Читать книгу Mord im Spital - Herbert Lipsky - Страница 6

Die Staatsanwältin

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Für das Treffen mit den Behörden hatte ich unser großes Besprechungszimmer gewählt, dort würden wir alle Platz finden. Kaffee und Getränke standen bereit. Es kamen nicht weniger als sieben Personen. Drei Damen und vier Herren. Zwei Frauen von der Staatsanwaltschaft und eine von der Polizei. Die übrigen vier waren ebenfalls Polizisten, einer davon mein Freund Jakob Steinbeißer, Chefin­spektor bei der Kripo. Er war übrigens auch bei meinem Geburtstagsfest gewesen. Der Gerichts­mediziner war selbstverständlich auch anwesend. Ich begrüßte alle, bat sie, Platz zu nehmen, und ergriff das Wort.

„Meine Damen und Herren, ich darf Sie hier als Leiter der Abteilung begrüßen. Um Ihnen die Arbeit zu erleichtern, habe ich alle Infragekommenden gebeten, sich bereitzuhalten. Sie können den Arzt befragen, der die Infusion hergerichtet hat, die Schwester, die sie angehängt hat, den Anästhesisten, der die Wiederbelebung gemacht hat, die leitende Stationsschwester und außerdem die Diensthabenden der Nachbarstation und alle Ärzte, die am Samstag Dienst hatten. Unmittelbar nach den Vorfällen habe ich alle gebeten, ein Gedächtnisprotokoll zu verfassen, und ich habe auch selbst versucht, meine Beobachtungen und Eindrücke niederzuschreiben. Ich verspreche Ihnen, wir werden um eine gute Zusammenarbeit bemüht sein.“ Nach diesen Worten setzte ich mich.

Die Staatsanwältin, die während meiner kleinen Rede säuerlich gelächelt hatte, meinte sarkastisch: „Wenn Sie bisher schon alles gemacht haben, wollen Sie nicht auch gleich selbst die Ermittlungen leiten?“

Das musste ich mir in meinem Haus nicht bieten lassen. Ohne ein Wort zu verlieren, stand ich auf, verließ den Raum und ging in mein Büro. Alle sahen mir erstaunt nach, nur Jakob schmunzelte. Ich zog mich um und fuhr nach Hause. Noch während der Fahrt läutete mein ­Mobiltelefon. Es war Jakob.

„Paul, was ist los? Sei doch nicht beleidigt. Komm zurück. Die ist immer so eklig. Sie will damit die Leute einschüchtern.“

„Nicht mich. Ich bin bereits auf dem Weg nach Hause, meine Dienstzeit ist zu Ende. So eine blöde Kuh, ich bemühe mich, bin freundlich, bereite alles für euch vor, und sie will sich wichtigmachen und fährt mir über den Mund.“

„Sie ist dafür bekannt. Sie wird dich zu einer Einvernahme ins Gericht bestellen.“

„Dann werde ich kommen, aber wie du weißt, ein Arzt hat nicht immer Zeit. Spielchen kann sie mit anderen spielen. Mein Protokoll liegt am Tisch, ihr habt für heute genug Arbeit. Macht eure Einvernahmen.“

„Na, wie du glaubst.“

Als ich Julia von meinem Auszug berichtete, lachte sie hell auf. Als Rechtsanwältin kennt sie natürlich die Justiz und ihre Beamten. Als ich ihr die Staatsanwältin beschrieb, nannte sie mir ihren Namen: Frau Leitner-Markovic.

„Das tut der gut, dass sich einmal einer gegen sie wehrt. Sie fährt über alle Leute drüber und versucht, sie einzuschüchtern. Es gibt Gerüchte, dass sie eine politische Karriere anstrebt, ihr Mann ist Politiker. Man hat ihr den Spitznamen ,Justizministerin‘ verpasst.“

„Ich werde sie zur Strafe ein wenig ärgern.“

„Ich werde dir juristischen Beistand leisten.“

Am Abend rief Marion an.

Sie klang verzweifelt: „Paul, sag mir, wisst ihr schon, woran Fritz gestorben ist?“

„Es tut mir leid, dass ich dir das sagen muss, aber er dürfte an einer Vergiftung gestorben sein.“

Sie sprach minutenlang nicht. „Vergiftung?“

„In der Antibiotikaflasche befand sich Kaliumchlorid in hoher Dosierung. Ich darf dir das wahrscheinlich gar nicht sagen.“

„Wer hat das getan, und warum?“

„Die Staatsanwaltschaft und die Polizei ermitteln, sie waren heute im Spital und haben alle Personen, die am Samstag Dienst gehabt haben, befragt.“

„Kann ich zu euch kommen?“

Ich sah Julia fragend an. Sie nickte.

