Читать книгу Sintflut - Henryk Sienkiewicz, Henryk Sienkiewicz, R. Ettlinger - Страница 17

13. Kapitel

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An diesem Tage zeigte sich der Fürst den versammelten Edelleuten erst am Abend. Er dinierte mit den Gesandten und einigen hohen Würdenträgern, die an der vorhergegangenen Beratung teilgenommen hatten. Er erließ den Befehl, daß seine Regimenter sich zum Abmarsch bereit halten sollten. Das ganze Schloß war von Truppen umringt, als solle unter seinen Mauern eine Schlacht stattfinden.

Es verbreitete sich unter der Schlachta das Gerücht, daß der Fürst Gosiewski hätte festnehmen lassen, weil er sich geweigert hätte, seine Truppen mit denen Radziwills zu vereinigen. Im ganzen aber nahmen die Vorbereitungen zum Feldzuge, die Bewegungen der Regimenter, das Auffahren der Geschütze die Aufmerksamkeit der Edelleute so in Anspruch, daß sie sich weiter keinen Grübeleien hingeben konnten.

In den riesigen Eßsälen der Seitenflügel, in denen die Schlachta speiste, sprach man vom Kriege, vom zehntägigen Brande Wilnas und von den Nachrichten, die aus Warschau eingetroffen waren. Man war empört über den Friedensbruch der Schweden und bereit, gegen den Feind zu ziehen. Die Erfolge der Schweden, die Kapitulation von Ujscie, die Gefahr, die Masovien drohte, und der unvermeidliche Fall von Warschau, dies alles beunruhigte die Gemüter keineswegs, sondern stärkte im Gegenteil ihre Energie. Es war ja begreiflich, daß die Schweden bisher siegreich vorgedrungen waren, denn noch hatten sich ihnen keine reguläre, polnische Truppen entgegengestellt. Mit einem Fürsten Radziwill würden sie sich schwerlich messen können, und das Vertrauen zum Fürsten wurde immer größer, als seine Obersten erklärten, daß sie die Schweden im offenen Felde unbedingt besiegen würden.

»Anders kann es gar nicht sein!« erläuterte Pan Michail Stankiewicz, ein alter, erfahrener Soldat. »Ich erinnere mich sehr gut der früheren Kriege und weiß, daß die Schweden sich immer in einem befestigten Lager verteidigten. Ins freie Feld herauszukommen hatten sie keinen Mut, und taten sie es einmal, so erlitten sie eine völlige Niederlage. Nicht durch einen Sieg, sondern durch Verrat und die Unfähigkeit der Landwehr haben sie Groß-Polen gewonnen.«

»Das ist richtig,« stimmte Zagloba bei. »Das ist man nur ein sehr schwaches Volk, die Schweden; ihr Grund und Boden taugt nichts, die Ernten sind immer schlecht. Da nähren sie sich dann von Fichtenzapfen, die sie mahlen und dann essen. Oder sie suchen die Meeresufer ab und begnügen sich mit dem, was die Wellen ihnen zutragen. Eine fürchterliche Armut herrscht bei ihnen; deshalb ist auch kein Volk der Erde gieriger nach fremdem Eigentum als sie. Die Tataren haben doch wenigstens Roßfleisch genug, sie sehen aber fast das ganze Jahr hindurch kein Fleisch. Und wenn der Fischfang schlecht ausfällt, so krepieren sie vor Hunger. – Aber dafür sind sie vorzügliche Taucher. Wenn das Meer mit Eis bedeckt ist, so springen sie in ein Loch, das sie ins Eis geschlagen haben, und kommen aus einem anderen mit einem lebenden Hering im Munde wieder herausgekrochen.«

»Ach, was Sie sagen!«

»Auf der Stelle will ich tot hinschlagen, wenn ich das nicht mindestens hundertmal mit eigenen Augen gesehen habe. – Was nun ihr Heer anbetrifft, na, die Infanterie, die ist ja allenfalls passabel; aber die Kavallerie, behüte Gott! Sie haben ja auch keine Pferde in ihrem Land, so daß sie gar nicht in ihrer Jugend reiten lernen.« – – –

Nach dem Diner ließ der Fürst die Obersten: Mirski, Stankiewicz, Ganchoff, Charlamp, Wolodyjowski und Sollohub einzeln zu sich berufen. Alle kehrten sie vom Fürsten mit irgend einer Auszeichnung oder einer Belobung zurück; der Fürst forderte von ihnen nur Vertrauen und Treue. Mit Ungeduld erwartete Radziwill die Ankunft Kmicic'. Er befahl, ihn sofort nach seinem Eintreffen zu ihm zu schicken.

Kmicic kam erst am Abend an, als die Gäste bereits begannen, sich in den erleuchteten Sälen zu versammeln. Im Zeughause traf er Wolodyjowski an, der ihn mit den anderen Offizieren bekannt machte.

»Ich bin hocherfreut, Sie und Ihre berühmten Freunde hier zu treffen,« sagte Kmicic und drückte warm die Hand des kleinen Ritters. »Es ist mir, als ob ich meinen eigenen Bruder wiedersähe. Sie können mir das getrost glauben, denn ich verstehe es nicht, mich zu verstellen. Ich wiederhole hier vor aller Ohren, ohne Sie säße ich längst schon hinter Schloß und Riegel. – Gebe Gott dem Vaterlande mehr solche Männer wie Sie sind!«

Die Tür öffnete sich und ins Zimmer trat Harasimowicz.

»Erlauchtigster Pan Fahnenträger von Orsza!«

»Was gibt's?« fragte Kmicic.

»Der Pan Hetman läßt Sie zu sich bitten. Der Pan Hetman!«

»Sofort, ich kleide mich nur noch um. – He! die Kleider her! aber schnell, zum Teufel!«

In einigen Minuten war Kmicic mit seiner Toilette fertig.

Er sah außergewöhnlich schön aus in seinem Brokatkaftan, der mit silbernen Sternen reich bestickt war und auf der Schulter von einem großen Saphir zusammengehalten wurde. An der Seite hing ein mit Saphiren geschmückter Säbel, und im Gürtel trug er als Abzeichen seiner Würde den Rittmeisterstab.

