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Alkibiades’ Familie und Herkunft

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Gegen Ende des Jahres 447 oder Anfang 446 v. Chr. marschierte ein athenisches Heer in Mittelgriechenland ein, um dort eine Bewegung niederzuschlagen, die Athens seit etwa zehn Jahren bestehende Vorherrschaft in Böotien in Frage stellte. Der Feldzug verlief für die Athener zunächst erfolgreich – Chaironeia, ein Hauptstützpunkt der Gegner, wurde eingenommen und zerstört –, endete dann aber in einer Katastrophe, als die athenische Heereskolonne bei Koroneia in einen Hinterhalt geriet und vernichtend geschlagen wurde. Die Niederlage traf die Athener schwer, nicht nur wegen der politischen Folgen – die Herrschaft über Böotien war unwiderruflich verloren –, sondern auch wegen der Verluste, die ihr Bürgeraufgebot zu verzeichnen hatte: Neben dem Feldherrn Tolmides hatten im Kampf bei Koroneia viele Bürger aus angesehener Familie einen frühen Tod gefunden.1

Unter den Gefallenen befand sich auch das Haupt einer alteingesessenen Adelsfamilie, Kleinias, der Sohn des Alkibiades, aus dem Demos (Stadtbezirk) Skambonidai. Kleinias hinterließ zwei noch im frühesten Kindesalter stehende Söhne, einen jüngeren, der den Namen des Vaters trug, und einen älteren, der nach seinem Großvater den Namen Alkibiades erhalten hatte.

Entweder weil in der väterlichen Familie für die Übernahme der Vormundschaft über die verwaisten Söhne des Kleinias kein männlicher Verwandter im geeigneten Alter zur Verfügung stand oder aber, was wahrscheinlicher ist, auf Grund einer speziellen Abmachung fiel die Funktion des Vormunds einem Verwandten der Mutterseite zu, dem Cousin von Kleinias’ Gattin Deinomache, Perikles, der zu dieser Zeit bereits als einer der führenden Staatsmänner Athens galt. Er nahm die beiden Knaben in seinen Haushalt auf, um persönlich für eine dem Rang und dem Ansehen ihrer Familie entsprechende Erziehung Sorge zu tragen.2

Der kleine Alkibiades gehörte von Vater- wie von Mutterseite her zu den exklusivsten Kreisen der athenischen Aristokratie. Die Familie seines Vaters Kleinias führte gleich anderen Adelshäusern ihre Ursprünge auf einen Helden der sagenhaften Vorzeit zurück: Sie betrachtete Eurysakes, den Sohn des Trojanerkriegshelden Aias, als ihren Stammvater. Das war ein Anspruch, der sich in der Unbestimmtheit einer von Legenden und Zweckfiktionen verzerrten Überlieferung verliert. Auf einigermaßen gesichertem Boden steht die Geschichte des Hauses erst zu jener Zeit, als auch Athen selbst bereits aus dem Dunkel einer sagenhaften Frühzeit ins Licht der geschichtlichen Überlieferung getreten war. Vom späten 6. Jh. an präsentieren sich die angeblichen Eurysakes-Nachfahren als ein in den Kreisen der athenischen Eupatriden, der ‚Wohlgeborenen‘, fest etabliertes Adelsgeschlecht, unter dessen Oberhäuptern über fünf Generationen hindurch die Leitnamen Alkibiades und Kleinias einander abwechselten.

Alkibiades war denn auch der Name des ersten historisch bezeugten Familienangehörigen, eines Ururgroßvaters unseres Helden, der sich im letzten Viertel des 6. Jh. an der vom mächtigen Adelsclan der Alkmeoniden geführten Widerstandsbewegung gegen die Tyrannenherrschaft der Peisistratiden beteiligte. Seine Rolle beim Sturz der Tyrannis 510 war hinreichend prominent, um von einem späteren Lobredner, sicherlich mit einem kräftigen Schuss Übertreibung, derjenigen des Alkmeoniden-Oberhauptes Kleisthenes gleichgesetzt zu werden. Damit enden allerdings die Nachrichten über diesen Alkibiades. Ob er die Zusammenarbeit mit dem Alkmeonidenführer auch nach dem Sturz der Tyrannis fortgesetzt und sich an dem großen Reformwerk, mit dem Kleisthenes die Grundlagen für Athens demokratische Staatsordnung legte, beteiligt hat, ist nicht überliefert.