„Selbstverständlich.“

Eine halbe Stunde später läutete es an der Haustür, Marion war da. Ich ließ sie herein und umarmte sie. Sie wirkte gefasst. Auch Julia nahm sie in die Arme. Wir setzten uns ins Wohnzimmer, und ich begann, den Ablauf der Ereignisse im Licht der neuen Erkenntnisse zu schildern.

„Du meinst also, dass es Mord war?“

„Die Tatsachen lassen keine andere Schlussfolgerung zu. Ich glaube nicht an Fahrlässigkeit. Auf der Station gab es zu dieser Zeit nur im Notfallwagen Kaliumchlorid, auch im Abfallbehälter waren keine leeren Ampullen. Jemand muss das Kalium mit voller Absicht in die Infusion gegeben haben, während ihr beide am Gang auf und ab spaziert seid. Die Infusionsflasche trug den Namen deines Mannes. Alle Menschen, die sich auf der Krankenstation aufhielten, könnten das Zimmer betreten und etwas in die Flasche gegeben haben. Kein Mensch achtet darauf, wenn eine Schwester oder ein Besucher ein Zimmer betritt.“

„Wir sind eine Weile auch im Aufenthaltsraum gesessen.“

Ich reichte ihr ein Glas Rotwein, sie trank einen Schluck.

„Wer könnte an seinem Tod Interesse haben?“

„Das musst du am ehesten wissen. Das wird dich auch die Polizei fragen. Sie werden deine privaten Beziehungen durchwühlen und die Geschäfte eurer Firma durchforsten. Mach dich auf Unangenehmes gefasst.“

Sie seufzte auf und begann hemmungslos zu weinen. Julia hatte sich an ihre Seite gesetzt und ihre Arme um sie gelegt. Nach einer Weile beruhigte sie sich.

„Marion, wir sind beide für Sie da. Wenn Sie persönlich eine juristische Beratung bei der Verlassenschaft brauchen, so bin ich gern bereit, für Sie zu arbeiten.“

Marion stand auf, sie hatte sich einigermaßen gefasst.

„Ich danke euch für eure Freundschaft, gerne werde ich auf eure Angebote zurückkommen. Danke für die Offenheit, Paul, ich werde auf der Hut sein und dich nicht verraten.“

Wir begleiteten sie zur Tür.

Mein Handy läutete, es war Jakob.

„Na, Schatz, wie war dein Tag?“, fragte ich ihn scheinheilig.

„Es war nicht leicht. Frau Staatsanwalt war durch den Gesichtsverlust, den sie durch deinen Abgang erlitten hat, ganz schlechter Laune. Deinen armen Turnusarzt und die Schwester hat sie fast zerrissen. Es war wie ein Kreuzverhör mit überführten Mördern, aber dank des Gedächtnisprotokolls und deiner peniblen Aufzeichnungen und Beweisstücke ist es ihr nicht gelungen, die beiden einer fahrlässigen Tötung zu überführen. Du bist schon ein alter Schlaumeier.“

„Jakob, nicht Schlaumeier, sondern gebranntes Kind. Wir haben jedes Jahr Anklagen wegen Kunstfehlern am Hals und sind seit Jahren nicht bestraft worden, weil wir immer alles gut dokumentieren und Beweise vorlegen können, die uns recht geben, und, das ist wichtig, wir haben nie geschummelt oder gelogen.“

„Ist es wirklich so arg?“

„Es wird immer schlimmer. Es ist beinahe schon wie in den USA. Jeder, der mit dem Resultat seiner Behandlung unzufrieden ist, klagt. Aber meistens gelingt es, die Beschwerden außergerichtlich bei der Schlichtungsstelle zu erledigen.“

„Sie wird dich, den hochnäsigen weißen Gott, in ihr Büro bestellen.“

„Gerne, ich werde meine Anwältin mitbringen.“

„Eine gute Idee, sonst setzt sie dich womöglich noch fest. Eine Art Beugehaft.“

„Julia wird mich heraushauen.“

„Ich komme morgen am Nachmittag zu dir und werde eine peinliche Befragung durchführen.“

„Geht es nicht am Vormittag? Du weißt doch, Mittwochnachmittag ist Golf angesagt. Sonst habe ich ja nie Zeit.“