Pan Michail sah ihn seufzend an, und als Kmicic hinter der Tür des Zeughauses verschwunden war, sagte er:

»Natürlich, jedes Weib muß ihm den Vorrang geben.«

»Oho! Wälzen Sie nur von meinen Schultern dreißig Jahre herunter,« meinte Zagloba.

Der Fürst war schon in voller Toilette, als Kmicic sein Zimmer betrat.

»Ich danke Ihnen, daß Sie sich beeilten, hierher zu kommen,« sagte der Fürst.

»Ich bin stets bereit, Eurer Durchlaucht zu dienen.«

»Und das Banner?«

»Erwartet Ihre Befehle.«

»Können Sie sich auf Ihre Leute verlassen?«

»Sie gehen ins Feuer für Sie.«

»Das ist gut. Solche Leute kann ich gut gebrauchen. Und auch solche wie Sie, die zu allem bereit sind. – Ich wiederhole Ihnen immer wieder, daß ich auf niemanden rechne außer auf Sie.«

»Meine Verdienste, Euer Durchlaucht, können sich mit denen erfahrener Krieger nicht messen. Aber, wenn wir gegen die Feinde des Vaterlandes ziehen werden, weiß Gott, so werde ich nicht hinter den anderen zurückbleiben.«

»Ich will die Verdienste der alten Soldaten nicht gering schätzen, aber die Verhältnisse können sich so zuspitzen, daß selbst die Treuesten schwanken werden.«

»Möge Gott den verderben, der Sie in der Minute der Gefahr verläßt!«

Der Fürst sah Kmicic scharf in die Augen.

»Und Sie – werden Sie mich nicht verlassen?«

Der junge Ritter fuhr empor.

»Durchlaucht!«

»Was wollen Sie sagen?«

»Durchlaucht, ich habe Ihnen alle meine Sünden gebeichtet: es waren ihrer viele, so viele, daß nur Ihr gütiges Vaterherz mir Verzeihung gewähren konnte. Aber unter all diesen Sünden war eine nicht vertreten: die Undankbarkeit.«

»Und die Treulosigkeit? – Sie haben mir gebeichtet, wie man einem Vater beichtet, und ich habe Ihnen nicht nur verziehen, wie ein Vater dem Sohne verzeiht, ich habe Sie liebgewonnen wie einen Sohn, den Gott mir versagte. – Seien Sie mir ein Freund!«

Der Fürst reichte ihm seine Hand: der junge Ritter ergriff sie, und ohne zu schwanken, drückte er sie an seine Lippen.

Danach trat eine lange Pause ein. Plötzlich sagte der Fürst:

»Panna Billewicz ist hier!«

Kmicic erblaßte und sagte leise einige unverständliche Worte.

»Ich habe extra nach ihr geschickt, um diesen Mißverständnissen zwischen euch ein Ende zu machen. Sie werden Sie heute noch sehen; die Trauerzeit um den Großvater ist schon abgelaufen. Und ich habe bereits, obgleich ich nicht weiß, wie mir der Kopf vor lauter Arbeit steht, mit dem Miecznik gesprochen.«

Kmicic griff an seinen Kopf.

»Wie kann ich das alles Eurer Durchlaucht je vergelten?«

»Ich habe dem Pan Miecznik nachdrücklich gesagt, daß es mein Wille ist, daß Ihr Euch trauen laßt, und er wird nichts dagegen einwenden. Das Mädchen wird er allmählich darauf vorbereiten, noch ist die Zeit dazu da. Von Ihnen allein hängt jetzt alles ab, und ich werde glücklich sein, wenn Sie diese Belohnung aus meinen Händen erhalten werden. Und dies wird nicht die letzte sein, denn Sie können es weit bringen. – Nun ja, Sie haben gesündigt, weil Sie jung sind. – Sie haben aber schon Ihren Namen auf dem Schlachtfelde mit Ruhm bedeckt; die ganze Jugend ist bereit, Ihnen zu folgen. Ich schwöre es Ihnen, Sie werden es weit bringen! Ihr Geschlecht ist nicht dazu geschaffen, um geringe Stellungen einzunehmen. Wissen Sie eigentlich, daß Sie mit dem Hause, dem meine Frau entstammt, verwandt sind? – Junger Mann, Sie müssen nur gesetzter werden, und die Heirat ist das beste Mittel dazu. Freien Sie das Mädchen, das Ihnen ans Herz gewachsen; aber vergessen Sie nicht, aus wessen Hand Sie Ihre Frau bekommen haben.«

»Euer Durchlaucht, ich bin fast von Sinnen vor Freude. Mein Leben, mein Blut, – alles, alles gehört Ihnen. Was kann ich tun, um Ihnen meinen Dank abzustatten? Sagen Sie! Befehlen Sie!«

»Vergelten Sie Gutes mit Gutem. – Vertrauen Sie mir, und seien Sie eingedenk, daß auch das, was ich dem Scheine nach vielleicht nicht tun sollte, stets im Interesse des öffentlichen Wohles geschieht. Verlassen Sie mich nicht, selbst wenn Sie Verrat und Abtrünnigkeit sehen sollten, wenn Bosheit und Niedertracht ihre Köpfe triumphierend erheben sollten und mich selbst –«

Der Fürst brach plötzlich ab.

»Ich schwöre,« sagte Kmicic begeistert, »ich schwöre bei meiner Ritterehre, daß ich Eurer Durchlaucht bis zum letzten Atemzuge treu bleiben werde.«

Kmicic erhob seine leuchtenden Augen, aber erschrak, als er auf die veränderten Züge des Fürsten sah. Sein Gesicht war rot, große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, und in den Augen glühte ein unheimliches Feuer.

»Was ist Ihnen?« sagte beunruhigt der Ritter.

»Nichts, nichts.«

Radziwill erhob sich, schritt schnell zum Betpult, ergriff das darauf stehende Kruzifix und begann mit keuchender Stimme:

»Schwören Sie bei diesem Kreuze, daß Sie mich bis zum Tode nicht verlassen wollen!«

Trotz all seiner Bereitwilligkeit sah Kmicic ihn doch verständnislos an.

