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Ankunft II

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Bei der Ausfahrt 9 biegen wir zielsicher auf die N7 ab, jetzt um die Mittagszeit gleiten wir unter einem stark bewölkten Sommerhimmel dahin, kaum, dass andere Fahrzeuge unterwegs sind, es gibt hier keine Leitplanken, und jenseits des mit einer gelben Linie abgetrennten Sicherheitsstreifens drängt sich eine dichte Grasdecke an die Autobahn, dahinter baumhohe Büsche, die den freien Blick auf die Landschaft einschränken. Aber bald schon klärt sich der Himmel auf, zwischen den weißen Wolkenknäueln arbeiten sich dunkelblaue, immer größer werdende Farbflecken hindurch. Die riesigen Hinweisschilder in gleicher Farbe mit der weißen Schrift am linken Straßenrand begleiten uns im Abstand der Ausfahrten auf unserem Weg und die jeweils größere, rechts davon angebrachte Tafel zeigt uns mit dem Wort Limerick und der Kombination M7, dass wir richtig sind. Der Verkehr verdichtet sich von Zeit zu Zeit, parallel zur Autobahn Versorgungsleitungen für Strom, mutmaßlich auch für Telefon, aber alles in allem bietet sich uns eine wenig eindrucksvolle Hügellandschaft, deren Kuppeln mit Wald bewachsen sind, und die zur Ebene hin in flaches Wiesengrün auslaufen. Sind wir dafür nach Irland gereist? Nur die üppigen Wolkenformationen über uns, weiß zerfasert an den Rändern und zur Erde hin in allen Grauabstufungen dunkel verfärbt, verhelfen uns zu der Ahnung, dass hier irgendetwas grundsätzlich anders ist als bei uns in Deutschland.

Unweit der Autobahn in der Ebene liegt hingeschmissen ein, wie es scheint, neu erbautes Dorf, die Häuser in ähnlichem Baustil, zweigeschossig und mit einem Schieferdach versehen. Ob die auch alle bewohnt sind? Und hier, wo sich offensichtlich Leben abspielt, wird die Straße auch durch Leitplanken begrenzt, Menschen allerdings sehen wir nicht. Kilometern um Kilometer das gleiche Landschaftsbild, hügelige Wiesen von Busch- und Baumreihen durchzogen, und irgendwo dahinter, weit in der Ferne erahnen wir höhere Erhebungen, Berge vielleicht sogar.

Wenige Kilometer nach Limerick verlassen wir die Autobahn und werden ab sofort für den Rest unserer Reise "entschleunigt": Waren die 110 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit bis hierher für deutsche Verhältnisse schon langsam genug, so werden wir in den nächsten elf Tagen selbst auf gut ausgebauten Landstraßen nie schneller als 70 km/h und auf vielen Nebenstrecken kaum schneller als 20-30 km/h fahren. Schon bald geraten wir in stockenden Verkehr, damit haben wir nun gar nicht gerechnet, nachdem unsere Fahrt bislang so zügig und problemlos verlaufen war. Drei Stunden bis Killarney, unserem heutigen Tagesziel, haben wir veranschlagt, aber diese Vorstellung erweist sich rasch und gründlich als Illusion. Schon weit vor Newcastle West bewegen wir uns im Schritttempo vorwärts, dort scheint man ein Fest zu feiern, so vermuten wir bei der Stop-and-go-Fahrt durch diese kleine Stadt. In den folgenden Ortschaften ziehen uns immer wieder historische Bauwerke in ihren Bann, Kirchen, Abbeys und teilweise ruinöse Burganlagen, aber wir steigen nicht aus, nehmen uns nicht die Zeit für eine genauere Betrachtung und sind froh, im jetzt wieder ruhigen Verkehrsfluss nach Süden zu schwimmen. Irene sucht dringend eine Toilette, in einem Pub am Straßenrand zeigt man ihr freundlich den Weg dorthin, auch hier keine Zeit und Gelegenheit, ein heißes Getränk zu uns zu nehmen, Wasser in Flaschen allerdings haben wir genug. Und endlich, nach endlos vielen Natursteinmauern am linken Straßenrand, die Mauerkronen mit üppigem Efeu bewachsen, dessen obere Triebe in der Sonne des späten Nachmittags hellgrün aufleuchten, jetzt endlich steuern wir auf Killarney in Kerry zu, von dem ich schon vor Jahrzehnten als Student in den Anfangssemestern schwärmerische Beschreibungen auf geschnappt hatte, und das ich als erstes Ziel auf unserer Reise sehen und besuchen wollte. Ganz in der Nähe im Schatten der Macgillycuddy's Rocks hatte ich im Internet ein B&B gefunden, das ruhig gelegen, von der Ausstattung her attraktiv wirkte und das als Adresse Gap of Dunloe angab.