„Nie Zeit, dass ich nicht lache. Du bist ja ununterbrochen am Golfplatz. Aber gut, von mir aus, aber nur weil wir befreundet sind, dann komme ich eben am Vormittag.“

„Sag einmal, ich habe gar nicht gewusst, dass die Staatsanwaltschaft schon so früh bei den Erhebungen dabei ist. War das immer so?“

„Nein, erst seit der Strafprozessreform 2008. Ursprünglich war die Staatsanwaltschaft als reine Antragsbehörde konzipiert, die entweder Verfahren einstellte oder Strafanträge und Anklagen bei den Gerichten einbrachte. Im neuen System ist sie aber auch Ermittlungsbehörde. Die Staatsanwälte leiten nun das gesamte Ermittlungsverfahren, können der Kriminalpolizei Anordnungen geben und selbst Ermittlungen führen. Nicht jeder Staatsanwalt tut das. Es gibt aber ehrgeizige und karrierebewusste Staatsanwälte, die versuchen, sich in wichtigen Verfahren zu profilieren.“

„Haben wir es hier mit so einem Fall zu tun?“

„My lips are sealed.“

An dieser Stelle muss ich wohl mein Verhältnis zu Jakob erläutern. Vor Jahren hatten wir uns bei einem Mordfall kennen und schätzen gelernt. Ich hatte ihm geholfen, den Fall zu lösen. Das klingt zwar etwas hochtrabend, stimmt aber. Daraus hat sich eine echte Freundschaft entwickelt. Und erst vor zwei Jahren hatte ich wiederum zusammen mit Jakob eine Kunstfälscherbande hinter Schloss und Riegel gebracht. Das war ziemlich gefährlich gewesen, und ich hatte meiner Frau schwören müssen, mich nie wieder in so eine Situation zu bringen. Nicht nur Jakob und ich, sondern auch unsere Frauen sind befreundet. Julia hat gerade Jakobs Frau überredet, mit dem Golfen anzufangen. Er sträubt sich noch hartnäckig dagegen, aber es wird ihm nichts nützen. Auch er wird anfangen müssen. Wir treffen uns regelmäßig, im Winter spielen wir in der Halle Tennis und gehen gemeinsam Schi fahren, im Sommer machen wir Bergpartien, mit einem Wort, wir sind echte Freunde.

Am nächsten Tag kam Jakob schon um zehn Uhr in mein Büro, mit der jungen Kollegin, die schon am Vortag dabei gewesen war und die er mir nun als Frau Inspektor Blassnig vorstellte. Ich gab eine knappe und präzise Darstellung meiner Sichtweise. Bei einigen Punkten hakte er nach. Dann kam die unvermeidliche Frage, wer denn die Tat begangen haben könnte?

Ich antwortete schweren Herzens: „Nur jemand, der die Station und ihren Betrieb genau kennt und der exakte medizinische Kenntnisse besitzt, mit einem Wort, es muss ein Mitarbeiter oder zumindest ein ehemaliger Angehöriger der Klinik sein.“

„Arzt, Pflegepersonal oder jemand von der Verwaltung?“

„Am ehesten ein Arzt oder jemand vom Pflegepersonal.“

„Glaubst du, dass der oder die bei der Tat Berufskleidung getragen hat?“

„Kann sein, muss aber nicht sein. Jeder normale Besucher kann ein Krankenzimmer betreten, während der Besuchszeit gehen die Angehörigen der Patienten aus und ein. Es ist ganz einfach: Der Täter beobachtet das Opfer und seine Frau, die am Gang auf und ab gehen und auch längere Zeit im Aufenthaltsraum sitzen. Er geht in Lederers Zimmer, es ist ein Einzelzimmer. Die Spritze ist vorbereitet, es dauert nicht einmal eine Minute, um sie der Infusion beizufügen, und er verlässt das Zimmer wieder. Wenn jemand gekommen wäre, hätte er einfach gesagt, dass er die Infusion kontrollieren müsse, oder sich entschuldigt, dass er sich im Zimmer geirrt habe. Es ist insgesamt kein großes Risiko. Am Samstagnachmittag herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.“

„Jedenfalls ist niemandem etwas aufgefallen.“

„Befragt doch die anderen Patienten, ob irgendetwas Auffälliges passiert ist oder ob sie jemanden gesehen haben.“

„Haben wir, aber ohne Resultat.“

„Fragt nach einer Ärztin, einem Arzt oder Pfleger, nach Schwestern, die ihnen neu waren.“

„Das werden wir tun. Aber ich habe hier die Liste derer, die auf den beiden Stationen arbeiten, das sind rund 50 Personen.“

„Durch die Dreiteilung des Arbeitstags wird auch dreimal in 24 Stunden gewechselt. Dazu benötigt man viel Personal. Es herrscht ein derartiger Wechsel, dass die Patienten keine Bezugspersonen mehr haben. Ich beurteile diese Entwicklung absolut negativ, aber man kann nichts dagegen machen. Es liegt außerhalb der ärztlichen Kompetenz, wir dürfen und können dem Pflegedienst nichts mehr anordnen.“

Jakob sah seine junge Kollegin an und fragte, ob sie noch etwas wissen wolle.

