Читать книгу Mord im Spital - Herbert Lipsky - Страница 10

Der Detektiv

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Montagnachmittag bekam ich wieder einmal Besuch von der Polizei. Jakob betrat mein Büro, seine junge Kollegin blieb bei Simone.

„Was gibt es Neues?“, fragte ich ihn.

„Wir haben allen Patienten, die zum Zeitpunkt der Tat auf der Station lagen, die Fotos aller Ärzte, Schwestern und Pfleger gezeigt, die bei euch arbeiten. Niemand hat etwas Außergewöhnliches bemerkt. Nur eine Patientin, die am Gang auf und ab spazierte, meinte, sich erinnern zu können, dass außer der Stationsschwester ein Mann Lederers Zimmer betreten habe, der ein grünes OP-Hemd getragen habe. Die Patientin ist 80 Jahre alt, aber geistig durchaus fit. Sie glaubt, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben, ist sich aber nicht sicher, wo es war.“

„Das klingt nicht gerade nach einer heißen Spur.“

Dann fiel mir etwas ein: „Jakob, vor ein paar Monaten ist ein wichtiger Mitarbeiter von Lederer gestorben. Sein Name war Burger. Vielleicht findest du heraus, woran er gestorben ist.“

„Du meinst, dass er beseitigt wurde?“

„Nein, ich habe keine Ahnung, aber zwei Todesfälle innerhalb so kurzer Zeit in einer Firma, da sollte man sich schon davon überzeugen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Es kann aber natürlich auch ein Irrer gewesen sein oder einer, der sich als Herr über Leben und Tod betrachtet. So etwas gab es in den letzten Jahren immer wieder, denk an die Pflegerinnen von Lainz, die waren kein Einzelfall.“

Als Jakob ging, hörte ich durch die geöffnete Tür aus dem Vorzimmer das fröhliche Lachen der zwei jungen Damen, die sicher nicht über den Mord gesprochen hatten.

Kurz danach wurde ich wieder mit dem Mord belästigt: Frau Staatsanwalt Leitner-Markovic war am Telefon. Ihr Ton war diesmal wesentlich umgänglicher, beinahe schon normal. Sie wollte wissen, ob wir etwas herausgefunden hätten und ob mir noch etwas eingefallen sei? Ich verneinte und meinte, dass nicht ich es sei, der die Ermittlungen führe, sondern die Polizei. Sie könne doch Chefinspektor Steinbeißer interviewen, der gerade bei mir gewesen sei. Dann fragte sie mich, diesmal weniger direkt, noch einmal über mein Verhältnis zur Familie Lederer aus. Wie oft ich in den letzten Jahren Kontakt mit Marion gehabt hätte und ob die Ehe der beiden glücklich gewesen sei?

Ich wehrte energisch ab: „Selbst wenn ich etwas wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen.“

„Ich will Sie nicht zu einem Vertrauensbruch bewegen, sondern ich will Frau Lederer lediglich von einem Verdacht befreien. Schließlich ist sie die Alleinerbin und könnte die Tat sehr wohl begangen haben.“

Wir beendeten unser Gespräch in Frieden. Diese Frau war verdammt misstrauisch. Glaubte sie am Ende, ich wäre der Geliebte von Marion gewesen und hätte Lederer beseitigt, um an das große Geld heranzukommen? Ich muss aber gestehen, dass ich keine Ahnung gehabt hatte, wie reich Marion tatsächlich war. Sie wäre wirklich eine gute Partie.

Kaum hatte ich aufgelegt, erhielt ich einen weiteren Anruf, diesmal von Marion.

„Paul, Julia hat mir etwas von einem Detektiv erzählt. Ich möchte ihn nun doch engagieren. Ist dieser Wotruba wirklich diskret und verlässlich?“

„Absolut, er hat unauffällige Methoden und behandelt die Geheimnisse seiner Klienten mit äußerster Verschwiegenheit.“

„Wir haben momentan Probleme mit Kevin. Er hat erwartet, dass Roswitha sofort Firmenanteile erbt und er dadurch mehr Mitspracherecht erhält. Ich habe ihn selbstverständlich mit einer wichtigeren Position betraut, aber das ist ihm zu wenig. Ich möchte daher etwas über seinen Umgang und seine Verbindungen erfahren.“

„Dann engagiere Wotruba. Übrigens, Julia hat mir mitgeteilt, dass ein leitender Angestellter eurer Firma, ein Herr Burger, vor einem halben Jahr gestorben ist.“

„Das ist eines unserer Probleme. Kevin wollte unbedingt seine Stellung haben, die ich aber an Dr. Reiter vergeben habe.“

„Warum?“

„Reiter ist ohne Zweifel tüchtig und hat sich bisher bewährt. Auch Fritz hat ihn geschätzt. Dafür werde ich, wenn ich von Kevin überzeugt bin, ihn direkt in die Geschäftsführung nehmen. Außerdem habe ich noch einen Sohn. Mein Endziel wäre es, dass Kevin und Sebastian die Firma leiten.“

„Woran ist Burger gestorben?“

„Er war Diabetiker und ist beim Sport gestorben. Er hat sich wohl übernommen.“

Aber auch nach diesem Gespräch hatte ich noch keine Ruhe. Simone kam herein und brachte mir eine Reihe von Schriftstücken zur Unterschrift.