Spätestens ab Castleisland ist es dann auch diese Ansammlung von Eintausendern, die sich als gewaltiges Massiv nach oben wuchten, und die unsere Aufmerksamkeit immer mehr für sich in Anspruch nehmen. Dunkle, unwirklich und abweisend wirkende Berge, selbstbewusst, fast rücksichtslos arbeiten sie sich hinauf in die tief hängenden Wolken, die sich in der letzten Stunde verdichtet und schwarz verfärbt haben, die Berggipfel einhüllen und unseren Augen entziehen. Vor Killarney verdichtet sich der Verkehr wieder, aber wir lassen den Ortskern vor uns liegen und biegen auf unserer Suche nach der Unterkunft nach Westen ab. Unsere Straßenkarte mit dem Maßstab 1:300.000 legt uns nahe, bis Beaufort zu fahren, ist dann aber für die Abzweigung in den Gap of Dunloe zu ungenau. Wir versuchen es auf gut Glück, probieren die eine, die andere und noch eine Abzweigung, enge, lehmbeschmierte Sträßchen sind das, und wir sehen dann mit einem Mal das Häuschen aus dem Internet am Straßenrand liegen, ganz allein zwar, aber in Wirklichkeit längst nicht so attraktiv wie auf dem Foto, das die Eigentümer ins Netz gestellt haben. Auf den letzten Kilometern hat sich nicht nur das Wetter, sondern auch Irenes Miene verdüstert. Geduldig hat sie diese Suche über sich ergehen lassen, aber ich sehe es an ihrem vorgeschobenen Kinn, dass sie mit irgendetwas ganz und gar nicht einverstanden ist.

Ja, eigentlich wollte ich ans Meer und nicht in die Berge, antwortet sie auf meine Frage hin, aber wenn du unbedingt hierbleiben willst, dann machen wir das eben.

Fast schon hätte ich zuhause ein Zimmer hier gebucht, habe auch auf dem Weg hierher mehrmals bereut, es nicht getan zu haben, jetzt wüssten wir wenigstens, wo wir die Nacht verbringen könnten.

Immerhin ist es schon gegen sechs Uhr abends, und das ist eigentlich der späteste Zeitpunkt, zu dem wir ein Zimmer gefunden haben wollten.

Also, sage ich mit Blick auf das nur leidlich attraktive Haus,

wir können schon noch weiterfahren, es bleibt ja noch lange hell.

Das tun wir dann auch, aber Irenes Miene klärt sich nur langsam und erst dann auf, als wir uns durch Beaufort zurücktasten und uns in die Hauptstraße in Richtung Killorglin einfädeln.

Dichtes Gehölz säumt dort den Ortseingang, und als wir aus der grünen Kuppel herausfahren, sehe ich rechterhand ein Schild mit der Aufschrift "B&B" und darunter den Hinweis: Vacancies.

Sollen wir? wende ich mich an Irene, doch sie ist schon hundert Meter weiter, hat das Schild nicht bemerkt.

Schauen wir erst noch mal, antwortet sie, da gibt's bestimmt auch andere, die was frei haben.

In der Tat, sie hat recht, unerwartet viele Zimmer sind jetzt um diese Jahreszeit frei, aber meist liegen die Häuser direkt am Straßenrand, und das wollen wir uns natürlich nicht antun.

Im Zentrum des Städtchens überspannt eine große Steinbrücke einen träg sich kräuselnden Fluss, und als wir über das Mini-Roundabout davor in Richtung Trailee weiterfahren, zieht ein Pub am Ufer meine Aufmerksamkeit auf sich, aber es ist nicht das Gebäude selber, sondern die vielen Menschen davor, die irgendetwas feiern, Rauch steigt auf, das könnte ein Grillfest sein.

Du, schau mal, wirkt gemütlich, das wäre doch was, kommentiere ich meine Beobachtung.

Der erste schöne Ort, seit wir hier sind, ergänze ich, aber Irene nimmt den Fuß nicht vom Gas, sie will ans Meer, und ich willige ein, die fünfundzwanzig Kilometer bis zur nächstgrößeren Stadt noch auszuharren.