Sie nickte und fragte: „Stellen Sie bei jedem Todesfall Infusionen und Medikamente sicher?“

„Ja schon. Vor allem, wenn der Tod unerwartet eintritt. Etwa bei einem mors in tabula, einem Tod am Operationstisch, aber auch wenn der Patient unmittelbar auf ein Medikament irgendwelche Reaktionen zeigt.“

Mit dieser Antwort gaben sich die beiden zufrieden und ließen mich wieder an meine Arbeit gehen.

Am nächsten Tag bekam ich einen Liebesbrief von der Staatsanwältin, Frau Dr. Leitner-Markovic. In der kurz gefassten Mitteilung stand, dass ich mich am Freitag um zehn Uhr im Büro der Staatsanwaltschaft, Zimmer 103, im zweiten Stock des Oberlandesgerichts einzufinden habe. Der Text war ungefähr so formuliert, dass, sollte ich der Vorladung unentschuldigt fernbleiben, ich bestraft werden oder eine Zwangsvorführung stattfinden würde.

Am Abend zeigte ich Julia die Vorladung.

Sie lachte: „Das ist nichts anderes als der übliche Gerichtsjargon. Sie wird dich schon nicht einbehalten. Solltest du Schwierigkeiten haben, ruf mich an, ich werde dir zu Hilfe eilen.“

„Diese Sprache scheint mir unhöflich und nicht mehr zeitgemäß.“

„Das kann schon sein. Aber vergiss nicht: Heute leitet der Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren und kann in jedem Stadium der Ermittlung Beweisaufnahmen bei der Kriminalpolizei beantragen. Er gewährt und trifft Anordnungen und kann selbst eingreifen. Wenn du dich durch eine Anordnung des Staatsanwalts als ungerecht behandelt erachtest, kannst du das Gericht anrufen.“

„Wenn sie das tut, dann werde ich mich beschweren.“

Pünktlich um zehn saß ich am nächsten Morgen auf einer harten Bank vor dem besagten Zimmer. Wie erwartet, musste ich eine Viertelstunde warten. Viertel nach zehn rauschte die Frau Staatsanwältin mit zwei jungen Juristen grußlos an mir vorbei und ging in ihren Amtsraum. Fünf Minuten später wurde ich ins Zimmer gebeten.

Nach einem Kopfnicken, wohl als Gruß gemeint, forderte man mich auf, Platz zu nehmen. Frau Leitner-Markovic blätterte in ihren Akten. Ich betrachtete sie genau, sie war eigentlich eine attraktive Frau. Ein längliches schmales Gesicht, die schwarzen Haare hochgesteckt, ein eleganter Hals und eine schlanke Figur. Nur war da ein Zug von Verbissenheit. Ihre Miene war ernst, die Lippen zusammengepresst, man konnte sich nicht vorstellen, dass sie einmal lächeln könnte oder dass dieser Mund zärtliche Worte sagen würde.

In unhöflichem Ton und mit knappen Worten wurde ich nach meinem Geburtsdatum gefragt, wo ich wohnhaft sei und welchen Beruf und welche Stellung ich habe. Ich antwortete brav. Danach begann sie mit der eigentlichen Befragung, die mehr ein Verhör war. Geduldig und ruhig schilderte ich den Ablauf der Dinge, denn ich hatte es nun schon oft genug getan. Wieder und wieder stellte sie Fragen – dieselben wie zwei Tagen zuvor Jakob: ­Warum ich die Beweismittel sichergestellt hätte und ­warum ich jedermann aufgefordert hätte, Gedächtnisprotokolle zu schreiben. Das sei doch merkwürdig, wollte ich damit die Schuld vom Spital abwälzen?