Auch von dem Familienhaupt der nächsten Generation, Alkibiades’ Urgroßvater Kleinias, ist nicht viel bekannt. Wir wissen nur, dass er während des großen Perserkrieges 480 eine eigene Triere, also ein mit drei Ruderreihen versehenes Kriegsschiff, ausrüstete und sich in der Seeschlacht am Kap Artemision auszeichnete, ein Beweis für den Wohlstand und das Ansehen der Familie.3

In der nächsten Generation ist es wieder ein Träger des Namens Alkibiades – der Großvater unseres Helden –, der als Familienhaupt im Lichte der Überlieferung steht. Dieser Alkibiades scheint noch mehr als seine Vorfahren im Brennpunkt der politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit gestanden zu haben; er war in die politischen Turbulenzen verwickelt, die Ende der 460er-Jahre zugleich eine konsequentere Demokratisierung der Polis, eine Abkehr vom spartafreundlichen Kurs der Außenpolitik und die Entmachtung des bis dahin als führender Staatsmann agierenden Spartanerfreundes Kimon nach sich zogen. Der antispartanische Trend der Zeit scheint die Familie, die traditionell zu Sparta in engen Beziehungen stand, in Bedrängnis gebracht zu haben. Alkibiades versuchte dem entgegenzuwirken, indem er das Gastfreundschaftsverhältnis zu den Spartanern öffentlich aufkündigte, fiel aber dennoch dem Volkszorn zum Opfer: Er wurde durch das ‚Ostrakismos‘ genannte Scherbengericht verbannt und ging ins Exil. Ob er seine Verbannungszeit überlebt hat und, wie es den Ostrakisierten von Rechts wegen zustand, nach zehn Jahren in die Heimat zurückgekehrt ist, wissen wir nicht; er wird jedenfalls in unserer Überlieferung nicht mehr erwähnt.4

Sein Sohn Kleinias stand nach der Verbannung seines Vaters vor der Aufgabe, das angeschlagene Prestige der Familie wiederherzustellen und zu festigen. Wohl nicht zuletzt deswegen suchte er Anschluss an den Mann, der unter den athenischen Politikern den Trend der Zeit am klarsten erfasst hatte und der in seinem Wirken das herkömmliche Geltungsstreben eines Aristokraten mit einer reformorientierten, demokratisch ausgerichteten Politik in Einklang zu bringen verstand: Perikles. Dieser hatte in jenen Jahren den Höhepunkt seiner Laufbahn noch nicht erreicht, arbeitete aber eifrig daran, seinen politischen Einfluss zu einer Führungsposition auszubauen.

Kleinias ist spätestens um das Jahr 450 in enge persönliche Beziehung zu Perikles getreten. Ob er auch auf der politischen Bühne eine aktive Rolle als Unterstützer des perikleischen Programms übernommen hat, ist wahrscheinlich, aber nicht mit Sicherheit nachweisbar, da ein in der älteren Forschung gerne als Beleg für Kleinias’ politische Aktivitäten geltend gemachtes inschriftliches Zeugnis auf Grund neuerer Erkenntnisse zweifelhaft geworden ist.5

Wie immer es um die politische Positionierung des Kleinias bestellt gewesen sein mag, die persönlichen Beziehungen zwischen ihm und Perikles waren jedenfalls eng und vertraut genug, um zu dem schon erwähnten Arrangement zu führen, demzufolge nach Kleinias’ frühem Tod die Vormundschaft und Obsorge für dessen Kinder dem Perikles zufielen. Im Hinblick auf den Familienhintergrund der beiden Waisenknaben wie auch auf die illustre Stellung des Vormunds verstand es sich gewissermaßen von selbst, dass die Erziehung der Kleinias-Söhne von Anfang an unter der Prämisse der Vorbereitung auf eine führende Rolle im öffentlichen Leben Athens zu stehen hatte.

Von den beiden Knaben entwickelte sich der Jüngere, nach dem Vater Kleinias genannt, zu einem Problemfall, der als Kind deutliche Züge jenes Persönlichkeitstypus erkennen ließ, den man heute mit dem Begriff des „Schwererziehbaren“ zu bezeichnen pflegt, und sich auch späterhin nicht imstande zeigte, eine den Erwartungen seiner Verwandten entsprechende Position in der Polis zu erringen.6

Ganz anders präsentierte sich sein älterer Bruder Alkibiades, dessen Entwicklung seine Umgebung von früher Jugend an zu der Hoffnung zu berechtigen schien, dass er die glanzvollen Traditionen seiner elterlichen Vorfahren weiterführen werde. Die Aufgabe, ihm die dazu nötige Bildung und das moralische Rüstzeug zu verschaffen, oblag seinem Vormund Perikles.

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