»So schwören Sie doch! Bei den Leiden Christi, schwören Sie!« wiederholte der Hetman.

»Bei den Leiden Christi – ich schwöre!« sagte Kmicic und legte seine Hand auf das Kreuz.

»Amen!« sagte feierlich der Fürst.

Die Wände des weiten, hohen Gemaches gaben leise das »Amen!« zurück. Kmicic sah unverwandt und erstaunt dem Hetman ins Gesicht.

»Nun sind Sie schon mein!« sagte der Fürst.

»Ich habe immer Eurer Durchlaucht angehört,« antwortete eilig Kmicic. »Aber erklären Sie mir, Durchlaucht, um was es sich handelt. Warum zweifeln Sie an mir? Droht Ihnen irgend welche Gefahr?«

»Die Stunde der Prüfung naht,« sagte finster der Fürst. »Wissen Sie denn nicht, daß Pan Gosiewski, Pan Judycki und der Witebsker Wojewod mich in den Abgrund stürzen wollen? Die Zahl der Feinde meines Hauses wächst, Verrat geht vor sich, und dem Vaterlande droht das Verhängnis. Daher sage ich, die Stunde der Prüfung naht.«

Kmicic schwieg; aber die letzten Worte Radziwills vermochten nicht, die Dunkelheit zu klären, die ihn umgab. Vergeblich bemühte er sich zu erraten, welche Gefahr in diesem Augenblick dem Fürsten drohen konnte. War er denn nicht jetzt mächtiger denn je? Standen ihm nicht übergenug Truppen zur Verfügung? Gosiewski und Judycki hatte er in seiner Gewalt, und der Witebsker Wojewod war zu ehrenhaft und ein zu guter Patriot, als daß er angesichts des Feindes an inneren Zwiespalt und an Feindseligkeiten dachte.

»Bei Gott! ich verstehe nichts!« rief Kmicic, der es noch nicht gelernt hatte, sich zu beherrschen.

»Heute noch werden Sie alles begreifen,« sagte Radziwill. »Kommen Sie, jetzt wollen wir in den Saal gehen.«

Sie durchschritten mehrere Zimmer. Aus der Ferne tönten ihnen die Klänge eines Orchesters entgegen, das ein vom Fürsten Boguslaw hergesandter Franzose dirigierte. Man spielte gerade ein Menuett, das damals am französischen Hofe sehr beliebt war. Die leisen Töne mischten sich mit den Stimmen der zahlreichen Gäste. Radziwill blieb einen Augenblick stehen und lauschte.

»Verhüte Gott,« sagte er, »daß nicht alle, die ich jetzt als meine Gäste begrüße, morgen meine Feinde sein mögen.«

»Euer Durchlaucht,« erwiderte Kmicic, »ich hoffe, daß unter ihnen keiner ist, der zu den Schweden übergehen wird.«

Radziwill fuhr unwillkürlich zusammen und blieb stehen.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Nichts, Euer Durchlaucht, ich sehe nur ehrenhafte Krieger, die sich hier unterhalten.«

»Gehen wir hinein. Die Zeit und Gott wird uns darüber belehren, wer ein ehrenwerter Ritter ist.«

Vor der Tür standen zwölf wunderhübsche Pagen, die in Samt und Seide gekleidet waren. Beim Herannahen des Hetmans stellten sie sich in zwei Reihen auf.

»Ist Ihre Durchlaucht schon im Saale erschienen?« fragte der Fürst.

»Jawohl, Euer Durchlaucht.«

»Und die Gesandten?«

»Die sind auch schon hier!«

»So öffnet!«

Beide Flügel öffneten sich, und aus dem Saale ergoß sich ein Lichtstrahl auf die Hünengestalt des Fürsten, der in Begleitung von Kmicic und der Pagen das Podium betrat, wo die Sessel für die auserlesenen Gäste standen.

Es ging sofort eine Bewegung durch den Saal, aller Augen wandten sich dem Fürsten zu. Dann erschallte aus Hunderten von Kehlen einmütig der Ruf:

»Es lebe Radziwill! Er lebe! Es lebe der Hetman!«

Der Fürst verbeugte sich nach allen Seiten und begann, seine Gäste zu begrüßen. Außer der Fürstin saßen noch auf der Estrade: Die zwei schwedischen Gesandten, der moskovitische Gesandte, Pan Korf, Pan Komorowski, der Bischof Parczewski, Pater Bialozor, Pan Hliebowicz, der Wojewod von Smudien und Schwager des Hetmans, der junge Pac, der Oberst Ganchoff, Oberst Mirski, Weißenhof, der Abgesandte des kurländischen Fürsten, und mehrere Damen aus dem Gefolge der Fürstin.

Kmicic, der durch den fürstlichen Thron verdeckt war, ließ seine Blicke in der Menge umherschweifen: er suchte diejenige, die in diesem Augenblicke seine ganze Seele und seine ganzen Gedanken erfüllte.

»Sie ist hier! Eine Minute – und ich, sehe sie, spreche sie!« wiederholte er, immer mehr seine Augen anstrengend und in größere Aufregung geratend. Sein Blick gleitet unruhig über Federn, Blumen, Atlas und Samtstoffe und blühende Gesichter. – »Nirgend und nirgend sie!« – Endlich, da am Fenster, erblickte er eine weiße Gestalt. Dem Ritter wurde es dunkel vor den Augen. »Das ist Alexandra, die teure, liebe.«

Das Orchester spielte wieder, und die Menge zu seinen Füßen bewegte sich; er aber hörte nichts und sah nur sie. Er war völlig geistesabwesend. Das war dieselbe Alexandra, die er in Wodokty gesehen hatte, und doch eine andere. In dem ungeheuer großen Saale, unter den vielen Menschen erschien sie kleiner, zarter und kindlicher. Er hätte sie in seine Arme nehmen und an seine Brust drücken mögen. Und doch war sie dieselbe. Dieselben Gesichtszüge, die Korallenlippen, dieselben Wimpern, die das Gesicht beschatteten, und dieselbe Stirn, klar und ruhig.