„Frau Staatsanwalt, ich weiß nicht, ob Sie wissen, welchem Druck wir heute im Spital ausgesetzt sind, lassen Sie mich etwas ausholen. Die Abteilung, der ich vorstehe, führt fast 1500 Eingriffe im Jahr durch. Wegen angeblicher Kunstfehler oder zu Unrecht durchgeführter Operationen in den letzten Jahren wurden nicht weniger als zehn Anzeigen bei Gericht beziehungsweise bei der Schlichtungsstelle gemacht. Fast in allen Fällen sind wir freigesprochen worden, weil wir alles gut dokumentieren und nie etwas leugnen. Wir geben Fehler, die wir machen, zu. Dadurch wird es möglich, dass die Patienten Schadensersatz bekommen. Ich weiß sehr wohl, dass manche Kollegen ihr schuldhaftes Verhalten nicht zugeben wollen und die Geschädigten deshalb Schwierigkeiten haben, zu ihrem Geld zu kommen. Die hauptsächlichste Ursache dafür ist Eitelkeit. Fehler macht ein jeder, auch Organisationsfehler kommen immer wieder vor. Aber wir führen einen ständigen Kampf gegen Nachlässigkeit und Schlamperei. An meiner Abteilung wird immer alles offengelegt, und die Patienten werden von mir persönlich über eventuell begangene Fehler aufgeklärt. Ich finde, das ist das wenigste, was man machen kann. Daher mein Ersuchen um sofortige Gedächtnisprotokolle, daher das ­Sicherstellen von Infusionen. In meinem Schreibtisch habe ich einen ganzen Ordner mit Protokollen aufbewahrt, die nie benötigt wurden.“

Wieder blätterte sie in ihren Unterlagen, ihre Gesichtszüge hatten sich etwas entspannt.

„Ich habe nicht gewusst, dass so häufig Ansprüche gestellt werden.“

„Das meiste wird von der Schlichtungskommission der Ärztekammer erledigt, nur einzelne Fälle gelangen vor Gericht.“

„Wir werden einen Sachverständigen ersuchen, ein Gutachten zur Operation und zur medikamentösen Behandlung zu erstellen.“

„Da habe ich nichts dagegen.“

Dann wieder die obligatorische Frage, wer es denn meiner Meinung nach getan haben könnte?

Ich gab die gleiche Antwort wie schon mehrmals zuvor: „Die Tat kann nur von einem Menschen durchgeführt worden sein, der die Station und ihren Betrieb genau kennt und der exakte medizinische Kenntnisse besitzt, mit einem Wort, es war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mitarbeiter oder zumindest ein ehemaliger Angehöriger der Klinik.“

Das erstaunte sie. Sie hatte wohl erwartet, dass ich die Schuld von der Klinik wegschieben wollte.

„Warum glauben Sie das?“

„Der Täter oder die Täterin muss über den Stationsbetrieb genau informiert gewesen sein. Die Sache war leicht durchführbar, verlangte aber exakte Fach- und Ortskenntnisse.“

„Hätte er mit der Tat ungeschoren davonkommen können?“

„Ich glaube, dass er sogar damit gerechnet hat. Wenn man Lederer routinemäßig obduziert hätte und weder eine Embolie noch ein Herzinfarkt festgestellt worden wäre, hätte man wahrscheinlich einen unklaren Herztod angenommen, denn er hatte einen leichten Myokardschaden. Hätte man die Infusion nicht sichergestellt, dann wäre der Nachweis eines Verschuldens schwer zu führen gewesen. Das wäre dann der perfekte Mord gewesen.“

„Wie ist Ihr Verhältnis zur Familie Lederer?“

„Frau Lederer ist eine Studienkollegin, mit der ich in meiner Studienzeit eng befreundet war. Wir haben uns allerdings in den letzten zehn Jahren seltener gesehen. Auch ihren Mann habe ich gekannt. Vor dem Eingriff haben wir uns mehrere Male länger unterhalten, in meiner Ordination. Übrigens war er mir sehr sympathisch. Wir haben vereinbart, uns nach seiner Gesundung auch privat zu treffen. Die Kinder kenne ich überhaupt nicht. Beide sind schon über 20.“

„Wissen Sie etwas über das Unternehmen?“

„Keine Ahnung. Es scheint gut zu gehen. Soviel ich weiß, gibt es eine zweite Niederlassung in Ungarn.“

Der Ton der letzten Fragen war schon wesentlich freundlicher gewesen. Sie bedankte sich nun sogar für mein Kommen und reichte mir zum Abschied die Hand. Das Protokoll würde ich noch unterschreiben müssen. Ich erhob mich und verließ das Zimmer der Staatsanwältin auf freiem Fuß.

Mord im Spital

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