„Soll ich nachforschen, welchen Mann Frau Ederer gesehen haben könnte?

Ich blickte sie erstaunt an: „Frau Ederer, wer ist das?“

„Na, die alte Dame, die jemand in Lederers Zimmer gehen gesehen hat. Sie war zu einer Kontrolle bei uns aufgenommen und ist zur Tatzeit auf dem Gang gewesen.“

Ich erinnerte mich vage.

„Sollen wir der Polizei nicht auch die Fotos aller Männer zur Verfügung stellen, die im Haus arbeiten?“

„Machen Sie, was Sie wollen, aber nicht in der Dienstzeit. Ich möchte mich nicht in die Ermittlungen einmischen. Das alles ist Sache der Polizei.“

Simone packte wortlos die unterschriebenen Papiere und stöckelte grußlos mit festen Schritten hinaus. Ich hatte sie beleidigt. Nachdenklich sah ich auf ihr reizendes Hinterteil, das empört hin und her schwang. Ihr Gang ist immer so etwas wie ein Stimmungsbarometer, das ich gut deuten kann. Es gibt einen zufriedenen Abgang, mit langsamen elastischen Schritten, wie auf einem Catwalk sozusagen, und vor der Tür gibt es noch einen freund­lichen Blick zurück. Dann kann ihr Gang auch einladend, ja verführerisch sein, dann ist auch der Hüftschwung etwas ausgeprägter. Das geschieht, wenn man von mir etwas will. Heute war ich etwas ungehalten gewesen, daher die beleidigte Gangvariante. Sie war einfach nur neugierig, aber ich muss gestehen, dass ihre Neugier mir schon oft geholfen hat.

Endlich konnte ich mich wieder meiner Arbeit zuwenden, ich stand auf und begann meine Visite. Im Spital hat sich in den letzten Jahren einiges geändert. Dafür gibt es viele Ursachen. Die Dreiteilung der Führung in Ärzteschaft, Pflege und Verwaltung ist eine davon. Diese Leitungsorgane agieren häufig nicht miteinander, sondern nebeneinander oder gegeneinander. Die Fortschritte in der Medizin und nicht zuletzt die Digitalisierung des Alltags haben die Kosten und den Aufwand beträchtlich vergrößert. Die notwendigen Rationalisierungen wurden von Managern durchgeführt, die dies zu tun anderswo gelernt haben. Sie haben die Spitäler so wie ein beliebiges anderes Unternehmen organisiert und orten Sparpotenziale, wo es keine gibt. So hat die Digitalisierung – der Fluch und Segen unserer Zeit – zu einer immer größer werdenden Bürde der Dokumentation geführt, die Ärzten und Schwestern weniger Zeit für den Patienten lässt. Wir alle leisten heute die Arbeit, die früher Sekretärinnen gemacht haben. Die können das nämlich nicht mehr machen, weil dafür zu viel Fachwissen notwendig ist. Der Patient, der ein Spital betritt, wird stundenlang befragt, zuerst von der Krankenschwester, dann vom Stationsarzt und dann vom Spezialisten. Alles wird dokumentiert und weggespeichert. Der Patient wird über alles aufgeklärt und muss für jeden Handgriff, der bei ihm getan wird, eine Einwilligung unterschreiben. Der nun „aufgeklärte“ Patient hat meist nichts oder wenig verstanden und ist deswegen nicht wirklich mündig geworden. Ich erinnere mich an intelligente Patienten, die ich zuerst selbst in meiner Ordination aufgeklärt habe, die dann im Spital einen illustrierten Bogen über den Verlauf der Operation angeschaut und unterschrieben haben, nochmals aufgeklärt wurden und die Operation gut überstanden haben. Solche Patienten fragen einen dann nach Jahren: „Aber Herr Doktor, ich habe doch damals keinen Krebs gehabt?“

Für einen echten Kontakt zwischen Arzt, Pflegepersonal und Patient bleibt nur mehr wenig Zeit. Durch den ständigen Wechsel wird der Kranke verwirrt, denn er kennt „seinen“ Arzt und „seine“ Schwester nicht. Er wird in eine Diagnose- und Therapiemaschine eingespeist, die meist effizient arbeitet, auch wenn Pannen möglich sind. Meist wird er aber geheilt wieder ausgeworfen. Alle Bemühungen des Managements wie etwa die Vorstellung des Personals mit Namen und Handschlag können über die Distanz nicht hinwegtäuschen, die bleibt. Jeder von uns ist ständig auf dem Sprung, man antwortet dem Patienten, aber der Tagesablauf drängt einen weiter.

Ein humorvoller Patient hat einmal zu mir gesagt: „Was ich im Spital so schön finde, ist, dass man so viele Menschen kennenlernt, die einem alle die Hand geben und sich vorstellen. Leider sieht man sie dann kein zweites Mal.“

Ich versuche, dem entgegenzuwirken, indem ich immer wieder allein Visiten mache, bei denen ich nur eine Schwester mitnehme und mich von Patient zu Patient weitertratsche. Auf so eine Trödelvisite ging ich jetzt und wollte dabei nicht gestört werden. Wie immer konnte ich diese nicht ganz beenden, denn ich wurde durch einen Anruf in den OP geholt.

Mord im Spital

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