Als die Musik verstummte, hörte er die Stimme des Hetmans neben sich: »Folgen Sie mir!«

Kmicic erwachte und stand auf.

Der Fürst stieg von der Estrade herunter und mischte sich unter seine Gäste. Auf seinem Gesichte lag ein freundliches, gutherziges Lächeln. Alle Augenblicke blieb er stehen und unterhielt sich mit den Damen und kleineren Edelleuten, die er mit Liebenswürdigkeiten überschüttete. So gelangte er auch zu dem Miecznik von Rosien, Pan Billewicz.

»Ich danke Ihnen, alter Kamerad,« sagte er, »daß Sie hierher gekommen sind, obwohl ich ein gutes Recht hätte, Ihnen zu zürnen. Von Billewicze nach Kiejdane sind es keine hundert Meilen, und Sie sind ein so seltener Gast in meinem Hause.«

Der Miecznik verbeugte sich tief.

»Derjenige, der Eurer Durchlaucht die Zeit stiehlt, versündigt sich am Vaterlande.«

»Fast war ich schon daran, an Ihnen Rache zu nehmen und nach Billewicze zu kommen. Ich darf doch hoffen, Sie würden einen alten Kameraden freundlich aufnehmen?«

Der Pan Miecznik wurde vor Freude rot.

»Leider aber habe ich so wenig Zeit,« fuhr der Fürst fort. »Aber zur Hochzeit Ihrer Verwandtin, der Enkelin des verstorbenen Pan Heraklus, da werde ich bestimmt kommen.«

»So möge ihr Gott möglichst schnell einen Bräutigam schicken!« rief der Miccznik.

»Ich stelle Ihnen hier Pan Kmicic, den Bannerträger von Orsza, vor. Er stammt von den Kmicic', die unmittelbar mit den Radziwills verwandt sind. Sie haben gewiß schon seinen Namen von Pan Heraklus gehört. Er liebte ja die Kmicic' wie seine Verwandten.«

»Meine Hochachtung,« sprach Pan Billewicz, etwas verlegen wegen der hohen Abstammung des jungen Ritters.

»Stets zu Ihren Diensten, Pan Miecznik,« sagte nicht frei von Stolz Pan Andreas. »Pan Oberst Heraklus war mir ein zweiter Vater, und wenn sich auch seine Wünsche nicht verwirklichen, so werde ich nie aufhören, alle Billewicz' so zu lieben, wie meine nächsten Verwandten.«

»Besonders,« dabei legte der Fürst familiär seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes, »gibt es eine Panna Billewicz, die er nie aufgehört hat zu lieben, und von der er mir schon vieles erzählt hat.«

»Und jedem ins Gesicht werde ich ein gleiches von ihr erzählen,« fiel Kmicic erregt ein.

»Gemach, gemach!« beruhigte ihn der Fürst. »Sehen Sie, Pan Miecznik, was für ein Hitzkopf er ist. Zwar hat er ja schöne Streiche gemacht, aber da er unter meiner besonderen Protektion steht, und wenn Sie noch ein gutes Wort für ihn einlegen, so wird es uns beiden doch gelingen, für ihn bei dem Richter Gnade zu erwirken.«

»Ihre Durchlaucht werden alles erreichen, was Sie wünschen,« antworte Pan Billewicz.

»Nun, so führen Sie mich zu Ihrer Verwandtin. Ich werde recht erfreut sein, Panna Billewicz wieder zu sehen. Möge Pan Heraklus' Traum in Erfüllung gehen!« »Mit Freuden werde ich Eurer Durchlaucht dienen! – Das Mädchen sitzt dort mit einer Verwandten von ihr, Pani Wojnillowicz. Ich bitte nur Euer Durchlaucht, sie nicht streng zu richten, wenn sie verlegen wird; ich hatte noch keine Zeit, zu ihr davon zu sprechen.«

Zum Glück sah Alexandra Pan Andreas schon von weitem, als er sich ihr mit dem Fürsten näherte. So gewann sie Zeit, sich etwas zu fassen. Sie wurde bleich, und ihre Füße begannen zu zittern. Lange wollte sie ihren Augen nicht trauen und blickte auf den jungen Ritter wie auf einen Geist vom Jenseits. Sie hatte geglaubt, daß dieser Unglückliche irgendwo in den Wäldern umherstreiche, ohne Obdach, verfolgt wie ein wildes Tier, oder daß er im Gefängnisse sehnsüchtigen Auges durch die vergitterten Fenster auf die Gotteswelt blicke. Gott allein kannte den Schmerz, der damals ihr Herz erfüllte, nur Gott allein wußte, wieviele Tränen sie über sein schreckliches, wenngleich nicht unverdientes Geschick vergossen hatte. – Und jetzt sieht sie ihn hier in Kiejdane frei und stolz an der Seite des Hetmans, in Brokat und Samt gekleidet, den Oberstenstab im Gürtel, mit hoch erhobenem Haupte und gebieterischem Lächeln auf dem Gesichte. Und der Hetman selbst stützte sich vertraulich auf seine Schulter.

Sich widersprechende Gefühle durchzogen die Seele des jungen Mädchens; eine Erleichterung, als wenn jemand eine große, sie bedrückende Last von ihren Schultern herunternähme; ein unbestimmtes Bedauern über so viele unnütz vergossene Tränen und soviel Kummer; eine Unzufriedenheit, wie sie jeder rechtlich empfindende Mensch fühlt, wenn er schwere Sünden und Vergehen unbestraft sieht, und eine Freude, gemischt mit einer an Furcht grenzenden Bewunderung für diesen Mann, der es vermochte, sich aus einer so verzweifelten Lage herauszufinden.

Der Fürst, der Miecznik und Kmicic näherten sich Alexandra. Das Mädchen senkte die Augen, und ohne zu sehen, fühlte sie, daß die Herren näher und näher kamen und dicht vor ihr stehen blieben. Sie erhob sich entschlossen und verbeugte sich tief.

Der Fürst stand ihr wirklich gegenüber.

