als er sah, daß auch dies nicht half, sagte er:
»Panna, Sie sind frei!«
Alexandra hob den Kopf; unter ihren aufgelösten Haaren sahen blaue Augen und ein reizendes, bleiches Gesicht hervor.
Wolodyjowski erwartete einen Ausbruch der Freude, wenigstens ein Wort des Dankes; die Panna aber sah ihn noch immer mit traurigen Augen bewegungslos an. Der Ritter wiederholte seine Worte:
»Kommen Sie zu sich! Der Herr hat sich Ihrer erbarmt! Sie. sind frei und können nach Wodokty zurückkehren.«
Panna Alexandra blickte ihn etwas verständnisvoller an, stand auf und schüttelte ihr Haar zurück.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin Michail Wolodyjowski, Dragoner-Oberst vom Wilnaer Militärbezirk.«
»Sprechen Sie! – Ich hörte etwas wie einen Kampf, – ich hörte Schüsse. – Sprechen Sie doch!«
»Sie haben recht gehört. Wir kamen Ihnen zu Hilfe.«
Panna Billewicz kam ganz Zu sich.
»Ich danke Ihnen,« sagte sie mit heiserer Stimme, aus der eine quälende Unruhe herausklang. – »Wie aber steht es mit jenem?«
»Mit Kmicic? – Seien Sie ohne Sorge, er liegt bewußtlos auf dem Hofe. – Ohne zu prahlen, kann ich behaupten, daß das mein Werk ist.«
Wolodyjowski sagte dies letztere mit einiger Selbstzufriedenheit; aber wenn er Bewunderung erwartete, so sah er sich bitter getäuscht. Panna Villewicz sagte kein Wort, – sie schwankte nur und begann nach einer Stütze zu suchen. Dann ließ sie sich schwer auf die Truhe nieder, auf der sie vorher gesessen hatte.
Der Ritter sprang schnell hinzu.
»Was ist Ihnen, Panna?«
»Nichts, – nichts! – Warten Sie, – Erlauben Sie. – Pan Kmicic ist also tot?«
»Was kümmert mich Pan Kmicic jetzt!« unterbrach sie Wolodyjowski, »hier handelt es sich doch nur um Sie.«
Plötzlich kehrten Alexandras Kräfte wieder zurück. Sie erhob sich wieder, sah Wolodyjowski scharf in die Augen und schrie zornig, ungeduldig, in voller Verzweiflung:
»Um Gottes willen, so antworten Sie doch! Ist er tot?«
»Pan Kmicic ist verwundet,« antwortete der erstaunte Pan Wolodyjowski.
»Lebt er?«
»Er lebt.«
»Ich danke Ihnen!«
Mit wankenden Schritten ging sie zur Tür. Wolodyjowski stand einige Zeit still, schüttelte den Kopf und fragte sich selbst: »Dankt sie mir dafür, daß ich ihn verwundet habe oder dafür, daß er lebt?«
Er ging ihr nach und sah sie im Schlafzimmer unbeweglich stehen. Vier Edelleute brachten Pan Kmicic herein, die ersten beiden traten gerade in die Tür, in ihren Armen lag Pan Andreas; sein Kopf mit dem getrockneten Blut in den Haaren hing mit geschlossenen Augen, wie leblos nach vorn über.
»Vorsichtiger!« kommandierte der ihnen folgende Domaszewicz.
»Vorsichtiger! Geht langsam über die Schwelle! Stützt seinen Kopf!«
»Wie sollen wir ihn stützen, wenn wir keine Hand frei, haben?« fragte einer der Tragenden.
In diesem Augenblicke trat Alexandra auf sie zu, bleich wie Kmicic, und legte ihren Arm unter seinen herabhängenden Kopf.
»Das ist die Panna!« sagte Christof Domaszewicz.
»Ja, ich bin es! – Seid vorsichtig!« sagte sie mit leiser Stimme.
Man legte Kmicic auf das Bett, Domaszewicz wusch ihm den Kopf, legte ihm ein vorher bereitetes Pflaster auf die Wunde und sprach:
»Die Hauptsache ist, daß er jetzt ganz ruhig liegen bleibt. Muß der einen eisernen Schädel haben, daß er von solch einem Hieb nicht gespalten ist. Vielleicht wird er wieder gesund; er ist ja noch jung. – Gestatten Sie mir, Panna, daß ich Ihnen die Hände wasche? – Sie müssen wahrlich ein gutes Herz haben, wenn Sie sich nicht scheuten, eines solchen Menschen wegen Ihre Hände zu besudeln.«
Er trocknete ihr die Hände mit einem Tuch; sie stand willenlos und wurde erschreckend bleich. Wolodyjowski eilte zu ihr:
»Panna, Sie brauchen jetzt nicht mehr hier zu bleiben. Sie haben Ihre Christenpflicht auch dem Feinde gegenüber erfüllt. Kehren Sie wieder nach Hause zurück.«
Er bot ihr den Arm, sie aber sah ihn nicht einmal an, sondern wandte sich Domaszewicz zu:
»Pan Christof, begleiten Sie mich!« Sie gingen hinaus, Pan Wolodyjowski folgte ihnen. Draußen begrüßten sie die Edelleute mit freundlichen Zurufen; sie aber ging bleich, schwankend, mit zusammengepreßten Lippen und einem unruhigen Feuer in den Augen durch ihre Reihen.
Eine Stunde später kehrte Wolodyjowski an der Spitze der Laudaer Schlachta nach Hause zurück. Die Sonne war schon aufgegangen; es war ein schöner Morgen, ein Morgen, der den nahenden Frühling verkündete. Pan Wolodyjowski ritt schweigsam, in sich versunken, dahin. Die Augen, die unter dem aufgelösten Haar so traurig hervorsahen, und die schlanke, hochgewachsene Gestalt gingen ihm nicht aus dem Kopfe.
»Wie wunderbar schön!« dachte er, »eine wahre Fürstin! Ich habe ihr ihren Ruf gerettet, – vielleicht auch ihr Leben. – Sie müßte mir doch eigentlich dankbar sein. – Wer aber kann ein Weiberherz begreifen?« –