Nach Milltown und Castlemaine, denen wir beide nichts abgewinnen können, klettern wir am Rand der Slieve Mish Mountains die ansteigende Straße hinauf, bis wir vom Scheitel aus einen Blick hinunter auf Trailee werfen können: Ein großflächiger Pfannkuchen aus Häusern und Hochhäusern, Mietskasernen vermuten wir, von Meer keine Spur, zumindest nicht von hier oben aus, und auch Irene fällt es jetzt leicht, den Rückwärtsgang einzulegen und zu wenden.

Das Ganze also im Eiltempo zurück, und, welch ein Glück, das Schild "Vacancies" am Ortseingang hängt noch. Es geht eine steile Einfahrt hinauf, gepflegte Rasenflächen, großkronige Bäume und bunte Blumenrabatten umgeben ein schmuckes, zweigeschossiges Haus. Zwei Autos sind davor geparkt, wir stellen unser Töfftöff dazu und eilen die paar Stufen zur Eingangstür hinauf.

Klingel drücken, warten, ob jemand zuhause ist, ja, es tut sich was.

Eine schlanke, dunkelhaarige Frau öffnet mit strahlendem Lächeln die Tür.

Da sind Sie ja! flötet sie uns entgegen, begrüßt uns mit Handschlag und der Frage: Sie sind aus Deutschland, nicht wahr?

Wie war denn der Verkehr? schiebt sie nach, und dann will sie uns ohne Umschweife unser Zimmer zeigen.

Sie wollen also ein Zimmer nach hinten raus, vergewissert sie sich.

Wir sind erstaunt und überrascht.

Woher sie das weiß, frage ich nun, und die Landlady stutzt einen Moment, scheint ihrerseits verunsichert und fragt dann mit hochgezogenen Brauen:

Haben wir nicht telefoniert, Sie sind doch aus Deutschland?

Ja, das schon, aber telefoniert haben wir nicht.

Uns wird klar, dass eine Verwechslung vorliegt.

Sie entschuldigt sich einmal und zweimal und bedauert, dass dies ihr letztes freies Zimmer sei, leider, leider, sie hat es vor einer Stunde vergeben.

Aber keine Sorge, ich bringe Sie schon unter. Können Sie sich vorstellen, etwas außerhalb zu wohnen?

Ja, natürlich, nur ruhig muss es sein.

Ich ruf mal an, und frage, ob sie noch was frei hat. Das ist ein ausgesprochen schönes Haus, und die Vermieterin ist auch ganz besonders nett.

Während sie telefoniert, schauen wir uns in einer grünen Broschüre die empfohlene Bleibe an, besonders attraktiv finden wir das Gebäude nicht, aber es ist schon spät und für eine Nacht wird es wohl taugen.

Ja, teilt uns die irische Lady das Ergebnis ihres Gesprächs mit, Sie können kommen, ganz unverbindlich natürlich, schauen Sie sich das Zimmer an.

Wir verabschieden uns, bedauern, dass wir nicht bleiben können, und folgen der beschriebenen Route hinaus aus dem Städtchen. Nach zwei Kilometern entdecken wir direkt an der Hauptstraße, aber etwa hundert Meter nach hinten versetzt, das empfohlene "B&B", das uns für die kommende Nacht beherbergen soll.

Eine kleine blonde Frau Anfang fünfzig öffnet uns, für 28 € will sie uns das Zimmer im Erdgeschoss geben, aber es liegt zur Straße hinaus, und ich lausche argwöhnisch den vorbeijagenden Autos und dem Lärm, den sie verursachen.

Haben Sie vielleicht ein Zimmer nach hinten? frage ich hoffnungsvoll. Die Landlady zögert.

Aber dann gibt sie sich einen Ruck, ja, sie hat ein Zimmer, allerdings käme noch eine Familie, und der hätte sie diesen Raum zugedacht.

Aber gut, sie sagt uns das Zimmer zu, und als wir es im ersten Stock betreten, haben wir durch ein großes Fenster einen weiten Blick über die hier so typische Landschaft mit Schafen auf den von Buschreihen durchzogenen grünen Wiesen.

Ich lausche noch einmal, nein, vom Straßenverkehr hört man hier hinten nichts, wir sagen zu.

Erleichterung, wir sind angekommen. Wir packen aus, machen uns etwas frisch und auf den Weg zurück in die Stadt, denn wir spüren beide einen nagenden Hunger.


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