»Wahrhaftig, ich schwöre,« sprach er, »jetzt kann ich mich nicht mehr über den jungen Mann wundern. Ich bewillkommne Sie, Enkelin meines geliebten Billewicz! Erkennen Sie mich noch?«

»Ich erkenne Euer Durchlaucht!« antwortete das Mädchen.

»Aber ich hätte Sie nicht erkannt, weil ich Sie zum letztenmal sah, als Sie noch ein Kind waren. Schlagen Sie nur ruhig Ihre Augen auf! Bei Gott! glücklich ist der Taucher, der solch eine Perle herausholt! Wehe dem Unglücklichen, der sie einmal besaß und dann verlor! – – Solch ein Unglücklicher steht in der Person dieses Ritters jetzt vor Ihnen, – erkennen Sie ihn auch?«

»O ja,« flüsterte Alexandra und senkte wieder die Augen.

»Er ist ein großer Sünder, ich bringe ihn zu Ihnen zur Beichte. Legen Sie ihm eine Buße auf, die Ihnen beliebt; aber versagen Sie ihm nicht die Absolution, damit die Verzweiflung ihn nicht zu noch größeren Sünden treibe. – Lassen wir die jungen Leute allein,« wandte sich der Fürst an den Miecznik und Pani Wojnillowicz, »es geziemt dem dritten nicht, einer Beichte beizuwohnen.«

Pan Andreas und Alexandra blieben allein.

Ihr Herz schlug wie das einer Taube, über der der Habicht seine Kreise zieht. Auch er war sehr aufgeregt; seine sonstige Sicherheit im Auftreten verließ ihn vollständig.

Lange Zeit standen sie schweigend beieinander, dann begann er mit dumpfer Stimme:

»Sie erwarteten nicht, mich hier zu sehen?«

»Nein,« antwortete kaum hörbar das Mädchen.

»Wahrhaftig, ich glaube, wenn neben Ihnen ein Tatar stände, wären Sie nicht weniger erschrocken. – Fürchten Sie sich nicht! Sehen Sie nur, wieviele Menschen um uns herum sind. Und selbst, wenn wir beide allein wären, brauchten Sie doch nichts zu fürchten. Ich habe mir zugeschworen, Sie stets zu achten. Haben Sie doch Vertrauen zu mir!«

Sie hob ihre Augen und sah zu ihm auf.

»Wie könnte ich zu Ihnen Vertrauen haben?«

»Es ist wahr, ich habe arg gesündigt; aber das ist alles gewesen und wird nie wieder vorkommen. – Als ich nach dem Zweikampf mit Wolodyjowski im Bette lag und dem Tode nahe war, da sagte ich mir: Du wirst sie dir nicht mit dem Säbel, nicht durch Gewalt, sondern durch gute Taten gewinnen. – Auch ihr Herz ist nicht von Stein; ihr Zorn wird verrinnen ... sie wird deine Besserung sehen und dir verzeihen. – Und da habe ich mir zugeschworen, mich zu bessern, und ich werde diesen Schwur halten. Auch Gott hat sich dann meiner erbarmt. Er sandte mir Wolodyjowski, der mir ein Schreiben des Fürsten brachte. Er brauchte mir den Brief nicht auszuhändigen; aber er tat es, – ein guter Mensch! – Da ich mich durch den Brief unter dem Schutze des Fürsten befand, brauchte ich mich den Gerichten nicht zu stellen. Ich habe dem Fürsten gebeichtet wie ein Sohn dem Vater; er hat mir nicht nur alles verziehen, sondern auch versprochen, alles in Ordnung zu bringen und mich vor der Bosheit der Menschen zu schützen. Gott segne ihn für dies alles! Alexandra, ich werde nunmehr kein Verbannter sein; ich werde alle für meine Ungerechtigkeiten entschädigen; ich werde mich mit den Menschen aussöhnen und mir Ruhm erwerben. – Panna Alexandra, was denken Sie darüber? Wollen Sie mir nicht wenigstens ein gutes Wort geben?«

Er faltete die Hände, als bete er zu ihr.

»Kann ich Ihnen glauben?« antwortete Alexandra.

»Sie können es! Ich schwöre bei Gott, Sie müssen es!« sagte Kmicic erregt. »Sehen Sie, der Fürst und Wotodyjowski glauben mir doch. Sie beide kennen alle meine Vergehen und doch glauben sie mir. – Warum sollten allein Sie mir nicht glauben?«

»Weil ich die Tränen sah, die durch Ihre Schuld vergossen wurden; – weil ich Gräber sah, die noch nicht mit Gras bewachsen waren.«

»Auf den Gräbern wird Gras wachsen, und die Tränen werde ich selbst trocknen.«

»Erst müssen Sie das getan haben.«

»Geben Sie mir nur die Hoffnung, daß Sie mir gehören werden, wenn ich meine Seele geläutert habe. – Sie haben es leicht zu sprechen: Erst müssen Sie das getan haben. Ich will ja alles tun, was aber, wenn Sie während dessen einen anderen wählen? Wahrhaftig, ich kann den Verstand über diesen Gedanken verlieren. Im Namen Gottes flehe ich zu Ihnen, versprechen Sie mir, daß ich Sie nicht verliere, solange ich mich nicht mit Ihrer Schlachta ausgesöhnt habe. Denken Sie daran, Sie haben mir selbst das geschrieben. – Ich bewahre diesen Brief auf, und jedesmal, wenn mir schwer ums Herz sein wird, werde ich ihn lesen. – Ich begehre nichts weiter: nur wiederholen Sie mir noch einmal, daß Sie warten, daß Sie keinen anderen heiraten werden!«

»Sie wissen ja selbst, daß ich das nach dem Testamente meines Großvaters gar nicht darf. Mir bleibt nur das eine, mich in ein Kloster zu vergraben.«

»O, das würde mein Tod sein! Bei allen Heiligen bitte ich Sie, denken Sie nicht mehr an das Kloster. Ich möchte Ihnen hier in Gegenwart aller zu Füßen fallen und Sie bitten, das nicht zu tun. Ich will Sie mir durch gute Taten erobern, denn ich liebe Sie wahnsinnig. Als Sie Wodokty verließen, habe ich angefangen, Sie zu suchen, bis ich schließlich hörte, daß Sie in Billewicz bei dem Pan Miecznik seien. Lange kämpfte ich mit mir: soll ich hingehen oder nicht? Aber ich wagte es nicht; denn noch hatte ich nichts getan, um mir Ihr Vertrauen wieder zu gewinnen. Da erbarmte sich der gute Fürst meiner und rief Sie hierher, damit ich Sie vor dem Auszuge ins Feld noch einmal sehen konnte. – Ich bitte Sie nicht, lassen Sie sich morgen mit mir trauen, ich bitte nur um ein gutes Wort, ehe ich in den Krieg ziehe. Ich will nicht umkommen; aber auf dem Schlachtfelde ist alles möglich, ich werde mich doch nicht hinter den anderen verstecken. Alexandra, du mußt mir verzeihen, wie man einem Sterbenden verzeiht!«

»Gott schütze Sie,« sagte das Mädchen weich.

Pan Andreas begriff gleich, daß seine Worte den gewünschten Eindruck gemacht hatten.

»Mein Herz, ich danke dir dafür. Und ans Kloster denkst du nicht mehr?«

»Fürs erste nicht.«

»Vergelt's dir Gott.«

Und wie im Frühling das Eis schmilzt, so begann allmählich zwischen ihnen das Mißtrauen zu schwinden, sie fühlten, daß sie sich einander wieder näherten. Es ward ihnen leichter ums Herz, und ihre Augen leuchteten klar. Und doch hatte sie ihm nichts Bestimmtes versprochen, und er war klug genug, keine großen Versprechungen schon jetzt von ihr zu fordern.

Sie begriff, daß sie ihm den Weg zur Besserung nicht verlegen durfte, die er mit seiner ganzen Seele erstrebte. An seiner Aufrichtigkeit zweifelte sie keine Minute; er war nicht der Mann, der es verstand, sich zu verstellen. Aber in ihrer noch nicht erloschenen Liebe, die all die Enttäuschungen, all den Kummer überlebte, lag der Hauptgrund, daß sie ihn nicht zurückwies, daß sie ihm nicht die Hoffnung raubte. Ihre Liebe zu ihm war bereit, immer zu glauben und ins Endlose hinein zu vergeben.

Inzwischen hatte der Hofmarschall verkündet, daß das Essen aufgetragen, und es Zeit sei zur Tafel zu gehen. Es entstand eine allgemeine Bewegung im Saal. Man schritt paarweise zum Speisesaal, voran Graf Löwenhaupt, der die Fürstin führte. Ihnen folgte Baron Shitte, dann der Bischof Parczewski mit dem Pater Bialozor; beide sahen finster und niedergeschlagen aus.

Fürst Janusz führte Pani Korf, und Kmicic ging mit Alexandra, er fühlte sich als der glücklichste unter all diesen Magnaten, hatte er doch den größten Schatz bei sich am Arme.

Der ungeheuer große, hufeisenförmige Tisch bog sich unter der Last des goldenen und silbernen Geschirrs. Fürst Janusz, als naher Verwandter vieler königlicher Häuser, nahm den obersten Platz der Tafel ein; alle, die an ihm vorbeigingen, verbeugten sich tief.

Des Hetmans Züge trugen den Stempel der Unruhe, er bemühte sich heiter zu scheinen; aber die neben ihm Sitzenden bemerkten, daß sich seine Stirn oft mit Wolken bedeckte, daß seine Augen unruhig von einem Gesicht zum andern umherirrten und dann auf verschiedenen Obersten haften blieben. Und – eigentümlich! Die hohen Würdenträger neben dem Fürsten, die Abgesandten, der Bischof, Pater Bialozor und andere mehr waren ebenfalls verstimmt und unruhig. Während an den Enden der Tafel schon fröhliche Stimmen und Gelächter erschallten, blieb es in der Mitte ganz ruhig, nur wenige einsilbige Worte fielen, und bedeutungsvolle Blicke wurden gewechselt.

»Der Hetman ist immer so vor einem Kriege,« bemerkte der alte Oberst Stankiewicz zu Zagloba. »Aber je finsterer er vorher ist, desto schlimmer steht's für den Feind. Am Tage der Schlacht, da wird er wieder heiter sein.«

»Auch der Bär brummt vor dem Kampfe, um seine Wut gegen den Feind anzuspornen,« erwiderte Zagloba.

»Aber sehen Sie nur, Panowie, der Bischof Parczewski ist kreidebleich,« sagte Stanislaus Skrzetuski.

»Weil er am Tische eines Ketzers sitzt und sich fürchtet, etwas Unreines zu verzehren,« erläuterte leise Zagloba. »Ich rate euch allen, ein Kreuz über das Essen zu schlagen; denn wer sich gut hütet, den hütet auch Gott.«

»Was Sie da sagen! – Bei uns in Groß-Polen gibt es viele Lutherische und Calvinisten; aber daß die das Essen verhexen, davon hat man noch nie etwas gehört.«

»Eure Lutherischen haben jetzt aber mit den Schweden unterhandelt,« sagte Zagloba. »Ich, an Stelle des Fürsten, würde die Gesandten nicht bewirten, sondern mit Hunden zu Tode hetzen lassen. Sehen Sie nur diesen Löwenhaupt an, wie der stopft! Wie heißt eigentlich der andere?«

»Das müssen Sie Pan Michail fragen,« sagte Pan Skrzetuski.

Wolodyjowski aber sah und hörte nichts; er war ganz in den Anblick Alexandras versunken.

»Wie schön sie ist!« wiederholte er bei sich wohl zum hundertstenmal. »Wie himmlisch schön! Herr Gott, sieh doch auf meinen Kummer nieder und rette mich aus dieser trostlosen Verlassenheit. Wie sehne ich mich nach einer mitfühlenden Seele. So viele hat man mir schon vor der Nase weggeschnappt!«

Im Saale wurde es immer lauter und lauter; man sprach eifrig den Getränken zu. Die Obersten diskutierten über den Verlauf des künftigen Krieges, Pan Zagloba erzählte laut von der Belagerung von Zbaraz! Es schien, als wenn der Geist des unsterblichen Jeremias in diesen Räumen weilte und die Brust dieser alten Soldaten mit Mut erfüllte.

Die große Uhr, die in der Ecke stand, begann Mitternacht zu schlagen, und im gleichen Augenblick erzitterten die Wände des Schlosses, und die Scheiben klirrten jammernd in den Fensterrahmen. Fürst Janusz ließ zu Ehren der Gäste Kanonen abschießen.

Plötzlich rief jemand:

»Wasser, gebt Wasser! Der Bischof ist ohnmächtig geworden.«

Alle sprangen von ihren Plätzen auf, um besser sehen zu können, und draußen erdröhnte ein zweiter, dritter und vierter Schuß.

»Vivat die Republik! Mögen alle ihre Feinde untergehen!« brüllte Zagloba los; aber die folgenden Schüsse übertönten seine Worte.

Die Schlachta begann laut zu zählen:

»Elf – zwölf – neunzehn – zwanzig!«

»Ruhe da, der Fürst will sprechen!« rief man mit einem Male an verschiedenen Stellen der Tafel.

»Der Fürst will sprechen!«

Im Saale wurde es plötzlich still, und aller Augen wandten sich auf Radziwill, der aufrecht mit dem Becher in der Hand dastand. Doch welch ein Schauspiel bot sich den Augen der Anwesenden. Das Gesicht des Fürsten war einfach erschrecklich anzusehen. Es war dunkelrot, fast blau, und ein krampfhaftes Lächeln verzerrte seine Züge. Sein für gewöhnlich schon kurzer Atem war noch kürzer; die Brust hob sich hoch unter dem Goldbrokat, die Augen waren von den Wimpern fast ganz bedeckt.

»Was ist's mit dem Fürsten? Ist er unpäßlich?« verbreitete sich ein erregtes Flüstern im Saal.

Eine Unheil verheißende Ahnung durchzog alle Herzen, eine fieberhafte Erwartung lag auf jedem Gesichte.

Der Fürst begann in kurzen, abgerissenen Sätzen zu reden:

»Panowie! – Viele von euch – werden sich wundern, – vielleicht wird Sie sogar mein Toast erschrecken. – Aber, wer mir vertraut, – wer aufrichtig das Wohl des Vaterlandes wünscht, – wer meinem Hause ergeben ist, – der wird bereitwillig seinen Becher erheben und mit mir rufen: Vivat König Karl-Gustav, – der von heute an uns gnädig regiere!«

»Vivat!« wiederholten die Gesandten Löwenhaupt und Shitte und einige ausländische Offiziere.

Aber rings im Saale herrschte Stille. Die Obersten und die Edelleute sahen sich mit erschrockenen Augen an, als wenn sie sich fragten, ob der Fürst nicht den Verstand verloren habe. Schließlich erschollen einzelne Rufe:

»Haben wir recht gehört? Was bedeutet denn das?«

Dann erfüllte ein unheimliches Schweigen wieder den Saal.

Radziwill stand noch immer auf seinem Platze; er atmete tief auf, als hätte er eine schwere Last von sich abgewälzt. Sein Gesicht nahm wieder die gewöhnliche Farbe an. Er wandte sich an den Pan Komorowski:

»Es ist Zeit, daß Sie den Vertrag verlesen, den wir heute unterzeichnet haben, damit die Schlachta weiß, wie sie sich zu halten habe. Lesen Sie!«

Komorowski erhob sich, rollte das vor ihm liegende Pergament auf und begann zu lesen:

»Da wir es nicht für möglich halten, unter den jetzigen obwaltenden Umständen weiter zu leben, und nachdem wir jegliche Hoffnung auf die Hilfe Seiner Majestät des Königs verloren haben, sehen wir, Edelleute und die Stände des litauischen Großfürstentums, uns bewogen, der Not zu gehorchen und uns unter das Protektorat des Königs von Schweden zu stellen. Wir stellen dagegen folgende Bedingungen:

1. Wir wollen gemeinsam gegen gemeinsame Feinde kämpfen, ausgenommen gegen den König von Polen.

2. Litauen wird nicht Schweden einverleibt, es tritt mit ihm in eine Union, wie es vorher durch eine Union mit Polen verbunden war.

3. Die Stimmfreiheit im Landtage darf ihm nicht genommen werden.

4. Die Religionsfreiheit darf nicht angetastet werden.

Solange Pan Komorowski las, herrschte im Saale tiefes Schweigen. Als er jedoch mit dem Satze schloß: »Diesen Vertrag bekräftigen wir für uns und unsere Nachkommen durch unsere Unterschriften,« da entstand ein Flüstern im Saale, als wenn der erste Windstoß eines nahenden Gewitters durch die Wipfel eines Waldes fährt.

Aber noch bevor das Gewitter zum Ausbruch kam, erhob sich der weißhaarige Oberst Stankiewicz und begann zu flehen:

»Gnädigster Fürst, wir können unseren Ohren nicht trauen. Um Gottes willen, kann man denn, – darf man denn sich von seinen Brüdern, vom Vaterlande lossagen und mit dem Feinde paktieren? Erlauchtigster Fürst, gedenken Sie des Namens, den Sie tragen, gedenken Sie Ihrer Verdienste, gedenken Sie des bisher unbefleckten Ruhmes Ihres Geschlechtes und zerreißen Sie dieses schändliche Papier! Ich weiß, daß ich Sie nicht allein in meinem Namen darum bitte, sondern im Namen aller hier anwesenden Ritter und der ganzen Schlachta. Fürst, tun Sie das nicht! Jetzt ist es noch Zeit! – Erbarmen Sie sich Ihrer selbst, – erbarmen Sie sich unser, – erbarmen Sie sich der Republik!«

»Tun Sie es nicht! – Erbarmen! Erbarmen!« erschollen Hunderte von Stimmen.

Alle Obersten sprangen von ihren Plätzen auf und traten zum Fürsten; der alte Stankiewicz warf sich mitten im Saale auf die Kniee und hörte nicht auf zu flehen:

»Tun Sie es nicht! Erbarmen Sie sich unser!«

Radziwill erhob sein mächtiges Haupt, seine Augen funkelten vor Zorn.

»Schickt es sich, daß ihr den anderen das Beispiel des Ungehorsams gebt?« brach er los. »Ziemt es Soldaten, ihren Heerführer zu verlassen und gegen ihn zu revoltieren? Wollt ihr mein Gewissen sein? Wollt ihr mich lehren, was für das Wohl des Vaterlandes gut ist? Hier ist kein Landtag, und man hat euch nicht eures Rates wegen hierher berufen. Die Verantwortung vor Gott, die trage ich allein.« Und er schlug mit der Hand auf seine Brust und sah die Soldaten zornsprühend an. »Wer nicht für mich ist, der ist wider mich!« rief er nach einer Minute aus. »Ich habe euch gekannt, ich wußte, was da kommen würde. – So wisset denn, daß das Schwert über euren Häuptern schwebt.«

»Fürst-Hetman!« flehte der alte Stankiewicz, »erbarmen Sie sich Ihrer selbst und unser!«

Aber Stanislaus Skrzetuski rief mit lauter Stimme:

»Bitten Sie ihn nicht, es ist vergebens. – Schon lange hat er diesen Verrat in seinem Herzen gezüchtet! Wehe der Republik! Wehe uns allen!«

»Zwei Großwürdenträger verkaufen das Vaterland!« rief Jan Skrzetuski.

Als Zagloba das hörte, kam er von seinem Erstaunen zu sich und brauste auf:

»Fragt ihn, wodurch die Schweden ihn bestochen haben! Fragt ihn, wieviel sie ihm ausbezahlt haben! Panowie, seht ihn, Judas Ischariot! Möge er in Verzweiflung enden! Möge sein Geschlecht in Schande zugrunde gehen! und der Teufel seine Seele holen! – Verräter und abermals Verräter!«

Von einer grenzenlosen Verzweiflung hingerissen, zog Stankiewicz den Oberstenstab aus dem Gürtel und warf ihn dem Fürsten vor die Füße. Ebenso taten es: Mirski, Jozefowicz, Hoszczyc, Oskierka und Wolodyjowski, der bleich wie der Tod aussah. Die Stäbe rollten über den Fußboden dahin, und der zornige Löwe mußte es mit anhören, wie man ihm in seiner eigenen Höhle immer wieder dasselbe schreckliche Wort entgegenschleuderte:

»Verräter! Verräter!«

Das ganze Blut strömte dem stolzen Magnaten zu Kopfe; er wurde dunkelblau, und es schien, als könne er jeden Augenblick vom Schlage gerührt zu Boden fallen.

»Ganchoff und Kmicic zu mir!« schrie er mit einer fürchterlichen Stimme.

In diesem Augenblicke öffneten sich die vier Türen, die in den Saal führten, geräuschvoll, und die schottische Infanterie schritt schweigend und drohend, mit den Musketen in den Händen, herein. An ihrer Spitze stand Pan Ganchoff.

»Halt!« rief der Fürst und wandte sich an die Obersten. »Wer mit mir ist, der trete auf die rechte Seite des Saales!«

»Ich bin Soldat und diene dem Hetman! Gott soll mich richten!« sagte Charlamp und ging nach rechts.

»Ich denke ebenso,« fügte Mieleszko hinzu. »Es ist nicht meine Sünde.«

»Als Bürger habe ich protestiert, aber als Soldat muß ich gehorchen,« sagte ein dritter, Niewiarowski, der auch vorher seinen Stab hingeworfen hatte, jetzt aber den Zorn Radziwills fürchtete.

Ihnen folgten noch mehrere Ritter und der kleinere Teil der Schlachta; aber Mirski, Stankiewicz, Hoszczyc, Wolodyjowski und Oskierka blieben auf ihren Plätzen und mit ihnen beide Skrzetuskis, Zagloba und die Mehrzahl der Offiziere und der Schlachta.

Die schottische Infanterie umzingelte sie wie eine Mauer.

Als der Fürst den Toast auf Karl-Gustav ausgebracht hatte, war Kmicic von seinem Platze aufgesprungen. Er stand wie versteinert, und mit bleichen Lippen wiederholte er:

»Mein Gott! Mein Gott! Was habe ich getan!«

Dann vernahm er leise die seinem Herzen so wohl bekannte Stimme dicht an seinem Ohre:

»Pan Andreas!«

Er griff verzweifelt an seinen Kopf.

»Ich bin für alle Ewigkeit verdammt! Wohl mir, wenn ich jetzt unter der Erde läge!«

Panna Billewicz' Antlitz überzog eine leichte Röte, und ihre Augen, klar wie zwei Sterne, hefteten sich unverwandt auf Kmicic.

»Schande komme über die, die es mit dem Fürsten halten! – So wählen Sie! – Allmächtiger Gott, was tun Sie? – Wählen Sie!«

»Jesus! Jesus!«

Der Lärm im Saale wurde größer, immer mehr Offiziere warfen ihre Kommandostäbe dem Fürsten zu Füßen; aber Kmicic rührte sich nicht vom Flecke. Auch dann nicht, als der Fürst zum zweiten Male rief: »Ganchoff, Kmicic, zu mir!« So stand er unbeweglich, von Schmerz und Verzweiflung erfüllt, mit trüben Augen und blauen Lippen.

Plötzlich wandte er sich zu Panna Billewicz und streckte ihr die Hände entgegen.

»Alexandra! Alexandra!« rief er mit klagender Stimme, wie ein zu Unrecht gekränktes Kind.

Sie aber wich voll Zorn und Abscheu von ihm zurück: »Fort! – Verräter!« entgegnete sie festen Tones.

In diesem Augenblicke kommandierte Ganchoff: »Vorwärts!« und die Schotten schritten mit den von ihnen eingeschlossenen Gefangenen zu den Türen.

Kmicic folgte ihnen langsam; er wußte selbst nicht, wohin und wozu er ging.

Das Bankett war zu Ende.

Sintflut

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